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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEN STREICHEN DER LISTIGEN DALÎLA

Zur Zeit, da Harûn er-Raschîd als Kalif herrschte, lebte ein Mann, Ahmed ed-Danaf geheißen, und ein anderer namens Hasan Schumân'; die waren beide Meister in Lug und Trug, und sie vollführten wunderbare Streiche. Deshalb verlieh der Kalif dem Ahmed ed-Danaf ein Ehren gewand und machte ihn zum Hauptmann der Rechten; auch dem Hasan Schumân verlieh er ein Gewand und machte ihn zum Hauptmann der Linken; und jedem von ihnen wies er einen Monats sold von tausend Dinaren an. Unter den beiden standen je vierzig Mann; und dem Ahmed ed-Danaf war die Verantwortung für das Gebiet außerhalb der Stadt auferlegt. So ritten denn Ahmed ed-Danaf und Hasan Schumân und alle, die ihnen untergeben waren, gemeinsam aus mit dem Emir Châlid, dem Präfekten, während der Herold vor ihnen ausrief: ,Laut Befehl des Kalifen gibt es in Baghdad keinen Hauptmann zur Rechten als den Hauptmann Ahmed ed-Danaf, und keinen Hauptmann zur Linken als den Hauptmann Hasan Schumân; ihrem Worte ist deshalb zu gehorchen, und ihnen gebührt alle Achtung!'

Nun lebte in der Stadt ein altes Weib, genannt die listige



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Dalîla; und sie hatte eine Tochter, die man Zainab die Gaunerin hieß. Die beiden hörten den Ruf des Herolds; und da sprach Zainab zu ihrer Mutter Dalîla: ,Sieh, Mutter, dieser Ahmed ed-Danaf ist als Flüchtling aus Kairo hierher gekommen und hat in Baghdad so viele Streiche gespielt, daß er es schließlich zum Gefährten des Kalifen gebracht hat und nun Hauptmann zur Rechten geworden ist. Und dieser kahlköpfige Bursche Hasan Schumân ist Hauptmann zur Linken geworden. Jetzt haben sie des Morgens einen gedeckten Tisch und des Abends einen gedeckten Tisch; und jeder von ihnen hat einen Sold von tausend Dinaren in jedem Monat, während wir müßig hier in diesem Hause sitzen, ohne Rang und ohne Ehren, und niemanden haben, der nach uns fragt.' Der Mann Dalîas war nämlich früher Stadthauptmann von Baghdad gewesen und hatte vom Kalifen allmonatlich tausend Dinare erhalten; doch er war gestorben und hatte zwei Töchter hinterlassen, von denen die eine vermählt war und einen Sohn namens Ahmed el-Lakît hatte; die andere aber war unvermählt. und sie war es, die Zainab die Gaunerin hieß. Dalîa war eine Meisterin in Lug und Trug und allen Streichen; sie konnte selbst einen Drachen durch ihre List aus seiner Höhle locken. und sogar der Teufel hätte von ihr noch Betrug lernen können. Ihr Vater' war Brieftaubenwärter beim Kalifen gewesen und hatte auch einen Monatsgehalt von tausend Dinaren gehabt; er pflegte die Brieftauben abzurichten, so daß sie Schreiben und Botschaften überbrachten, und dem Kalifen war ein jeder dieser Vögel zur Zeit der Not lieber als einer seiner Söhne. Zainab aber fuhr fort und sprach zu ihrer Mutter: ,Auf, vollführe



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listige Streiche, auf daß unser Name dadurch in Baghdad bekannt werde und wir unseres Vaters Einkünfte gewinnen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 699. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Zainab die Gaunerin also zu ihrer Mutter sprach: ,Auf, vollführe listige Streiche, auf daß unser Name dadurch in Baghdad bekannt werde und wir unseres Vaters Einkünfte gewinnen!' Und die Alte rief: ,Bei deinem Leben, meine Tochter, ich will in Baghdad größere Schelmenstreiche spielen, als Ahmed ed-Danaf und Hasan Schumân sie je ausgeführt haben!' Dann erhob sie sich, legte sich den Halbschleier vor das Gesicht und kleidete sich in die Tracht armer Derwische, indem sie Hosen. die bis zu den Knöcheln reichten, und ein wollenes Obergewand anzog und einen breiten Gürtel um sich schlang. Dann nahm sie einen Krug, füllte ihn bis zum Halse mit Wasser, legte drei Dinare in seine Mündung und verstopfte sie mit Palmenfasern. Ferner hängte sie sich einen Rosenkranz um, der so schwer war wie eine Last Brennholz, und nahm in ihre Hand eine Fahne aus roten und gelben Fetzen. Dann ging sie hinaus und rief ,Allah, Allah!' indem sie mit der Zunge den Höchsten pries, ihr Herz aber auf der Rennbahn des Bösen sich tummeln ließ. Dabei lugte sie aus, wie sie in der Stadt einen Streich spielen könnte. Sic ging von Gasse zu Gasse, bis sie zu einer Straße kam, die gesprengt war und gefegt und mit Marmor belegt. Dort erblickte sie ein gewölbtes Tor mit einer Alabasterschwelle und einen maurischen Wächter, der an der Tür stand. Jenes Haus gehörte dem Obersten der Türhüter des Kalifen, und dieser Mann besaß Äcker und Ländereien und große Einkünfte. Sein



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Name aber war Emir Hasan Scharr et-Tank', und man hatte ihm diesen Beinamen gegeben, weil sein Schlag seinem Worte vorauseilte. Er war mit einer schönen Frau vermählt, die er liebte und die in der Nacht, als er zu ihr einging, ihn hatte schwören lassen, daß er nie eine andere neben ihr zur Frau nehmen und nie eine Nacht in einem anderen Hause zubringen würde. Und so blieb es, bis er eines Tages in die Staatsversammlung kam und dort sah, wie ein jeder Emir einen Sohn oder gar ihrer zwei bei sich hatte. Vorher war er im Bade gewesen und hatte sein Antlitz im Spiegel geschaut und dabei gefunden, daß die weißen Haare in seinem Barte schon die schwarzen verdeckten; und er hatte sich gesagt: ,Wird nicht Er, der deinen Vater zu sich nahm, dich mit einem Sohne segnen?' Darauf ging er zornig zu seiner Frau, und sie sprach zu ihm: ,Guten Abend!' Aber er rief: ,Geh mir aus den Augen! Seit dem Tage, da ich dich sah, habe ich nichts Gutes erlebt.' ,Warum denn?' fragte sie; und er antwortete ihr: ,In der Nacht, da ich zu dir einging, hast du mich schwören lassen, daß ich nie eine andere neben dir zur Frau nehmen wolle. Heute habe ich nun die Emire gesehen, die alle einen Sohn oder gar ihrer zwei bei sich hatten. Da dachte ich an den Tod und daran, daß mir weder Sohn noch Tochter beschieden ist; und wer keine männlichen Nachkommen hat, dessen Name vergeht in der Nachwelt. Das ist der Grund meines Zornes; denn du bist unfruchtbar und kannst nicht von mir empfangen. ,Allahs Name sei mit dir!' rief sie, ,ich habe Mörser voll Wolle und Heilkräuter zerstoßen; ich habe keine Schuld, das Hindernis liegt an dir. Du bist ein plattnasiger Maulesel; dein Same ist wässerig und kann weder schwangern noch Kinder erzeugen.' Darauf sagte er: ,Wenn ich von der Reise zurückkehre, werde ich mir eine andere



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Frau zu dir hinzunehmen!' ,Mein Geschick steht bei Allah!' erwiderte sie; und er verließ sie, doch beide bereuten ihren Zank.

Wie nun die Frau des Emirs aus ihrem Fenster schaute, einer Braut gleich in dem Schatze von Juwelen, den sie trug, da blieb Dalîla gerade stehen und sah die Frau, und als sie an ihr den Schmuck und die kostbaren Gewänder entdeckte, sagte sie sich: ,Das wäre ein schöner Streich, Daîla, diese Dame aus dem Hause ihres Gatten zu locken, ihr den Schmuck und die Kleider abzunehmen und sich mit dem ganzen Raube davonzumachen.' Sie wählte also ihren Stand unter dem Fenster jenes Hauses und begann ihre Litanei, indem sie rief: ,Allah, Allah!' Die Dame sah die Alte, wie sie in ihren weißen Kleidern gleich einer Lichtkuppel dastand, ganz wie die Gestalt der frommen Derwische, und immer rief: ,Kommt herbei, ihr Heiligen Allahs!' Und alle die Frauen in der Straße schauten aus den Fenstern und sprachen: ,Da kommt uns göttliche Hilfe! Aus dem Antlitze dieser Greisin erstrahlt Licht!' Chatûn aber, die Frau des Emirs Hasan, brach in Tränen aus und rief ihrer Sklavin zu: ,Geh hinab, küsse die Hand des Scheichs Abu 'Ah, des Pförtners, und sprich zu ihm: ,Laß sie eintreten, die fromme Alte, damit wir Segen durch sie empfangen!' Die Sklavin ging hinab, küßte dem Pförtner die Hand und sagte: ,Meine Herrin spricht zu dir: Laß diese fromme Alte zu mir einteten, damit wir Segen durch sie empfangen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 700. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Sklavin zum Pförtner hinabging und ihm sagte: ,Meine Herrin spricht zu dir: Laß diese fromme Alte zu mir eintreten, damit wir Segen durch sie empfangen; vielleicht wird ihr Segen uns allen zuteil werden!' Darauf



