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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON EL-MALIK EN-NÂSIR UND SEINEM WESIR

Dem Wesir Abu 'Âmir ibn Marwân wurde einst ein Christenknabe geschenkt, so schön, wie ilm noch nie ein Auge erblickt hatte. Den sah el-Malik en-Nâsir, und er sprach zu dem Herrn des Sklaven: ,Woher kommt dieser Knabe?' ,Er ist ein Gel.



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schenk Allahs', erwiderte der Wesir. Da rief der Herrscher: ,Willst du uns mit Sternen schrecken und uns durch Monde gefangen nehmen?' Der Wesir entschuldigte sich bei ihm, rüstete ein Geschenk und sandte es mit dem Knaben zu ihm, indem er dabei sagte: ,Sei du ein Teil der Gabe; wäre ich nicht gezwungen, so hätte meine Seele sich nicht von dir getrennt.' Und er gab ihm diese Verse mit:

Mein Gebieter, dieser Vollmond nahet Eurem Himmelszelt:
Denn der Mond gebührt dem Himmel eher als der Erdenwelt.
Und die Seele hohen Wertes biet ich Euch als Gabe hier:
Doch ich sah noch keinen Menschen, der sein Herzblut gab gleich mir.

Daran hatte en-Nâsir Gefallen, und er vergalt das Geschenk durch eine reichliche Geldgabe; und der Minister stieg in seiner Gunst. Bald darauf wurde dem Wesir eine Sklavin geschenkt, eines der herrlichsten Mädchen der Welt: da fürchtete er, en-Nâsir würde davon hören und sie begehren, und es würde mit ihr ebenso werden wie mit dem Sklaven. So rüstete er denn ein Geschenk, noch kostbarer als das erste, und schickte es mit der Sklavin zum Sultan. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 698. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Abu 'Âmir, als ihm die Sklavin geschenkt war, fürchtete, die Kunde davon würde zu el-Malik en-Nâsir gelangen und es würde mit ihr ebenso werden wie mit dem Sklaven. So rüstete er denn ein Geschenk, noch kostbarer als das erste, und schickte es zusammen mit der Sklavin zum Sultan; auch schrieb er diese Verse und gab sie ihr mit:

O mein Herr, dies ist die Sonne, da der Mond bei dir schon scheint;
Und so sind die beiden Leuchten jetzt in deinem Haus vereint -



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Eine Sternenstellung, die -bei meinem Leben! Glück verspricht;
Edens Quell und Wonnegärten kunde dir der beiden Licht!
Ihnen beiden ist an Schönheit -ja, bei Gott -kein dritter gleich;
Und so gleicht an Macht kein zweiter dir im ganzen Weltenreich!

Dadurch wuchs sein Ansehen bei Hofe noch mehr; aber nach einer Weile verleumdete ihn einer seiner Feinde bei en-Nâsir. indem er sagte, es brenne immer noch Sehnsucht nach dem Knaben in dem Wesir und er rede unablässig von ihm, wenn der kühle Nordwind ihn errege, und er knirsche mit den Zähnen, weil er ihn verschenkt habe. Aber der König sprach: ,Rege deine Zunge nicht wider ihn; sonst lasse ich dir den Kopf abschlagen!' Dann schrieb er einen Brief an Abu 'Âmir, als ob er von dem Knaben käme; der lautete: ,Mein Gebieter, Du weißt, daß Du mein ein und alles warst, und daß ich immerdar in aller Freude bei Dir lebte. Wenn ich auch jetzt bei dem Sultan bin, so möchte ich doch lieber bei Dir allein sein. Doch ich fürchte mich vor der Macht des Königs; darum ersinne Du einen Plan, mich von ihm zu erbitten!' Den schickte er durch einen jungen Diener, dem er einschärfte, er solle sagen: ,Dies kommt von Demunddem, der König hat noch nie mit ihm gesprochen.' Als Abu 'Âmir den Brief gelesen und die trügerische Botschaft von dem Diener vernommen hatte, da roch er den Gifttrank und schrieb auf den Rücken des Briefes diese Verse:

Ist es denn nach all dem Urteil der Erfahrung zu verstehn
Von den klugen Leuten, daß sie in das Löwenlager gehn?
Ich bin keiner, den die Liebe den Verstand verlieren lehrt:
Und ich weiß gar wohl die Dinge, die der Neider Schar begehrt.
Wärest du auch meine Seele, willig gäbe ich dich preis.
Kann die Seele wiederkehren, die ich um dem Leibe weiß?

Als en-Nâsir diese Antwort las, wunderte er sich über den Scharf blick des Wesirs, und er lieh nie wieder sein Ohr einem,



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der ihn verleumden wollte. Und er sprach zu ihm: ,Wie bist du dem Netz entgangen?' ,Mein Verstand ist nicht in den Maschen der Liebe gefangen', erwiderte er; doch Allah weiß es am besten.

Ferner wird erzählt, o glücklicher König,


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