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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEN LIEBENDEN ZU BASRA

Eines Nachts vermochte Harûn er-Raschîd nicht zu schlafen: da sandte er zu el-Asma'i und Husain el-Chalî', und als sie gekommen waren, sprach er zu ihnen: ,Erzählet mir beide eine Geschichte, und du, Husain, mach den Anfang!' ,Gern, o Beherrscher der Gläubigen', erwiderte Husain und hub an: ,Ich zog eines Jahres gen Basra hinunter, um Mohammed ihn Sulaimân er-Rabî'i durch ein Lobgedicht zu feiern; er nahm es gütig auf und hieß mich bei ihm bleiben. Eines Tages begab ich mich zum Mirbad', indem ich meinen Weg dorthin durch die Muhalîje nahm; da mich aber große Hitze bedrückte, so trat ich in einen großen Torweg, um einen Trunk zu erbitten. Dort erblickte ich plötzlich eine Maid, die einem schwanken Reise glich; versonnen schienen ihre Augen dreinzuschauen, hochgewölbt waren ihre Augenbrauen, rund und glatt ihre Wangen, und ihr Leib war von einem granatblütenfarbenen Gewande und einem sanaanischen' Mantel umfangen. Doch ihr weißer Leib schien noch heller als die Röte des Gewandes, und so schimmerten darunter zwei Brüstchen wie zwei Granatäpfel, und ein Leib, als wäre er eine Leinenrolle der Kopten, mit Fältchen wie Blätter blütenreinen, gefalteten Papieres, die mit Moschus gefüllt sind. Und sie trug, o Beherrscher der Gläubigen, um den Hals einen Schmuck aus rotem Golde, der zwischen ihre Brüste hinabfiel; auf der Fläche ihrer Stirn hing



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eine Locke, schwarz wie Jett'; sie hatte zusammengewachsene Brauen, die Augen waren groß und weit, die Wangen glatt und rund, eine Adlernase wölbte sich über einem Korallen mund, darinnen die Zähne gleich Perlen glänzten. Kraft und Gesundheit sprachen aus ihr, doch sie schien betrübt und verwirrt, wie sie in der Halle hin und her eilte, gleichsam als träte sie beim Gehen auf die Herzen derer, die sie liebten, und als ließen ihre Beine das Klirren ihrer Fußspangen Verstummen. Ja, sie war, wie der Dichter sagt:

Ein jeder Teil von ihren Reizen scheint
Als Abbild, drin die ganze Schönheit sich vereint.

Ich betrachtete sie mit stummer Scheu, o Beherrscher der Gläubigen; dann trat ich näher an sie heran, um sie zu begrüßen, und siehe, das Haus und die Halle und die ganze Straße hauchten Moschusduft. Ich grüßte sie also, und sie gab mir den Gruß zurück mit einer leisen Stimme aus einem traurigen Herzen, das von der Glut der Leidenschaft versengt war. Dann sprach ich zu ihr: ,Meine Herrin, schau, ich bin ein alter Mann, ein Fremdling, der vom Durst geplagt wird. Möchtest du mir nicht einen Trunk Wassers bringen heißen, auf daß du himmlischen Lohn dafür empfangest?' Doch sie rief: ,Hinweg von mir, Alter! Meine Gedanken sind fern von Speise und Trank.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 694. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Jungfrau sprach: ,Alter, meine Gedanken sind fern von Speise und Trank.' Nun fragte ich - so erzählte Husain -: ,üm welcher Krankheit willen, meine Herrin?' Sie erwiderte: ,Weil ich einen



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liebe, der nicht gerecht an mir handelt, und weil ich nach einem Verlangen trage, der mich nicht will. Deshalb bin ich schlaflos wie jene, die in die Sterne schauen.' Weiter fragte ich: ,O Herrin, gibt es auf der weiten Erde jemanden, den du begehrst und der dich nicht begehrt?' ,Ja,' gab sie zur Antwort, ,und das geschieht, weil sich in ihm ein Übermaß vereint an Vollkommenheit, an Lieblichkeit und Zierlichkeit.' Als ich dann fragte: ,Und warum stehst du denn in dieser Halle?' erwiderte sie: ,Sein Weg führt hier vorüber, und dies ist die Stunde, da er kommen muß.' ,Meine Herrin,' fuhr ich fort, ,seid ihr je vereint gewesen, und habt ihr so miteinander gesprochen, daß diese Leidenschaft entstehen konnte?' Da seufzte sie vor Betrübnis, und Tränen rannen auf ihre Wangen herab gleich Tautropfen, die auf Rosen fallen; und sie sprach diese beiden Verse:

Wir ir waren wie zwei Weidenzweige in dem Garten
Und sogen Wonneduft in frohem Leben ein;
Da trennte sich das eine Reis vom andern grausam -
Nun sehnt sich eines, schau, nach dem Gefährten sein.

