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H. C. Andersens Märchen


Herausgegeben von


Dr. Karl Martin Schiller

Mit den Abbildungen Holzschnitte nach Originalzeichnungen von


Ludwig Richter, Graf Pocci, Theodor Hosemann und Raymond de Baux und 12 Kunstblättern von Otto Speckter und Graf Pocci


Leipzig F. W. Hendel Verlag 1927


Der Reisekamerad

Der arme Johannes war tief betrübt, denn sein Vater war sehr krank und konnte nicht genesen. Außer den beiden war durchaus niemand in dem Seinen Zimmer; die Lampe auf dem Tische war dem Erlöschen nahe, und es war ganz spät abends.

"Du warst ein guter Sohn, Johannes!" sagte der kranke Vater, "der liebe Gott wird dir schon in der Welt forthelfen!" und er sah ihn mit ernsten milden Augen an, holte ganz tief Atem und starb; es war gerade, als ob er schliefe. Aber Johannes weinte, nun hatte er gar niemand in der ganzen Welt, weder Vater noch Mutter, Schwester noch Bruder. Der arme Johannes! Er lag vor dem Bette auf seinen Knieen und küßte des toten Vaters Hand und weinte so viele bittere Tränen; aber zuletzt schlossen sich seine Augen, und er schlief ein mit dem Haupte auf dem harten Bettpfosten.

Da träumte ihm ein sonderbarer Traum; er sah, wie Sonne und Mond sich vor ihm neigten, und erblickte seinen Vater frisch und gesund und hörte ihn lachen, wie er immer lachte, wenn er recht froh war. Ein schönes Mädchen mit einer goldenen Krone auf ihrem langen glänzenden Haar reichte Johannes die Hand, und sein Vater sagte: "Siehst du, was für eine Braut du erhalten hast! Sic ist die schönste in der ganzen Weltl" Da erwachte er, und alle Herrlichkeit war vorbei, sein Vater lag tot und kalt im Bette, es war gar niemand bei ihm Der arme Johannes!

In der folgenden Woche wurde der Tote begraben; Johannes ging dicht hinter dem Sarge und konnte nun den guten Vater nicht mehr zu sehen bekommen, der ihn so sehr geliebt hatte; er hörte, wie man die Erde auf den Sarg



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hinunterwarf, sah noch die letzte Ecke desselben, aber bei der nächsten Schaufel Erde, welche hinabgeworfen wurde, war auch sie verschwunden; da war es gerade, als wolle sein Herz in Stücke zerspringen, so betrübt war er. Ringsherum sangen sie nun noch einen Psalm, es klang sehr schön, und die Tränen traten Johannes indie Augen, er weinte; und das tat seiner Trauer wohl. Die Sonne schien herrlich auf die grünen Bäume, gerade als wolle sie sagen: "Du mußt nicht so betrübt sein, Johannes! Siehst du, wie hübsch blau der Himmel ist! Dort oben ist nun dein Vater und bittet den lieben Gott daß es dir allezeit wohl ergehen möge!"

"Ich will auch immer gut sein!" sagte Johannes. "Dann komme ich in den Himmel zu meinem Vater, und was wird das eine Freude werden, wenn wir einander wiedersehen! Wieviel werde ich ihm dann nicht erzählen können, und er wird mir so viele Sachen zeigen, mich so viel über die Herrlichkeit im Himmel belehren, gerade wie er mich hier auf Erden unterrichtete. O was wird das für eine Freude werden!"

Johannes dachte sich das so deutlich, daß er dabei lächelte; während die Tränen ihm noch über die Wangen liefen. Die Keinen Vögel saßen oben in den Kastanienbäumen und zwitscherten: "Quivit, quatl" Sie waren so munter, obgleich sie mit bei dem Begräbnisse waren, aber sie wußten wohl, daß der tote Mann nun oben im Himmel war, Flügel hatte, weit schönere und größere als die ihrigen, und daß er nun glücklich sei, weil er hier auf Erden gut gewesen war, und darüber waren sie vergnügt. Johannes sah, wie sie von den grünen Bäumen weit in die Welt hinausflogen, und da bekam auch er Lust mitzufliegen. Aber zuerst schnitt er ein großes Holzkreuz, um es auf seines Vaters Grab zu setzen, und als er es am Abend dahin brachte, war das Grab mit Sand und Blumen geschmückt; das hatten fremde Leute getan, denn sie hielten alle so viel von dem lieben Vater der nun tot war.

Früh am nächsten Morgen packte Johannes sein kleines Bündel zusammen und verwahrte in seinem Gürtel sein ganzes Erbteil, welches fünfzig Taler und ein paar Silberschillinge betrug; damit wollte er in die Welt hinauswandern. Aber zuerst ging er nach dem Kirchhofe zu seines Vaters Grab, betete ein Vaterunser und sagte: "Lebe wohl, du lieber Vater! Ich will immer ein guter Mensch sein, darum magst du den lieben Gott auch bitten, daß mir wohl ergehe!"

Draußen auf dem Felde, wo Johannes ging, standen alle Blumen so frisch und schön in dem warmen Sonnenschein, und sie nickten im Winde, gerade als wollten sie sagen: "Willkommen im Grünen! Ist es hier nicht schön?" Aber Johannes wendete sich noch einmal zurück, um die alte Kirche zu betrachten, wo er als kleines Kind getauft worden, jeden Sonntag mit seinem Vater zum Gottesdienst gewesen war und seinen Psalm gesungen hatte; da sah er hoch oben in einer der Öffnungen des Turms den Kirchenkobold mit seiner Keinen roten spitzen



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Mütze stehen, indem er sein Antlitz mit dem gebogenen Arm beschattete, da ihn sonst die Sonne in die Augen stach. Johannes nickte ihm Lebewohl zu, und der kleine Kobold schwenkte seine rote Mütze, legte die Hand auf das Herz und warf ihm viele Kußhände zu, um zu zeigen, wieviel Gutes er ihm wünsche, und daß er besonders eine recht glückliche Reise machen möge.

Johannes dachte daran, wieviel Schönes er nun in der großen prächtigen Welt zu sehen bekommen würde, und ging weiter und weiter fort so weit, als er früher nie gewesen war; er kannte die Orte gar nicht, durch die er kam, oder die Menschen, denen er begegnete, er war weit draußen in der Fremde.