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trat der Pförtner an die Alte heran und wollte ihr die Hand küssen; doch sie wehrte ihm und sprach: ,Bleib mir fern, damit meine Waschung nicht ungültig werde!' Du wirst auch von den Heiligen aufwärts gezogen und gnädig angeschaut. Allah möge dich aus diesem Dienste befreien, o Abu 'All!' Nun hatte der Pförtner noch den Lohn für drei Monate von dem Emir zu fordern, und er war in Not, aber er wußte nicht, wie er seinen Lohn aus seinem Herrn herausbekommen sollte; so sprach er denn zu der Alten: ,Mutter, gib mir aus deinem Kruge zu trinken, auf daß ich durch dich gesegnet werde.' Da nahm sie den Krug von ihrer Schulter herunter, schwang ihn durch die Luft und schüttelte ihn in der Hand, so daß der Verschluß von Palmenbast aus der Öffnung heraussprang und die drei Dinare zu Boden rollten. Der Pförtner sah sie und hob sie auf; indem er zu sich selber sagte: ,Gottes Wunder! Diese Alte gehört zu den Heiligen, die verborgene Gnadengaben besitzen; denn sie hat mich durchschaut und hat erkannt, daß ich in Geldnot bin, und deshalb hat sie mir drei Dinare durch die Luft herbeigezaubert.' Dann nahm er das Geld in die Hand und sprach zu ihr: ,Nimm, liebe Muhme, die drei Dinare, die aus deinem Krug auf die Erde gefallen sind!' Die Alte aber erwiderte: ,Nimm sie fort von mir! Denn ich gehöre zu denen, die gar nichts mit irdischem Gute zu tun haben. Nimm sie und laß sie dir Nutzen bringen an Stelle derer, die der Emir dir schuldet!' Und er rief: ,Da kommt uns göttliche Hilfe. Dies gehört zum Kapitel der Offenbarung!' Nun erschien die Sklavin, küßte der Alten die Hand und führte sie zu ihrer Herrin hinauf. Und als jene in das Gemach eingetreten war, entdeckte sie, daß die Herrin der Sklavin einem Schatze glich, dessen



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Zauber gelöst war. Nachdem die Dame sie begrüßt und ihr die Hand geküßt hatte, sprach Daîla zu ihr: ,Liebe Tochter, ich komme auf göttliche Anweisung hin zu dir!' Chatûn setzte ihr Speisen vor; doch die Alte sprach: ,Liebe Tochter, ich esse nur vom himmlischen Brote; ich faste stets und breche mein Fasten nur an fünf Tagen im Jahre. Aber, meine Tochter, ich sehe dich betrübt, und ich möchte, daß du mir sagst, was dich bekümmert.' ,Mutter,' erwiderte Chatûn, ,in meiner Hochzeitsnacht ließ ich meinen Gatten schwören, daß er keine andere Frau haben solle neben mir. Aber nun hat er anderer Leute Kinder gesehen, und er sehnt sich, solche zu haben, und er sprach zu mir: ,Du bist unfruchtbar!' Ich aber sagte zu ihm: ,Du bist ein Maulesel, du kannst nicht schwangern.' Da ging er zornig fort, indem er sprach: ,Wenn ich von der Reise heimkehre, werde ich mir eine andere Frau nehmen neben dir.' Und ich fürchte, Mutter, er wird sich von mir scheiden, wenn er die andere nimmt. Er hat auch Ländereien und Äcker und große Einkünfte; und wenn ihm Kinder von einer anderen geboren werden, so werden sie mir das Geld und das Land fortnehmen.' Nun fragte die Alte: ,Liebe Tochter, weißt du denn nichts von meinem Scheich Abu el-Hamalât?' Wenn den ein Schuldner besucht, so bezahlt Allah seine Schuld; und wenn eine Unfruchtbare ihn besucht, so empfängt sie.' Chatûn entgegnete ihr: ,Mutter, ich bin seit meinem Hochzeitstage nicht aus dem Hause gegangen, weder zu einem Trauerbesuch noch um Glückwünsche zu überbringen.' Da fuhr die Alte fort: ,Liebe Tochter, ich will dich mit mir nehmen und dich zu Abu el-Hamalât führen; dann wirf du deine Last auf ihn und tu ihm ein Gelübde, auf daß du, wenn dein Gatte von der Reise heimkehrt und dir beiwohnt, von ihm empfangest,



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sei es eine Tochter oder einen Sohn. Aber sei es nun ein Mädchen oder ein Knabe, was du zur Welt bringst, es soll ein Derwisch des Scheichs Abu el-Hamalât werden.' Darauf erhob sich die Dame, mit all ihrem Schmuck und mit ihren prächtigsten Gewändern angetan, und sprach zur Sklavin: ,Gib acht auf das Haus!' ,Ich höre und gehorche, meine Herrin!' erwiderte die. Dann ging Chatûn hinunter, und als Scheich Abu 'All, der Pförtner, ihr entgegentrat und sie fragte: ,Wohin, meine Herrin?' antwortete sie ihm: ,Ich gehe, um den Scheich Abu el-Hamalât zu besuchen.' Und er fuhr fort: ,Ich verpflichte mich zu einem Jahre Fasten. Diese fromme Alte gehört wirklich zu den Heiligen Allahs, ja, sie ist voller Heiligkeit, meine Herrin, sie gehört zu denen, die verborgene Gnadengaben besitzen. Sie hat mir drei Dinare roten Goldes gegeben, sie hat mich durchschaut, ehe ich sie um etwas bat, und erkannt, daß ich in Not war.' Darauf gingen die beiden hinaus, die Alte und die Dame, die Gemahlin des Emirs Hasan Scharr et-Tarîk. Und das alte Weib, die listige Dalîla, sprach zu der Dame: ,So Gott will, meine Tochter, wird dir, wenn du den Scheich Abu el-Hamalât besuchst, Seelentrost zuteil werden; dann wirst du empfangen durch die Macht Allahs des Erhabenen, und dein Gatte, der Emir Hasan, wird dich lieb haben, durch den Segen dieses Scheichs, und er wird dich nie mehr ein Wort hören lassen, das dein Herz verletzt.' ,Ich will ihn besuchen, meine Mutter', erwiderte Chatûn. Aber die Alte sprach bei sich selber: ,Wo soll ich sie nur berauben und ihr die Kleider abnehmen, da das Volk hier kommt und geht?' Doch zu der Dame sprach sie: ,Wenn du gehst, dann geh so weit hinter mir, daß du mich noch sehen kannst. Denn ich, deine Mutter, habe viele Bürden zutragen; ein jeder, der eine Last trägt, wirft sie auf mich, und alle, die eine fromme Gabe gelobt haben, geben sie mir und



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küssen mir die Hand.' Da folgte die junge Frau der Alten von fern, und die Alte ging voran, bis sie zum Basar der Kaufleute kamen; dabei klirrten der Dame Spangen, und ihre Haarschmuckstücke klangen. Dort kamen sie an dem Laden eines jungen Kaufmannes vorbei, der Saijid Hasan hieß, der sehr schön war und noch keinen Flaum auf seinen Wangen hatte. Wie der die Dame kommen sah, warf er ihr verstohlene Blicke zu; und als die Alte das merkte, winkte sie ihr und sprach zu ihr: ,Setze dich in diesen Laden, bis ich zu dir zurückkehre!' Chatûn gehorchte ihrem Worte und setzte sich vorn in den Laden des jungen Kaufmanns nieder; und jener schaute auf sie mit einem Blick. der ließ tausend Seufzer in ihm zurück. Die Alte aber trat zu ihm heran, begrüßte ihn und flüsterte ihm zu: ,Bist du nicht Saijid Hasan, der Sohn des Kaufmanns Muhsin?' ,Ja,' erwiderte er ihr, ,wer hat dir meinen Namen gesagt?' Sie fuhr fort: ,Gute Leute haben mich an dich verwiesen. Wisse, diese Dame dort ist meine Tochter; ihr Vater war ein Kaufmann, er ist jetzt tot und hat ihr viel Geld hinterlassen. Sie ist nun mannbar geworden; und die Weisen sagen: Such einen Gatten für deine Tochter, doch keine Frau für deinen Sohn. Sie ist ihr Leben lang noch nicht aus dem Hause gegangen, außer an diesem Tage. Mir aber ist eine göttliche Weisung gekommen, und eine innere Stimme hat mich gerufen, meine Tochter dir zu vermählen; wenn du arm bist, so will ich dir ein Kapital geben, so daß du zwei Läden auftun kannst anstatt des einen.' Da sprach der junge Kaufmann bei sich selber: ,Ich bat Allah um eine Braut, und nun hat er mir dreierlei gegeben: Geld und Gewand und Gattin.' Zu der Alten aber sprach er: ,Mutter, gut ist, was du mir rätst; wisse, meine Mutter hat mir schon seit langem gesagt, daß sie mich zu vermählen wünscht; aber ich will es nicht, sondern ich sage: Ich will mich nur vermahlen,



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nachdem ich mit eigenen Augen gesehen habe.' Da sagte Dalîla zu ihm: ,Steh auf und folge mir; ich werde sie dir ohne Gewänder zeigen!' Er stand also auf, indem er tausend Dinare mit sich nahm; denn er sagte sich: ,Vielleicht brauchen wir etwas, das wir kaufen müssen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 701. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte zu Hasan, dem Sohne des Kaufmanns Muhsin, sprach: ,Steh auf und folge mir; ich werde sie dir ohne Gewänder zeigen!' Er stand also auf, indem er tausend Dinare mit sich nahm; denn er sagte sich: ,Vielleicht brauchen wir etwas, das wir kaufen müssen, oder wir müssen den festgesetzten Preis für das Schließen des Ehevertrages zahlen.' Die Alte sprach zu ihm: ,Geh in einiger Entfernung hinter der Jungfrau her, doch so, daß du sie nicht aus den Augen verlierst!' Bei sich selber aber sprach sie: ,Wohin sollst du nun mit dem jungen Kaufmanne gehen, um ihn ebenso zu berauben wie die Dame, wo doch sein Laden geschlossen ist?' Und sie schritt weiter, die Dame folgte ihr, und der junge Kaufmann ging hinter der Dame her, bis die Alte zu einer Färberei kam, die einem Meister des Namens el-Hâddsch Mohammed gehörte; der war wie das Messer des Kolokasienhändlers', das da männlich und weiblich abschneidet, und er liebte es, Feigen und Granaten zu essen. >Als er das Klingen der Spangen hörte, hob er die Augen auf und erblickte die Dame und den Jüngling.



