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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Schad den Rüssel

In einer großen deutschen Stadt war einmal eine fürstliche Hochzeit, die herrlich ausgerichtet wurde. Da gab es Aufzüge und Feste und Lustbarkeit aller Art, da kamen auch Gaukler und Springer und Bettelleute über alle Maßen viel. Unter letzteren war auch ein Bettler, der sein Almosenheischen als förmliches Gewerbe trieb. Gleichwohl hatte er an diesem Festtage kein absonderliches Glück, denn jeder hatte mit sich zu tun. Man lief, man rannte, man stieß und wurde gestoßen, drängte und wurde gedrängt, gaffte und schaute und hatte keine Zeit, den Säckel zu ziehen. Das war auch gar nicht geraten, denn wenn eine fremde Hand den Säckel wegriß, so war er dagewesen. Es wurmte den Bettler über die Maßen, daß er an



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dem Sage, an dem er sich jnst eine große Ausbeute an reichlich fallenden Almosen versprochen hatte, so gar nichts erhielt, und er murrte unwillig vor sich hin; "Ist denn die ganze Stadt ein Dürrhof geworden? Da muß der Donner hineinfahren und der Teufel drin sitzen! Ei, so wollt ich doch lieber den Teufel um ein Almosen angehen als euch Geizdrachen und Hungerleider! Wie viele Gebete habe ich nicht schon heute gesprochen, wie viele Litaneien heruntergehaspelt und nicht einmal Gelegenheit gehabt, zu sagen: Küss" die Hand, Euer Gnaden, vergelt g Gott!

Während der Bettler so murrte, ging ein kleines, hinkendes Männlein in einem grünen Samtröcklein an ihm vorüber, das trug einen schwarzen spanischen Hut und darauf eine rote Feder und schaute sich halb um nach dem Bettler, wobei ein scharfblitzendes Auge und eine sehr stattliche, Stark gebogene Adlernase sichtbar wurden. Der Bettler vergaß auf der 1 telle seinen Vorsatz, niemanden an diesem Tage ferner anzusprechen, schritt vielmehr dem kleinen Grünrock nach, drängte sich an ihn, hielt ihm seinen Schlapphut vor und begann seinen Bettlerspruch in Form eines Stoßgebetes. Der Grünrock zog ein grimmiges Gesicht und rief mit heiserer Stimme dem Bettler zu: "Halte gleich dein Maul, du ump! Mit solcherlei Redensarten gewinnst du mir absolut nichts ab. Du weißt nicht einmal, wen du um ein Almosen angehst, und hast's doch vorhin gelobt!

Mit diesen Worten schritt der Grünrock in einen Straßenwinkel, in dem man freier stehen konnte, weil das Volkggewimmel in der Straße rastlos vorüberwogte, und der Bettler folgte ihm, weil er sah, daß der Grüne in die Tasche griff, auf alle Fälle, um aus ihr eine Gabe für ihn hervorzuholen. Das tat er denn auch; zog eine kleine eiserne Raspel mit kurzem Holzstiele hervor und sagte: "Dies kleine Werkzeug kann und wird all deiner Not ein Ende machen, wenn du meinem Rate folgen willst. brauchst damit nur einmal über die Lippen zu streichen und zu sagen: Schab den Rüssel, so fällt dir ein Goldstück vom Maule. Da aber nach dem Sprichwort umsonst nur der Tod ist — und das Sprichwort übrigens auch noch liiert, denn der Tod kostet das eben — so wirst du es billig finden, daß ich auch von dir einiges begehre.



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"Was Euer Gnaden nur befehlen; ich stehe zu Dienst!"rief vor Freude zitternd der Bettler und blickte unverwandt nach der neuen eisernen Raspel.

"Du darfst erstens keine Reimgebetlein mehr sprechen, überhaupt hinfüro weder beten noch betteln, darfst in keine Kirche gehen, darfst nicht heiraten, und nach sieben Jahren muß deine Seele mein sein. Wenn dich jemand mit Schimpfreden antastet, wenn einer dir was nachredet, das dir übel gefällt, dann ziehe nur diese Raspel aus der Tasche und sprich, ohne sie an deine Lippen zu bringen: Schab den Rüssel, so wird sie jenen dir Übelwollenden dermaßen über das Maul fahren, daß sie es dann ganz sicherlich halten werden.