Die erste Nacht mußte er sich auf einen Heuschober auf dem Felde schlafen legen, ein anderes Bett hatte er nicht. Aber das war gerade hübsch, meinte er, der König könnte es nicht besser haben. Das ganze Feld mit dem Flusse, der Heuschober und dann der blaue Himmel darüber, das war gerade eine schöne Schlafkammer. Das grüne Gras mit den kleinen roten und weißen Blumen war die Fußdecke, die Fliederbüsche und die wilden Rosenhecken waren Blumensträuße, und zum Waschbecken diente ihm der ganze Fluß mit dem klaren, frischen Wasser; wo das Schiff sich neigte und ihm guten Abend wie guten Morgen bot. Der Mond war eine große Nachtlampe, hoch oben unter der Decke, und der zündete die Gardinen nicht an mit seinem Feuer; Johannes konnte ganz ruhig schlafen, er tat es auch und erwachte erst wieder, als die Sonne aufging und alle die kleinen Vögel ringsumher sangen: "Guten Morgen! Guten Morgen! Bist du noch nicht auf?"

Die Glocken läuteten zur Kirche, es Sonntag. Die Leute gingen hin, den Prediger zu hören, und Johannes folgte ihnen, sang ein frommes Lied mit und hörte Gottes Wort; und es war ihm gerade, als wäre er in seiner eigenen Kirche, in der er getauft worden war, und wo er Psalmen mit seinem Vater gesungen hatte.

Draußen auf dem Kirchhofe warm so viele Gräber, und auf einigen wuchs hohes Gras Da dachte Johannes an seines Vaters Grab, welches am Ende auch so aussehen würde wie diese, da er es nicht vom Unkraut reinigen und schmücken konnte. setzte sich also nieder und riß das Gras ab, richtete die Holzkreuze auf, welche umgefallen waren, und legte die Kränze, die der Wind vom Grabe fortgerissen hatte, wieder auf ihre Stelle, indem erdachte: "Vielleicht tut jemand dasselbe an meines Vaters Grab, da ich es nicht tun kann!"

Draußen vor der Kirchhofstür stand ein alter Bettler und stützte sich auf seine Krücke; Johannes gab ihm die Silberschillinge, die er hatte, und ging dann glücklich und vergnügt weiter fort, in die weite Welt hinaus.

Gegen Abend wurde es ein schrecklich böses Wetter. Johannes sputze sich, unter Dach zu gelangen, aber es wurde bald finstere Nacht; da erreichte er endlich eine Keine Kirche, die ganz einsam auf einem kleinen Hügel lag; die Tür



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stand zum Glück nur angelehnt und er schlüpfte hinein; hier wollte er bleiben, bis das böse Wetter sich gelegt hatte.

"Hier will ich mich in einen Winkel setzen!" sagte er. "Ich bin ganz ermüdet und bedarf der Ruhe." Dann setzte er sich nieder, faltete seine Hände und betete sein Abendgebet, und bevor er es wußte, schlief und träumte er, während es draußen blitzte und donnerte.

Als er wieder erwachte, war es mitten in der Nacht; aber das böse Wetter war vorübergezogen, und der Mond schien durch die Fenster zu ihm herein. Mitten in der Kirche stand ein offener Sarg mit einem toten Mann darin, denn er war noch nicht begraben, Johannes war durchaus nicht furchtsam, denn er hatte ein gutes Gewissen, und er wußte wohl, daß die Toten niemand etwas zuleide tun; sind lebende böse Menschen, die Übles tun. Solche zwei lebende schlimme Leute standen dicht bei dem toten Mann, der hier in die Kirche hineingesetzt war, bevor er beerdigt wurde, dem wollten sie Übles erweisen, ihn nicht in seinem Sarge liegen lassen, sondern ihn draußen vor die Kirchtür werfen, den annen toten Mann.

"Weshalb wollt ihr das tun?" fragte Johannes. "Das ist böse und schlimm; laßt ihn in Jesu Namen ruhen!"

"Ach Schnickschnackl" sagten die beiden häßlichen Menschen. "Er hat uns angeführt! Er schuldet uns Geld, das konnte er nicht bezahlen, und nun ist er obendrein tot, da bekommen wir keinen Schilling, deshalb wollen wir uns ordentlich an ihm rächen, er soll wie ein Hund draußen vor der Kirchtür liegen!"



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"Ich habe nicht mehr als fünfzig Taler!" sagte Johannes, "das ist mein ganzes Erbteil; aber das will ich euch gern geben, wenn ihr mir ehrlich versprechen wollt, den armen toten Mann in Ruhe zu lassen. Ich werde schon durchkommen ohne das Geld; ich habe gesunde starke Gliedmaßen, und der liebe Gott wird mir allezeit helfen."

Ja!" sagten die häßlichen Menschen, "wenn du so seine Schuld bezahlen willst, wollen wir beide ihm nichts tun, darauf kannst du dich verlassen!" Und so nahmen sie das Geld, welches ihnen Johannes gab, lachten laut auf über seine Gutmütigkeit und gingen ihres Weges; Johannes aber legte die Leiche wieder im Sarge zurecht; faltete ihre Hände, nahm Abschied von ihr und ging dann durch den großen Wald zufrieden weiter.

Ringsumher, wo der Mond durch die Bäume hereinscheinen konnte, sah er die niedlichen kleinen Elfen lustig spielen; sie ließen sich nicht stören, sie wußten wohl, daß er ein guter, unschuldiger Mensch sei, und es sind nur die bösen Leute, welche die Elfen nicht zu sehen bekommen. Einige von ihnen waren nicht größer, als ein Finger breit ist; und hatten ihre langen gelben Haare mit goldenen Kämmen aufgeheftet; zwei und zwei schaukelten sie sich auf den großen Tautropfen, die auf den Blättern und dem hohen Gras lagen; zuweilen entrollte ihnen der Tropfen, dann fielen sie nieder zwischen den langen Grashalmen, und das verursachte ein Gelächter und Lärmen unter den anderen Kleinen. Es allerliebst! Sie sangen, und Johannes erkannte ganz deutlich alle die hübschen Lieder, die er als kleiner Knabe gelernt hatte. Große bunte Spinnen mit silbernen Kronen auf dem Kopfe mußten von der einen Hecke zur anderen lange Hängebrücken und Paläste spinnen, welche, da der feine Tau darauf fiel, wie glänzendes Glas im klaren Mondscheine aussahen. So währte es fort, gerade bis die Sonne aufging. Die kleinen Elfen krochen dann in die Blumenknospen, und der Wind erfaßte ihre Brücken und Schlösser, die als Spinnweben durch die Luft dahinflogen

Johannes war nun aus dem Walde herausgekommen, als eine starke Mannsstimme hinter ihm rief: "Holla, Kamerad, wohin geht die Reise?"