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Da setzte sich auch schon die Alte neben ihm nieder, begrüßte ihn und sprach: ,Du bist doch Hâddsch Mohammed, der Färber?' ,Ja,' erwiderte er, ,der bin ich. Was wünschest du?' Sie fuhr fort: ,Mich haben trefffiche Leute an dich verwiesen. Sieh das schöne Mädchen dort, meine Tochter, und den bartlosen, schönen Jüngling, meinen Sohn! Ich habe die beiden aufgezogen und viel Geld auf sie verwandt. Nun wisse, ich habe ein großes, baufälliges Haus, das ich mit Holz habe stützen lassen; und der Baumeister hat zu mir gesagt: ,Zieh in ein anderes Haus, damit das alte nicht über dir zusammenbricht! Und wenn du dies ausgebessert hast, so kannst du hernach wieder zu ihm heimkehren und dort wohnen.' Jetzt bin ich ausgegangen, um mir eine Wohnstätte zu suchen; und da haben rechtschaffene Leute mich an dich verwiesen. Deshalb möchte ich meinen Sohn und meine Tochter bei dir wohnen lassen.' Der Färber sprach bei sich selber: ,Da fällt dir ja Butter auf Kuchen!' Aber der Alten sagte er: ,Es ist wahr, ich habe ein Haus und einen Saal und einen Söller; doch ich kann keinen Raum davon entbehren wegen der Gäste und der Indigobauern.' Sie fuhr fort: ,Mein Sohn, wir werden höchstens einen Monat oder zwei Monate in dem Hause wohnen; und wir sind Fremdlinge. Laß das Gastzimmer uns und dir gemeinsam sein! Bei deinem Leben, mein Sohn, wenn du verlangst, daß deine Gäste auch unsere Gäste sein sollen, so wollen wir sie willkommen heißen, mit ihnen essen und mit ihnen schlafen!' Darauf gab er ihr die Schlüssel, einen großen und einen kleinen und einen krummen, indem er zu ihr sprach: ,Der große Schlüssel ist für das Haus, der krumme für die Halle und der kleine für den Söller!' Sie nahm die Schlüssel und ging, ihr folgte die Dame, und hinter der schritt der junge Kaufmann, bis sie zu einer Gasse kam, in der sie das Haus erkannte. Sie



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öffnete die Tür und trat ein; alsbald kam auch die Dame herein, und die Alte sprach zu ihr: ,Liebe Tochter, dies ist die Wohnung des Scheichs Abu el-Hamalât -dabei zeigte sie auf die Halle -, doch geh zum Söller hinauf und lege deinen Schleier ab und warte, bis ich zu dir komme!' Die Dame ging also zum Söller hinauf und setzte sich nieder. Inzwischen kam auch der junge Kaufmann; die Alte empfing ihn und sprach zu ihm: ,Setze dich in der Halle nieder, bis ich meine Tochter zu dir bringe, auf daß du sie sehen kannst!' Der Jüngling trat in die Halle und setzte sich, während die Alte zu der Dame hineinging. Diese sagte nun: ,Ich möchte den Scheich Abu eI-Hamalât besuchen, ehe die Leute kommen.' Die Alte aber hub an: ,Ach, meine Tochter, wir sind um dich besorgt.' ,Weshalb denn' fragte Chatûn; und Daîla erwiderte: ,Weil ein Sohn von mir gerade hier ist, ein heiliger Narr, der den Sommer nicht vom Winter unterscheiden kann und immer nackt geht; er ist der Stellvertreter des Scheichs. Wenn eine Dame wie du den Scheich besucht, so nimmt der Irre ihr die Ringe fort, zerrt sie an den Ohren und zerreißt ihre seidenen Kleider. Drum leg du deinen Schmuck und deine Gewänder ab; ich will sie dir hüten, bis du deinen frommen Besuch beendet hast.' Da legte die Dame ihren Schmuck und ihre Gewänder ab und gab sie der Alten; und die sprach zu ihr: ,Ich will sie dir im Schutze des Scheichs niederlegen, auf daß dir Segen zuteil werde.' Und die Alte nahm die Sachen und ging hinaus, indem sie die Dame in Hemd und Hosen zurückließ, und verbarg alles an einer Stelle beider Treppe; dann trat sie zu dem jungen Kaufmann ein, der auf die Dame wartete; und er rief ihr zu: ,Wo ist deine Tochter? Ich will sie sehen.' Doch da schlug sich die Alte auf die Brust. ,Was ist dir ?'fragte der jüngling ;und sie er widerte ihm: ,Sterben soll der böse Nachbar! Gäbe es doch keine neidischen



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Nachbarn! Die haben dich nämlich mit mir hier eintreten sehen, und nun haben sie mich nach dir gefragt. Und als ich ihnen sagte: ,Das ist ein Bräutigam, den ich für meine Tochter geworben habe', da wurden sie neidisch auf mich um deinetwillen; und sie sagten zu meiner Tochter: ,Ist deine Mutter es überdrüssig geworden, dich zu ernähren, daß sie dich nun mit einem Aussätzigen vermählen will.' Ich mußte ihr schwören, daß sie dich nackt sehen solle.' Er rief: ,Ich nehme meine Zuflucht zu Allah vor den Neidern!' Und er entblößte seine Unterarme; da konnte sie sehen, daß sie wie Silber waren. Dann sprach sie: ,Fürchte nichts! Ich will sie dir nackt zeigen, so wie sie dich nackt sehen soll.' Er darauf: ,Laß sie nur kommen und mich anschauen!' Mit diesen Worten legte er seinen Zobelpelz ab, seinen Gürtel, sein Messer und alle seine Ober gewänder, bis er in Hemd und Unterhose dastand. Und er legte die tausend Dinare zu den Kleidern. Darauf sagte sie: ,Gib mir deine Kleider, damit ich sie dir aufbewahre!' Und sie nahm sie hin und tat sie zu den Kleidern der Dame. Dann lud sie sich alles auf, schlich damit zum Hause hinaus, schloß die Tür hinter den beiden und ging ihrer Wege. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 702. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte, nachdem sie die Kleider des jungen Kaufmanns und alle Sachen der Dame genommen hatte, die Tür hinter den beiden schloß und ihrer Wege ging. Sie hinterlegte ihre Beute bei einem Spezereienhändler und begab sich dann zu dem Färber. Den sah sie dasitzen und auf sie warten; und er sprach zu ihr: ,So Gott will, hat euch das Haus gefallen.' Und sie erwiderte: ,Es liegt ein



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Segen darauf. Ich will jetzt gehen und die Lastträger holen, die unsere Sachen und unser Hausgerät bringen sollen. Meine Kinder haben mich aber um Brot und Fleisch gebeten; darum nimm du diesen Dinar, hole ihnen Brot und Fleisch und geh und iß mit ihnen zu Mittag!' Der Färber fragte: ,Wer soll derweilen die Färberei hüten, wo doch die Sachen so vieler Leute darin sind?' ,Dein Diener', erwiderte die Alte; und er sagte: ,So sei es!' nahm eine Schüssel und den Deckel dazu und ging fort, um das Mittagsmahl zu rüsten. So viel jetzt von dem Färber; von ihm wird noch mehr erzählt werden.

Sehen wir nun, was die Alte tat! Sie holte die Sachen der Dame und des jungen Kaufmannes von dem Spezereienhändler und kehrte dann zu der Färberei zurück. Dort sprach sie zu dem Diener: ,Lauf deinem Meister nach! Ich will mich nicht von der Stelle rühren, bis ihr beide zu mir zurückkommt!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Diener. Darauf raffte sie alles, was in der Färberei war, zusammen. Da kam ein Eseltreiber des Weges, der dem Haschisch ergeben war und der schon seit einer Woche keine Arbeit mehr gehabt hatte; dem rief sie zu: ,Komm hierher, du Eseltreiber!' Als er zu ihr gekommen war, fragte sie ihn: ,Kennst du meinen Sohn, den Färber?' ,Ich kenne ihn', erwiderte er; und sie fuhr fort: ,Der arme Kerl ist bankerott, und viele Schulden lasten auf ihm; und jedesmal, wenn er eingesperrt wird, muß ich ihn befreien. Nun wollen wir nachweisen, daß er zahlungsunfähig ist, und ich will hingehen um den Eigentümern ihre Waren zurückzugeben; deshalb möchte ich, daß du mir den Esel leihst, damit ich den Leuten die Sachen auf ihm bringen kann; nimm diesen Dinar als Miete! Und wenn ich fort bin, so nimm die Handsäge, leere die Bottiche und zerbrich sie samt den Krügen, damit der Beamte vom Gerichte des Kadis nichts findet, wenn er



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in die Färberei kommt!' Der Mann erwiderte: ,Ich bin dem Meister zu Dank verpflichtet; ich will es gern um Allahs willen tun.' Darauf nahm die Alte ihren ganzen Raub, und nachdem sie ihn auf den Esel geladen, zog sie -beschützt von des Allbeschützers Gnaden -in ihr Haus. Und als sie zu ihrer Tochter Zainab eintrat, rief die ihr entgegen: ,Mein Herz war immer bei dir, Mutter! Was für Streiche hast du ausgeführte' Dalîla erwiderte: ,Ich habe vier Streiche gespielt, bei vier Leuten, einem jungen Kaufmann, der Frau des Obertürhüters, einem Färber und einem Eseltreiber; und ich habe dir alle ihre Sachen auf dem Esel des Treibers mitgebracht.' Aber die Tochter sprach: ,Mutter, du wirst nie mehr in der Stadt umhergehen können wegen des Obertürhüters, dessen Frau du beraubt hast, und wegen des jungen Kaufmannes, den du ausgezogen, wegen des Färbers, aus dessen Werkstatt du die Waren der Leute geholt hast, und wegen des Eseltreibers, dem der Esel gehört.' Da sagte die Alte: ,Ha, Tochter, ich mache mir nichts aus ihnen, außer dem Eseltreiber, der mich kennt.'

Sehen wir nun, was der Meister Färber tat! Er besorgte das Brot und das Fleisch und ließ seinen Diener alles auf dem Kopfe tragen. Als er bei der Färberei vorbeikam, sah er, wie der Eseltreiber die Bottiche zerbrach und wie dort keine Stoffe noch sonst irgend etwas vorhanden waren, j a er sah seine Werkstatt in Trümmern. Da rief er: ,Nimm deine Hand weg, du Eseltreiber!' Der tat es und sprach: ,Allah sei gepriesen für deine Rettung! Lieber Meister, mein Herz war bei dir.' ,Weshalb? Was ist mir denn geschehen?' fragte der Färber; und der andere erwiderte: ,Du bist doch bankerott geworden, und man hat eine Urkunde geschrieben, daß du zahlungsunfähig bist. ,Wer hat dir das gesagt?' ,Deine Mutter, und sie hat mir befohlen, die Bottiche zu zerschlagen und die Krüge zu leeren,



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damit der Beamte, wenn er kommt, nicht etwa noch Sachen in der Werkstatt findet!' ,Gott verdamme!' rief der Färber - der Fluch möge keinen der Hörer treffen -,meine Mutter ist seit langer Zeit tot!' Und er schlug sich auf die Brust und rief: ,Weh um den Verlust meiner Waren und der Waren der Leute!' Aber auch der Eseltreiber fing an zu weinen und rief: ,Weh um den Verlust meines Esels!' Dann sprach er zu dem Färber: ,Gib mir meinen Esel wieder, Meister, den deine Mutter gestohlen hat!' Da packte der Färber den Eseltreiber an der Kehle, schlug ihn und schrie: ,Bring mir die Alte her!' Und der andere schrie: ,Schaff mir den Esel her!' bis das Volk sich um sie sammelte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 703. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Färber den Eseltreiber packte und der Eseltreiber den Färber packte und daß die beiden einander fluchten, bis das Volk sich um sie sammelte und einer von den Leuten fragte: ,Was gibt es, Meister Mohammnedm' Doch der Eseltreiber hub an: ,Ich will euch die Geschichte erzählen'; und er berichtete ihnen, was geschehen war, indem er hinzufügte: ,Ich dachte dem Meister einen guten Dienst zu erweisen; aber als er mich sah, schlug er sich auf die Brust und rief: ,Meine Mutter ist tot!' Jetzt verlange ich meinerseits meinen Esel von ihm; denn er hat mir diesen Streich gespielt, damit er mich um meinen Esel bringe!' Da fragten die Leute: ,Meister Mohammed, kanntest du die Alte, so daß du ihr die Färberei mit allem, was darinnen war, anvertrauen konntest?' Der antwortete: ,Ich kenne sie nicht; aber sie hat heute bei mir Wohnung genommen, sie mit ihrem Sohne und ihrer Tochter.' Nun sagte einer von den Leuten: ,Meiner Treu!



