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Kapitel 

H. C. Andersens Märchen


Herausgegeben von


Dr. Karl Martin Schiller

Mit den Abbildungen Holzschnitte nach Originalzeichnungen von


Ludwig Richter, Graf Pocci, Theodor Hosemann und Raymond de Baux und 12 Kunstblättern von Otto Speckter und Graf Pocci


Leipzig F. W. Hendel Verlag 1927


Holger Danske

In Dänemark liegt ein altes Schloß, das heißt Kronburg; es liegt gerade in den Sund hinein, wo die großen Schiffe jeden Tag zu Hunderten vorbeifahren, sowohl englische, russisch wie deutsche, und sie begrüßen das alte Schloß mit Kanonen: "Bum!" und das alte Schloß antwortet mit Kanonen: "Bum"; denn so sagen die Kanonen "Guten Tag!" "Schönen Dank!" Im Winter segeln da keine Schiffe, dann ist alles mit Eis bedeckt, bis hinüber zur schwedischen Küste, sieht genau so aus wie eine große Landstraße. Da weht die dänische Flagge und die schwedische, und die dänische und die schwedische Bevölkerung sagt einander: "Guten Tag" "Schönen Dank!", aber nicht mit Kanonen, nein, mit freundlichem Handschlag, und der eine holt Weißbrot und Brezeln bei dem anderen, denn fremde Kost schmeckt am besten. Aber das Herrlichste am Ganzen ist doch das alte Kronburg, und unter diesem ist es, wo Holger Danske in dem tiefen finsteren Keller sitzt, wo niemand hinkommt. Er ist in Eisen und Stahl gekleidet und stützt sein Haupt auf die starken Arme; sein langer Bart hängt über den Marmortisch hinaus, in dem er festgewachsen ist, er schläft und träumt, aber im Traume sieht er alles, was hier oben in Dänemark vorgeht. Jeden Weihnachtsabend kommt ein Engel Gottes und sagt ihm, daß das richtig ist, was er geträumt hat, und daß er ruhig wieder schlafen kann, denn Dänemark befinde sich noch in keiner wirklichen Gefahr. Aber gerät es in eine solche, ja, dann wird der alte Holger Danske sich erheben, so daß der Tisch birst wenn er den Bart zurückzieht. Dann kommt er hervor und schlägt drein, daß es in allen Ländern der Welt gehört wird.

Ein alter Großvater saß und erzählte all dies vom Holger Danske seinem kleinen Enkel, und der kleine Knabe wußte, daß, was der Großvater sagte, wahr sei. Und während der Alte saß und erzählte, schnitzte er an einem großen Holzbilde,



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welches Holger Danske darstellen und an den Vorderteil eines Schiffes angebracht werden sollte; denn der alte Großvater war Bildschnitzer, und das ist so ein Mann, der Figuren für die Gallionen der Schiffe ausschneidet, je nachdem jedes Schiff benannt arden soll, und hier hatte er nun Holger Danske ausgeschnitzt, der so schlank und stolz mit seinem langen Barte stand und in der einen Hand das breite Schlachtschwert hielt während er sich mit der anderen Hand auf das dänische Wappen stützte.

Und der alte Großvater erzählte so viel von ausgezeichneten dänischen Männern und Frauen, daß es dem kleinen Enkel am Ende vorkam, als wisse er nun ebensoviel, wie Holger Danske wissen könne, der es ja doch nur träumte; und als der Kleine in sein Bett kam, dachte er so viel daran, daß er ordentlich sein Kinn gegen die Bettdecke preßte und meinte, er habe einen langen Bart, der daran festgewachsen sei.

