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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DER LIEBENDEN VON MEDINA

Ibrahim Abu Ishâk erzählte: Ich war den Barmekiden treu ergeben. Und als ich eines Tages in meinem Hause war, klopfte es plötzlich an meine Tür. Mein Diener ging hinaus, und als er zurückkam, meldete er mir: ,Vor der Tür steht ein schöner Jüngling, der um Einlaß bittet.' Ich gab ihm die Erlaubnis; und da trat ein junger Mann ein, der die Zeichen von Krankheit an sich trug, und er sprach: ,Seit einer Weile wünsche ich dir zu begegnen; denn ich habe ein Anliegen an dich.' ,Welcher Art ist est' fragte ich; und er zog dreihundert Dinare heraus, legte



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sie vor mich hin und sprach: ,Ich bitte dich, nimm das an und mache mir eine Weise für zwei Verse, die ich gedichtet habe!' Ich bat ihn: ,Trag sie mir vor', und er hub an zu sprechen - —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 697. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ibrahim Abu Ishâk des weiteren erzählte: ,Nachdem der Jüngling zu mir eingetreten war und die Dinare vor mich hingelegt hatte, sprach er zu mir: ,Ich bitte dich, nimm das an und mache mir eine Weise für zwei Verse, die ich gedichtet habe.' Ich bat ihn: ,Trag sie mir vor!' und er hub an zu sprechen:

Bei Gott, du tust, mein Auge, meinem Herzen unrecht;
Nun lösch durch meine Tränen heiße Schmerzensglut!
Mich tadelt auch das Schicksal wegen meines Lieblings;
ich seh ihn nie, auch wenn mein Leib im Laken ruht!

Da machte ich ihm - so erzählte Ibrahim - eine Weise, die einer Totenklage glich; und als ich sie ihm vorsang, fiel er in Ohnmacht, so daß ich vermeinte, er sei tot. Doch er kam wieder zu sich und rief: ,Sing noch einmal!' Da beschwor ich ihn bei Gott, es mir zu erlassen, und fügte hinzu: ,Ich fürchte, du wirst sterben.' ,Ach, wenn das nur geschähe!' rief er; und dann bat und flehte er demütig so lange, bis ich Mitleid mit ihm hatte und die Weise noch einmal sang. Nun stieß er einen Schrei aus, noch lauter als das erste Mal, und ich zweifelte nicht mehr an seinem Tode. Dennoch sprengte ich Rosenwasser auf ihn, bis er aus der Ohnmacht erwachte und sich aufsetzte. Ich pries Allah für seine Errettung und legte seine Dinare vor ihn hin, indem ich sprach: ,Nimm dein Geld und geh von mir!' Doch er antwortete: ,Ich habe das Geld nicht nötig; du sollst noch einmal soviel erhalten, wenn du mir die Weise wiederholst.'



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Mir ward das Herz weit für das Geld, und ich sprach zu ihm: ,Ich will sie wiederholen, aber nur unter drei Bedingungen. Erstens mußt du bei mir bleiben und von meiner Speise essen, bis du wieder zu Kräften kommst; zweitens mußt du vom Weine so viel trinken, daß du dir wieder ein Herz fassest; drittens mußt du mir deine Geschichte erzählen.' Er tat alles das und begann zu erzählen: ,Ich bin einer von dem Volke von Medina; eines Tages zog ich zu einer Lustfahrt aus und schlug mit meinen Gefährten den Weg nach el-'Akîk' ein. Da sah ich unter einer Schar von Jungfrauen eine Maid, die einem taubeperlten Zweige glich und aus deren Augen solche Blicke strahlten, daß sie nur mit der Seele dessen, der sie anschaute, zu ihr zurückkehrten. Die Mädchen blieben dort, bis der Tag zur Rüste ging; und wie sie fortgingen, fühlte ich in meinem Herzen Wunden, die schwer vernarbten. Als ich zurückgekehrt war, suchte ich überall nach einer Spur von ihr, doch ich fand keine; ja, ich forschte nach ihr auf allen Straßen und Märkten, dennoch erfuhr ich nichts von ihr. Da ward ich krank vor Gram, und ich entdeckte mein Geheimnis einem der Meinen. Der sprach zu mir: ,Sei nicht traurig! Diese Frühlingstage sind noch nicht vorüber; wenn der Spätregen fällt, wird sie ausgehen, und dann will ich mit dir kommen, und du magst tun, was du wünschest!' Dadurch ward meine Seele getröstet, und ich wartete, bis der Bach von el-'Akîk wieder strömte: da zogen die Leute hinaus, und auch ich ging mit meinen Brüdern und Anverwandten aus, und wir setzten uns an dieselbe Stätte wie früher. Kaum waren wir dort, so kamen auch schon die Frauen, und es war, als ob unsere und ihre Schar um die Wette gelaufen wären wie zwei Rennpferde. Da flüsterte ich einer Maid aus meiner Sippe zu: ,Sprich zu jener Jungfrau