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Der Färber ist dem Eseltreiber haftbar!' Ein anderer fragte: ,Auf Grund wovon?' Jener antwortete: ,Weil der Eseltreiber erst dann Vertrauen hatte und der Alten den Esel gab, als er sah, daß der Färber ihr die Werkstatt mit allem, was darinnen war, anvertraut hatte.' Und ein dritter sagte: ,Meister, da du sie bei dir aufgenommen hast, so ziemt es sich, daß du ihm seinen Esel wiederbringst!' Dann machten sie sich alle auf den Weg nach dem Hause; und von ihnen wird noch mehr zu erzählen sein.

Wenden wir uns nun wieder zu dem jungen Kaufmann! Der wartete, daß die Alte kommen sollte; aber sie kam nicht mit ihrer Tochter. Ebenso wartete auch die Dame. daß die Alte zu ihr kommen und von ihrem der Welt entrückten Sohne, dem Stellvertreter des Scheichs Abu el-Hamalât, die Erlaubnis zum Eintritt bringen sollte; aber die Alte kam nicht zurück. Da erhob sie sich, um den Scheich aufzusuchen; doch vor ihr stand der junge Kaufmann, der zu ihr sprach, als sie eintrat: ,Komm nur herein! Wo ist deine Mutter, die mich hierher gebracht hat, um mich mit dir zu vermählen?' Sie entgegnete: ,Meine Mutter ist tot; bist du der Sohn der Alten, der Verrückte, der Stellvertreter des Scheichs Abu el-Hamalât?' Da rief er: ,Diese alte Gaunerin ist nicht meine Mutter. Sie hat mir einen Streich gespielt, um mir meine Kleider und die tausend Dinare zu stehlen!' Und die Dame sprach: ,Auch mich hat sie betrogen; sie hat mich hierher geführt, um den Scheich Abu el-Hamalât zu besuchen, und statt dessen hat sie mich ausgezogen.' Nun hub der junge Kaufmann an und sagte zu der Dame: ,Ich halte mich wegen meiner Kleider und der tausend Dinare an dich', während sie hingegen sprach: ,Und ich halte mich wegen meiner Gewänder und meines Schmuckes an dich. Hol mir deine Mutter her!' In dem Augenblicke aber trat der



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Färber zu ihnen ein, und als er den jungen Kaufmann halbnackt und die junge Dame ohne Oberkleider sah, rief er: ,Sagt mir, wo ist eure Mutter!' Da erzählte Chatûn alles, was ihr geschehen war, und auch der junge Kaufmann berichtete alles, was er erlebt hatte. Nun rief der Färber: ,Weh über den Verlust meiner Waren und der Waren der Leute!' Und der Eseltreiber rief: ,Weh über den Verlust meines Esels! Gib mir meinen Esel, du Färber!' Der Färber aber fuhr fort: ,Diese Alte ist eine Gaunerin! Kommt heraus, ich will die Tür zuschließen!' Allein der junge Kaufmann sagte: ,Es wäre doch eine Schande für dich, wenn wir, nachdem wir in unseren Kleidern dein Haus betreten haben, es halbnackt wieder verlassen sollten.' Da gab der Färber ihm und der Dame Kleider, und er ließ die Dame in ihr Haus geleiten; wir werden nach der Rückkehr ihres Gatten von der Reise noch mehr von ihr hören. Inzwischen schloß der Färber seine Werkstatt und sprach zu dem jungen Kaufmann: ,Komm, laß uns nach der Alten suchen und sie dem Präfekten überantworten!' So ging er denn mit ihm fort, und auch der Eseltreiber war bei ihnen, und sie traten in das Haus des Präfekten und begannen Klage vor ihm zu führen. Er fragte sie: ,Ihr Leute, was ist es mit euch?' Und sie berichteten ihm, was geschehen war. Da sagte er zu ihnen: ,Wie viele alte Weiber gibt es in der Stadt! Geht hin und sucht nach ihr und nehmt sie fest; dann will ich sie euch schon zum Geständnis bringen!' Darauf zogen sie umher und suchten nach ihr; und bald wird wieder von ihnen zu berichten sein.

Sehen wir jedoch, was die listige Dalîla tat! Sie sprach zu ihrer Tochter Zainab: ,Mein Töchterlein. ich möchte einen Streich spielen.' ,Mutter, ich fürchte für dich', erwiderte jene; doch die Alte fuhr fort: ,Ich bin wie Bohnenabfall, fest gegen Wasser und Feuer.' Und sie machte sich auf legte das Gewand



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einer Sklavin vornehmer Leute an und ging fort, um Ausschau zu halten nach einem Streiche, den sie verüben könnte. Da kam sie an einer Gasse vorbei, die mit Matten belegt und durch Hängelampen beleuchtet war; dort hörte sie Gesänge und den Klang der Tamburine, und sie sah eine Sklavin, die auf der Schulter einen Knaben trug. Der hatte Hosen, die mit Silber bestickt waren, und lauter schöne Kleider; auf dem Kopfe trug er einen Fes, der mit Perlen besetzt war, um den Hals einen Schmuck aus Gold und Edelsteinen; und er war in einen Mantel aus Samt gehüllt. Das Haus dort gehörte dem Ältesten der Kaufmannschaft von Baghdad, und der Knabe war sein Sohn. Er hatte aber auch eine jungfräuliche Tochter, die zur Ehe versprochen war, und man feierte an jenem Tage die Vollziehung ihrer Eheurkunde. Bei ihrer Mutter war eine Gesellschaft von Damen und Sängerinnen; aber jedesmal, wenn sie hinauf- oder hinunterging, klammerte sich der Knabe an sie. Deshalb hatte sie die Sklavin gerufen und zu ihr gesagt: ,Nimm deinen jungen Herrn und spiel mit ihm, bis die Gesellschaft aufbricht!' So kam es, daß die alte Dalîla den Knaben auf der Schulter der Sklavin sah; und sie fragte alsbald: ,Was für ein Fest ist heute bei deiner Herrin?' Die Sklavin antwortete: ,Sie feiert heute die Vollziehung der Eheurkunde ihrer Tochter; und sie hat Sängerinnen bei sich.' Nun sagte die Alte in ihrem Innern: ,Dalîla, das ist jetzt der rechte Streich, dieser Sklavin diesen Knaben zu entführen.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 704. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte in ihrem Inneren sagte: ,Dalîla, das ist jetzt der rechte Streich, dieser Sklavin diesen Knaben zu entführen.' Dann rief sie laut: ,O Schmach



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voll Unglück!' Und sie zog aus ihrer Tasche ein kleines, rundes Stück Messing heraus, das einem Dinar ähnlich war; zu der Sklavin aber, die gar einfältig war, sprach sie: ,Nimm diesen Dinar und bring ihn deiner Herrin hinein' und sprich zu ihr: Umm cl-Chair freut sich mit dir; sie ist dir für deine Güte verpflichtet, und sie wird dich am Empfangstage mit ihren Töchtern besuchen, und alle werden dann den Kammerfrauen die gewohnten Gaben bringen.' Die Sklavin erwiderte darauf: ,Mutter, mein junger Herr hier hängt sich an seine Mutter, sooft er sie nur sieht.' Doch die Alte sagte: ,Laß ihn bei mir, während du hineingehst und wieder zurückkehrst!' Da nahm die Sklavin das Messingstück und ging hinein. Kaum aber hatte die Alte den Knaben in der Hand, so eilte sie in eine Seitengasse und nahm ihm den Schmuck ab und die Kleider, die er trug. Dann sprach sie zu sich selber: ,Dalîla, das wäre erst ein feiner Streich, wenn du jetzt, wie du die Sklavin begaunert und ihr den Knaben abgenommen hast, ein neues Spiel verübtest und das Kind um eine Sache verpfändest, die tausend Dinare wert ist!' Sie begab sich also in den Basar der Juwelenhändler, und dort sah sie einen jüdischen Goldschmied, der einen Kasten voller Schmucksachen vor sich hatte. Sie sagte sich: ,Jetzt zeige deine Schlauheit dadurch, daß du den Juden dort begaunerst, ihm Schmucksachen für tausend Dinare abnimmst und ihm den Knaben als Pfand dafür hinterläßt.' Als der Jude nun aufblickte und den Knaben bei ihr sah, erkannte er in ihm den Sohn des Ältesten der Kaufmannschaft. Jener Jude war ein sehr reicher Mann, und doch war er immer noch neidisch auf seinen Nachbarn, wenn der etwas verkaufte, er selber aber nicht. Er fragte darum die Alte: ,Was wünschest du, meine Herrin?' Da fragte sie ihn: ,Bist du nicht Meister



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'Adhra, der jude?' Denn sie hatte sich vorher nach seinem Namen erkundigt. ,Jawohl', erwiderte er; und sie fuhr fort: ,Die Schwester dieses Knaben, die Tochter des Ältesten der Kaufmannschaft, ist verlobt, und heute wird die Eheurkunde vollzogen; daher braucht sie Schmucksachen. Gib mir also zwei Paar goldene Fußspangen, ein Paar goldene Armspangen, Perlenohrringe, einen Gürtel, einen Dolch und einen Siegelring.' Sie nahm ihm Schmuckstücke im Werte von tausend Dinaren ab und sprach zu ihm: ,Ich will diesen Schmuck zur Ansicht mitnehmen; was den Leuten gefällt, werden sie behalten; und bis ich dir den Preis bringe, behalte du diesen Knaben als Pfand bei dir!' ,Wie du willst', antwortete er; und sie nahm die Schmucksachen und ging nach Hause. Dort fragte ihre Tochter sie: ,Was für Streiche hast du heute ausgeführte' Sie erwiderte: ,Mein Streich war der, daß ich den Sohn des Ältesten der Kaufmannschaft entführt und ihm seine Kleider abgenommen habe; dann bin ich hingegangen und habe ihn verpfändet für Sachen im Werte von tausend Dinaren, die ich von dem Juden erhalten habe.' Die Tochter sagte: ,Du wirst nie wieder in der Stadt ausgehen können.'