"In die weite Welt hinaus!" sagte Johannes. "Ich habe weder Vater noch Mutter, bin ein armer Busche, aber der Herr hilft mir wohl!"

"Ich will auch in die weite Welt hinaus!" sagte der fremde Mann. "Wollen wir beide einander Gesellschaft leisten?"

"Jawohl!" sagte Johannes, und so gingen sie miteinander. Bald wurden sie sich recht gut, denn sie waren beide gute Menschen. Aber Johannes merkte wohl, daß der Fremde viel klüger war als er, er hatte fast die ganze Welt durchreist und wußte von allem möglichen, was existierte, zu erzählen.

Die Sonne war schon hoch herauf, als sie sich unter einen großen Baum setzten, ihr Frühstück zu genießern Zur selben Zeit kam da eine alte Frau daher.



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Oh, sie war so alt und ging ganz krumm, stützte sich auf einen Krückstock und hatte auf ihrem Rücken ein Bündel Brennholz, welches sie sich im Walde gesammelt hatte. Ihre Schürze war aufgebunden, und Johannes sah, daß drei große Ruten von Farnkraut und Weidenreisern daraus hervorsahen. Indem sie ihnen ganz nahe war, glitt ihr ein Fuß aus, sie fiel um und tat einen lauten Schrei, denn sie hatte ihr Bein gebrochen, die arme alte Frau.

Johannes meinte sogleich, daß sie sie nach Hause tragen wollten, wo sie wohnte, aber der Fremde machte sein Ränzel auf nahm eine Kruke hervor und sagte, daß er hier eine Salbe habe, welche sogleich ihr Bein wieder ganz und kräftig machen würde, so daß sie selbst nach Hause gehen könne, und zwar so, als ob sie nie das Bein gebrochen hätte. Aber dafür wolle er auch, daß sie ihm die drei Ruten schenke, die sie in ihrer Schürze habe.

"Das wäre gut bezahlt!" sagte die Alte und nickte ganz eigen mit dem Kopfe; sie wollte die Ruten eben nicht gern hergeben, aber es war auch nicht angenehm, mit gebrochenem Beine dazuliegen So gab sie ihm die Ruten; und sowie er nur die Salbe auf das Bein gerieben hatte, erhob sich auch die alte Mutter und ging viel besser denn zuvor. Das hatte die Salbe bewirkt; aber die war auch nicht in der Apotheke zu baba

"Was willst du mit den Ruten?" fragte Johannes nun seinen Reisekameradem

"Das sind drei schöne Kräuterbesen!" sagte er; "die liebe ich sehr, denn ich bin ein närrischer Patron!"

Dann gingen sie noch ein gutes Stück.

"Nein, wie der Himmel sich umzieht!" sagte Johannes und zeigte geradeaus. "Das sind schrecklich dicke Wolken!"

"Nein," sagte der Reisekamerad, "das sind keine Wolken, das sind Berge, die herrlichen großen Berge, wo man ganz hinauf über die Wolken in die frische Luft gelangt! Glaube mir, das ist herrlich! Morgen sind wir sicher schon dort!"

Das war nicht so nahe, wie es aussah; sie hatten einen ganzen Tag zu gehen bevor sie die Berge erreichten, wo die schwarzen Wälder gerade gegen den Himmel aufwuchsen, und wo es Steine gerade so groß wie eine ganze Stadt gab. Das mochte wahrlich eine schwere Anstrengung werden, da ganz hinüberzukommen, aber darum gingen auch Johannes und der Reisekamerad in das Wirtshaus hinein, um sich gut auszuruhen und Kräfte zum morgenden Marsche zu sammeln.

Unten in der großen Schenkstube im Wirtshause waren viele Menschen versammelt denn da war ein Mann, der gab Puppenkomödie; er hatte gerade sein kleines Theater aufgestellt, und die Leute saßen ringsumher, um die Komödie zu sehen. Aber ganz vom hatte ein dicker Schlächter Platz genommen, und zwar den



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allerbesten; sein großer Bullenbeißer — uh! der sah so grimmig aus! — saß an seiner Seite und machte große Augen, gerade wie alle die andern Zuschauer.

Nun begann die Komödie, und das war ein niedliches Stück mit einem Könige und einer Königin; die saßen auf dem schönsten Thron, hatten goldene Kronen auf dem Haupte und lange Schleppen an den Kleidern, denn das konnten sie haben. Die niedlichsten Holzpuppen mit Glasaugen und großen Schnurrbärten standen an allen Türen und machten auf und zu, damit frische Luft in das Zimmer kommen konnte. Es war wirklich eine recht niedliche Komödie, und sie war gar nicht traurig, aber gerade als die Königin aufstand und über den Fußboden hinging, da — ja, Gott mag wissen, was der große Bullenbeißer sich dachtet — aber da der dicke Schlächter ihn nicht hielt, machte er einen Sprung gerade hinein in das Theater, nahm die Königin mitten um ihre schlanke Taille, so daß es knickt knackt ging. Es war ganz schrecklich!

Der arme Mann, der die ganze Komödie gab, war sehr erschrocken und betrübt über seine Königin, denn es war die allerniedlichste Puppe, die er hatte, und nun hatte ihr der häßliche Bullenbeißer den Kopf abgebissen; aber als die Leute später fortgingen, sagte der Fremde, der mit Johannes gekommen war, daß er sie schon wieder zurechtmachen werde, und da nahm er seine Kruke vor und schmierte die Puppe mit der Salbe, womit er der alten Frau geholfen, als sie ihr Bein gebrochen hatte. Sowie die Puppe geschmiert war, wurde sie gleich wieder ganz, ja sie konnte sogar alle ihre Glieder selbst bewegen, man brauchte gar nicht mehr an der Schnur zu ziehen; die Puppe war wie ein lebendiger Mensch, nur daß sie nicht sprechen konnte. Der Mann, der das kleine Puppentheater hatte, wurde sehr froh; nun brauchte er diese Puppe gar nicht mehr zu halten, die konnte ja von selbst tanzen. Das konnte keine der anderen.

