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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls

Der Zauberwettkampf

Einstmals ging ein junger Buchbindergeselle in die Fremde und wanderte, bis kein Kreuzerlein mehr in seiner Tasche klimperte. Da endlich nötigte ihn sein schlaff gewordener Geldbeutel, ernstlich der Arbeit nachzufragen, und bald ward er auch angenommen und bekam es sehr gut. Sein Meister sprach zu ihm: "Gesell, du wirst es gut bei mir haben; die Arbeit ist ganz gering. Du kehrst nur die Bücher hier alle Tage recht säuberlich ab und stellst sie dann nach der Ordnung wieder auf. Aber dieses eine Büchlein, das hier für sich steht, darfst du nicht anrühren, viel weniger hineinsehen, sonst ergeht dir's schlimm, Bursche, merke dir's. Dagegen kannst du in den andern Büchern lesen, soviel du nur magst.



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Der Geselle beherzigte die Sorte seines Meisters sehr wohl und hatte zwei Jahre lang die besten Tage. Er säuberte täglich nur die Bücher, las in manchem und hatte dabei die vortrefflichste Kost — jenes verbotene Büchlein ließ er gänzlich unangerührt. Dadurch erwarb er sich das volle Vertrauen seines Herrn, so daß dieser öfters tagelang vom Hause entfernt blieb.

Einstmals regte sich, als der Meister auf mehrere Tage verreist war, in dem Gesellen eine mächtige Begierde, endlich doch zu wissen, was in dem Büchlein stehe, das immer ganz heilig an seinem bestimmten Orte lag — denn alle andern Bücher hatte er bereits durchgelesen Zwar sträubte sich sein Gewissen, aber die Neugierde war mächtiger; er nahm das Büchlein, schlug es auf und fing an zu lesen. In dem Büchlein standen die größten, kostbarsten Geheimnisse, die stärksten Zauberformeln waren darinnen enthalten, und es stellte sich dem staunenden, höchst verwunderten Gesellen nach und nach alles so sonnenklar her daß er schon anfing, Versuche im Zaubern zu machen. Alles gelang. Auch lehrte das Büchlein, jede menschliche Gestalt in eine andere zu verwandeln. Nun probierte er mehr und mehr, und zuletzt machte er sich zu



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einer Schwalbe, nahm das Büchlein und flog im schnellsten Fluge seiner Heimat zu. Sein Vater war nicht wenig erstaunt, als eine Schwalbe du seinem Fenster einflog und plötzlich dann aus ihr sein Sohn wurde, den er zwei Jahre lang nicht gesehen hatte. Der Bursche drückte den Alten herzlich an seine Brust und sprach: "Vater, nun sind wir glücklich und geborgen, ich bringe ein Zauberbüchlein mit, durch das wir die reichsten Leute werden können." Das gefiel dem Alten wohl, denn er lebte sehr dürftig. Bald darauf machte sich der junge Zauberer zu einem überaus großen, fetten Ochsen und sprach zu seinem Vater: "Nun führet mich zum Markt und verkauft mich, aber fordert ja viel, recht viel, man wird mich teuer bezahlen, und vergesset ja nicht das kleine Stricklein um meinen linken Hinterfuss abzulösen und wieder mit heim zu nehmen, sonst bin ich verloren.

Das machte der Vater alles so, er verkaufte den Ochsen für ein schweres Geld; denn als er nun mir ihm auf dem Markt erschien, versammelte sich gleich ein Haufen Volks um ihn, alles bewunderte den Ochsen, und Christen und Juden schlugen sich darum, ihn zu kaufen. Der Käufer aber, der das höchste Gebot tat und bezahlte und den Ochsen im Triumph von dannen führte, hatte am andern Morgen Satt des herrlichen Ochsen ein Bündlein Stroh in seinem Stalle liegen. Und der Buchbindergeselle —der war wohlgemut wieder daheim bei seinem Vater und lebte mit ihm herrlich und in Freuden von dem Gelde.

Bald darauf verzauberte der Bursch sich wieder in einen prächtigen Rappen und ließ sich von seinem Vater auf den Roßmarkt führen und verkaufen. Da lief wieder das Volk zusammen, um das wunderschöne glänzend schwarze Roß zu sehen.

