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H. C. Andersens Märchen


Herausgegeben von


Dr. Karl Martin Schiller

Mit den Abbildungen Holzschnitte nach Originalzeichnungen von


Ludwig Richter, Graf Pocci, Theodor Hosemann und Raymond de Baux und 12 Kunstblättern von Otto Speckter und Graf Pocci


Leipzig F. W. Hendel Verlag 1927


Der kleine Klaus und der große Klaus

In einem Dorfe wohnten zwei Leute, die beide denselben Namen hatten, alle beide hießen sie Klaus. Aber der eine besaß vier Pferde und der andere nur ein einziges Pferd; um sie nun voneinander unterscheiden zu können, nannte man den, der vier Pferde besaß, den großen Klaus, und den, der nur ein Pferd hatte, den kleinen Klaus. Nun wollen wir hören, wie es den beiden erging, denn es ist eine wahre Geschichte.

Die ganze Woche hindurch mußte der kleine Klaus für den großen Klaus pflügen und ihm sein einziges Pferd leihen; dann half der große Klaus ihm wieder mit allen seinen vieren, aber nur einmal wöchentlich, und das war des Sonntags. Hussa, wie klatschte der kleine Klaus mit seiner Peitsche über alle fünf Pferde! Sie waren ja nun so gut wie sein an dem einen Tage. Die Sonne schien so herrlich, und alle Glocken im Kirchturme läuteten zur Kirche, die Leute waren alle so geputzt und gingen mit dem Gesangbuche unter dem Arme, den Prediger zu hören, und sie sahen den kleinen Klaus, der mit fünf Pferden pflügte, und er war so vergnügt, daß er wieder mit der Peitsche klatschte und rief: "Hü, alle meine Pferde!"

"So mußt du nicht sprechen," sagte der große Klaus, "das eine Pferd ist nur dein!"

Aber als wieder jemand vorbeiging, vergaß der kleine Klaus, daß er es nicht sagen sollte, und da rief er: "Hü, alle meine Pferde!"

"Ja, nun ersuche ich dich, es bleiben zu lassen!" sagte der große Klaus; "denn sagst du es noch einmal, so schlage ich dein Pferd vor den Kopf, daß es auf der Stelle tot ist, dann ist es mit ihm aus!"

"Ich will es wahrlich nicht mehr sagen!" sagte der kleine Klaus, aber als da Leute vorbeikamen und ihm guten Tag zunickten, wurde er so erfreut und



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dachte, es sähe doch recht gut aus, daß er fünf Pferde habe, sein Feld zu pflügen, und da klatschte er mit der Peitsche und rief: "Hü, alle meine Pferde!"

"Ich werde deine Pferde hüen!" sagte der große Klaus und nahm den Spannstrickhammer und schlug des kleinen Klaus einziges Pferd vor den Kopf, so daß es umfiel und tot war.

"Ach, nun habe ich gar kein Pferd mehrt" sagte der kleine Klaus und fing an zu weinen. Später zog er dem Pferde die haut ab und ließ sie gut im Winde trocknen, steckte sie dann in einen Sack, den er auf der Schulter trug, und machte sich nach der Stadt auf den Weg, um seine Pferdehaut zu verkaufen.

Er hatte einen sehr weiten Weg zu gehen, mußte durch einen großen dunklen Wald, und nun wurde es gewaltig schlechtes Wetter; er verirrte sich gänzlich und ehe er wieder auf den rechten Weg kam, war es Abend und allzuweit; um zur Stadt oder wieder nach Hause zu gelangen, bevor es Nacht wurde.

Dicht am Wege lag da ein großer Bauernhof; die Fensterladen waren draußen vor den Fenstern geschlossen, aber das Licht konnte doch darüber hinaugscheiaen. "Da werde ich wohl Erlaubnis erhalten können, die Nacht über zu bleiben" dachte der kleine Klaus und ging hin, um anzuklopfen.

Die Bauersfrau machte auf; aber als sie hörte, was er wollte, sagte sie, er möge seiner Wege gehen, ihr Mann sei nicht zu Hause und sie nähme keine Fremden auf.

"Nun, so muß ich draußen liegenbleiben", sagte der kleine Klaus, und die Bauersfrau schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

Dicht daneben stand ein großer Heuschober, und zwischen diesem und dem Hause war ein kleiner Schuppen mit einem flachen Strohdache gebaut.