Aber der alte Großvater blieb bei seiner Arbeit sitzen und schnitzte an dem letzten Teil derselben, das war das dänische Wappen; nun aber war er fertig, und er betrachtete das Ganze und dachte an alles, was er gelesen und gehört und was er diesen Abend dem kleinen Knaben erzählt hatte; und er nickte, trocknete seine Brille ab, setzte sie wieder auf und sagte: "Ja, während meiner Lebenszeit kommt Holger Danske wohl nicht, aber der Knabe dort im Bette kann ihn vielleicht zu sehen bekommen und mit dabei sein, wenn es wirklich gilt." Und der alte Großvater nickte, und je mehr er seinen Holger Danske anblickte, desto deutlicher wurde es ihm, daß es ein gutes Bild sei, was er gemacht habe es schien ihm ordentlich Farbe zu bekommen, und daß der Harnisch wie Eisen und Stahl glänzte; die Herzen im dänischen Wappen wurden mehr und mehr rot und die Löwen sprangen, mit der Goldkrone auf dem Kopfe.

"Das ist doch das schönste Wappen, das man in der Welt hat!" sagte der Alte. "Die Löwen sind die Stärke und die Herzen die Milde und Liebe!" Er betrachtete den obersten Löwen und gedachte des Königs Knud, der das große England an Dänemarks Thron fesselte, und erblickte den zweiten Löwen an, und er dachte an Waldemar, der Dänemark vereinigte und die wendischen Länder bezwang; er besah den dritten Löwen und dachte an Margarethe, die Dänemark, Schweden und Norwegen vereinigte. Aber indem er die roten Herzen betrachtete, da leuchteten sie noch stärker als zuvor sie wurden zu Flammen, die sich bewegten, und sein Geist folgte einer jeden.

Die erste Flamme führte ihn in ein enges dunkles Gefängnis hinein. Da saß eine Gefangene, ein schönes Weib, Christians des Vierten Tochter, Eleonore Ulfeld; und die Flamme setzte sich einer Rose gleich an ihren Busen und blühte mit ihrem Herzen ineinander, dem der edelsten und besten aller dänischen Frauen.

"Ja, das ist ein Herz in Dänemarks Wappen!" sagte der alte Großvater.

Und sein Geist folgte der zweiten Flamme, die ihn auf das Meer hinaus



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führte, wo die Kanonen donnerten, wo die Schiffe in Rauch gehüllt lagen; und die Flamme heftete sich als Ordensband auf Hvitsfeldts Brust, als er zur Errettung der Flotte sich und sein Schiff in die Luft sprengte.

Und die dritte Flamme führte ihn nach Grönlands erbärmlichen Hütten, wo der Prediger Hans Egede mit Liebe in Wort und Tat stand, die Flamme war ein Stern auf seiner Brust, ein Herz zum dänischen Wappen.

Und des alten Großvaters Geist ging der schwebenden Flamme voran, denn sein Geist wußte, wohin die Flamme wollte. In der Bäuerin ärmlicher Stube stand Friedrich der Sechste und schrieb seinen Namen mit Kreide an den Balken. Die Flamme bebte auf seiner Brust, bebte in seinem Herzen; in der Stube des Bau erg wurde sein Herz ein Herz im dänischen Wappen und der alte Großvater trocknete seine Augen, denn er hatte König Friedrich mit den silberweißen Haaren und den ehrlichen blauen Augen gekannt und gelebt, und er faltete seine Hände und blickte stille vor sich hin. Da kam des alten Gros vaters Schwiegertochter herein und sagte, daß es spät sei, nun solle er ruhen, denn der Abendtisch sei gedecke

"Aber schön ist doch, du gemacht hast, Großvater!" sagte sie. ,Sah ger Danske und unser ganzes Wappen! Es ist mir gerade, als hätte ich das Gesicht schon früher gesehen!"