Jener Meister Buchbinder aber hatte nach seiner Rückkehr gleich gesehen, was vorangegangen war, und da er eigentlich ein mächtiger Zauberer war, Buchbinder jedoch nur zum Schein, wußte er auch gleich, wieviel es geschlagen hatte, und setzte dein Entflohenen nach. Auf jenem Roßmarkt nun war der Meister unter den Käufern, und da er alle Stücklein des Zauberbüchelchens kannte, so merkte er alsobald, was es für eine



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Bewandtnis mit dem Pferde habe, und dachte: Halt, jetzt will ich dich fangen. Und so suchte er für jeden Preis das Pferd zu kaufen, was ihm auch ohne große Mühe gelang, weil er es gleich um den ersten Kaufpreis annahm. Der Vater kannte den Käufer nicht, aber das Pferd fing an heftig zu zittern und zu schwitzen und gebärdete sich äußerst scheu und ängstlich, doch der Vater konnte die nun so gefährliche Lage seines Sohnes nicht ahnen und wollte wieder das Stricklein ablösen; aber der Käufer ließ es durchaus nicht zu, da er sehr wohl wußte, daß es dann um seinen Fang geschehen wäre. So mußte der Vater ohne Snicklein abziehen und dachte in seinem Sinn: er wird sich schon selbst helfen, kann er so viel, daß er zu einem Pferde macht, kann er sich gewiß auch wieder durch seine Zauberkunst dort in dem Stall losmachen und heim kommen.

In jenem Pferdestall aber war ein mächtiges Gedränge von Menschen; groß und klein, alt und jung — alles wollte das ausgezeichnet schöne Roß beschauen. Ein kecker Knabe wagte sogar das Pferd zu streicheln und liebkosend zu klopfen, und es ließ das gerne gefallen, und als der Knabe immer vertraulicher näherte und das Pferd am Kopf und am Hals streichelte, da flüsterte es dem Knaben ganz leise zu: "Liebster Junge, hast du kein Messerchen?" Und der froh verwunderte Knabe antwortete: "O ja, ich habe ein recht scharfes." Da sprach der Rappe wieder ganz leise: "Schneide einmal das Strickiein an meinem linken Hinterfuß ab", und schnell schnitt es der Knabe entzwei. Und in diesem Augenblick fiel das schöne Roß vor aller Augen zusammen und war ein Bündlein Stroh, daraus flog eine Schwalbe hervor und aus dem Stall empor in die hohen blauen Lüfte. Der Meister hatte das Roß nur einen Augenblick außer acht gelassen, jetzt war keine Zeit zu verlieren. Er brauchte seine Kunst, verwandelte sich rasch in einen Geier und schoß der flüchtigen Schwalbe nach. Es bedurfte nur noch einer kleinen Weile, so hatte der Geier die Schwalbe in seinen Klauen, aber das Schwälblein merkte den Feind, blickte nieder auf die Erde und sah da gerade unter sich ein schönes Schloß, und vor dem Schloß saß eine Prinzessin, und flugs verwandelte sich das Schwälblein in einen goldenen Fingerreif, fiel nieder und gerade der holden Prinzessin



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in den Schoß. Die wußte nicht, wie ihr geschah, und steckte das Ringlein an den Finger. Aber die scharfen Augen des Geiers hatten alles gesehen, und rasch verwandelte sich der Zauber-meister aus einem Geier in einen schmucken Junker und trat heran zur Prinzessin und bat sie höflichst und untertänigst, dieses Ringlein, mit welchem er soeben ein Kunststück gemacht habe, ihm wieder einzuhändigen. Die schöne Prinzessen lächelte errötend, zog das Ringlein vom Finger und wollte es dem Künstler überreichen, doch siehe, da entfiel es ihr und rollte als ein winziges Hirsekörnlein in eine Steinritze. Im Augenblick verwandelte sich der Junker und wurde ein stolzer Gockelhahn, der mit seinem Schnabel emsig in der Steinritze nach dem Hirsekörnlein pickte, aber gleich darauf wurde aus dem Hirsekörnlein ein Fuchs, und der biß dem Gockel den Kopf ab. Und somit war der Zauber-Meister besiegt. Jetzt aber nahm der junge Geselle wieder seine Gestalt an, sank der Prinzessen zu Füßen und pries dankend, daß sie ihn an ihrem Finger getragen und sich so mit ihm verlobt habe. Die Prinzessin schenkte ihm ihr Herz und ihre Hand, doch unter der Bedingung, daß er fortan aller Verwandlung entsage und ihr unwandelbar treu bleibe. Das gelobte der Jüngling und opferte sein Zauberbüchlein den Flammen, woran er sehr übel tat, denn er häne es ja dir oder mir schenken und vermachen können; in Ochsen hätten wir zwei uns gewißlich nicht verwandelt.


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