Inzwischen war die Sklavin zu ihrer Herrin hineingegangen und hatte zu ihr gesprochen: ,Meine Gebieterin, Umm el-Chair läßt dich grüßen, und sie freut sich mit dir, und am Empfangstage wird sie mit ihren Töchtern kommen, und alle werden sie die gewohnten Gaben bringen.' Ihre Herrin fragte: ,Wo ist dein junger Herr?' Die Sklavin erwiderte: ,Ich habe ihn bei ihr gelassen, damit er sich nicht an dich hängt, und sie hat mir auch Geld für die Sängerinnen gegeben.' Da sagte die Dame zur Oberin der Sängerinnen: ,Da, nimm dein Geld!' Sie nahm es und entdeckte, daß es ein Stückchen Messing war. Da rief die Herrin der Sklavin zu: ,Geh hinunter, du Dirne,



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und sich nach deinem jungen Herrn!' Die Sklavin ging hinunter. und als sie weder den Knaben noch die Alte fand, stieß sie einen lauten Schrei aus und fiel auf ihr Angesicht nieder; so ward die Freude zur Trauer. Da trat auch gerade der Älteste der Kaufmannsgilde ein, und seine Frau erzählte ihm alles, was sich zugetragen hatte. Sofort ging er hinaus, um nach dem Kinde zu suchen, und auch alle Kaufleute begannen zu suchen, jeder auf einem anderen Wege. Immer weiter forschte der Gildenmeister nach, bis er seinen Sohn entkleidet im Laden des Juden sitzen sah. Da schrie er den Juden an: ,Das ist mein Sohn!' ,Jawohl', erwiderte der Jude; und der Vater riß das Kind an sich, ohne nach seinen Kleidern zu fragen; so sehr freute er sich, daß er es wiedergefunden hatte. Der Jude aber, als er sah, daß der Kaufmann sein Kind mitnahm, hängte sich an ihn und rief: ,Allah helfe dem Kalifen wider dich!' Der Kaufmann fragte ihn: ,Was ficht dich an, Jude?' Und jener antwortete: ,Die Alte hat von mir Schmucksachen für deine Tochter mitgenommen im Werte von tausend Dinaren, und sie hat diesen deinen Sohn als Pfand bei mir gelassen! Ich habe ihr die Sachen nur deshalb gegeben, weil sie den Knaben bei mir als Pfand hinterließ für das, was sie mitnahm. Und ich habe ihr nur deshalb geglaubt, weil ich wußte, daß dieser Knabe dein Sohn ist.' Der Kaufmann sagte darauf: ,Meine Tochter braucht keinen Schmuck; gib mir die Kleider des Knaben!' Da schrie der jude: ,Kommt mir zu Hilfe, ihr Muslime!' Gerade in demselben Augenblick kamen der Eseltreiber und der Färber und der junge Kaufmann dort vorbei, die umherzogen, um die Alte zu suchen; und sie fragten den Kaufmann und den Juden nach dem Grunde ihres Streites. Die erzählten ihnen, was geschehen war; und die drei erwiderten: ,Diese Alte ist eine Gaunerin; sie hat uns schon vor euch betrogen';



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und dann berichteten sie, was sie mit ihr erlebt hatten. Der Älteste der Kaufmannsgilde sprach: ,Nun ich mein Kind gefunden habe, mögen die Kleider sein Lösegeld sein! Wenn ich aber die Alte treffe, so will ich die Kleider von ihr fordern.' Dann begab er sich mit seinem Sohne zu der Mutter; und die freute sich über seine Rettung. Doch der Jude fragte die andern drei: ,'Wohin geht ihr jetzt?' ,Wir wollen sie suchen', erwiderten sie; und der Jude sprach: ,Nehmt mich mit euch!' Und er fügte hinzu: ,Ist einer unter euch, der sie kennt?' Der Eseltreiber rief: ,Ich kenne sie'; und der jude fuhr fort: ,Wenn wir alle zusammen gehen, so werden wir sie nicht fangen können; dann entwischt sie uns. Wir wollen ein jeder einen anderen Weg einschlagen und uns bei dem Laden des Hâddsch Mas'ûd, des maurischen Barbiers, wieder treffen.' So schlug denn jeder einen anderen Weg ein.

Nun war Dalîla von neuem ausgezogen, um ihr Unwesen zu treiben. Da sah der Eseltreiber sie, und als er sie erkannte, packte er sie an und schrie: ,He, du da, treibst du dies Gewerbe schon lange?' ,Was ist dir?' fragte sie; und er rief: ,Gib mir meinen Esel wieder!' Darauf entgegnete sie: ,Verhülle, was Allah verhüllt hat, mein Sohn! Suchst du deinen Esel oder die Sachen anderer Leute?' Er rief: ,Ich suche nur meinen Esel, weiter nichts!' Da sagte sie: ,Ich sah, daß du arm bist, und deshalb stellte ich deinen Esel für dich bei dem maurischen Barbier unter. Tritt ein wenig zurück, ich will zu ihm gehen und ihm gut zureden, daß er ihn dir wiedergibt!' Darauf trat sie an den Barbier heran, küßte ihm die Hand und begann zu weinen. ,Was ist dir?' fragte er; und sie antwortete ihm: ,Mein Lieber, sieh meinen Sohn dort an, der da steht; er war krank und hat sich der Luft ausgesetzt, und nun hat die Luft seinen Verstand verwirrt. Er pflegte Esel zu kaufen; und jetzt ruft er ,mein



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Esel', wenn er steht, und ,mein Esel', wenn er sitzt, und ,mein Esel', wenn er geht. Ein Arzt hat mir gesagt, daß sein Verstand verwirrt ist und daß er nur geheilt werden kann, wenn ihm zwei Backenzähne ausgezogen und seine beiden Schläfen gebrannt werden. Hier hast du einen Dinar; ruf ihn und sag ihm: Dein Esel steht bei mir!' Der Maure sprach: ,Ein Jahr lang will ich fasten, wenn ich ihm nicht seinen Esel in die Hand gebe!" Nun hatte er zwei Tagelöhner, und zu dem einen der beiden sagte er: ,Geh hin, mache zwei Nägel heiß!' Dann rief er den Eseltreiber, während die Alte ihrer Wege ging. Und als der Bursche zu ihm kam, sprach er zu ihm: ,Dein Esel ist bei mir, guter Mann, komm und hole ihn! Bei meinem Leben, ich will ihn dir in die Hand geben!' Darauf führte er ihn an der Hand in einen dunklen Raum; und plötzlich schlug der Maure ihn nieder, und die anderen zerrten an ihm und banden ihm Hände und Füße. Und der Barbier riß ihm zwei Backenzähne aus und brannte ihn auf beiden Schläfen; dann ließ er ab von ihm. Als der Eseltreiber wieder aufstehen konnte, rief er: ,Du Maure, warum hast du mir das angetane' Jener antwortete: ,Deine Mutter hat mir ja gesagt, daß dein Verstand verwirrt ist, weil du dich erkältet hast bei einer Krankheit, und daß du immer rufst ,mein Esel', magst du stehen oder sitzen oder gehen. Hier hast du deinen Esel in der Hand!' Der andere aber sagte: ,Allah strafe dich dafür, daß du mir meine Zähne ausgezogen hast!' Der Barbier entgegnete ihm: ,Deine Mutter hat es mir befohlen', und erzählte ihm alles, was die Alte gesagt hatte. Der Eseltreiber rief: ,Allah peinige sie!' und ging mit dem Mauren im Streit hinaus, so daß niemand im Laden war. Als aber der Maure in seinen Laden zurückkehrte, fand er ihn leer; denn die Alte hatte, als die beiden hinausgegangen waren, alles gestohlen,



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was in dem Laden war, und hatte sich zu ihrer Tochter begeben. Der berichtete sie nun, wie es ihr ergangen war und was sie vollbracht hatte. Wie aber der Barbier seinen Laden leer stehen sah, packte er den Eseltreiber und schrie ihn an: ,Bring mir deine Mutter her!' Doch der versetzte: ,Sie ist nicht meine Mutter! Sie ist nichts als eine Gaunerin, die schon viele Leute betrogen und mir meinen Esel gestohlen hat.' Da kamen auch schon der Färber und der Jude und der junge Kaufmann des Weges, und als sie sahen, wie der Maure den Eseltreiber festhielt und wie dieser auf beiden Schläfen gebrannt war, riefen sie: ,Was ist dir widerfahren, du Eseltreiber?' Er berichtete ihnen alles, was mit ihm vorgegangen war, und auch der Maure erzählte seine Geschichte. Die anderen sagten: ,Diese Alte ist eine Gaunerin, die uns auch betrogen hat!' Und nun erzählten sie ihm, was geschehen war. Der Maure verschloß seinen Laden und ging mit ihnen zum Hause des Präfekten; zu dem sprachen sie: ,'Wir halten uns an dich, unser selbst und unseres Gutes wegen.' Doch der Präfekt erwiderte: ,Wie viele alte Weiber gibt es in der Stadt! Ist einer unter euch, der sie kennt?' Der Eseltreiber rief: ,Ich kenne sie'; gib uns aber zehn Mann von deiner Wache!' Dann zog der Eseltreiber los mit den Wächtern des Präfekten, und seine Gefährten gingen hinter ihnen drein. Und wie er so mit der ganzen Gesellschaft umherzog, begegnete ihnen plötzlich die alte Daîla. Da fielen er und die Häscher über sie her und schleppten sie zum Hause des Präfekten; dort stellten sie sich unter seinem Fenster auf, um zu warten, bis er herauskäme. Nun schliefen die Wachtleute ein, weil sie bei ihrem Hauptmann so übermäßig lange hatten wachen müssen; und als die Alte sich schlafend stellte, schliefen auch der Eseltreiber und seine Gefährten ein. Die Alte aber stahl sich fort von ihnen, ging in den Harem des