"Da oben kann ich liegen!" sagte der kleine Klaus, als er das Dach erblickte; "das ist ja ein herrliches Bett. Der Storch fliegt wohl nicht herunter und beißt mich in die Beine." Denn da stand ein lebendiger Storch oben auf dem Dache; wo er sein Nest hatte.

Nun kroch der kleine Klaus oben auf den Schuppen hinauf, wo er lag und sich drehte, um recht gut zu liegen. Die hölzernen Laden vor den Fenstern schlossen oben nicht zu, und so konnte er gerade in die Stube hineinblicken.

Da war ein großer Tisch gedeckt mit Wein und Braten und ein herrlicher Fisch darauf, die Bauersfrau und der Küster saßen bei Tisch und sonst niemand anders, sie schenkte ihm ein, und er gabelte in den Fisch, denn das war sein Leibgericht.

"Wer doch etwas davon abbekommen könnte!" dachte der kleine Klaus und streckte den Kopf gerade gegen das Fenster. Gott, welchen herrlichen Kuchen sah er daim simmer stehen! Ja, das war ein Fest!

Nun hörte er jemand von der Landstraße her gegen das Haus geritten kommen; das war der Mann der Bauersfrau, der nach Hause kam.



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Das war ein ganz guter Mann, aber er hatte die wunderliche Eigenheit; daß er es nie ertragen konnte, einen Küster zu sehen; kam ihm da ein Küster vor die Augen, so wurde er ganz rasend. Deshalb war es auch, daß der Küster zu seiner Frau hineingegangen war, um ihr guten Tag zu sagen, weil er wußte, daß der Mann nicht zu Hause sei, und die gute Frau setzte ihm deshalb all das herrliche Essen vor, das sie hatte. Als sie nun den Mann kommen hörten, erschraken sie sehr, und die Frau bat den Küster, in eine große leere Kiste hineinzukriechen, denn er wußte ja, daß der arme Mann es nicht ertragen konnte, einen Küster zu sehen. Die Frau versteckte geschwind all das herrliche Essen und den Wein in ihren Backofen, denn hätte der Mann das zu sehen bekommen, so hatte er sicher gefragt; was zu bedeuten habe.

"Ach ja!" seufzte der kleine Klaus oben auf seinem Schuppen, als er all das Essen verschwinden sah.

"Ist jemand dort oben?" fragte der Bauer und sah nach dem kleinen Klaus hinauf. "Weshalb liegst du dort? Komm lieber mit in die Stube!"

Nun erzählte der kleine Klaus, wie er sich verirrt habe, und bat, daß er die Nacht über bleiben dürfe.

"Ja freilich!" sagte der Bauer, "aber wir müßten zuerst etwas zu leben haben!"

Die Frau empfing beide sehr freundlich, deckte einen langen Tisch und gab ihnen eine große Schüssel voll Grütze. Der Bauer war hungrig und ass mit rechtem Appetit, aber der kleine Klaus konnte nicht unterlassen, an den herrlichen Braten, den Fisch und den Kuchen, welche er im Ofen wußte, zu denken.

Unter den Tisch zu seinen Fußen hatte er den Sack mit der Pferdehaut gelegt, denn wir wissen ja, daß er ihrethalben ausgegangen war, um sie in der Stadt zu verkaufen. Die Grütze wollte ihm nicht schmecken, und da trat er auf seinen sack, und die trockene Haut im Sacke knarrte ganz laut.

"St!" sagte der kleine Klaus zu seinem Sacke, trat aber zu gleicher Zeit wieder darauf: da knarrte es weit lauter als zuvor.

"Ei, was hast du in deinem Sacke?" fragte der Bauer darauf.

"Oh, es ist ein Zauberer!" sagte der kleine Klaus; "er sagt, wir sollten doch keine Grütze essen, er hat den ganzen Ofen voll von Braten, Fischen und Kuchen gehext."

"Ei der Tausend!" sagte der Bauer und machte schnell den Ofen auf, wo er all die prächtigen leckeren Speisen erblickte, welche d:e Frau dort verborgen hatte; die aber, wie er glaubte, der Zauberer im Sacke für sie hergehen habe. Die Frau durfte nichts sagen, sondern setzte sogleich die Speisen auf den Tisch, und so aßen beide vom Fisch, vom Braten und von dem Kuchen. Nun trat der kleine Klaus wieder auf seinen Sack, daß die Haut knarrte.