Als es Nacht geworden und alle Leute im Wirtshause zu Bett gegangen waren, war da jemand, der schrecklich tief seufzte und so lange damit fortfuhr, bis alle aufstanden, um zu sehen, wer es sein könnte. Der Mann, der die Komödie gegeben hatte, ging nach seinem kleinen Theater hin, denn dort war es, wo jemand seufzte. Alle Holzpuppen lagen untereinander, der König und alle Trabanten, und die waren es, die so jämmerlich seufzten und mit ihren Glasaugen stierten; denn sie wollten so gern gleich der Königin ein wenig geschmiert werden, damit sie sich auch von selbst bewegen könnten. Die Königin legte sich gerade hin auf die Kniee und sirene ihre prächtige Krone in die Höhe, während sie bat: "Nimm mir diese, aber schmiere meinen Gemahl und meine Hofleute!" Da konnte der arme Mann, der die Komödie und alle Puppen besaß, nicht unterlassen zu weinen, denn es tat ihm wirklich ihretwegen so leid. Er versprach sogleich dem Reisekameraden, ihm alles Geld zu geben, das er am nächsten Abend für sein Spiel erhalten werde, wenn er nur vier bis fünf von seinen niedlichsten Puppen schmieren wolle; aber der Reisekamerad sagte, daß er durchaus nichts



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anderes verlange als den großen Säbel, den jener an seiner Seite habe, und als er den erhielt, beschmierte er sechs Puppen, die sogleich tanzten, und das so niedlich, daß alle Mädchen, die lebendigen Menschenmädchen, die sahen, sogleich mittanzten. Der Kutscher und die Köchin tanzten, der Diener und das Stubenmädchen, alle die Fremden und die Feuerschaufel und die Feuerzange; aber die fielen um, gerade als sie die ersten Sprünge machten. Ja, das war eine lustige Nacht!

Am nächsten Morgen ging Johannes mit seinem Reisekameraden von ihnen allen fort, auf die hohen Berge hinauf und durch die großen Tannenwälder. Sie kamen so hoch hinauf, daß die Kirchtürme tief unter ihnen zuletzt wie kleine rote Beeren unten in all dem Grünen aussahen, und sie konnten so weit hin sehen, viele, viele Meilen weit, wo sie nie gewesen waren! So viel Schönes der prächtigen Welt hatte Johannes früher nie auf einmal gesehen, und die Sonne schien so warm aus der frischen blauen Luft; er hörte auch zwischen den Bergen die Jäger das Waldhorn so schön und lieblich blasen, daß ihm vor Freude das Wasser in die Augen trat und er nicht unterlassen konnte auszurufen: "Du guter lieber Gott, ich möchte dich küssen, weil du so gut gegen uns alle bist und uns all die Herrlichkeit, die in der Welt ist, gegeben bast!"

Der Reisekamerad stand auch mit gefalteten Händen da und sah über den Wald und die Städte in den warmen Sonnenschein hinaus. Zu gleicher Zeit ertönte es wunderbar lieblich über ihren Häuptern, sie blickten in die Höhe, ein großer weißer Schwan schwebte in der Luft und sang, wie sie früher nie einen Vogel hatten singen hören. Aber der Gesang wurde schwächer und schwächer, der schöne Vogel neigte seinen Kopf und sank ganz langsam zu ihren Füßen nieder; wo er tot liegen blieb.

"Zwei so herrliche Flügel," sagte der Reisekamerad, "so weiß und groß wie die, welche der Vogel hat; sind Geldes wert, die will ich mit mir nehmens Siehst du nun wohl, daß es gut war, daß ich einen Säbel bekam?" Und so hieb er mit einem Schlage beide Flügel des toten Schwanes ab, die wollte er behalten.

Sie reisten nun viele, viele Meilen weit fort über die Berge, bis sie zuletzt eine große Stadt vor sich sahen mit über Hunderten von Türmen, die wie Silber in der Sonne erglänzten; mitten in der Stadt war ein prächtiges Marmorschloß, mit purem roten Golde gedeckt, und hier wohnte der König.

Johannes und der Reisekamerad wollten nicht sogleich in die Stadt gehen, sondern blieben im Wirtshause draußen vor der Stadt, damit sie sich putzen konnten, denn sie wollten nett aussehen, wenn sie auf die Straße kämet Der Wirt erzählte ihnen, daß der König ein so guter Mann sei, der nie einem Menschen etwas zuleide täte, weder dem einen noch anderen, aber seine Tochter ja Gott behüte uns! das wäre eine schlimme Prinzessin. Schönheit besaß sie genug, keine konnte so hübsch und niedlich sein, als sie war, aber was half das! Sie



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war eine schlimme böse Hexe, die schuld daran war, daß so viele herrliche Prinzen ihr Leben verloren hatten. Allen Menschen hatte sie die Erlaubnis erteilt, um sie freien zu dürfen; ein jeder konnte kommen, er mochte Prinz oder Bettler sein; das war ihr ganz gleich; er sollte nur drei Sachen raten, an die sie gedacht hatte, und um die sie ihn befragte; könnte er das, so wollte sie sich mit ihm verbinden, und er sollte König über das ganze Land sein, wenn ihr Vater stürbe; konnte er aber die drei Sachen nicht raten, so ließ sie ihn aufhängen oder ihm den Kopf abhauen. Ihr Vater, der alte König, war so betrübt darüber, aber er konnte ihr nicht verbieten, so böse zu sein, denn er hatte einmal gesagt, er wolle nie etwas mit ihren Liebhabern zu tun haben, sie könne selbst tun, was sie wolle. Jedesmal, wenn ein Prinz kam und raten sollte, um die Prinzessin zu erhalten, so konnte er es nicht, und dann wurde er gehängt oder geköpft; er war ja beizeiten gewarnt worden, er hätte das Freien unterlassen können. Der alte König war so betrübt über all die Trauer und das Elend, daß er einen ganzen Tag des Jahres mit all seinen Soldaten auf den Knieen lag und betete, die Prinzessin möge gut werden; aber das wollte sie durchaus nicht. Die alten Frauen, die Branntwein tranken, färbten denselben ganz schwarz, bevor sie ihn tranken; so trauerten sie und mehr konnten sie doch nicht tun.