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Präfekten, küßte der Herrin des Hauses die Hand und fragte sie: ,Wo ist der Präfekt? 'Jene erwiderte: ,Er schläft. Was wünschest du?' Dalîla fuhr fort: ,Mein Mann verkauft Sklaven; und er hat mir fünf Mamluken gegeben, um sie zu verkaufen, während er verreist ist. Der Präfekt ist mir begegnet und hat sie mir abgekauft um tausend Dinare mit einem Draufgelde von zweihundert für mich. Er sagte mir auch, ich sollte sie ins Haus bringen; und ich habe sie nun gebracht.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 705. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte, nachdem sie in den Harem des Präfekten gegangen war, zu seiner Frau sprach: ,Der Präfekt hat mir die Mamluken abgekauft um tausend Dinare mit einem Draufgelde von zweihundert Dinaren für mich. Er sagte mir auch, ich sollte sie ins Haus bringen.' Nun hatte der Präfekt wirklich tausend Dinare und hatte zu seiner Frau gesagt: ,Bewahre sie auf, wir wollen Mamluken dafür kaufen!' Und als sie jetzt von der Alten diese Worte vernommen hatte, glaubte sie, daß ihr Mann das gesagt habe; und so fragte sie: ,Wo sind die Mamluken?' Die Alte erwiderte: ,Meine Gebieterin, sie schlafen unter dem Fenster des Hauses. in dem du bist.' Da schaute die Dame aus dem Fenster hinaus. und nun sah sie den Mauren im Gewande eines Mamluken. den jungen Kaufmann in der Gestalt eines Mamluken, den Färber und den Eseltreiber und den Juden aber dem Aussehen nach gleich geschorenen Mamluken; und sie sagte sich: ,Von diesen Mamluken ist jeder einzelne mehr wert als tausend Dinare.' Sie öffnete also die Truhe und gab der Alten die tausend Goldstücke, indem sie sprach: ,Geh jetzt fort, bis der Präfekt aus dem Schlafe erwacht; dann will ich mir die zweihundert



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Dinare von ihm geben lassen.' Die Alte erwiderte ihr: ,Meine Gebieterin, hundert davon gehören dir, unter dem Scherbettkrug, daraus du trinkst'; und die anderen hundert bewahre mir auf, bis ich wiederkomme.' Und sie fügte alsbald hinzu: ,Meine Herrin, laß mich durch die Geheimpforte hinaus!' Nachdem die Dame sie dort hinausgelassen hatte, ging sie zu ihrer Tochter, beschützt vom Allbeschützer. ,Mutter,' fragte jene, ,was hast du vollbracht?' ,Tochter,' erwiderte sie, ,mein Streich war der, daß ich diese tausend Dinare der Frau des Präfekten abgenommen und ihr die fünf Kerle, den Eseltreiber, den Juden, den Färber, den Barbier und den jungen Kaufmann als Mamluken verkauft habe. Aber, meine Tochter, keiner kann mir schaden als der Eseltreiber; denn der kennt mich.' Doch die Tochter sprach zu ihr: ,Liebe Mutter, bleib zu Hause; begnüge dich mit dem, was du bisher getan hast. Nicht alleweil bleibt der Krug heil!'

Wenden wir uns nun zu dem Präfekten! Als er aus dem Schlafe erwachte, sprach seine Frau zu ihm: ,Ich beglückwünsche dich zu den fünf Mamluken, die du von der Alten gekauft hast.' ,Welche Mamluken?' fragte er; doch sie fuhr fort: ,Warum leugnest du es vor mir? So Gott will, können sie wie du einmal Ämter bekleiden.' ,Bei meinem Haupte,' tiefer, ,ich habe keine Mamluken gekauft. Wer hat das denn gesagt?' Sie antwortete: ,Die Alte, die Maklerin, von der du sie gekauft hast und der du versprochen hast, du wolltest ihr tausend Dinare mit einem Draufgeld für sie von zweihundert als Preis zahlen.' Da fragte er sie: ,Hast du ihr das Geld gegeben?' ,Ja,' erwiderte sie ihm, ,ich habe die Mamluken auch selbst gesehen; ein jeder von ihnen trägt ein Gewand, das allein schon tausend Dinare wert ist. Deswegen habe ich ausgeschickt



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und sie der Obhut der Wachtleute empfohlen.' Der Präfekt ging hinunter und sah den Juden, den Eseltreiber, den Mauren, den Färber und den jungen Kaufmann. Da fragte er die Wachtleute: ,Wo sind die fünf Mamluken, die wir von der Alten um tausend Dinare gekauft haben?' Die erwiderten: ,Hier sind keine Mamluken, und wir haben hier niemand anders gesehen als diese fünf Leute, die sich der Alten bemächtigt und sie festgenommen haben. Wir sind aber alle eingeschlafen; und da hat sie sich weggestohlen und ist in den Harem geschlichen. Später kam die Sklavin und fragte: ,Sind die fünf bei euch, mit denen die Alte kam?' Und wir erwiderten: ,Ja.' Da rief der Präfekt: ,Bei Gott, dies ist doch die größte Schurkerei!' Und die fünf sagten: ,Wir halten uns an dich wegen unserer Sachen!' Er aber entgegnete ihnen: ,Die Alte, eure Herrin. hat euch mir um tausend Dinare verkauft.' Darauf sagten sie: ,Das ist vor Allah nicht erlaubt; wir sind freie Männer und können nicht verkauft werden. Wir berufen uns wider dich auf den Kalifen!' Er sagte dagegen: ,Niemand hat der Alten den Weg zum Hause gezeigt als ihr, und ich werde einen jeden von euch für zweihundert Dinare auf die Galeeren verkaufen.'

Während sie so miteinander hin und her redeten, erschien der Emir Hasan Scharr et-Tank, der von seiner Reise nach Hause gekommen war, seine Frau halbnackt gesehen und dann, als sie ihm all ihre Erlebnisse berichtet hatte, ausgerufen hatte: ,Dafür soll mir der Präfekt einstehen!' Und als er nun zu ihm hereintrat, sprach er: ,Lässest du hier die alten Weiber in der Stadt herumlaufen und die Menschen betrügen und ihnen ihr Hab und Gut stehlen? Dafür bist du verantwortlich, und ich halte mich an dich wegen der Sachen meiner Frau.' Dann sprach er zu den fünf Leuten: ,Was ist mit euch?' Und sie erzählten



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ihm alles, was ihnen widerfahren war. Da sagte er zu ihnen: ,Euch ist unrecht geschehen'; und indem er sich zum Präfekten wandte, fragte er: ,Weshalb hältst du sie gefangen?' Der gab zur Antwort: ,Niemand anders hat der Alten den Weg zu meinem Hause gezeigt als diese fünf, so daß sie mir mein Geld, die tausend Dinare. stehlen konnte und die Leute selbst meiner Frau verkaufen.' .O Emir Hasan.' riefen sie. .du bist unser Sachwalter in diesem Streite.' Darauf sagte der Präfekt zum Emir Hasan: ,Die Sachen deiner Frau fallen mir zur Last, und ich will mich für die Alte verbürgen. Aber wer von euch kennt sie?' Alle riefen: ,Wir kennen sie! Schicke du zehn Hauptleute mit uns, dann wollen wir sie festnehmen!' Er gab ihnen also zehn Hauptleute; und der Eseltreiber sprach zu ihnen: ,Folgt mir, ich kenne sie an den blauen Augen!"Bald begegnete die alte Dalîla den Leuten, wie sie aus einer Gasse herauskam; da legten sie sogleich Hand an sie und schleppten sie zum Hause des Präfekten. Als der sie erblickte, rief er: ,Wo sind die Sachen der Leute?' Sie antwortete: ,Ich habe sie weder genommen noch überhaupt gesehen.' Nun befahl er dem Kerkermeister: ,Halte sie bei dir bis morgen gefangen!' Aber er rief: ,Ich will sie nicht mit mir nehmen noch auch gefangen halten, damit sie mir keinen Streich spielt; sonst hätte ich für sie zu haften.' Da bestieg der Präfekt sein Pferd, nahm die Alte und die ganze Gesellschaft mit sich und zog mit ihnen zum Ufer des Tigris. Dann ließ er den Henker holen und befahl ihm, sie am Kreuze mit den Haaren aufzuhängen. Und als der Henker sie an den Winden hochgezogen und zehn Mann zu ihrer Bewachung zurückgelassen hatte, begab sich der Präfekt nach Hause. Als dann aber die Dunkelheit kam, wurden die Wächter vom Schlafe überwältigt. Nun hatte ein Beduine



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einen Mann zu seinem Freunde sagen hören: ,Preis sei Allah für deine glückliche Heimkehr! Wo bist du diese ganze Zeit hindurch gewesen?' Der andere hatte gesagt: ,In Baghdad, und dort habe ich Honigpfannkuchen zu Mittag gegessen.' Da sagte sich der Beduine: ,Ich muß auch nach Baghdad gehen und dort Honigpfannkuchen essen.' Die hatte er sein ganzes Leben lang noch nie gesehen; und er war auch noch nie in Baghdad gewesen. So bestieg er denn sein Roß und zog dahin, indem er vor sich her sprach: ,Pfannkuchen zu essen ist etwas Gutes! Bei der Ehre der Araber, ich will nichts als Pfannkuchen mit Honig essen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 706. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Beduine sein Roß bestieg, um nach Baghdad zu reiten; er zog dahin, indem er vor sich her sprach: ,Pfannkuchen zu essen ist etwas Gutes! Bei der Ehre der Araber, ich will nichts als Pfannkuchen mit Honig essen!' Da kam er zu der Stätte, an der Dalîla am Kreuze hing, und sie hörte, wie er diese Worte murmelte. Er aber ritt zu ihr hin und fragte sie: ,Was bist du?' Sie antwortete: ,Ich bin deine Schutzbefohlene, o Häuptling der Araber!' Er fuhr fort: ,Allah hat dich in seinen Schutz genommen. Doch warum bist du gekreuzigt?' Da sagte sie: ,Ich habe einen Feind, einen Ölhändler, der Pfannkuchen bäckt. Bei dem blieb ich einmal stehen, um mir etwas von ihm zu kaufen; aber da mußte ich gerade spucken, und mein Speichel fiel auf die Pfannkuchen. Deshalb führte er Klage wider mich beim Statthalter; und der Statthalter befahl, mich zu kreuzigen, indem er sprach: ,Ich fälle das Urteil, daß ihr zehn Pfund Honigpfannkuchen nehmt und sie damit füttert, während sie am Kreuze



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hängt. Wenn sie alles ißt, so nehmt sie wieder herab; wenn sie aber nicht ißt, so lasset sie hängen!' Doch mein Magen verträgt das Süße nicht.' Der Beduine rief: ,Bei der Ehre der Araber, ich habe das Lager nur deshalb verlassen, um Pfannkuchen mit Honig zu essen! Ich will sie für dich essen!' Sie entgegnete: ,Niemand darf sie essen, es sei denn, er hänge, wo ich hänge.' Er ließ sich von der List übertölpeln und befreite die Alte; sich selbst aber band er an ihre Stelle, nachdem sie ihm seine Kleider abgenommen hatte. Darauf kleidete sie sich in seine Gewänder, band sich seinen Turban um, bestieg sein Roß und ritt zu ihrer Tochter. Die sprach zu ihr: ,Wie siehst du denn aus?' Die Alte erwiderte: ,Man hat mich ans Kreuz gehängt!' und erzählte ihr alles, was sich zwischen ihr und dem Beduinen zugetragen hatte.