"Was sagt er jetzt?" fragte der Bauer.



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"Er sagt," erwiderte der kleine Klaus, "daß er auch drei Flaschen Wein uns hergehert hat; sie stehen dort in der Ecke beim Ofen!" Nun mußte die Frau den Wein hervorholen, den sie verborgen hatte, und der Bauer trank und wurde lustig. Einen solchen sauberer, wie der kleine Klaus im Sacke hatte, hätte er doch gar zu gern gehabt.

"Kann er auch den Teufel hervorhexen?" fragte der Bauer. "Ich möchte wohl sehen, denn nun bin ich lustig!"

"Ja," sagte der kleine Klaus, "mein Zauberer kann alles, was ich verlange. Nicht wahr, du?" fragte er und trat auf den Sack, daß es knarrte. "Hörst du; er sagt ja! Aber der Teufel sieht so häßlich aus, wir wollen ihn lieber nicht sehent"

"O mir ist gar nicht bange; wie mag er wohl aussehens"

"Ja, er wird sich ganz leibhaftig als ein Küster zeul"

"Hu!" sagte der Bauer, "das ist häßlich! Ihr müßt wissen, ich kann nicht ertragen, einen Küster zu sehen! Ader es macht nichts, ich weiß ja, daß es der Teufel ist, so werde ich mich wohl leichter darein finden! Nun habe ich Mut! Aber er darf mir nicht zu nahe kommen!"

"Nun, ich werde meinen sauberer fragen", sagte der kleine Klaus, trat auf den sack und hielt sein Ohr hin.

"Was sagt er?"

"Er sagt, Ihr könnt hingehen und die Kiste aufmachen, die dort in der Ecke steht, so werdet Ihr den Teufel sehen, wie er darin kauert, aber Ihr müßt Deckel halten, daß er nicht entwischt."

"Wollt Ihr mir helfen, ihn zu halten?" bat der Bauer und ging zu der Kiste hin, wo die Frau den wirklichen Küster verborgen hatte, der darin saß und sich sehr fürchtete.

Der Bauer öffnete den Deckel ein wenig und sah unter ihn hinein. "Hui" schrie er und sprang zurück. "Ja, nun habe ich ihn gesehen, er sah ganz aus wie unser Küster! Nein, das war schrecklich!"



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Darauf mußte getrunken werden, und so tranken sie denn noch bis lange in die Nacht hinein.

"Den Zauberer mußt du mir verkaufen", sagte der Bauer; "verlange dafür alles, was du willst! Ja, ich gebe dir gleich einen ganzen Scheffel Geld!"

"Nein, das kann ich nicht!" sagte der kleine Klaus. "Bedenke dach, wie vielen Nutzen ich von diesem sauberer haben kann!" "Ach, ich möchte ihn so gern haben", sagte der Bauer und fuhr fort zu bitten.

"Ja," sagte der kleine Klaus zuletzt, "da du so gut gewesen bist, mir diese Nacht Obdach zu gewähren, so mag es darum sein; du sollst den Zauberer für einen Scheffel Geld haben, aber ich will den Scheffel gehäuft voll haben."

"Das sollst du bekommen," sagte der Bauer; "aber die Kiste dort mußt du mit dir nehmen, ich will sie nicht eine Stunde im Hause behalten, man kann nicht wissen, vielleicht sitzt er noch darin."

Der kleine Klaus gab dem Bauer seinen Sack mit der trockenen .Sant darin und bekam einen ganzen Scheffel Geld, gehäuft gemessen, dafür. Der Bauer schenkte ihm sogar noch eine große Karre, um das Geld und die Kiste darauf fortzufahren.

"Lebe wohl!" sagte der Keine Klaus, und da fuhr er mit seinem Gelde und der großen Kiste, in der noch der Kuster s iss, davon.

Auf der anderen Seite des Waldes war ein großer, tiefer Fluß, das Wasser floß so reißend darin, daß man kaum gegen den Strom anschwimmen konnte; man hatte eine große neue Brücke darüber geschlagen. Der kleine Klaus hielt mitten auf derselben an und sagte ganz laut, damit der Küster in der Kiste es hören könne:

"Nein, was soll ich doch mit der dummen Kiste machen? Sie ist so schwer, als ob Steine darin wären! Ich werde nur müde davon, sie weiter zu fahren; ich will sie deshalb in den Fluß werfen; schwimmt sie zu mir nach Hause, so ist es gut, und tut sie es nicht, so bleibt es sich auch gleich."

