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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Das Märchen vom Ritter Blaubart

Es war einmal ein gewaltiger Rittersmann, der hatte viel Geld und Gut und lebte auf seinem Schloß herrlich und in Freuden. Er hatte einen schwarzblauen Bart, davon man ihn nur Ritter Blaubart nannte, obschon er eigentlich anders hieß, aber sein wahrer Name ist verlorengegangen. Dieser Ritter hatte sich schon mehr als einmal verheiratet, allein man hatte gehört, daß alle seine Frauen schnell nacheinander gestorben seien, ohne daß man eigentlich ihre Krankheit erfahren hatte. Nun ging Ritter Blaubart abermals auf Freiersfüßen, und da war eine Edeldame in seiner Nachbarschaft, die hatte zwei schöne Töchter und einige ritterliche Söhne, und diese Geschwister liebten einander sehr zärtlich. Als nun Ritter Blaubart die eine dieser Töchter heiraten wollte, hatte keine von beiden rechte uht, denn sie fürchteten sich vor des Ritters blauem Bart und mochten sich auch nicht gern voneinander trennen. Aber der Ritter lud die Mutter, die Töchter und die Brüder samt und sonders auf sein großes schönes Schloß zu Gaste und verschaffte ihnen dort so viel angenehmen Zeitsvertreib und Vergnügen durch Jagden, Tafeln, Tänze, Spiele und sonstige Freudenfeste, daß sich endlich die jüngste der Schwestern ein Herz faßte und sich entschloß, Ritter Blaubarts Frau zu werden. Bald darauf wurde auch die Hochzeit mit vieler Pracht gefeiert.

Nach einer Zeit sagte der Ritter Blaubart zu seiner jungen Frau: "Ich muß verreisen und übergebe dir die Obhut über das ganze Schloß, Haus und Hof mit allem, was dazu gehört. Hier sind auch die Schlüssel zu allen Zimmern und Gemächern, in alle kannst du zu jeder Zeit eintreten. Dieser kleine goldene Schlüssel aber schließt das Kabinett ganz am Ende der großen Zimmerreihe. In das, meine Teure, muß ich dir verbieten, zu gehen, so lieb dir meine Liebe und dein eben ist. Würdest du es öffnen, so erwartete dich die schrecklichste Strafe der Neugier. Ich müßte dir dann mit eigner Hand das Haupt vom Rumpfe trennen!" — Die Frau wollte auf diese Rede den kleinen goldnen Schlüssel nicht annehmen, indes mußte sie es tun, um ihn sicher aufzubewahren, und so schied sie von ihrem



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Manne mit dem Versprechen, daß es ihr nie einfallen werde, jenes Kabinett aufzuschließen und es zu betreten.

Als der Ritter fort war, erhielt die junge Frau Besuch von ihrer Schwester und ihren Brüdern, die gerne auf die Jagd gingen. Nun wurden mit Lust alle Tage die Herrlichkeiten in den vielen, vielen Zimmern des Schlosses durchmustert, und so kamen die Schwerern auch endlich an das Kabinett. Die Frau wollte, obschon selbs große Neugierde trug, durchaus nicht öffnen, aber die Schwester lachte ob ihrer Bedenklichkeit und meinte, daß Ritter Blaubart darin doch nur aus Eigensinn das Kostbarste und Wertvollste von seinen Schätzen verborgen halte. So wurde der Schlüssel mit einigem Zagen in das Schloß gesteckt, und da flog auch gleich mit dumpfem Geräusch die Tür auf, und in dem sparsam erhellten Zimmer zeigten sich — ein entsetzlicher Anblick! — die blutigen Häupter aller früheren Frauen des Ritter Blaubart, die ebensowenig wie die jetzige dem Drange der Neugier hatten widerstehen können und die der böse Mann alle mit eigener Hand enthauptet hatte. Von Grauen geschüttelt, wichen die Frau und ihre Schweter zurück. Vor Schreck war der Frau der Schlüssel entfallen, und als sie ihn aufhob, waren Blutflecke daran, die sich nicht abreiben ließen. Ebensowenig gelang es, die Tür wieder zuzumachen, denn das Schloß war bezaubert, und indem verkündeten Hörner die Ankunft Berittener vor dem Tore der Burg. Die Frau atmete auf und glaubte, es seien ihre Brüder, die sie von der Jagd erwartete, aber es war Ritter Blaubart selbst, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als nach seiner Frau zu fragen, und als sie ihm bleich, zitternd und bestürzt entgegentrat, fragte er nach dem Schlüssel. Sie wollte den Schlüssel holen, und er folgte ihr auf dem Fuße, und als er die Flecken am Schlüssel sah, verwandelten sich alle seine Gebärden, und er schrie; "Weib, du mußt nun von meinen Händen sterben! Alle Gewalt habe ich dir gelassen! Alles war dein! Reich und schön war dein Leben! Und so gering war deine Liebe zu mir, daß du meine einzige kleine Bitte, meinen ernsthaften Befehl nicht beachtet hast? Bereite dich zum Tode! es ist aus mit dir!"

Voll Entsetzen und Todesangst eilte die Frau zu ihrer Schwester und



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bat sie, geschwind auf die Turmzinne zu steigen und nach ihren Brüdern zu spähen, um ihnen ein Notzeichen zu geben, während sie sich auf den Boden warf und zu Gott um ihr Leben flehte. Und dazwischen rief sie: "Schwester, siehst du noch niemand?" — "Niemand!" klang die trostlose Antwort. —"Weib! komm herunter!" schrie Ritter Blaubart, "deine Frist ist aus!" — "Schwester! siehst du niemand? schrie die Zitternde. "Eine Staubwolke — aber ach! es sind Schafe!" antwortete die Schwester. —"Weib! komm herunter, oder ich hole dich!" schrie Ritter Blaubart. — "Erbarmen! Ich komme ja gleich! Schwester! siehst du niemand?" —"Zwei Ritter kommen zu Roß daher, sie sahen mein Zeichen, sie reiten wie der Wind." — "Weib jetzt hole ich dich!" donnerte Blaubarts Stimme, und da kam er die Treppe herauf. Aber die Frau gewann Mut, warf ihre Zimmertür ins Schloß und hielt sie fest, und dabei schrie sie samt ihrer Schwester so laut um Hilfe, wie sie beide nur konnten. Indessen eilten die Brüder wie der Blitz herbei, stürmten die Treppe hinauf und kamen eben dazu, wie Ritter Blaubart die Tür sprengte und mit gezücktem Schwert in das Zimmer drang. Ein kurzes Gefecht, und Ritter Blaubart lag tot am Boden. Die Frau war erlöst, konnte aber die Folgen ihrer Neugier lange nicht verwinden.


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