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H. C. Andersens Märchen


Herausgegeben von


Dr. Karl Martin Schiller

Mit den Abbildungen Holzschnitte nach Originalzeichnungen von


Ludwig Richter, Graf Pocci, Theodor Hosemann und Raymond de Baux und 12 Kunstblättern von Otto Speckter und Graf Pocci


Leipzig F. W. Hendel Verlag 1927


Der Schweinehirt

Es war einmal ein armer Prinz; er hatte ein Königreich, welches ganz klein war, aber es war immer groß genug, um sich darauf zu verheiraten und verheiraten wollte er sich.

Nun war es freilich etwas keck von ihm, daß er zur Tochter des Kaisers sagen wagte: "Willst du mich haben?" Aber er wagte es doch, denn sein Name war weit und breit berühmt, es gab Hunderte von Prinzessinnen, die gern ja gesagt hätten, aber ob sie es tat?

Nun, wir wollen hören.

Auf dem Grabe des Vaters des Prinzen wuchs da ein Rosenstrauch, und solch ein herrlicher Rosenstrauch! Der blühte nur jedes fünfte Jahr und trug dann auch nur eine einzige Blume, aber das war eine Rose, die duftete so süß, daß man alle seine Sorgen und seinen Kummer vergaß, wenn man daran roch. Der Prinz hatte aber auch eine Nachtigall, die konnte singen, als ob alle schönen Melodien in ihrer kleinen Kehle säßen. Diese Rose und diese Nachtigall solls die Prinzessin haben; und deshalb wurden sie beide in große silberne Behälter gesetzt und ihr so zugesandt.

Der Kaiser ließ sie vor sich her in den großen Saal tragen, wo die Prinzessin war und "Es kommen Fremde" mit ihren Hofdamen spielte; und als sie die großen Behälter mit den Geschenken darin erblickte, klatschte sie vor Freude in die Hände.

"Wenn es doch eine kleine Miezekatze wäre!" sagte sie, aber da kam der Rosenstrauch mit der herrlichen Rose hevor.

"Nein, wie ist die niedlich gemacht!" sagten alle Hofdamen.

"Sie ist mehr als niedlich!" sagte der Kaiser, "sie ist schön!" Aber die Prinzessin befühlte sie, und da war sie nahe daran, zu weinen.



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"Pfui, Papa!" sagte sie, "sie ist nicht künstlich, sie ist natürlich!"

"Pfui!" sagten alle Hofdamen, "sie ist natürlich!"

"Laßt unz nun erst sehen, was in dem anderen Behälter ist ehe wir böse werden!" meinte der Kaiser, und da kam die Nachtigall heraus, die so schön sang, man nicht gleich etwas Böses gegen sie vorbringen konnte.

Superbe! Charmant!" sagten die Hofdamen, denn sie plauderten alle französisch, die eine immer ärger als die andere.

"Wie der Vogel mich an die Spieldose der seligen Kaiserin erinnert!" sagte ein alter Kavalier. "Ach ja, das ist ganz derselbe Ton, derselbe Vortrag!"

"Ja!" sagte der Kaiser, und dann weinte er wie ein kleines Kind.

"Es wird doch hoffentlich kein natürlicher sein?" sagte die Prinzessin.

Ja, es ist ein natürlicher Vogel!" sagten die, welche ihn gebracht hatten.

"So laßt den Vogel fliegen", sagte die Prinzessin, und sie wollte auf keine Weise gestatten, daß der Prinz käme.

Aber er ließ sich nicht einschüchtern; er bemalte sich das Antlitz mit Braun und Schwaz, drückte die Mütze tief über den Kopf und klopfte an.

"Guten Tag, Kaiser!" sagte er. ,Könnte ich nicht hier auf dem Schlosse einen Dienst bekommen?"

"Jawohl!" sagte der Kaiser. "Ich brauche jemand, der die Schweine hüten kann, denn deren haben wir viele!"

So wurde der Prinz angestellt als kaiserlicher Schweinehirt. Er bekam eine jämmerlich kleine Kammer unten beim Schweinekoben, und da mußte er bleiben; aber den ganzen Tag saß er und arbeitete, und als es Abend war, hatte er einen niedlichen kleinen Topf gemacht, rings um denselben waren Schellen, und sobald der Topf kochte, so klingelten sie so schön und spielten die alte Melodie:

Ach, du lieber Augustin,
Alles ist weg, weg, weg!

Aber das Allerkünstlichste war doch, daß, wenn man den Finger in den Dampf des Topfes hielt; man sogleich riechen konnte. welche Speisen auf jedem Feuerherd in der Stadt zubereitet wurden. Sieh, das war wahrlich etwas ganz anderes als die Rose!

Nun kam die Prinzessin mit allen ihren Hofdamen daherspaziert, und als die Melodie hörte, blieb sie stehen und sah ganz erfreut aus; denn sie konnte auch "Ach, du lieber Augustin" spielen, das .Nr das einzige, was sie konnte, aber das spielte sie mit einem Finger.

"Das ist ja das, was ich kann!" sagte sie. "Dann muß es ein gebildeter Schweinehirte sein! Höre, gehe hinunter und frage ihn, was das Instrument kostet!"

Und da mußte eine der Hofdamen hineingehen, aber sie zog Holzpantoffeln



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"Was willst du für den Topf habens" Sagte die Hofdame.

"Ich will zehn Küsse von der Prinzessin haben!" sagte der Schweinehirt.