Obwohl der Bettler nun merkte, wer dieser gewisse Grünrock war, und ihn eine Gänsehaut bei dieser Wahrnehmung überlief, erschien ihm das Anerbieten doch so übel nicht, denn Geld war ihm das Höchste, und um seine Seele hatte er sich nie sonderlich bekümmert. Gebet und Kirchengehen zu meiden, fiel ihm auch nicht schwer, denn bei sei nen Gebeten, die er beim Betteln nur so herleierte, hatte er sich- niemals etwas gedacht, und sein Kirchenstand war immer außen, vor den Kirchentüren gewesen. Er sagte also zu, und der Grünrock sagte, er wolle am andern Morgen zu ihm kommen und die Verschreibung mitbringen, zur Unterschrift — um Lebens und Sterbens willen; denn etwas rot auf weiß müsse er haben, und wenn der Bettler den Pakt nicht gewissenhaft halte, so verfalle die Seele dem



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Grünen sofort. Das Kunststück mit dem Schab den Rüssel, um Geld zu erzielen — setzte der Grüne noch hinzu —, kann des Tages nur einmal, und zwar bloß früh nüchtern, ausgeübt werden.

Der Grünrock hinkte hinweg und verlor sich bald unter dem Volks gewimmel, der Bettler aber hielt beständig die Hand auf seiner linken Hosentasche, in die ihm jener die Raspel gestreckt hatte, daß nicht etwa ein Taschendieb sie ihm stibitze. Er ging gegen seine Gewohnheit diesen Abend in kein Wirtshaus und konnte vor Erwartung die ganze Nacht nicht schlafen. Die Raspel hatte er sich in einem Tüchlein um den Hals gebunden, um ja nicht darum zu kommen.

Mit dem Morgengrauen war er schon auf, holte eine Schüssel, zog die Raspel hervor, strich sie über seinen breiten Mund und sprach: "Schab den Rüssel!" —Plauz! plumpte ein funkelnagelneuer Kremnitzer Dukaten klingend in die Schüssel — indes fuhr zugleich etwas Haut von der Lippe. Aber der Strolch achtete nicht den Schmerz; er arbeitete wie ein Schlosser mit der Feile auf seinem Munde herum: "Schab den Rüssel, schab den Rüssel, schab den Rüssel!" — das ging ganz flott, und es fiel förmlich ein goldener Regen in die Schüssel.

Jetzt blutete dem Raspelkünstler der Mund ziemlich arg, und da kam der Grünrock und hatte ein Pergament und eine frisch, aber verkehrt geschnittene Feder, die tauchte er auf seines Mannes blutende Lippen wie in ein rotes Tintenfaß, und jener mußte seinen Minen unter den Vertrag setzen, worauf alsbald der Grüne wieder verschwand und den Pakt mit sich hinwegnahm, Zuvor aber ließ er ein Büchschen mit Lippensalbe zurück — die mehr nach Schwefel als nach Rosenöl roch —, um die kleinen Wunden zuzuheilen, und fügte noch die Warnung hinzu, nicht gar zu häufigen Gebrauch von der Raspel zu machen, sonst werde der Raspler stetig ein böses Maul haben, und mit nichts mehr, als mit einem solchen, mache man sich verdächtig und werde gar nicht gern gesehen.

Anderntags hatte der Goldmund einen gräulichen Grind auf seinen Lippen, aber er hatte, seiner Meinung nach, noch lange nicht genug Kremnitzer Dukaten, fing daher aufs neue an, seinen Rüssel zu schaben, daß es



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nur so in die Schüssel prasselte. Er litt freilich dabei abscheuliche Schmerzen, und die Lippen schwollen ihm auf wie zwei braune, teilweise beim Braten zerplatzte Leberwürste, aber er gewann doch vieles Gold. Er konnte nur mit verbundenem Munde ausgehen, ging indessen doch abends in ein Zechhaug und ließ einige seiner Goldvögelein fliegen, schlemmte und war fröhlich mit seinen vormaligen Bettelbrüdern. Gleichwohl spotteten diese ihn aus über sein Schwartenmaul; er müsse des Teufels Großmutter geküßt haben, sagten sie. Als ihn das ärgerte, zog er die Raspel hervor, sprach heimlich und leise: "Schab den Rüssel" und plötzlich tanzte unsichtbar die Raspel dem Zechgesenen, der den Witz gerissen, auf den Lippen herum — ohne daß aber Gold herunterfiel —, daß der vor Schmerz laut aufschrie; der andere verzog sich und schwur, fortan solche gemeine Gesellschaft zu meiden. Er ließ nun die Raspel, soviel er's irgend aushalten konnte, auf seinem Munde fleißig arbeiten und begann den Aufbau eines neuen Hauses, den er eifrig betrieb. Über die Tür ließ er schreiben: "Zum Schad den Rüssel", und nahm den vornehmen Samen Chrysostomus an, der zu deutsch Goldmund lautet.