Nun faßte er die Kiste mit der einen Hand an und hob sie ein wenig auf, gerade als ob er sie in das Wasser werfen wollte.

"Nein, laß das sein!" rief der Küster innerhalb der Kiste. "Laß mich erst heraus!"

"Hu!" sagte der kleine Klaus und tat, als fürchte er sich. "Er sitzt noch darin! Da muß ich ihn geschwind in den Fluß werfen, damit er ertrinkt!"

"O nein, o nein!" rief der Küster, "ich will dir einen ganzen Scheffel Geld geben, wenn du mich gehen läßt!"

"Ja, das ist etwas anderes!" sagte der kleine Klaus und machte die Kiste auf. Der Küster kroch schnell heraus, stieß die leere Kiste in das Wasser hinaus und ging nach seinem Hause, wo der kleine Klaus einen ganzen Scheffel Geld



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bekam; einen hatte er ja schon von dem Bauer erhalten, nun hatte er also seine ganze Karre voller Geld.

"Sieh, das Pferd erhielt ich ganz gut bezahlt!" sagte er zu sich selbst, als er zu Hause in seiner eigenen Stube war und alles Geld auf einen Berg mitten in der Stube ausschüttete. "Das wird den großen Klaus ärgern, wenn er erfährt; wie reich ich durch mein einziges Pferd geworden bin, aber ich will es ihm doch nicht gerade rein heraus sagen!"

Nun sandte er einen Knaben zum großen Klaus hin, um sich ein Scheffelmaß zu leihen.

"Was mag er wohl damit wollen!" dachte der große Klaus und schmierte Teer unter den Boden desselben, damit von dem, was gemessen wurde, etwas daran hängen bleiben könnte. Das tat denn auch, denn als er das Scheffelmaß zurückerhielt, hingen drei neue silberne Achtschillingstücke daran.

"Was ist das?" sagte der große Klaus und lief sogleich zu dem kleinen. "Wo hast du all das viele Geld herbekommen?"

"Oh, das für meine Pferdehaut. Ich verkaufte sie gestern abend!"

"das war wahrlich gut bezahlt!" sagte der große Klaus, lief geschwind nach Hause, nahm eine Axt und schlug alle seine vier Pferde vor den Kopf, zog ihnen die Haut ab und fuhr mit diesen Häuten zur Stadt.

"Häute! Häute! Wer will Häute kaufen?" rief er durch die Straßen.

Alle Schuhmacher und Gerber kamen gelaufen und fragten, was er dafür haben wolle.

"Einen Scheffel Geld für jede", sagte der große Klaus.

"Bist du toll?" riefen alle, "glaubst du, wir hätten Geld scheffelweise?"

"Häute, .häute! Wer will Häute kaufen!" rief er wieder; aber allen denen, welche ihn fragten, was die Häute kosten sollten, erwiderte er: "Einen Scheffel Geld."

"Er will uns foppen", sagten alle, und da nahmen die Schuhmacher ihre Spannriemen und die Gerber ihre Schurzfelle und fingen an, auf den großen Klaus loszuprügeln.

"Häute, Häute!" riefen sie ihm nach, "ja, wir wollen d ;r die Haut gerben! Hinaus aus der Stadt mit ihm!" riefen sie, und der große Klaus mußte sich sputen, was er nur konnte, so war er noch nie durchgeprügelt worden.

"Sal" sagte er, als er nach Hause kam, "das soll der kleine Klaus bezahlt erhalten! Ich will ihn dafür totschlagen!"

Aber zu Hause beim kleinen Klaus war die alte Großmutter gestorben; sie war freilich recht böse und schlimm gegen ihn gewesen, aber er war doch ganz betrübt und nahm die tote Frau und legte sie in sein warmes Bett, um zu sehen, ob sie nicht zum Leben zurückkehren möchte; da sollte sie die ganze Nacht liegen,



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vacat



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er selbst wollte im Winkel sitzen und auf einem Stuhl schlafen, das hatte er schon früher getan.