,O Mädchen,' so fragte ich weiter, ,was hast du denn um deiner Liebe zu diesem Jüngling willen zu erdulden?' Sie antwortete: ,Ich sehe die Sonne an auf den Mauern der Seinen, und ich vermeine, er sei die Sonne; oder bisweilen erblicke ich ihn unvermutet, dann erstarre ich, Blut und Leben fliehen aus meinem Leibe, und ich bleibe eine Woche lang oder auch zwei ohne Vernunft.' Da sprach ich zu ihr: ,Entschuldige mich, auch ich habe gleiches wie du erduldet durch heiße Sehnsucht, und mein Herz ward gequält von Leidenschaft, mein Leib schwand dahin, und ich ward schwach an Kraft. Und wenn ich dich nun bleich von Farbe und schmal von Leib sehe, so deutet das auf die Quälereien der Liebe hin. Wie sollte auch die Liebe dich unberührt lassen, da du doch im Lande von Basra weilst?' ,Bei



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Allah,' sagte sie darauf, ,ehe ich diesen Jüngling liebte, war ich von höchster Zierlichkeit, strahlend von Lieblichkeit und Vollkommenheit. Ich bezauberte alle Fürsten von Basra, bis auch jener Jüngling durch mich bezaubert ward.' Und als ich nun fragte: ,O Mädchen, wer hat euch denn getrennt?' antwortete sie: ,Die Schläge des Schicksals. Doch wie es mir und ihm erging, das ist eine seltsame Geschichte. Es begab sich also: An einem Neujahrsfeste saß ich da mit einigen Mädchen von Basra, die ich zu mir geladen hatte; unter ihnen befand sich auch eine Maid des Sirân, die er für achtzigtausend Dirhems in 'Omân gekauft hatte. Die liebte mich leidenschaftlich, und als sie eintrat, warf sie sich auf mich und zerriß mich fast durch Kneifen und Beißen. Dann zogen wir uns zurück, um uns am Weine zu ergötzen, bis unser Mahl gerüstet und unsere Freude vollkommen wäre. Und wir tändelten miteinander, bald saß ich auf ihr, bald sie auf mir. Doch dann verführte die Trunkenheit sie dazu, mit der Hand nach der Schnur meiner Hose zu greifen, und die löste sich, ohne daß wir beide an etwas Böses dachten; aber meine Hose fiel herunter im Spiel, und da trat er plötzlich ganz unversehens herein. Als er das sah, ergrimmte er darüber und eilte von mir fort wie ein arabisches Füllen. wenn es das Klirren seines Zügels hört.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 695. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Maid zu Husain el-Chalî' sprach: ,Als mein Geliebter mich mit der Sklavin Sirâns so tändeln sah, wie ich dir erzählt habe, ging er zornig von mir fort. Seit drei Jahren nun, o Scheich, habe ich mich immer bei ihm entschuldigt, ihm gute Worte gegeben und ihn zu versöhnen gesucht; aber er schaut mich mit keinem



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Blicke an, schreibt mir kein Wort, läßt mir nichts durch Boten sagen und will nichts von mir wissen.' Ich fragte sie: ,O Mädchen, ist er von den Arabern oder von den Persern?' ,He du,' rief sie, ,er gehört zu den Fürsten von Basra!' ,Ist er alt oder junge' fuhr ich fort. Da sah sie mich lächelnd an und sprach zu mir: ,Du bist ein Tropf! Er ist wie der Mond in der Nacht seiner Fülle, glattwangig und bartlos, und es ist kein Fehl an ihm, außer daß er sich von mir abgewandt hat.' Weiter fragte ich: ,Wie lautet sein Name?' Und sie fragte dagegen: ,Was willst du mit ihm beginnen?' Ich gab zur Antwort: ,Ich will mich bemühen, zu ihm zu gelangen und die Wiedervereinigung zwischen euch herbeizuführen.' Sie sagte: ,Unter der Bedingung, daß du ihm einen Brief überbringst!' ,Dagegen habe ich nichts', erwiderte ich; und sie fuhr fort: ,Er heißt Damra ibn el-Mughîra, mit dem Beinamen Abu es-Sachâ', und sein Palast steht am Mirbad.' Dann rief sie denen, die im Hause waren, zu: ,Bringt mir Tintenkapsel und Papier!' Darauf entblößte sie ihre Arme, die wie zwei Silberspangen glänzten, und schrieb nach der Anrufung des Namens Allahs: ,Mein Gebieter, die Auslassung der Segenswünsche zu Eingang meines Briefes deutet mein Unvermögen an. Wisse, wenn mein Gebet erhört worden wäre, so hättest du dich nicht von mir getrennt; denn wie oft habe ich gefleht, du möchtest mich nicht verlassen, aber du hast es doch getan. Und wäre es nicht an dem, daß die Not mich die Grenzen der Zurückhaltung überschreiten läßt, so wäre deiner Magd das, wozu sie sich zwingt, indem sie diesen Brief schreibt, eine Hilfe, wiewohl sie keine Hoffnung auf dich mehr hat, da sie weiß, daß du nicht antworten wirst. Erfülle ihren Wunsch, mein Gebieter, und gewähre ihr einen Blick auf dich zur Zeit, wenn du auf der Straße an