Herr Chrysostomus zum Schab den Rüssel wurde immer reicher und reicher. Es war nur schade, daß er stets mit verbundenem Munde ging, weshalb sich die Mär im Volke verbreitete, sein Mund sei kein Mund, sondern ein kleiner Saurüssel, aber von Golde, davon schabe er immerfort ab, und daher rühre sein Reichtum. Weil er nun keinem Armen etwas gab, kam die Redensart auf, die sich hernachmals im ganzen Deutschen Reiche verbreitete, die jeden Geizigen einen schäbigen Mann nennt.

Herr Chrysostomus zum Schab den Rüssel lebte herrlich und in Freuden; wer ihm was zuwider tat oder sagte, den ließ er tüchtig von der Raspel bearbeiten, so daß alle auf der Stelle das Maul hielten.

So gingen die sieben Jahre herum, da kam der Grünrock wieder, willens, nun die verfallene Seele in Empfang zu nehmen. Der Türsteher des Herrn Grafen Chrysostomus von und zum Schab den Rüssel wollte den Grünen nicht zu seinem Herrn lassen; der kleine Grünrock aber unter



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stellte dem großen Türsteher ein Bein, daß er hinplumpste wie ein Nußsack.

Seine Erlaucht, der Herr Graf, lagen auf dem Sofa, lasen die Zeitung, hatten neben sich etwelche Fläschchen Ungarwein gsehen und rauchten türkischen Tabak, als der Grünrock in das herrlich ausgeschmückte Spiegelzimmer trat.

Was gibt's? Was soll es?" fragten der Herr Graf in übler Laune, daß jemand sich unterfing, unangemeldet einzutreten. "Man wende sich an den Kammerdiener!

Habe mit dir selbst zu sprechen, mein Wertester!" entgegnete der Grünrock. "Seine Zeit ist um! Hier ist der Pakt. Auf, zum Abmarsch! Jetzt heißt es nicht mehr Schab den Rüssel, sondern Schab ab!" —

Seine Erlaucht, der Herr Graf von und zum Schab den Rüssel, setzten ein viereckiges Lorgnettenglas, das an einer Schnur hing, vor das rechte Auge und blinzten damit nach dem Grünrock hin, indem Hochdieselben einmal gähnten und dann sprachen: "Was? Zeit? Pakt? Abmarsch? Schab den Rüssel! — Dummheit!

Sowie des Herrn Grafen Erlaucht das Wort "Schab den Rüssel aussprachen, fuhr die Raspel dem Grünrock über das Maul und raspelte, daß ihm Hören und Sehen verging. Der dumme Teufel — kein anderer war der Grünrock — hatte vergessen, die Eigenschaft des Rüsselschabers diesem nicht als eine allgemeine zu verleihen. Der Herr Graf trommelten mit den Fingern der linken Hand auf dem Tisch einen Schottischen im Zweivierteltakte und brummten dazu:

Schab den Rüssel, sch. b den Rüssel, schab den Rüssels Hopsasa:
Schab den Rüssel, schab den Rüssel, schab den Rüssel! Trallala!"

Dem Teufel wurde übel und weh bei diesem Tanze; er schrie, daß das ganze Haus erbebte. Endlich fiel er auf die Knie und bat des Herrn Grafen erlauchte Erlaucht fußfällig um Gnade und Einhalt.

Des Herrn Grafen Erlaucht bliesen dem Teufel eine Wolke von türkischem Tabakdampf in das Gesicht und streckten, ohne ihre liegende Stellung



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zu verändern, ihre Hand aus, indem sie nur die zwei Worte sagten: "Meinen Pakt!", worauf der Teufel das Pergament hinreichte. Der Herr Graf überzeugten sich, daß es das rechte sei und nicht etwa ein untergeschobenes, dann zerrissen Hochdieselben ganz gemächlich das Pergament mit ihrer roten Namenunterschrift und sprachen: "So mag es gut sein! Sei so gut, wische dir das Maul und verschwinde. Die Raspel aber läßt du mir zum Andenken."— "Halte dein Maul, alberner Narr!" unterbrach ihn der Teufel, das hättest du eher sagen müssen. Der Pakt ist zerrissen, und die Raspel ist wieder mein. Für solch ein unschätzbares Werkzeug wie sie bekomme ich ganz andere Seelen, wie die deine ist, du Lump! Oh, daß ich an dich könnte! Aber harre nur, und wehe dir, wenn du einst doch zu mir kommst-— da will ich auch sagen an dem Orte, wo Heulen und Zähneklappern ist: Schab den Rüssel!


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