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dort: ,Dieser Mann läßt dir sagen: Schön sprach der Dichter dieses Verses:

Mit einem Pfeil durchbohrte sie mein Herz und ging
Und fügte ihm noch neuer Wunden Narben zu.'

Da trat sie hin zu der Maid und sagte ihr den Vers; und jene erwiderte ihr: ,Sag ihm: Schön sprach, wer mit diesem Verse antwortete:

Ich fühle, was du klagst. Gedulde dich! Vielleicht
Naht Freude, und die Herzen finden ihre Ruh.'

Nun enthielt ich mich weiterer Worte aus Furcht vor Ärgernis; doch ich erhob mich, um fortzugehen, und sie stand auf, wie sie mich aufstehen sah. Ich folgte ihr, und sie schaute sich nach mir um, bis sie sah, daß ich mir ihre Wohnung merkte. Dann begann sie, zu mir zu kommen, und ich pflegte zu ihr zu gehen, so daß wir oft miteinander vereinigt waren, bis die Sache bekannt und ruchbar ward und auch ihr Vater davon erfuhr. Doch ich ließ nicht nach in meinem Eifer, sie zu treffen; und ich klagte meine Lage meinem Vater. Der versammelte unsere Sippe und begab sich dann zu ihrem Vater, um sie für mich zur Frau zu erbitten; jener aber sprach: ,Wäre mir dies angetragen worden, ehe er sie ins Gerede brachte, so hätte ich eingewilligt; doch nun ist alles ruchbar geworden, und ich bin nicht willens, das Gerede der Leute wahr zu machen.' Da wiederholte ich ihm - so erzählte Ibrahim weiter -die Weise, und er ging von dannen, nachdem er mir kundgetan hatte, wo er wohnte; und es entstand Freundschaft zwischen uns. Als aber Dscha'far ihn Jahja' wieder im Staatssaale saß und ich wie gewöhnlich ihm meine Aufwartung machte, sang ich ihm die Verse des Jünglings vor. Er hatte seine Freude daran, trank einige Becher Weins und rief: ,He du, von wem ist diese



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Weise?' Da erzählte ich ihm die Geschichte des Jünglings, und er befahl mir, zu ihm zu reiten und ihm zu versichern, daß er sein Ziel erreichen werde. Ich brachte ihn auch vor Dscha'far. und der bat ihn, seine Geschichte zu wiederholen. Nachdem er das getan hatte, sprach Dscha'far zu ihm: ,Ich gebe dir mein Wort, daß ich dich mit ihr vermählen werde.' Des freute sich der Jüngling, und er blieb bei uns. Am nächsten Morgen ritt Dscha'far zu er-Raschîd und erzählte ihm die Geschichte. Der hatte Gefallen daran und befahl, uns beide zu holen; dann ließ er sich die Weise vorsingen und trank dazu. Darauf schrieb er einen Brief an den Statthalter des Hidschâz, in dem er ihm befahl, den Vater der Maid und ihre Angehörigen mit allen Ehren zu Hofe zuschicken und reichliche Kosten auf ihre Ausrüstung zu verwenden. Es dauerte auch nicht lange, da kamen sie schon an. Der Kalif gab Anweisung, den Mann vor ihn zu führen; und als der kam, befahl er ihm, seine Tochter mit dem Jüngling zu vermählen, und er gab ihm hunderttausend Dinare; da kehrte der Mann zu den Seinen zurück. Der junge Mann aber blieb Dscha'fars Tischgenosse, bis geschah, was geschah'; dann kehrte er mit den Seinen nach Medina zurück —Allah der Erhabene sei ihren Seelen gnädig insgesamt!

Ferner wird erzählt, o glücklicher König,


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