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Kapitel 

AN NACHTFEUERN DER KARAWAN-SERAIL


MÄRCHEN UND GESCHICHTEN ALTTÜRKISCHER NOMADEN


erzählt von

ELSA SOPHIA VON KAMPHOEVENER

Erste Folge

CHRISTIAN WEGNER VERLAG HAMBURG



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BUCHAUSSTATTUNG: HANS HERMANN HAGEDORN


Die Karawane

Von einem Mattenfiechter haben wir zu berichten, einem hassyr-dji. Ein jeder weiß, welch stille, bescheidene Männer die Mattenfiechter sind, diese, die ihre Waren unter die Füße der Armen breiten. Auch ist es bekannt, daß sie im Bazar immer ihre Werkstätten nahe den Nordtoren haben, wo die Armen und die Bescheidenen ihre Einkäufe machen. Wie alle solche Arbeitsplätze war auch der unseres Mattenflechters eingebaut in die schwere Dicke der Nordmauer, die gegen die Kraft der Stürme errichtet ist. Gestaltet wird es solcherart, daß aus dem Mauerwerk ein kleines Holzhaus hervorragt, darin die Handwerker leben. Den ganzen Tag verbrachte der Mattenfiechter, wie es üblich ist, auf dem Vorbau seines Holzhauses, wo er saß und seine Matten focht.

Es hatte eine Zeit gegeben, in welcher auch dieser Mattenfiechter wie andere Menschen hie und da ein Wort sagte, ja, es lebten sogar im Bazar solche, die sich erinnerten, ihn früher einmal lachen gehört zu haben. Aber das war lange, lange her! Jetzt war er nicht nur ein stiller kleiner bescheidener Mann, dessen spitzes Bärtchen reglos über seine Arbeit geneigt blieb, nein, er sagte nichts, niemals ein Wort, gar nichts.

Das hatte seinen guten Grund, denn welchen Zweck hat es, etwas zu sagen, wenn jemand da ist, der sogleich das Gegenteil behauptet und es mit lauter Stimme, sehr



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lange, mit vielen Worten tut? Bedeutet es nicht Verschwendung an Kraft des Atems, Aufmerksamkeit des Zuhörens, Gefaßtheit in Geduld und Beherrschung aller Fähigkeiten des Ertragens? Warum also sich diesen Anstrengungen aussetzen, so man die Möglichkeit des Schweigens hat? Das Seltsame aber ist, daß es solche gibt, die auch das Schweigen dessen, zu dem sie laut schreiend reden, zu immer lauterem Schreien aufreizt. Und solcher Art war jene, deren Geschrei der Mattenfiechter ertragen mußte und die, wie nicht anders zu erwarten, seine Frau war.

Nun gibt es ein gutes Mittel, um sich die Ohren zu verschließen, so man das Glück hat, das Fez der Alttürken zu tragen, welches tief über den Kopf gezogen wird. Man braucht sich dann nur zwischen Fez und Ohr ein wenig Wolle oder Werg zu stopfen, und die Geräusche der lauten Welt sind nicht mehr. Gut ist das, sehr gut. Aber die eigene Stimme, was ist mit ihr? So man sie niemals benutzt, weiß man dann noch, ob man sie besitzt? Um dieser Ungewißheit abzuhelfen, hatte sich unser Mattenfiechter ein ausgezeichnetes Mittel erdacht. Am Abend, beim Beginn des Azanrufes, wenn die Geschäfte im Bazar geschlossen wurden und also auch keine Matten mehr geflochten zu werden brauchten, schloß unser Mattenfiechter alles fort und hatte den einzigen freudigen Augenblick des Tages: er sperrte mit einem großen, wahrhaft erschrecklichen Schlüssel die Tür des Holzhäuschens zu und ließ das unerbittliche Geschrei darin zurück.

