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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Des Hundes Not

Es war ein Hund, der lag hungrig und kummervoll auf dem Felde, da sang über ihm eine Lerche ihr wonniges Lied. Als der Hund das hörte, sprach er: "O du glückliches Vögelein, wie froh du bis, wie süß du singst, wie hoch du dich aufschwingst! Aber ich — wie soll ich mich freuen? Mich hat mein Herr verstoßen, seine Tür hinter mir gesperrt, ich bin lahm, bin krank, kann kein Essen erjagen und muß hier Hungers sterben!

Wie die Lerche den hungrigen Hund also klagen hörte, flog sie nahe



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zu ihm und sprach; "H du armer Hund! Mich bewegt dein Leiden, wirst mir es auch Dank wissen, wenn ich dir helfe, Daß du satt wirst?

"Womit, Frau Lerche?"fragte der Hund mit matter Stimme, und die Lerche antwortete: "Sieh, dort kommt ein Kind gegangen, das trägt Speise zu jenem Ackersmann; ich will dafür sorgen, daß esche Speise niederlegt und mir nachläuft, indes gehst du hinzu und issest den Käse und das Brot und stille deinen Hunger!"

Der Hund dankte der Lerche, und sie lief vor dem Kinde her, bald flatterte sie auf dieser, bald auf jener Seite, bis das Kind dachte: die Lerche muß ich fangen; und die Lerche stellte sich flügellahm und ließ einen ihrer kleinen Fittiche hangen, wie gebrochen. Das Kind griff oft nach ihr, aber es haschte vergebens mit der einen Hand, und da legte es sein Tüchlein nieder, darin es das Essen trug, und lief der Lerche nach. Indessen erhob sich der Hund, hinkte nach dem Tuche und schnüffelte hinein: da lagen: ein



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Stück Brot, ein Quarkkäse und oier gute Eier, die fraß er ungesotten und ungestalt, und den Käse und das Brot nahm er mit von dannen, als er forckroch und sich in dem Korn versteckte.

Als der Hund sein Teil hatte, flog die Lerche in die Lüfte und sang; das betrogene Kind aber verwünschte sie, und noch viel mehr, als es sein Tüchlein leer fand. Weinend ging es zurück zu seiner Mutter.

Die Lerche flog zum Hunde hin und fragte ihn, wie er sich jetzt befinde? Er sagte ihr schönen Dank, und nie sei ihm wohler gewesen. "Nur eine Bitte, herzliebe Frau Lerche, habe ich noch auf dem Herzen" sprach er, "wer satt ist, der ist gern froh. O bitte, erzählet mir noch etwas, davon ich ein wenig lachen und lustig werden mag.

Wohlan!" sprach die Lerche, "folge mir." Und da flog die Lerche voran, und der Hund folgte ihr zu einer Scheuer, auf deren Dachboden man leicht gelangen konnte; da hinauf hieß die Lerche den Hund steigen und hinunter sehen, denn der Boden war schadhaft und durchgebrochen. Unten auf der Tenne standen zwei Kahlköpfe, die draschen; da setzte sich flugs die Lerche dem einen auf die Glatze, und flugs klapse der andere mit der Hand darauf, die Lerche zu fangen; das kluge Vöglein war aber schneller als er und flog zur Seite.

"Nun, Geselle, was soll Das? Was schlägst du mich?" fragte der erste Kahlkopf den andern. Der entschuldigte sich, daß ein Vöglein sich jenem auf den Kopf gesetzt, dieses habe er erhaschen wollen; habe der Klaps weh getan, sei es ihm leid. Indem setzte sich die Lerche auf die Glatze dessen, der eben sprach, und da schlug gleich der andre hin mit einem so harten Schmiß, daß der Kopf gewiß zersprungen wäre, wenn er von Glas gewesen wäre, wenigstens brummte er dem Geschlagenen tüchtig, und nun ging gleich das Schelten los, und beide Drescher warfen ihre Flegel hin und wollten einander in die Haare. Weil nun keine Haare hatten, so kratzten einander auf die Glatzen, daß das Blut danach lief, und stießen sich hart; darüber mußte der Hund so unbändig lachen, daß ihm ganz weh ward und er weder liegen noch stehen konnte, und da purzelte er vor Lachen von dem Boden hoch herunter, den Dreschern gerade auf die Kahlköpfe.



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Sie wandten ihren Zorn gleich gegen den Hund, und da Drescher waren, so draschen sie ihn so lange, bis er mit Ach und Krach durch ein Loch in der Scheuerwand und durch den Zaun fuhr, wobei ihm nicht nur das Lachen, sondern schier Hören und Sehen verging. Ganz mürbe und marode legte er sich in das Gras hinter den Zaun, und da kam die Lerche geflogen und fragte: "Edler Herr, wie befinden Sie sich?

"Ei, Frau Lerche"ächzte der Hund, "ich habe vollauf genug. Ich bin ein ganz geschlagener Mann! Ich glaube, meiner Treu, ich habe gar keinen Rücken mehr, die Drescher haben mir das Fell bei lebendigem Leibe abgeschunden und gegerbt. Ach, soll ich länger leben, so muss ich einen Wundarzt haben!" — "Wohl nur getrost! Ich hole dir auch den, so es irgend möglich ist"sprach die Lerche und flog von dannen. Bald fand einen Wolf, den redete sie an: "Herr Wolf, Ihr habt wohl gar keinen Appetit?"

"Ach, Frau Lerche", ward ihr zur Antwort, "was das anbetrifft, so kann ich mit Wolfshunger dienen.

"Nun wenn Ihr es mir danken wollt", sprach die Lerche weiter, "so wollte ich Euch wohl weisen, wo ein feister Hund liegt, der Euch kaum entrinnen wird!"

"Oh, meine edle Königin, wie gnädig Ihr seid!" schmeichelte und schmunzelte der Wolf und lese sich die Zähne. Die Lerche flog vor ihm her, und er folgte ihr, und wie sie zu dem Hunde kam, redete sie ihn an: "Nun, Geselle, schläfst du? Willst du nicht den Arzt sehen? Richte dich auf, dort kommt der Doktor!"

Wo, Frau Lerche, wo?" fragte der Hund ganz müde. Aber als er den Wolf sah, da schrie er: "Nein, Frau Lerche, nein! Diesen Doktor nicht! Haltet ihn zurück! Ich bin gesund!" Und mit einem Sahe war der Hund auf den Beinen und fort, daß ihm kein Zaun zu hoch und kein Graben zu breit war.


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