Als er nun da in der Nacht saß, ging die Tür auf, und der große Klaus kam mit seiner Axt herein; er wußte wohl, wo des kleinen Klaus Bett stand, ging gerade darauf los und schlug nun die alte Großmutter vor den Kopf, indem er glaubte, dast es der kleine Klaus sei.

"Sieh so!" sagte er, "nun sollst du mich nicht mehr zum besten haben!" Und dann ging er wieder nach Hause.

"Das ist doch ein recht böser Mann!" sagte der kleine Klaus; "da wollte er mich totschlagen! Es war doch gut für die alte Mutter, daß sie schon tot war; sonst hätte er ihr das Leben genommen!"

Nun legte er der alten Großmutter Sonntagskleider an, lich sich von seinem Nachbar ein Pferd, spannte es vor den Wagen und setzte die alte Großmutter auf den hintersten Sitz, so daß sie nicht hinausfallen konnte, wenn er fuhr, und so rollten sie von dannen durch den Wald. als die Sonne aufging, waren sie vor einem großen Wirtshause, da hielt der kleine Klaus an und ging hinein, um etwas zu genießen.

Der Wirt hatte so vieles, vieles Geld, er war auch ein recht guter, aber hitziger Mann, als wären Pfeffer und Tabak in ihm.

"Guten Morgen!" sagte er zum kleinen Klaus. "Du bist heute früh ins Zeug gekommen!"

"Ja," sagte der kleine Klaus, "ich will mit meiner alten Großmutter zur Stadt; sie sitzt da draußen auf dem Wagen, ich kann sie nicht in die Stube hereinbringen. Wollt Ihr der Frau nicht ein Glas Met geben? Aber Ihr müßt recht lant sprechen, denn sie kann nicht gut hören."

"Ja, das will ich tun!" sagte der Wirt und schenkte ein großes Glas Met ein, mit der er zur toten Großmutter hinausging, welche in dem Wagen aufrecht gesetzt war.

Hier ist ein Glas Met von Eurem Sohne!" sagte der Wirt aber die tote Frau erwiderte kein Wort, sondern saß ganz stille.

"Hört Ihr nicht?" rief der Wirt, so laut er konnte. "Hier ist ein Glas Met von Eurem Sohne!"

Noch einmal rief er dasselbe, und dann noch einmal, aber da sie sich durchaus nicht von der Stelle rührte, wurde er ärgerlich und warf ihr das Glas in das Gesicht, so daß ihr der Met gerade über die Nase lief und sie hintenüber in den Wagen fiel, denn sie war nur aufgesetzt und nicht festgebunden.

"Heda! rief der kleine Klaus, sprang zur Tür heraus und packte den Wirt an der Brust, "da hast du meine Großmutter erschlagen! Siehst du, da ist ein großes Loch in ihrer Stirn!"

"Oh, das ist ein Unglück!" rief der Wirt und schlug die Hände über dem Kopf



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zusammen; "das kommt alles von meiner Heftigkeit! Lieber kleiner Klang, ich will dir einen Scheffel Geld geben und deine Großmutter begraben lassen, als wäre es meine eigene, aber schweig nur still, sonst wird mir der Kopf abgeschlagen, und das wäre doch zu arg!"

So bekam der kleine Klaus einen ganzen Scheffel Geld, und der Wirt begrub die alte Großmutter so, als ob es seine eigene gewesen wäre.

Als nun der kleine Klaus wieder mit dem vielen Gelde nach Hause kam, schickte er gleich seinen Knaben hinüber zum großen Klaus, um ihn bitten zu lassen, ihm ein Scheffelmaß zu leihen.

"Was ist das?" sagte der große Klaus, "ich habe ihn nicht totgeschlagen? Da muß ich doch selbst nachsehen!" Und so ging er selbst mit dem Scheffel hinüber zum kleinen Klaus.

"Nein, wo hast du doch all das Geld herbekommen?" fragte er und riß die Augen auf, als er alles das erblickte, was noch hinzugekommen war.

"Du hast meine Großmutter, aber nicht mich erschlagene" sagte der kleine Klaus. "Die habe ich nun verkauft und einen Scheffel Geld dafür bekommen!"

"Das ist wahrlich gut bezahlt!" sagte der große Klaus und eilte nach Hause, nahm eine Axt und schlug gleich seine alte Großmutter tot, legte sie auf den Wagen, fuhr mit ihr zur Stadt, wo der Apotheker wohnte, und fragte, ob er einen toten Menschen kaufen wolle.