Dann begab er sich, gemächlich schreitend, durch das Nordtor des Bazars auf die breite staubige Straße, die in die unbebaute Landschaft führte, wohin sich um diese Tageszeit kaum jemand getraute. Denn dort lag, nur einige dreihundert Schritt entfernt, ein ganz verrufenes



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Haus, eines, das von Angst und Grausen umgeben war, denn es hieß, ein besonders böser Djin treibe darin sein Unwesen. Nicht einmal die reichlich herumliegenden Steine des verfallenen Gemäuers wurden zur kostenlosen Errichtung eigener Baulichkeiten geholt, konnte doch sogar ihnen der Fluch des Djin anhaften. Dieses verfallene Haus war des Mattenflechters allabendliches Ziel, und dort konnte er vor jeder Störung sicher sein. Solcher Gewißheit bedurfte er aber auch, denn hier war es, wo er sich vom Vorhandensein seiner Stimme überzeugte und es so gründlich tat, daß die Steine davon bebten. Dann ging er in den Bazar zurück, schloß mit dem gewaltigen Schlüssel sein Haus auf, vergewisserte sich, daß das Werg fest vor seinen Ohren sitze, und legte sich mit dem Fez auf dem Kopf zum Schlafen nieder. Sein Tagewerk war wieder einmal getan.

Das ging viele Wochen lang gut. Der Mattenfiechter spürte auf diese Art keinerlei Ungeduld mehr, wenn hinter ihm geredet wurde, denn er sprach sich alles vom Herzen, was ihn drückte, wenn er einsam in dem verrufenen Hause die Steine anschrie. Aber auch diese Befreiung von der Pein hatte ihm das Kismet nur für kurze Zeit gewährt, denn eines Abends, als er schön im Zuge war und mit solcher Stimmkraft redete, daß es in dem alten Gemäuer dröhnte, bewegten sich plötzlich die Steine vor seinen Füßen, hoben sich, wölbten sich hoch, Staub stieg auf, und mit einem Schnauben schüttelte ein schrecklich anzusehender Dew das um ihn herum stürzende Gestein ab, so wie ein Maulwurf die Erde.

Der Dew brüllte: »Du elendes Menschengewürm, lange genug habe ich mir dein Geschrei hier angehört, aber jetzt kann ich es nicht mehr ertragen. Packe dich fort und tue es sogleich, sonst wird dir geschehen, was sich dein armseliger Verstand nicht zu erdenken vermag!« Der



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Mattenfiechter stand und sah sich den Dew an. Es kommt ja nicht oft vor, daß man Gelegenheit hat, einen Dew zu sehen, und so muß man das Gebotene wahrnehmen. Nun war das aber eine Art des Verhaltens, die in nichts dem entsprach, was ein Dew zu verlangen berechtigt ist, denn er ist ein großer mächtiger Herr und darf erwarten, daß er geziemend begrüßt wird. Es gehört sich in solchem Falle, sich vor dem Dew platt auf den Bauch zu werfen und zu zittern, vor allem zu zittern, denn Angst ist es vornehmlich, was der Dew zu sehen wünscht.

Hier nun aber stand ein kleiner, bescheidener Mann vor ihm, hielt die Hände in den Armem seines braunen Kaftans verborgen, hatte das Spitzbärtchen hochgerichtet, um den großen Dew gut betrachten zu können, und tat nichts als schauen, nur schauen. Mit Recht verstimmt, um nicht zu sagen erbittert, schrie der Dew mit Aufwand aller Stimmkraft, und das war viel, das armselige Stück Mensch an. »Was stehst du und schaust, du elendes Etwas? Hast du keine Angst? Graut dich nicht?« Denn, wie schon erwähnt, das gebührte dem Dew. Der Mattenflechter, ruhig und höflich sprechend, sagte bescheiden: »Vergib mir, Dew Effendim, aber ich habe keine Angst und es graut mir nicht.« Vor Erstaunen vergaß der Dew, daß er eigentlich beleidigt sein sollte, fragte ganz einfach und schrie dieses Mal nicht: »Wie kann das geschehen? Sehe ich denn nicht schrecklich aus?« Der Mattenflechter unterzog den Dew einer noch genaueren Besichtigung als vorher, wobei er den Kopf einmal rechts, einmal links zur Seite wandte, und stellte dann fest: »Dew Effendim, du siehst ganz gut schrecklich aus.« Das war zuviel für den Dew, wie verständlich, denn er war sehr eitel auf seine Schrecklichkeit, und so brüllte er wieder los: »Was soll das heißen, ganz gut schrecklich? Was nimmst du dir heraus? Hast du denn schon einmal