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der Halle vorbeigehst; dann wirst du die tote Seele in ihr zu neuem Leben erwecken! Aber noch lieber als das wäre es ihr. wenn du mit deiner eigenen Hand - Allah begnade sie mit aller Vortrefflichkeit! —ihr einen Briefschreiben und ihn zum Ersatz machen würdest für jene traulichen Stunden, die wir in den vergangenen Nächten verlebt haben und an die du dich doch erinnerst. Mein Gebieter, war ich dir nicht eine Liebende. die vor Sehnsucht verging? Wenn du meine Bitte erhörst, so will ich mich dir dankbar erweisen und Allah preisen; und damit —Gott befohlen!' Ich nahm den Brief entgegen und ging davon. Am nächsten Morgen aber begab ich mich zur Tür von Mohammed ihn Sulaimân; dort fand ich eine große Versammlung von Fürsten, und unter ihnen erblickte ich einen Jüngling, der die Versammlung zierte und alle, die zugegen waren, an Schönheit und Herrlichkeit übertraf; ja, der Emir Mohammed hatte ihn sogar über sich selbst gesetzt. Ich fragte nach ihm, und siehe da, es war Damra ihn el-Mughîra. Da sagte ich mir: ,Wahrlich, der Armen mußte es so ergehen, wie es ihr ergangen ist!' Dann ging ich zum Mirbad hinaus und wartete an der Tür seines Hauses; und als er im Prunkzuge ankam, eilte ich auf ihn zu und überreichte ihm unter vielen Segenswünschen den Brief. Nachdem er ihn gelesen und seinen Sinn verstanden hatte, sprach er zu mir: ,O Scheich, wir haben sie mit einer anderen vertauscht. Willst du die sehen, die ihre Stelle einnimmt?' ,Gern', erwiderte ich; und er rief eine Maid herbei, der Sonne und Mond weichen müßten, mit schwellenden Brüsten, und sie schritt rasch dahin mit furchtlosem Sinn. Der übergab er den Brief, indem er sprach: ,Beantworte ihn!' Nachdem sie ilm gelesen hatte, erblich sie, da sie nun wußte, was darin geschrieben stand; und sie sprach: ,O Scheich, bitte Allah um Verzeihung für das, was du gebracht hast!' Da ging ich hinaus,



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o Beherrscher der Gläubigen, mit schleifenden Füßen, und als ich wieder zu der ersten kam, bat ich um Einlaß bei ihr und trat ein. Sie fragte: ,Was bringst du?' ,Unheil und Verzweiflung !' erwiderte ich. Doch sie fuhr fort: ,Mach dir keine Sorgen um seinetwillen! Wo bliebe Allah mit seiner Allmacht?' Dann ließ sie mir fünfhundert Dinare geben, und ich ging fort. Nach einigen Tagen jedoch kam ich wieder an jener Stätte vorüber und sah dort Diener und Reiter, und ich trat ein. Da waren es die Freunde Damras, die sie baten, zu ihm zurückzukehren: sie aber sprach: ,Nein, bei Allah, ich will ihm nie wieder ins Angesicht schauen!' Und sie warf sich anbetend nieder und dankte Allah, o Beherrscher der Gläubigen, aus Schadenfreude über Damra. Ich trat an sie heran, und sie zeigte mir einen Brief, in dem nach der Anrufung des Namens Allahs geschrieben stand: ,Meine Herrin, wenn ich Dich -Allah schenke Dir ein langes Leben! —nicht schonen wollte, so würde ich einiges von dem schildern, was durch Dich geschehen ist, und ich würde mich mit vielen Worten verteidigen gegen Dein Unrecht wider mich; denn Du hast Dich wider Dich und mich versündigt, da Du Bruch des Gelübdes und Treulosigkeit zur Schau trägst und einen anderen uns vorziehst. Du hast Dich gegen meine Liebe vergangen, bei Allah, den wir um Hilfe anrufen wider das, was Du aus freiem Willen tatest. Und damit -Gott befohlen!' Und ferner zeigte sie mir die Geschenke und Kleinode, die er ihr geschickt hatte und die einen Wert von dreißigtausend Dinaren hatten. Später sah ich sie noch einmal wieder; da hatte Damra sich mit ihr vermählt.' Darauf sagte Harûn er-Raschîd: ,Wäre Damra nicht vor mir zu ihr geeilt, so hätte ich sicherlich selbst mit ihr zu tun bekommen.'

Ferner wird erzählt, o König,


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