Wenden wir uns nun von ihr zu den Wächtern! Als einer von ihnen aufwachte, weckte er seine Gefährten, und sie sahen, daß es schon Tag geworden war. Da hob einer von ihnen die Augen empor und rief: ,Dalîla!' Der Beduine antwortete: ,Bei Allah, wir essen keine Bailîa!' Habt ihr die Honigpfannkuchen da?' Die Wächter riefen: ,Das ist ja ein Beduinenkerl!' Und einer fragte ihn: ,Du Beduine, wo ist Dalîla? Und wer hat sie losgebunden?' Er antwortete: ,Ich habe es getan; sie kann keine Honigpfannkuchen wider Willen essen; ihr Magen nimmt sie nicht an.' Da erkannten sie, daß der Beduine nicht wußte, was es mit ihr auf sich hatte, und daß sie ihn betrogen hatte. Und sie sprachen zueinander: ,Sollen wir fliehen oder hier bleiben und das, was Allah uns bestimmt hat, in Erfüllung gehen lassen?' Da kam aber auch schon der Präfekt mit



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all den Leuten, denen die Alte übel mitgespielt hatte, und er sprach zu den Hauptleuten: ,Auf! Löset Dalîla!' ,Wir essen keine Bailîa,' rief der Beduine, ,habt ihr die Honigpfannkuchen mitgebracht?' Da hob der Präfekt seine Augen zum Kreuz empor, und als er dort einen Beduinen anstatt der Alten hängen sah, fragte er die Hauptleute: ,Was ist das?' ,Gnade, o Herr!' ,Sagt mir, was geschehen ist!' ,Wir hatten so viele Nachtwachen bei dir gehalten, und wir sagten uns: ,Dalîla hängt ja am Kreuze', und da sind wir eingeschlafen. Als wir aber aufwachten, sahen wir diesen Beduinen dort hängen; und nun sind wir in deiner Gewalt.' ,Ihr Leute, sie ist eine Gaunerin. Allahs Gnade ruhe auf euch!' Dann banden sie den Beduinen los; der aber hängte sich an den Präfekten und rief: ,Allah helfe dem Kaufen wider dich! Ich halte mich nur an dich wegen meines Pferdes und meiner Kleider.' Da fragte der Präfekt ihn nach allem, und der Beduine erzählte ihm seine Geschichte. Verwundert sagte der Präfekt: ,Warum hast du sie denn losgebunden?' Und der Beduine erwiderte: ,Ich wußte doch gar nicht, daß sie eine Gaunerin ist.' Nun riefen all die anderen: ,Wir halten uns nur an dich wegen unserer Habe, o Präfekt! Wir haben die Alte dir überliefert, und du bist für sie verantwortlich. Wir fordern dich vor den Staatsrat des Kalifen!' Nun war Hasan Scharr et-Tank schon zum Staatsrat gegangen; und jetzt kamen der Präfekt und der Beduine und die fünf anderen hin und riefen: ,Uns ist unrecht geschehen!' Da fragte der Kalif: ,Wer hat euch unrecht getan?' Einer nach dem anderen trat vor und erzählte, wie es ihm ergangen war; und schließlich sagte der Präfekt: ,O Beherrscher der Gläubigen, die Alte hat auch mich betrogen; sie hat mir diese fünf Männer um tausend Dinare verkauft, obwohl sie freie Leute sind!' Der Kalif sprach: ,Alles, was ihr verloren habt, nehme ich auf



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mich.' Und zum Präfekten gewendet, fuhr er fort: ,Ich mache dich für die Alte haftbar!' Der aber wies die Verantwortung von sich ab und rief: ,Ich kann nicht mehr für sie haften, nachdem ich sie ans Kreuz habe hängen lassen und sie dann sogar noch diesen Beduinen betrogen hat, so daß er sie befreite und sich an ihre Stelle hängte, während sie seine Kleider und sein Pferd nahm!' ,Kann ich denn einen anderen als dich haftbar machen?' fragte der Kalif; und der Präfekt erwiderte: ,Laß Ahmed ed-Danaf für sie haften; er hat tausend Dinare im Monat und vierzig' Mann, von denen jeder allmonatlich hundert Dinare erhält.' ,Hauptmann Ahmed!' befahl der Kalif; und der antwortete: ,Zu deinen Diensten, o Beherrscher der Gläubigen!' Der Herrscher fuhr fort: ,Ich beauftrage dich, die Alte herbeizuschaffen.' ,Ich bürge für sie!' erwiderte Ahmed. Und der Kalif behielt die fünf und den Beduinen bei sich. — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 707. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ahmed ed-Danaf, als der Kalif ihn beauftragt hatte, die Alte herbeizuschaffen, erwiderte: ,Ich bürge für sie, o Beherrscher der Gläubigen!' Nun begaben sich er und seine Leute in ihre Halle, und dort berieten sie miteinander: ,Wie sollen wir sie festnehmen? Es gibt doch so viele alte Weiber in der Stadt.' Da hub einer von ihnen an, der 'Alî Kitf aI-Dschamal hieß, und sprach zu Ahmed ed-Danaf: ,Warum beratet ihr euch denn mit Hasan Schumân? Ist Hasan Schumân eine so gewichtige Sache?' Hasan aber rief: ,'All, warum willst du mich verunglimpfen? Bei dem höchsten Namen, diesmal schließe ich mich euch nicht an!' Und er ging zornig von dannen. Darauf befahl Ahmed



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ed-Danaf: ,Ihr Männer, jeder Aufseher nehme zehn Mann mit sich und ziehe mit ihnen in je ein besonderes Stadtviertel, um nach Daîla zu suchen!' Da machte 'All Kitf el-Dschamal sich mit zehn Mann auf, und jeder Aufseher tat desgleichen, so daß die Scharen davonzogen, immer je eine in ein anderes Viertel. Doch ehe sie auf brachen und sich verteilten, sagten sie: ,Wir wollen uns in demunddem Viertel, in derundder Straße wieder treffen.' Nun wurde es in der Stadt ruchbar, daß Ahmed ed-Danaf beauftragt war, die listige Daîla festzunehmen. Da sagte Zainab: ,Liebe Mutter, wenn du schlau bist, so mußt du auch Ahmed und seine Schar überlisten.' ,Liebe Tochter,' erwiderte sie, ,ich fürchte mich nur vor Hasan Schumân allein.' Und Zainab fügte hinzu: ,Bei meiner Schläfenlocke', ich will dir die Kleider aller einundvierzig holen!' Dann kleidete sie sich an, verschleierte sich und ging zu einem Spezereienhändler, der einen Saal mit zwei Türen besaß. Sie begrüßte ihn, gab ihm einen Dinar und sprach zu ihm: ,Nimm dies Goldstück als Entgelt für deinen Saal und laß ihn mir, bis der Tag sich neigt!' Da gab er ihr die Schlüssel, und sie ging zurück und holte Teppiche auf dem Esel des Eseltreibers. Dann stattete sie den Saal aus und stellte auf jede Estrade einen Tisch mit Speisen und Wein. Schließlich stellte sie sich mit unverschleiertem Gesicht an der Tür auf. Da kam auch schon 'All Kitf el-Dschamal mit seinen Leuten, und sie küßte ihm die Hand. Er sah. daß sie ein schönes Mädchen war, und gewann sie alsbald lieb; und er fragte sie: ,Was wünschest du?' Da fragte sie ihn: ,Bist du der Hauptmann Ahmed ed-Danaf?' ,Nein,' entgegnete er, ,aber ich gehöre zu seinen Leuten, und ich heiße 'All Kitf el-Dschamal.' ,Und wohin geht ihr?' fragte sie weiter; da sagte



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er: ,Wir ziehen umher auf der Suche nach einer alten Gaunerin, die den Leuten ihre Habe gestohlen hat; und wir wollen sie festnehmen. Wer aber bist du? Und was treibst du?' Sie gab darauf zur Antwort: ,Mein Vater war ein Schankwirt in Mosul, und als er starb, hinterließ er mir viel Geld. Da kam ich in diese Stadt aus Furcht vor den Machthabern, und ich fragte die Leute: Wer wird mich hier schützen? Man sagte mir: Nur Ahmed ed-Danaf wird dich schützen.' Die Männer sprachen darauf zu ihr: ,Heute stehst du unter seinem Schutze.' Und sie bat sie: ,Erfreuet mich, indem ihr einen Bissen esset und einen Trunk Wassers zu euch nehmt!' Als sie zusagten, führte Zainab sie hinein, und sie aßen und wurden trunken; sie aber betäubte sie mit Bendsch und nahm ihnen ihre Gewänder. Und ebenso machte sie es mit all den anderen. Denn auch Ahmed ed-Danaf zog aus, um nach Dalîla zu suchen; aber er fand sie nicht und konnte keinen seiner Leute entdecken. Schließlich traf er Zainab, und sie küßte ihm die Hand. er sie anblickte, gewann er sie lieb. Sie fragte ihn: ,Bist du der Hauptmann Ahmed ed-Danaf?' ,Ja,' antwortete er, ,und wer bist du?' Da erzählte sie: ,Ich bin eine Fremde aus Mosul. Mein Vater war ein Schankwirt, und als er starb, hinterließ er mir viel Geld. Da kam ich hierher aus Furcht vor den Machthabern und eröffnete diese Schenke. Der Präfekt hat mir eine Steuer auferlegt; aber ich möchte unter deinem Schutze stehen, denn du verdienst das, was der Präfekt mir abnimmt, mehr als er.' Ahmed ed-Danaf sprach: ,Gib ihm nichts; du bist mir willkommen!' Und sie bat ihn: ,Erfreue mich und iß von meiner Speise!' Da trat er ein und aß und trank Wein, bis er vor Trunkenheit umfiel. Nun betäubte sie auch ihn mit Bendsch und nahm ihm seine Gewänder ab. Dann lud sie ihren ganzen Raub auf das Pferd des Beduinen und den Esel des Eseltreibers, weckte 'All