"Die häßliche Prinzessin!" sagte Johannes. "Sie sollte wirklich die Rute haben, das würde gut tun. Wäre ich nur der alte König, sie sollte schon gegerbt werden."

Da hörten sie das Volk draußen Hurra rufen. Die Prinzessin kam vorbei, und sie war wirklich so schön, daß alle Leute vergaßen, wie böse sie war, deshalb riefen sie Hurra. Zwölf schöne Jungfrauen, allesamt in weißen Seidenkleidern und eine goldene Tulpe in der Hand, ritten auf kohlschwarzen Pferden ihr zur Seite; die Prinzessin selbst hatte ein kreideweißes Pferd, mit Diamanten und Rubinen geschmückt, ihr Reitkleid war von reinem Golde, und die Peitsche, die sie in der Hand hatte, sah aus, als wäre sie ein Sonnenstrahl; die goldene Krone auf dem Haupte war gerade wie kleine Sterne oben vom Himmel, und der Mantel war von mehr als tausend schönen Schmetterlingsflügeln zusammengenäht; dessenungeachtet war sie viel schöner als alle ihre Kleider.

Als Johannes sie zu sehen bekam, wurde er so rot in seinem Antlitz wie ein Blutstropfen, und er konnte kaum ein einziges Wort sagen; die Prinzessin sah ganz so aus wie das schöne Mädchen mit der goldenen Krone, von dem er in der Nacht geträumt hatte, in der sein Vater gestorben war. Er fand sie schön und konnte nicht unterlassen, sie recht zu lieben. Das wäre gewiß nicht wahr; sagte er, daß sie eine böse Hexe sei, welche die Leute hängen oder köpfen ließe, wenn sie nicht raten könnten, was sie von ihnen verlangte. "Ein jeder hat ja die Erlaubnis, um sie zu freien, sogar der ärmste Bettler; ich will wirklich nach dem Schlosse gehen, denn ich kann es nicht unterlassen!" Sie sagten ihm alle, er möge



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es nicht tun, es würde ihm bestimmt wie allen den anderen ergehen. Der Reisekamerad riet ihm auch davon ab, aber Johannes meinte, es würde schon gut gehen, bürstete seine Schuhe und seinen Rock, wusch sein Gesicht und seine Sunde, kämmte sein hübsches gelbes Haar und ging dann ganz allein in die Stadt hinein und nach dem Schlosse.

"Herein!" sagte der alte König, als Johannes an die Tür pochte. Johannes öffnete, und der alte König, im Schlafrock und in gestickten Pantoffeln, kam ihm entgegen; die goldene Krone hatte er auf dem Haupte, das Zepter in der einen Hand und den Reichsapfel in der anderen. "Warte ein bißchen!" sagte er und nahm den Apfel unter den Arm, um Johannes die Hand reichen zu können. Aber sowie er erfuhr, er sei ein Freier, fing er an so zu weinen, daß das Zepter sowohl wie der Apfel auf den Fußboden fielen und er die Augen mit seinem Schlafrock trocknen mußte. Der arme alte Königl

Laß sein!" sagte er, "es geht dir schlecht wie all den andern Nun, du sollst es sehent" Dann führte er Johannes hinaus nach dem Lustgarten der Prinzessin. Da sah es schrecklich aus! Oben in jedem Baum hingen drei, vier Königssöhne, die um die Prinzessin gefreit hatten, die Sachen aber nicht hatten raten können, die sie ihnen aufgegeben hatte. Jedesmal, wenn es wehte, klapperten alle Gerippe, so daß die Keinen Vögel erschraken und nie wieder in den Garten zu kommen wagten; alle Blumen waren an Menschenknochen aufgebunden, und in Blumentöpfen standen Totenköpfe und grinsten. Das war wahrlich ein sonderbarer Garten für eine Prinzessin!



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"Hier kannst du es sehen!" sagte der alte König. "Es wird dir ebenso wie all den anderen ergehen, die du hier siehst. Laß es deshalb lieber sein; du machst mich wirklich unglücklich, denn ich nehme mir das so zu Herzen!"

Johannes küßte dem guten alten Könige die Hand und sagte, es würde schon gut gehen, denn er sei ganz entzückt von der schönen Prinzessin.

Da kam die Prinzessin selbst mit allen ihren Damen in den Schloßhof geritten; sie gingen deshalb zu ihr hinaus und sagten ihr guten Tag. Sie war so wunderschön anzuschauen und reichte Johannes die Hand, und er hielt noch viel mehr von ihr als früher; sie konnte sicher keine schlimme böse Hexe sein, wie alle Leute es ihr nachsagten. Dann gingen sie hinauf inden Saal, und die kleinen Pagen präsentierten ihnen Eingemachtes und Pfeffernüsse, aber der alte König war so betrübt, er konnte gar nichts essen, und die Pfeffernüsse waren ihm auch zu hart.

Es wurde bestimmt, daß Johannes am nächsten Morgen wieder nach dem Schlosse kommen solle, dann würden die Richter und der ganze Rat versammelt sein und hören, wie es ihm beim Raten ergehe. Wenn er gut dabei fahre, so sollte er dann noch zweimal kommen, aber es war noch nie jemand dagewesen, der es das erstemal geraten hatte, sie hatten alle das Leben verloren.

Johannes war gar nicht bekümmert darum, wie ihm ergehen würde, er war vielmehr vergnügt, gedachte nur der schönen Prinzessin und glaubte ganz sicher, der liebe Gott werde ihm schon helfen, aber wie; das wußte er nicht; und wollte lieber gar nicht daran denken. Er tanzte auf der Landsaße dahin, als er nach dem Wirtshause zurückkehrte, wo der Reisekamerad auf ihn wartete.

Johannes konnte nicht fertig damit werden, zu erzählen, wie artig die Prinzessin gegen ihn gewesen und wie schön sie sei; er sehnte sich schon so sehr nach dem nächsten Tage, wo erin das Schloß sollte, um sein Glück mit Raten zu versuchen.