"Gott bewahre uns!" sagte die Hofdame.

"Ja, anders tue ich es nicht!" antwortete der Schweinehirt.

"Er ist ja unartig!" sagte die Prinzessin, und dann ging sie; aber als ein kleines Stück gegangen war, erklangen die Schellen so lieblich:

Ach, du lieber Augustin,
Alles ist weg, weg, weg!

"Höre," sagte die Prinzessin, "frage ihn, ob er zehn Küsse von immen Hofdamen haben will!"

"Ich danke schön!" sagte der Schweinehirt; "zehn Küsse von der Prinzessin, oder ich behalte meinen Topf!"

"Wag ist das doch eine langweilige Geschichte!" sagte die Prinzessin "Aber dann müßt ihr vor mir stehen, damit es niemand sieht!"

Und die Hofdamen stellten sich davor, und dann breiteten sie ihre Kleider aus, und da bekam der Schweinehirt zehn Küsse, und sie erhielt den Topf.

Nun, das gab eine Freudel Den ganzen Abend und den ganzen Tag mußte der Topf kochen; es gab nicht einen Feuerherd in der ganzen Stadt, von dem sie nicht wußten, was darauf gekocht wurde, sowohl beim Kammerherrn wie beim Schuhmacher. Die Hofdamen tanzten und klatschten in die Hände.



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"Wir wissen, wer süße Suppe und Eierkuchen essen wirdt Wir wissen, wer Grütze und Karbonade bekommt! Wie ist das doch interessant!"

"Ja, aber haltet reinen Mund, denn ich bin des Kaisers Tochter!"

"Gott behüte uns sagten alle.

Der Schweinehirt das heißt der Prinz, aber sie wußten es ja nicht anders, als daß er ein wirklicher Schweinehirt sei, ließ die Tage nicht verstreichen, ohne etwas zu tun, und da machte er eine Knarre, wenn man die herumschwang, klangen alle die Walzer und Hopser die man von Erschaffung der Welt her kannte.

"Ach das ist superbe!" sagte die Prinzessin, indem sie vorbeiging. "Ich habe nie eine schönere Musik gehört! Höre, gehe hinein und frage ihn, was das Instrument kostet, aber küssen tue ich nicht wieder!"

"Er will hundert Küsse von der Prinzessin haben!" sagte die Hofdame, welche hineingegangen war, um zu fragen.

"Ich glaube, er ist verrückt!" sagte die Prinzessin, und dann ging sie; aber als sie ein kleines Stück gegangen war, blieb sie stehen. "Man muß die Kunst aufmuntern", sagte sie; "ich bin des Kaisers Tochter! Sage ihm, er solle wie neulich zehn Küsse haben; den Rest kann er von meinen Hofdamen nehmen!"

"Ach, aber wir tun es so ungern!" sagten die Hofdamen.

"Das ist Geschwätz!" sagte die Prinzessin. "Wenn ich ihn küssen kann, dann könnt ihr es auch! Bedenkt, ich gebe euch Kost und Lohn!" Und da mußten die Hofdamen wieder zu ihm hineingehen.

"Hundert Küsse von der Prinzessin," sagte er, "oder ein jeder behält das Seine!"

"Stellt euch davor!" sagte sie dann, und da stellten alle Hofdamen sich davor; und nun küßte er.

"Was mag das wohl für ein Auflauf beim Schweinekoben sein?" fragte der Kaiser, welcher auf den Balkon hinausgetreten war. Er rieb sich die Augen und setzte die Brille auf. "Das sind ja die Hofdamen, die da ihr Wesen treiben; ich werde wohl zu ihnen hinunter müssen!" Und so zog er seine Pantoffeln hinten herauf, denn es waren Schuhe, die er niedergetreten hatte.

Potz Welt, wie er sich sputete!

Sobald er in den Hof hinunterkam, ging er ganz leise, und die Hofdamen hatten so viel damit zu tun, die Küsse zu zählen, damit es ehrlich zugehen möge, daß sie den Kaiser gar nicht bemerkten. Er erhob sich auf den Zehen.

"Was ist das?" sagte er, als er sah, daß sie sich küßten, und dann schlug er sie mit seinem Pantoffel an den Kopf, gerade als der Schweinehirt den sechsundachhigsten Kuß erhielt.

"hinaus!" sagte der Kaiser, denn er war böse, und sowohl die Prinzessin wie der Schweinehirt mußten sein Kaiserreich verlassen.



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Da stand sie nun und weinte, der Schweinehirt schalt, und der Regen Strömte hernieder.

"Ach, ich elendes Geschöpf!" sagte die Prinzessin, "hätte ich doch den schönen Prinzen genommen! Ach, wie unglücklich bin ich!"

Der Schweinehirt ging hinter einen Baum, wischte das Schwarze und Braune aus seinem Antlitz, warf die schlechten Kleider von sich und trat nun in seiner Prinzentracht hervor, so schön, daß die Prinzessin sich verneigen mußte.

"Ich bin dahin gekommen, dich zu verachten, du!" sagte er. "Du wolltest keinen ehrlichen Prinzen haben! Du verstandest dich nicht auf die Rose und die Nachtigall, aber den Schweinehirten konntest du eine Spielerei küssen! das hast du nun dafür!"

Und dann ging er in sein Königreich hinein und machte ihr die Tür vor der Nase zu; da konnte sie freilich singen:

Ach, du lieber Augustin,
Alles ist weg, weg, weg!


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