"Nein, das hast du wohl nicht!" sagte der alte Groser; "aber ich habe es gesehen, und ich habe gestrebt, es in Holz zu schneiden, so wie ich es in der Erinnerung behalten habe. Damals war es, als die Engländer auf der Reede lagen, am dänischen zweiten April, als wir zeigten, daß wir alte Dänen arent Auf ,Danmark, wo ich in Steen Billes Geschwader stand, hatte ich einen Mann zur Seite; es war, als fürchteten sich die Kugeln vor ihm! Lustig sang er alte Lieder und schoß und kämpfte, als wäre er mehr als ein Mensch. Ich erinnere mich seines Antlitzes noch; aber woher er kam, wohin er ging, weiß ich nicht, weiß niemand. Ich habe oft gedacht das möchte der alte Holger Danske wohl selbst gewesen sein, der von Kronburg heruntergeschwommen war und uns in der Gefahr half. Das war nun meine Idee, und dort steht sein Bild."

Und das Bild warf seinen großen Schatten gegen die Wand hinauf, selbst über einen Teil der Decke, es sah aus, als wäre es der wirkliche Holger Danske selbst, der dahinterstände, denn der Schatten bewegte sich; aber es konnte auch daher rühren, daß die Flamme des Lichtes nicht gleichmäßig brannte. Und die Schwiegertochter küßte den alten Großvater und führte ihn nach dem großen Lehnstuhle vor dem Tische, und sie und ihr Mann, der ja des alten Großvaters Sohn und Vater des kleinen Knaben war, der im Bette lag, saßen und speisten Abendbrot Der alte Großvater sprach von den dänischen Löwen und den dänischen Herzen, von der Stärke und der Milde, und ganz deutlich erklärte er, daß es noch eine Stärke außer der gebe welche im Schwerte liege, und er zeigte



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dem Bücherbrett, wo alle Bücher lagen, wo Holbergs sämtliche Komödien lagen, die so oft gelesen worden waren, denn sie waren so ergötzlich, man meinte ordentlich alle die Personen vergangener Tage dann zu erkennen.

"Sieh, der hat auch zu schlagen verstanden!" sagte der alte Großvater. "Er hat das Unverständige und Eckige des Volkes, solange er konnte, gegeißelt!" und der Großvater nickte zum Spiegel hin, wo der Kalender mit dem runden Turme darauf stand, und sagte: "Tycho Brahe war auch einer, der das Schwert gebrauchte, nicht um in Fleisch und Bein zu hauen, sondern um einen deutlicheren Weg zwisten alle Sterne des Himmels hinaufzuhauen! — Und dann er, dessen Vater meinem Stande angehörte, des alten Bildschnitzers Sohn, er, den wir selbst gesehen haben mit dem weißen Haare und den breiten Schultern, er, der in allen Ländern der Welt genannt wird! Ja, er konnte hauen, ich kann nur schnitzen! Ja, Holger Danske kann in vielen Gestalten kommen, so daß man in aller Welt Ländern von Dänemarks Stärke hört! Wollen wir nun des Bertel Thorwaldsen Gesundheit trinken?"

Aber der kleine Knabe im Bette sah deutlich das alte Kronburg mit dem Öeresund; den wirklichen Holger Danske, der tief unten mit dem Bart im Marmortische festgewachsen saß und von allem, was hier oben gechieht, träumte. Holger Danske träumte auch von der kleinen ärmlichen Stube wo der Bildschnitzer saß, erhörte alles, was da gesprochen wurde, und nickte im Traume und sagte;

"Ja, erinnert euch meiner nur; ihr dänischen Leute! Behaltet mich im Angedenken! Ich komme in der Stunde der Not!"

Draußen vor Kronburg schien der klare Tag, und der Wind trug die Töne des Jägerhorns herüber vom Nachbarlande; die Schiffe segelten vorbei und grüßten: "Bum! Bum!" und von Kronburg antwortete es: "Bum! Bum!" Aber Holger Danske erwachte nicht, so stark sie auch schossen, denn es war ja nur: "Guten Tag!" "Schönen Dankt" Da muß anders geschossen werden, bevor er erwachen wird; aber er erwacht wohl, denn es ist Kern in Holger Danske!


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