Aber der Reisekamerad schüttelte mit dem Kopfe und war ganz betrübt. "Ich bin dir so gut!" sagte er, "wir hätten noch lange zusammen sein können, und nun soll ich dich schon verlieren! Du armer, lieber Johannes, ich könnte weinen, aber ich will am letzten Abend, den wir vielleicht zusammen sind, deine Freude nicht stören. Wir wollen lustig sein, recht lustig; morgen, wenn du fort bist, kann ich ungestört weinen"

Alle Leute drinnen in der Stadt hatten sogleich erfahren, daß ein neuer Freier der Prinzessin angekommen war; und deshalb herrschte große Betrübnis. Das Schauspielhaus blieb geschlossen, alle Kuchenfrauen banden Flor um ihre Zuckerherzen der König und die Priester lagen auf den Knieen in den Kirchen, es herrschte allgemeine Betrübnis, denn Johannes konnte es ja nicht besser ergehen, als es allen den übrigen Freiern ergangen war.

Gegen Abend bereitete der Reisekamerad eine große Bowle Punsch und sagte



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zu Johannes: "Nun wollen wir recht lustig sein und auf der Prinzessin Gesundheit trinken." Als aber Johannes zwei Gläser voll getrunken hatte, wurde er so schläfrig, daß es ihm unmöglich war, die Augen offen zu halten, er versank in tiefen Schlaf. Der Reisekamerad hob ihn ganz sachte vom Stuhle auf und legte ihn in das Bett hinein, und als es dann dunkle Nacht wurde nahm er die beiden großen Flügel, die er dem Schwane abgehauen hatte, und band sie N seine Schultern fest; die größte Rute, die er von der alten Frau erhalten hatte, welche gefallen war und das Bein gebrochen hatte, steckte er in seine Tasche, öffnete das Fenster und flog so über die Stadt, gerade nach dem Schlosse hin, wo er sich in einen Winkel oben unter das Fenster setzte, welches in die Schlafstube der Prinzessin hineinging.

Es war ganz stille in der ganzen Stadt. Nun schlug die Uhr drei Viertel auf zwölf; das Fenster ging auf, und die Prinzessin flog in einem langen weißen Mantel und mit schwarzen Flügeln über die Stadt weg, hinaus zu einem großen Berge; aber der Reisekamerad machte sich unsichtbar, so daß sie ihn nicht sehen konnte, flog hinterher und peitschte die Prinzessin mit seiner Rute so daß ordens lich Blut floß, wohin er schlug. Ah, das war eine Fahrt durch die Luft! Der Wind faßte ihren Mantel, der sich nach allen Seiten ausbreitete, gleich einem großen Schiffssegel, und der Mond schien durch ihn hindurch.

"Wie es hagelt! Wie es hagelt!" sagte die Prinzessin bei jedem Schlage, den sie von der Rute bekam, und das geschah ihr schon recht. Endlich kam sie hinaus zum Berge und klopfte an. Es rollte gleich dem Donner, indem der Berg sich öffnete, und die Prinzessin ging hinein. Der Reisekamerad folgte ihr; denn niemand konnte ihn sehen, er war unsichtbar. Sie gingen durch einen großen langen Gang, wo die Wände ganz besonders glänzten; es waren über tausend glühende Spinnen, die an der Mauer auf und ab liefen und wie Feuer leuchteten. Dann kamen sie in einen großen Saal, von Silber und Gold erbaut. Blumen, so groß wie Sonnenblumen, rote und blaue, glänzten von den Wänden, aber niemand konnte die Blumen pflücken, denn die Stengel waren häßliche, giftige Schlangen, und die Blumen waren Feuer, welches ihnen aus dem Maule herausbrannte. Die ganze Decke war mit leuchtenden Johanniswürmchen und himmelblauen Fledermäusen bedeckt, welche mit den dünnen Flügeln schlugen; es sah ganz schauerlich aus! Mitten auf dem Fußboden war ein Thron, der von vier Pferdegerippen, welche Zaumzeug von den roten Feuerspinnen aufhatten, getragen wurde; der Thron selbst war von milchweißem Glase, und die Kissen darauf waren kleine schwarze Mäuse, die einander in den Schwanz bissen. Wer dem Throne war ein Dach von rosenroten Spinnweben, mit den niedlichsten kleinen grünen Fliegen besetzt, welche wie Edelsteine glänzten. Mitten auf dem Throne saß ein alter Zauberer, mit einer Krone auf dem häßlichen Kopf und einem Zepter in der Hand. Er küßte die Prinzessin auf ihre Stirn, ließ sie sich



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zu seiner Seite auf den kostbaren Thron setzen, und nun begann die Musik. Große schwarze Heuschrecken spielten die Mundharmonika, und die Eule schlug sich auf den Leib, denn sie hatte keine Trommel. Das war ein possierliches Konzert! Kleine schwarze Kobolde mit einem Irrlicht auf der Mütze tanzten im Saale herum. Niemand aber konnte den Reisekameraden erblicken; er hatte sich gerade hinter den Thron gestellt und hörte und sah alles.

Die Hofleute, die nun hereinkamen, waren fein und vornehm, aber der; welcher ordentlich sehen konnte, merkte wohl, wie es damit zusammenhing. Es waren nichts weiter als Besenstiele mit Kohlköpfen darauf, in die der Zauberer Leben gehext und denen er gestickte Kleider gegeben hatte. Aber das war ja auch gleich, sie wurden doch nur zum Staat gebraucht.

Nachdem nun etwas getanzt worden war, erzählte die Prinzessin dem Zauberer daß sie einen neuen Freier erhalten habe, und fragte deshalb, woran sie wohl denken solle, um ihn am nächsten Morgen danach zu fragen, wenn er nach dem Schlosse komme.

Höre!" sagte der Zauberer, "das will ich dir sagen! Du sollst etwas recht Leichtes wählen, denn so fällt er gar nicht darauf. Denke an deinen einen Schuh. Das rät er nicht. Laß ihm dann den Kopf abhauen, doch vergiß nicht, wenn du morgen nacht wieder zu mir herauskommst, mir seine Augen zu bringen, denn die will ich essen!"

