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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Die drei Gaben

Es war einmal ein armer Leinweber, zu dem kamen drei reiche Studenten, und da sie sahen, daß der Mann sehr arm war, schenkten sie ihm in seine Wirtschaft hundert Taler. Der Leinweber freute sich sehr über diese Gabe, gedachte sie gut anzuwenden, wollte aber noch eine Zeitlang seine Augen an den blanken Talern weiden, sagte daher seiner Frau, die nicht zu Hause gewesen war, nichts von seinem Glück und versteckte das Geld dahin, wo niemand Geld sucht, nämlich in die Lumpen.

Als er einmal auswärts war, kam ein Lumpensammler, und dem verkaufte die Frau den ganzen Vorrat für einige Kreuzer. Da war groß Herzeleid, ala der Leinweber heim kam und seine Frau ihm erfreut die Kreuzer zeigte.

Über ein Jahr kamen die drei Studenten wieder, hofften den Leinweber nun in guten Verhältnissen zu treffen, fanden ihn aber noch ärmer als zuvor. Er klagte ihnen sein Mißgeschick. Mit der Ermahnung, vorsichtiger zu sein, schenkten ihm die Studenten abermals hundert Taler; nun wollte er's recht klug machen, sagte seiner Frau wieder nichts und steckte das Geld in den Aschentopf. Da ging 's gerade wieder so, wie das vorige Mal; die Frau vertauschte die Asche an einen Aschen sammler gegen ein paar Stückchen Seife, als gerade ihr Mann abwesend war, irgendeinem Kunden bestellte Leinwand abzuliefern. Als er wiederkam und den Aschen handel erfuhr, wurde er so böse, daß er seine Frau mit ungebrannter Asche laugte.

Über ein Jahr kamen die Studenten zum dritten Male, fanden den Leinweber fast am Bettelstab und sagten ihm, indem sie ihm ein Stück Blei vor die Füße warfen: "Was nützt der Kuh Muskate? Dir Tropf Geld zu schenken, wären wir dümmer, als du selbst bist. Zu dir kommen wir auch nicht wieder." Damit gingen sie ganz ärgerlich fort, und der



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Leinweber hob das Stück Blei vom Boden auf und legte es aufs Fensterbrett.

Bald darauf kam sein Nachbar herein, der war Fischer, bok guten Tag und sprach: "Lieber Nachbar, habt Ihr nicht etwa ein Stückchen Blei oder sonst was Schweres, das ich an mein Netz brauchen könnte ? Ich habe nichts mehr dergleichen." Da gab ihm der Leinweber das Stückchen Blei, und der Nachbar bedankte sich gar schön und sagte: "Den ersten großen Fisch, den ich fange, den sollt Ihr zum Lohne haben!" — "Schon gut, es ist nicht darum", sprach der zufriedene Leinweber.



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Bald darauf brachte der Nachbar wirklich einen hübschen Fisch von vier bis fünf Pfund, und der Leinweber mußte ibn annehmen. Er schlachtete den Fisch und fand einen großen Stein im Magen. Den Stein legte der Leinweber auf das Fensterbrett. Abends, als es dunkel wurde, fing der Stein an zu glänzen, und je dunkler es wurde, je heller leuchtete der Stein, wie ein Licht. "Das ist eine wohlfeile Lampe", sagte der Leinweber zu seiner Frau und legte den Stein so, daß er die ganze Stube erhellte.

Am folgenden Abend ritt ein Herr am Hause vorbei, erblickte den Glanzstein, stieg ab und trat in die Stube, besah den Stein und bot zehn Taler dafür. Der Weber sagte: "Der Stein ist mir nicht feil!" —"Auch nicht für zwanzig Taler?" fragte der Herr. "Auch nicht", antwortete der Leinweber. Jener aber fuhr fort zu bieten und zu bieten, bis er tausend Taler bok, denn der Stein war ein kostbarer Diamant und noch viel mehr wert. Jetzt schlug der Weber ein und war der reichste Mann im Dorfe. Nun harte die Frau das letzte Wort und sagte: "Siehst du, Mann, wenn ich das Geld nicht zweimal fortgegeben hätte, würden wir nicht so reich geworden sein. Das hast du doch nur mir zu danken!" —


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