"Wer ist es, und wo habt Ihr ihn her?" fragte der Apotheker;

"Es ist meine Großmutter!" sagte der große Klaus. "Ich habe sie totgeschlagen um einen Scheffel Geld dafür zu bekommen!"

"Gott bewahre uns!" sagte der Apotheker. "Ihr sprecht irre! Sagt doch nicht dergleichen, sonst könnt Ihr den Kopf verlieren!" Und nun sagte er ihm gehörig, was das für eine böse Tat sei, die er begangen habe, und was für ein schlechter Mensch er sei, und daß er bestraft werden müsse. Da erschrak der große Klaus so sehr, daß er von der Apotheke gerade in den Wagen sprang, auf die Pferde schlug und nach Hause fuhr; aber der Apotheker und alle Leute glaubten, er sei verrückt, und deshalb ließen sie ihn fahren, wohin er wollte.

"Das sollst du mir bezahlen!" sagte der große Klaus, als er draußen auf der Landstraße war. "Ja, das sollst du mir büßen, kleiner Klaus!" Sobald er nach Hause kam, nahm er den größten Sack, den er finden konnte, ging hinüber zum kleinen Klaus und sagte: "Nun hast du mich wieder gefoppt; erst schlug ich meine Pferde tot, dann meine alte Großmutter, das ist alles deine Schuld; aber du sollst mich nie mehr foppen!" und da packte er den Keinen Klaus um den Leib und steckte ihn in seinen Sack, nahm ihn so auf seinen Rücken und rief ihm zu: "Nun gehe ich und ertränke diehl"

Es war ein weiter Weg, den er zu gehen hatte, bevor er zu dem Fusse kam, und der kleine Klaus war nicht so leicht zu tragen Der Weg ging dicht bei der



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Kirche vorbei, die Orgel ertönte, und die Leute sangen so schön darinnen! Da setzte dee große Klaus seinen Sack mit dem kleinen Klaus darin dicht bei der Kirchentüre nieder und dachte, es könne wohl ganz gut sein, hineinzugehen und einen Psalm zu hören, ehe er weiter ginge; der kleine Klaus konnte ja nicht herauskommen, und alle Leute waren in der Kirche. So ging er denn hinein.

"Ach Gott, ach Gottl" seufzte der kleine Klaus im Sacke und drehte und wandte sich, aber es war ihm nicht möglich, das Band aufzulösen. Da kam ein alter, alter Viehtreiber daher mit schneeweißem Haare und einem großen Stab in der Hand; er trieb eine ganze Herde Kühe und Stiere vor sich her, die liefen an den sack, in dem der kleine Klaus saß, so daß er umgeworfen wurde.

"Ach Gottl" seufzte der kleine Klaus, "ich bin noch so jung und soll schon ins Himmelreich!"

"Und ich Armer," sagte der Viehtreiber, "ich bin schon so alt und kann noch immer nicht dahin kommen!"

"Mache den sack auf," rief der kleine Klaus, "krieche statt meiner hinein, so kommst du sogleich ins Himmelreich!"

"Ja, das will ich herzlich gern", sagte der Viehtreiber und band den Sack auf, aus dem der kleine Klaus sogleich heraussprang.

"Willst du nun auf das Vieh achtgeben?" sagte der alte Mann und kroch dann in den Sack hinein, den der kleine Klaus zuband, und dann zog er mit allen Kühen und Stieren seines Weges weiter.

Bald darauf kam. der große Klaus aus der Kirche. Er nahm wieder seinen sack auf den Nücken, obgleich es ihm schien, als wäre er leichter geworden, denn der alte Viehtreiber war nicht mehr als nur halb so schwer als der kleine Klaus. "Wie leicht ist er doch zu tragen geworden! Ja, das kommt daher, daß ich einen Psalm gehört hadel" So ging er nach dem Flusse, der tief und groß war, warf den sack mit dem alten Viehtreiber ino Wasser und rief hinterdrein, denn er glaubte ja, daß es der kleine Klaus see "Sieh so; nun sollst du mich nicht mehr foppen!"

Drauf ging er nach Hause, aber als er an die Stelle kam, wo der Weg sich kreuzte, begegnete er dem kleinen Klaus, welcher mit all seinem Vieh dahergezogen kam.