Die Prinzessin verneigte sich ganz tief und sagte, sie werde die Augen nicht vergessen. Der sauberer öffnete nun den Berg, und sie flog wieder zurück; aber der Reisekamerad folgte ihr und prügelte sie so stark mit der Rute, daß sie ganz tief seufzte über das starke Hagelwetter und sich, so sehr sie konnte, beeilte, durch das Fenster in ihre Schlafstube zu gelangen; aber der Reisekamerad flog zum Wirtshause zurück, wo Johannes noch schlief, löste seine Flügel ab und legte sich dann auch auf das Bett, denn er konnte wohl ermüdet sein.

Es war ganz früh am Morgen, als Johannes erwachte; der Reisekamerad stand auch auf und erzählte, daß er diese Nacht einen ganz sonderbaren Traum von der Prinzessin und ihrem Schuh gehabt habe, und bat ihn deshalb, doch zu fragen, ob die Prinzessin nicht an ihren Schuh gedacht haben sollte, denn das es ja, was er von dem Zauberer im Berge gehört hatte.

"Ich kann ebensogut danach als nach etwas anderem fragen", sagte Johannes "vielleicht ist das ganz richtig, was du geträumt hast, denn ich vertraue auf den lieben Gott, der mir schon helfen wird! Aber ich will dir doch Lebewohl sagen, denn wenn ich falsch rate, bekomme ich dich nie mehr zu sehen!"

Dann küßten sie sich, und Johannes ging in die Stadt und nach dem Schlosse. Der ganze Saal war mit Menschen angefüllt, die Richter saßen in ihren Lehnstühlen und hatten Eiderdaunenkissen unter dem Kopfe, denn sie hatten so viel zu denken. Der alte König stand auf und trocknete seine Augen mit einem weißen



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Taschentuche. Nun trat die Prinzessin herein; sie war noch viel schöner als gestern und grüßte alle so lieblich, aber dem Johannes gab sie die Hand und sagte: Guten Morgen, du!"

Nun sollte Johannes raten, woran sie gedacht habe. Gottl wie sah sie ihn freundlich an, aber sowie sie ihn das eine Wort "Schuh" aussprechen hörte wurde sie kreideweiß im Gesicht und zitterte am ganzen Körper; aber das konnte ihr nichts helfen, denn er hatte richtig geraten!

Der Tausend! wie wurde der alte König vergnügt! Er schoß einen Purzelbaum, daß es eine Lust war, und alle Leute klatschten in die Hände für ihn und Johannes, der das erste Mal richtig geraten hatte.

Der Reisekamerad war auch erfreut, als er erfuhr, wie gut es abgelaufen war; aber Johannes faltete seine Hände und dankte seinem Gott, der ihm sicher die beiden anderen Male wieder helfen würde. Am nächsten Tage sollte schon wieder geraten werden.

Der Abend verging ebenso wie der gestrige. Als Johannes schlief, flog der Reisekamerad hinter der Prinzessin her zum Berge hinaus und prügelte sie noch stärker als das vorige Mal, denn nun hatte er zwei Ruten genommen; niemand bekam ihn zu sehen, und er hörte alles. Die Prinzessin wollte an ihren Handschuh denken, und das erzählte er wieder dem Johannes, gerade als ob es ein Traum sei; so konnte Johannes wohl richtig raten, und es verursachte eine große Freude auf dem Schlosse. Der ganze Hof schoß Purzelbäume, gerade so wie sie vom Könige das erste Mal hatten machen sehen; aber die Prinzessin lag auf dem Sofa und wollte nicht ein einziges Wort sagen. Nun kam es darauf an, ob Johannes das dritte Mal richtig raten konnte. Glückte es, so sollte er ja die schöne Prinzessin haben und nach dem Tode des alten Königs das ganze Königreich erben; riet er falsch, so sollte er sein Leben verlieren, und der sauberer würde seine schönen blauen Augen essen.

Den Abend vorher ging Johannes zeitig zu Bett, betete sein Abendgebet und schlief dann ganz ruhig; aber der Reisekamerad band seine Flügel an den Rücken, schnallte den Säbel an seine Seite, nahm alle drei Ruten mit sich, und so flog er nach dem Schlosse.

es war ganz stockfinstere Nacht; es stürmte so, daß die Dachsteine von den Häusern flogen, und die Bäume drinnen im Garten, wo die Gerippe hingen, bogen sich gleich dem Schilfe vom Sturmwind; es blitzte jeden Augenblick und der Donner rollte gerade, als ob es nur ein einziger Schlag sei, der die ganze Nacht währte. Nun schlug das Fenster auf, und die Prinzessin flog heraus; sie war so bleich wie der Tod, aber sie lachte über das böse Wetter, meinte, es sei noch nicht stark genug, und ihr weißer Mantel wirbelte in der Luft herum gleich einem großen Schiffssegel. Aber der Reisekamerad peitschte sie mit seinen drei



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Ruten, daß das Blut auf die Erde tröpfelte und sie zuletzt kaum weiterfliegen konnte. Endlich kam sie doch nach dem Berge.

"Es hagelt und stürmt", sagte sie; "nie bin ich in solchem Wetter ausgewesen

"Man kann auch des Guten zuviel haben", sagte der Zauberer. Nun erzählte sie ihm, daß Johannes auch das zweite Mal richtig geraten habe; wenn er nun dasselbe auch morgen tue, so hätte er gewonnen, und sie könne nie mehr nach dem Berge hinauskommen und werde nie mehr solche Zauberkünste wie früher machen können; deshalb war sie ganz betrübt.

"Er soll es nicht raten können!" sagte der Zauberer. "Ich werde schon etwas erdenken, was er sich nie gedacht hat, oder er müßte ein größerer Zauberer sein als ich. Aber nun wollen wir lustig sein!" Und damit faßte er die Prinzessin bei beiden Händen, und sie tanzten mit all den kleinen Kobolden und Irrlichtern herum, die in dem Zimmer waren; die roten Spinnen sprangen an den Wänden ebenso lustig auf und nieder; es sah aus, als ob Feuerblumen sprühten. Die Eulen schlugen auf die Trommel, die Heimchen pfiffen, und die schwarzen Hem schrecken bliesen die Mundharmonika. Es war ein lustiger Ballt

Als sie nun lange genug getanzt hatten, mußte die Prinzessin nach Hause, sonst wäre sie im Schlosse vermißt worden; der Zauberer sagte, daß er sie begleiten wolle, dann wären sie doch noch unterwegs beisammen.