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Kitf el-Dschamal und eilte von dannen. Als jener aufgewacht war, sah er, daß er keine Obergewänder hatte; und ferner sah er, wie Ahmed ed-Danaf und die ganze Schar betäubt dalagen. Sofort weckte er sie mit dem Gegengift des Bendsch. Und wie sie nun alle aufgewacht waren und sich halbnackt sahen, rief Ahmed ed-Danaf: ,Was ist denn das, ihr Männer? Wir zogen aus, um sie zu suchen und zu fangen! Und nun hat uns diese Metze gefangen! Wie wird Hasan Schumân sich über uns freuen! Aber wir wollen warten, bis die Dunkelheit eintritt, und dann heimgehen.' Inzwischen kam Hasan Schumân und fragte den Wachthabenden: ,Wo sind die Leute?' Und gerade, als er nach ihnen fragte, kamen sie halbnackt daher. Da sang Hasan Schumân diese beiden Verse:

Die Menschen mögen sich in ihrem Wollen gleichen -
Doch Unterschiede sieht man beim Erfolge schnell.
Von Männern sind die einen weise. andre töricht:
Von Sternen sind die einen dunkel. andre hell.

Dann sah er sie an und fragte sie: ,Wer hat euch so übel mitgespielt und euch ausgezogen?' Sie antworteten: ,Wir hatten uns für eine Alte verbürgt, die wir suchten; und nun hat uns eine junge Schöne die Kleider geraubt.' Hasan Schumân fuhr fort: ,Vortrefffich hat sie an euch gehandelt!' Sie fragten darauf: ,Kennst du sie, Hasan?' Er antwortete: ,Ich kenne sie und ich kenne die Alte.' Als die Leute darauf ihren Hauptmann fragten: ,Was willst du vor dem Kalifen sagen?' sprach Schumân: ,O Danaf, weis die Verantwortung von dir ab; dann wird er sagen: ,Wer ist haftbar für sie?' Und wenn er dich fragt, warum du sie nicht festgenommen hast, so sprich: ,Ich kenne sie nicht; beauftrage Hasan Schumân damit!' Und wenn er mich mit ihr betraut, so werde ich sie bestimmt zu fassen bekommen.' Darauf gingen sie zur Ruhe; am anderen Morgen



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begaben sie sich zum Staatsrate des Kaufen und küßten den Boden. ,Wo ist die Alte, o Hauptmann Ahmed?' fragte der Kalif. Jener wies die Verantwortung von sich, und als der Herrscher ihn fragte, warum er das tue, erwiderte er: ,Ich kenne sie nicht; beauftrage Schumân damit, er kennt sie und auch ihre Tochter!' Nun hub Hasan an: ,Sie hat all diese Streiche nicht aus Gier nach der Habe der Leute verübt, sondern nur um zu zeigen, wie klug sie und ihre Tochter sind, damit du ihr das Gehalt ihres Gatten weiterzahist und das ihres Vaters ihrer Tochter.' Und Schumân bat, ihr Leben zu schonen; dann wolle er sie bringen. Da sprach der Kalif: ,Bei meinen Ahnen, wenn sie die Sachen der Leute zurückgibt, so soll ihr auf deine Fürbitte hin Gnade zuteil werden.' ,Gib mir ein Unterpfand, o Beherrscher der Gläubigen', bat Schumân; und der Herrscher sprach: ,Auf deine Fürbitte hin', und reichte ihm das Tuch der Gnade. Alsbald stieg Schumân vom Schlosse hinab, ging zum Hause Dalîas und rief nach ihr. Als ihre Tochter Zainab ihm antwortete, fragte er sie: ,Wo ist deine Mutter?' ,Oben', erwiderte sie; und er fuhr fort: ,Sag ihr, sie soll die Sachen der Leute bringen und mit mir gehen, um vor den Kalifen zu treten! Ich habe ihr das Tuch der Gnade gebracht; und wenn sie nicht gutwillig kommen will, so hat sie niemandem einen Vorwurf zu machen als sich selbst.' Da kam Dalîla herunter, band sich das Tuch der Gnade um den Hals und gab ihm die Sachen der Leute auf dem Esel des Eseltreibers und dem Pferde des Beduinen. Schumân aber sprach: ,Es fehlen noch die Kleider meines Meisters und seiner Leute.' Doch sie rief: ,Bei dem höchsten Namen, nicht ich habe sie ausgezogen.' ,Du hast recht' erwiderte Hasan, ,das war die Tat deiner Tochter Zainab, und es war eine Gefälligkeit, die sie dir erwies.' Darauf ging sie mit ihm zum Staatsrate des Kaufen. Hasan trat heran,



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legte die Habe der Leute vor dem Herrscher nieder und führte Dalîla vor ihn. Als der sie erblickte, befahl er, sie auf das Blutleder niederzuwerfen; doch da rief sie: ,Ich rufe deinen Schutz an. o Schumân!' Und Schumân küßte dem Kalifen die Hände und sprach: ,Verzeihung, du hast ihr Gnade zugesichert!' Der Herrscher sprach: ,Sie habe sie, dir zuliebe! Komm her, Alte, wie heißt du?' ,Mein Name ist Daîla', gab sie zur Antwort; und er fuhr fort: ,Du bist wirklich verschlagen und listig.' Deshalb wurde sie die listige Daîla genannt. Und weiter sprach der Kalif: ,Weshalb hast du all diese Streiche vollführt und unsere Herzen deiner müde gemachte' Sie erwiderte: ,Ich habe all das nicht getan aus Gier nach dem Besitze der Leute. sondern weil ich von den Streichen hörte, die Ahmed ed-Danaf in Baghdad gespielt hat, und ebenso auch von den Taten des Hasan Schumân; denn ich sagte mir: Ich will es den beiden gleichtun. Und jetzt habe ich den Leuten ihre Habe zurückgegeben.' Aber der Eseltreiber sprang auf und rief: ,Allahs Gesetz sei zwischen mir und ihr! Sie hatte nicht genug daran, mir meinen Esel zu stehlen: sie hat auch noch den maurischen Barbier über mich gebracht, so daß er mir die Zähne ausriß und mich auf beiden Schläfen brannte.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 708. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Eseltreiber aufsprang und rief: ,Allahs Gesetz sei zwischen mir und ihr! Sie hatte nicht genug daran, mir meinen Esel zu stehlen; sie hat auch noch den Barbier über mich gebracht, so daß er mir die Zähne ausriß und mich auf beiden Schläfen brannte.' Da befahl der Kalif, dem Eseltreiber hundert Dinare zu geben; desgleichen wies er auch dem Färber hundert Dinare an, indem er sprach:



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,Geh hin und richte dir deine Färberei von neuem ein!' Die beiden flehten den Segen des Himmels auf den Kaufen herab und gingen fort. Auch der Beduine zog mit seinen Kleidern und seinem Pferde ab, indem er sprach: ,Hinfort soll es mir verboten sein, Baghdad zu betreten und Pfannkuchen mit Honig zu essen.' Und auch die anderen nahmen, was ihnen gehörte, und alle gingen davon. Nun sprach der Kalif: ,Erbitte dir eine Gnade von mir, Daîla!' Und sie antwortete: ,Sieh, mein Vater war Briefmeister bei dir, und ich zog die Tauben für den Briefdienst auf. Mein Gatte aber war Stadthauptmann von Baghdad. Nun möchte ich das haben, was mir von meinem Gatten her gebührt; und meine Tochter möchte das erhalten, was einst meinem Vater zukam.' Der Kalif wies beiden an, was sie wünschten. Doch Dalîla sagte noch: ,Ich erbitte mir von dir die Gnade, daß ich Pförtnerin in deinem Chân werde!' Der Kalif hatte nämlich einen Chân von drei Stockwerken erbaut, in dem die Kaufleute Unterkunft fanden; und er hatte für diesen Chân vierzig Sklaven und vierzig Hunde bestimmt. Die hatte der Kalif von dem König von Sulaimanija' mitgebracht, zur Zeit als er ihn absetzte; und für die Hunde hatte er Halsbänder machen lassen. In dem Chân war ein Sklave der Koch, und der mußte das Essen für die anderen Sklaven kochen und die Hunde mit Fleisch füttern. Der Kalif sprach nun: ,Dalîla, ich lasse dir die Bestallung als Aufseherin in dem Chân schreiben; und wenn aus ihm irgendetwas verloren geht, wirst du dafür verantwortlich gemacht.' ,Gern,' erwiderte sie, ,laß aber meine Tochter in dem Söller über dem Tor des Châns wohnen; denn er hat Dachterrassen, und Tauben soll man nur im Freien aufziehen.'



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Er gewährte ihr auch diese Bitte; und nun schaffte ihre Tochter alle ihre Sachen in den Söller über dem Eingang zum Chân, und sie nahm die vierzig Brieftauben in Empfang. Ferner hängte Zainab die vierzig Gewänder und das Gewand von Ahmed ed-Danaf bei sich im Söller auf. Der Kalif machte die listige Dalîla zur Aufseherin über die vierzig Sklaven und befahl ihnen, ihr zu gehorchen. Sie selber richtete sich ihren Wohnraum hinter der Tür des Châns ein; und sie pflegte jeden Tag zur Staatsversammlung hinaufzugehen, um zu sehen, ob der Kalif etwa durch die Taubenpost eine Botschaft übermitteln wollte; und erst gegen Abend pflegte sie wieder fortzugehen, während die vierzig Sklaven im Chân auf Wache standen. Und wenn es dunkel ward, so ließ sie die Hunde los, damit sie den Chân die Nacht hindurch bewachten.

Solches waren die Taten und Erlebnisse der listigen Dalîla in der Stadt Baghdad. Hören wir nun


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