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Kapitel 

H. C. Andersens Märchen


Herausgegeben von


Dr. Karl Martin Schiller

Mit den Abbildungen Holzschnitte nach Originalzeichnungen von


Ludwig Richter, Graf Pocci, Theodor Hosemann und Raymond de Baux und 12 Kunstblättern von Otto Speckter und Graf Pocci


Leipzig F. W. Hendel Verlag 1927


Das Liebespaar

Ein Kreisel und ein Ball lagen im Kasten beisammen unter anderem Spielzeug, und da sagte der Kreisel zum Ball: "Wollen wir nicht Brautleute sein, da wir doch in dem Kasten zusammen liegen?" Aber der Ball, welcher von Saffian genäht war, und der sich so viel einbildete als ein feines Fräulein, wollte auf dergleichen nicht anwortete

Am nächsten Tage kam der kleine Knabe, dem das Spielzeug gehörte; er bemalte den Kreisel rot und gelb und schlug einen Messingnagel mitten hinein; dies sah gerade recht prächtig aus, wenn der Kreisel sich herumdrehte.

"Sehen Sie mich am" sagte er zum Ball. "Was sagen Sie nun? Wollen wir nun nicht Brautleute sein, wir passen so gut zueinander. Sie springen und ich tanze! Glücklicher als wir beide würde niemand werden können."

"So, glauben Sie dass" sagte der Ball. "Sie wissen wohl nicht, daß mein Vater und meine Mutter Saffianpantoffeln gewesen sind, und daß ich einen Kork im Leibe hadel"

"Ja, aber ich bin von Mahagoniholz," sagte der Kreisel, "und der Stadtrichter hat mich selbst gedrechselt; er hat seine eigene Drechselbank, und es hat ihm viel Vergnügen gemacht.

"Kann ich mich darauf verlassen?" fragte der Ball.

"Möge ich niemals Peitsche bekommen, wenn ich lüge", erwiderte der Kreises

"Sie wissen gut für sich zu sprechen," sagte der Ball, "aber ich kann doch nicht, ich bin mit einer Schwalbe so gut wie versprochen! Jedesmal, wenn ich in die Luft fliege, steckt sie den Kopf zum Neste heraus und fragt: ,Wollen Sie?



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und nun habe ich innerlich ja gesagt, und das ist so gut wie eine halbe Verlobung. Aber ich verspreche Ihnen, Sie nie zu vergessen!"

"Ja, das wird viel helfen!" sagte der Kreisel, und so sprachen sie nicht mehr miteinander.

Am nächsten Tage wurde der Ball von dem Knaben vorgenommen. Der Kreisel sah, wie er hoch in die Luft flog, gleich einem Vogel, zuletzt konnte man ihn gar nicht mehr erblicken; jedesmal kam er wieder zurück, machte aber immer einen hohen Sprung, wenn er die Erde berührte, und das geschah entweder aus Sehnsucht, oder weil er einen Kork im Leibe hatte. Das neuntemal aber blieb der Ball fort und kam nicht mehr wieder, und der Knabe suchte und suchte, aber weg war er.

"Ich weiß wohl, wo er ist", seufzte der Kreisel; "er ist im Schwalbennest und hat sich mit der Schwalbe verheiratet!"

Je mehr der Kreisel daran dachte, um so mehr wurde er für den Ball eingenommen; gerade weil er ihn nicht bekommen konnte, darum nahm die Liebe zu; daß er einen andern genommen hatte, war das Eigentümliche dabei; und der Kreisel tanzte herum und schnurrte, dachte aber immer an den Ball, welcher in seinen Gedanken immer schöner und schöner wurde. So verstrich manches Jahr — und da war es eine alte Liebel

Und der Kreisel war nicht mehr jung —! Aber da wurde er eines Tages ganz und gar vergoldet, nie hatte er so schön ausgesehen; er war nun ein Goldkreisel und sprang, daß es schnurrte. Ja, das war doch noch etwas; aber auf einmal sprang er zu hoch und — weg war er!

Man suchte und suchte, selbst unten im Keller, doch er war nicht zu finden. — Wo war er?

Er war in den Müllkasten gesprungen, wo da allerlei, Kohlstrünke, Müll und Schutt, lag, welches von der Dachrinne heruntergefallen war.

"Nun liege ich freilich gut! Hier wird die Vergoldung von mir verschwinden; ach, unter welchen Unrat bin ich hier geraten!" Dann schielte er nach einem langen Kohlstrunk, welcher allzu kurz abgestreift war, und nach einem sonderbaren runden Ding, welches wie ein alter Apfel aussah; aber es war kein Apfel, es war ein alter Ball, welcher viele Jahre in der Dachrinne gelegen und den das Wasser durchdrungen hatte.

"Gott sei Dank, da kommt doch einer unsersgleichen, mit dem man sprechen kannt" sagte der Ball und betrachtete den vergoldeten Kreisel. "Ich bin eigentlich von Saffian, von Jungfrauenhänden genäht und habe einen Kork im Leibe, aber das wird mir wohl niemand Ansehen! Ich war nahe daran, mich mit einer Schwalbe zu verheiraten, aber da fiel ich in die Dachrinne, und dort habe ich wohl fünf Jahre gelegen und bin ausgequollen! Glauben Sie mir, daß ist eine lange Zeit für ein junges Mädchen!"



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Aber der Kreisel sagte nichts, er dachte an sein altes Liebchen, und je mehr er hörte, desto klarer wurde es ihm, daß sie es war.

Da kam das Dienstmädchen und wollte den Kasten umwenden. "Heisa, da ist der Goldkreisel!" sagte sie.

Und der Kreisel kam wieder zu seinem großen Ansehen und zu Ehre, aber von dem Balle hörte man nichts, und der Kreisel sprach nie mehr von seiner alten Liebe; die vergeht, wenn die Geliebte fünf Jahre lang in einer Wasserrinne gelegen hat und ausgequollen ist, ja man erkennt sie nicht wieder, wenn man ihr im Müllkasten begegnet.


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