Dann flogen sie im bösen Wetter davon, und der Reisekamerad schlug seine drei Ruten auf ihren Nücken entzwei; nie war der Zauberer in solchem Hagelwetter ausgewesen. Draußen vor dem Schlosse sagte er der Prinzessin Lebewohl und flüsterte ihr zugleich zu: "Denke an meinen Kopf!" Aber der Reisekamerad hörte es wohl, und gerade in dem Augenblick, als die Prinzessin durch das Fenster in ihr Schlafzimmer schlüpfte und der Zauberer wieder umkehren wollte, ergriff er ihr an seinem langen schwarzen Barte und hieb mit dem Säbel seinen häßliehen Zaubererkopf gerade bei den Schultern ab, so daß der Zauberer ihn nicht einmal selbst zu sehen bekam den Körper warf er hinaus in den See zu den Fischen, doch den Kopf tauchte er nur in das Wasser und band ihn dann in sein seidenes Taschentuch, nahm ihn mit nach dem Wirtshause und legte sich dann schlafen

Am nächsten Morgen gab er Johannes das Taschentuch und sagte ihm dabei, daß er es nicht eher aufknüpfen dürfe, als die Prinzessin frage, woran sie gedacht habe.

Es waren so viele Menschen in dem großen Saale auf dem Schlosse, daß sie so dicht standen wie Radieschen, die in ein Bund zusammengeknüpft sind. Der Rat saß in seinen Stühlen mit den weichen Kopfkissen, und der alte König hatte neue Kleider an, die goldene Krone und das Zepter waren poliert; es sah ganz feierlich aus; aber die Prinzessin war ganz bleich und hatte ein kohlschwarzem Kleid an, als gehe sie zum Begräbnis.



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"Woran habe ich gedachte" fragte sie Johannes, und sogleich band er das Taschentuch auf und erschrak selbst ganz gewaltig, als er das häßliche Zauberei haupt erblickte. Es schauderte allen Menschen, denn es war schrecklich anzusehen, aber die Prinzessin saß gerade wie ein Steinbild und konnte nicht ein einziges Wort sagen; zuletzt erhob sie sich und reichte Johannes die Hand, denn er hatte ja richtig geraten; sie sah weder auf ihn noch auf irgend jemand anders, sondern seufzte ganz laut: "Nun bist du mein Herr! Diesen Abend wollen wir Hochzeit halten!"

"Das gefällt mir!" sagte der alte König; "so wollen wir es haben!" Alle Leute riefen Hurra, die Wachtparade machte Musik in den Straßen, die Glocken läuteten, und die Kuchenfrauen nahmen den schwarzen Flor von ihren Zuckerherzen, denn nun herrschte Freude. Drei ganze gebratene Ochsen, mit Enten und Hühnern gefüllt, wurden mitten auf den Markt gesetzt jeder konnte sich ein Stück abschneiden; in den Wasserkünsten sprudelte der schönste Wein, und kaufte man eine Schillingsbrezel beim Bäcker, so bekam man sechs große Zwiebacke als Zugabe, und den Zwieback mit Rosinen darin.

Am Abend war die ganze Stadt erleuchtet, und die Soldaten schossen mit Kanonen und die Knaben mit Knallerbsen, und wurde gegessen und getrunken, angestoßen und gesprungen oben im Schlosse, alle die vornehmen Herren und schönen Fräuleins tanzten miteinander; man konnte in weiter Ferne hören, wie sie sangen:

Hier sind viel hübsche Mädchen,
Die gerne tanzen rund herum,
Drehn sich wie Spinnerädchen;
Hübsches Mädelchen, dreh dich um!
Tanzt und springet immerzu,
Bis die Sohle fällt vom Schul)!

Aber die Prinzessin war ja noch eine Hexe und mochte Johannes gar nicht leiden; das fiel dem Reisekameraden ein, und deshalb gab er Johannes drei Federn aus den Schwanenflügeln und eine kleine Flasche mit einigen Tropfen darin, sagte ihm dann, daß er ein großes Faß, mit Wasser gefüllt, vor das Bett der Prinzessin setzen lassen solle, und wenn die Prinzessin hineinsteigen wolle; solle er ihr einen kleinen Stoß geben, so daß sie in das Wasser hinunterfalle; wo er sie dreimal untertauchen müsse, nachdem er vorher die Federn und die Tropfen hineingeschüttet habe; dann würde sie ihre Zauberei verlieren und ihn recht lieb haben.

Johannes tat alles, was der Reisekamerad ihm geraten hatte. Die Prinzessin schrie ganz laut, indem er sie unter das Wasser tauchte, und zappelte ihm unter den Händen als ein großer schwarzer Schwan mit funkelnden Augen; als sie das zweite Mal wieder über das Wasser heraufkam, war der Schwan weiß; bis auf



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einen schwarzen Ring um den Hals. Johannes betete fromm zu Gott und ließ das Wasser das dritte Mal über den Vogel zusammenschlagen, und im selben Augenblick wurde dieser in die schönste Prinzessin verwandelt. Sie war noch schöner als zuvor und dankte ihm mit Tränen in ihren herrlichen Augen, daß er ihre Bezauberung gehoben habe.

Am nächsten Morgen kam der alte König mit seinem ganzen Hofstaate, und da gab es ein Gratulieren bis spät in den Tag hinein. Zu allerletzt kam der Reisekamerad; kamerad; er hatte seinen Stock in der Hand und das Ränzel auf dem Nücken. Johannes küßte ihn viele Male und sagte, er dürfe nicht fortreisen, er solle bei ihm bleiben, denn er sei ja die Ursache seines ganzen Glückes. Aber der Reisekamerad schüttelte mit dem Kopfe und sagte so mild und freundlich: "Nein, nun ist meino Zeit um. Ich habe nur meine Schuld bezahlt. Erinnerst du dich des toten Mannes, dem die bösen Menschen Übles tun wollten? Du gabst alles, was du besaßest, damit er Ruhe in seinem Grabe haben könnte. Der Tote bin ich!"

Zu gleicher Zeit war er verschwunden

Die Hochzeit währte nun einen ganzen Monat. Johannes und die Prinzessin liebten einander innig, und der alte König erlebte manche frohe Tage und ließ ihre kleinen Kinderchen auf seinen Knieen reiten und mit seinem Zepter spielen; aber Johannes wurde König über das ganze Land.


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