"Was ist dass" sagte der große Klaus. "Habe ich dich nicht ertränkte"

"Ja," sagte der kleine Klaus, "du warfst mich ja vor einer kleinen halben Stunde in den Fluß hinunter!"

"Aber wo hast du all das herrliche Vieh herbekommen?" fragte der große Klaus.

"Das ist Seevieh!" sagte der Keine Klaus. "Ich will dir die ganze Geschichte erzählen und dir Dank sagen, daß du mich ertränkt hast, ich bin ja nun obenauf, denn ich bin wahrhaft reicht Mir war so bange, als ich im Sacke steckte,



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und der Wind pfiff mir um die Ohren, als du mich von der Brücke hinunter in das kalte Wasser warfst. Ich sank sogleich zu Boden, aber ich stieß mich nicht, denn da unten wächst das schönste weiche Gras. Darauf fiel ich, und sogleich wurde der Sack geöffnet, und das lieblichste Mädchen in schneeweißen Kleidern und mit einem grünen Kranz um das nasse Haar nahm mich bei der Hand und sagte: ,Bist du da, kleiner Klaus? Da hast du zuerst einiges Vieh; eine Meile weiter auf dem Wege steht noch eine ganze Herde, die ich dir schenken willi Nun sah ich, daß der Fluß eine große Landstraße für das Meervolk bildete Unten auf dem Grunde gingen und fuhren sie gerade von der See her und ganz hinein in das Land, bis wo der Fluß endet. Da war es so schön von Blumen und dem frischesten Gras; die Fische, welche im Wasser schwammen, schossen mir an den Ohren vorüber, gerade so wie hier die Vögel in der Luft. Was gab es da für hübsche Leute, und was war da für Vieh, das an Gräben und Wällen weidete!"

"Aber weshalb bist du gleich wieder zu uns heraufgekommen?" fragte der große .Klaus. "Das hätte ich nicht getan, wenn so schön dort unten ist!"

"Ja," sagte der kleine Klaus, "das ist gerade klug von mir gehandelt. Du hörst ja wohl, daß ich dir erzähle: die Seejungfrau sagte mir, eine Meile weiter auf dem Wege — und mit dem Wege meinte sie ja den Fluß, denn sie kann nirgend anders hinkommen — stehe noch eine ganze Herde Vieh für mich. Aber ich weiß, was der Fluß für Krümmungen macht, bald hier, bald dort, das ist ein weiter Umweg. Nein, so macht man es kürzer ab, wenn man hier auf das Land kommt und treibt querüber wieder zum Flusse; dabei spare ich ja fast eine halbe Weile und komme schneller zu meinem Biehl"

"Oh, du bist ein glücklicher Mann!" sagte der große Klang. "Glaubst du, daß ich auch Seevieh erhielte, wenn ich auf den Grund des Flusses kämet"

"Ja, das denke ich wohl", sagte der kleine Klaus; "aber ich kann dich nicht im Sacke bis zum Flusse tragen, du bist mir zu schwer! Willst du selbst dahin gehen und dann in den sack kriechen, so werde ich dich mit dem größten Vergnügen hineinwerfen."

"Ich danke dir!" sagte der große Klaus. "Aber erhalte ich kein Seevieh, wenn ich hinunterkomme, so glaube mir, werde ich dich tüchtig prügeln!"

"O nein, mache es nur nicht so schlimm!" Und da gingen sie zum Flusse hin. Als das Vieh, welches durstig war, das Wasser erblickte, lief es, was es nur konnte, um hinunter zum Trinken zu gelangen

"Sieh, wie es sich sputet!" sagte der Keine Klaus. "Es verlangt darnach, wieder auf den Grund zu kommen!"

Ja, hilf mir nun erst!" sagte der große Klaus, "sonst bekommst du Prügel!" Und so kroch er in den großen sack, der quer über dem Rücken eines der Stiere gelegen hatte.



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"Lege einen Stein hinein, ich fürchte, daß ich sonst nicht untersinke", sagte der große Klaus.

"Es geht schon!" sagte der Seine Klaus, legte aber doch einen großen Stein in den Sack, knüpfte das Band fest zu, und dann stieß er daran. Plumps! da lag der große Klaus in dem Flusse und sank sogleich hinunter auf den Grund.

"Ich fürchte, er wird das Vieh nicht finden!" sagte der Keine Klaus und trieb dann heim mit dem, was er hatte.


Copyright: arpa, 2015.

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