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etwas auch nur ähnlich Schreckliches gesehen, du Gewürm?«

Der Mattenfiechter, weiterhin höflich und bescheiden, antwortete halblaut, denn unwillkürlich verfiel er gewohnheitsmäßig in immer leiseres Sprechen, je mehr von anderer Seite her gebrüllt wurde. »Dew Effendim«, sagte er, »ich will dich in keiner Weise beleidigen, aber es verhält sich so, daß ich schon ähnlich Schreckliches sah, oftmals sah!« Jetzt aber war die Anteilnahme des Dew geweckt, denn er hatte sich wirklich für einzigartig gehalten, und er wollte und mußte erfahren, wer oder was ihm so den Preis der Schrecklichkeit streitig machte. »Sage mir sogleich, was es ist, das du erblicktest, beeile dich, ich warte.«

Der Mattenfiechter verneigte sich ein klein wenig, denn er stand im Begriff, etwas Unziemliches zu tun, aber es war offensichtlich unvermeidbar. »Du mußt mir vergeben, Dew Effendim, wenn ich es erwähne, aber jener Anblick, der dem deinen gleicht, ist der meiner Frau.« Er schwieg, beschämt, daß er von einer Frau gesprochen hatte, was, wie bekannt, hoch ungehörig ist. Aber der Dew starrte ihn an, als erblicke er ein Wunder, fragte mit einer Stimme, die nahezu die eines alten und übellaunigen Mannes hätte sein können, so sehr dämpfte er sie: »Eine Frau? Schrecklicher als ich? Deine Frau, sagst du?« Stumm nickte der Mattenfiechter. »Aber dann ist sie ja das herrlichste Weib, das Menschen geboren haben!« schrie der Dew hingerissen, jetzt mit der Stimme eines Verliebten.

Der Mattenfiechter beugte sich vor, starrte dieses Gebilde an und wußte nicht, was denken. Schon aber fuhr der Dew in seinem hingerissenen Gerede fort: »Das herrlichste Weib, sage ich, denn nur Schrecklichkeit ist schön, nur sie ist das Wunderbare! Dieses Weib muß ich haben! Auch wenn es das deine ist, mußt du es mir geben,



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verstehst du mich? Und sträube dich nicht, ich muß es haben, das herrliche Weib!« Der Mattenfiechter fragte ernsthaft: »Ist es ein grausamer Scherz, Dew Effendim? Du treibst Spott mit mir?« Aber des Dew geringer Vorrat an Geduld war erschöpft. »Reize mich nicht, antworte: gibst du sie mir?« Einen ganz tiefen Atemzug tat der Mattenfiechter, rief: »Ich gebe sie dir!« Und fühlte Lasten, schwere geduldig getragene Lasten von sich abfallen, denn die alten Scheidungsworte hätte er zu dieser seiner Frau nie aussprechen dürfen, gehörte doch ihrem Gelde sein Geschäft.

»Wo finde ich sie?« hastete die Stimme des Dew. Der Mattenfiechter zog seinen großen Hausschlüssel aus dem Gürtel, reichte ihn mit tiefer dankbarer Verneigung dem Dew, sagte leise: »Ich habe gehört, es ist deiner Art eigen, nach dem Geruch alles zu finden. So wird es dir leicht fallen, sie nach diesem Schlüssel meines Hauses aufzuspüren. Und sei bedankt, Dew Effendim.« Er wandte sich zum Gehen, wurde aber durch ein Gebrüll aufgehalten, das dem eines gereizten Kameles glich. »Du gehst und beleidigst mich? Weißt du es nicht, daß ein Mann dem, der ihm ein schönes Weib zum Geschenk macht, eine Gegengabe schuldet? Nun, bin ich kein Mann?« Der Mattenfiechter sah sich das schreckliche Gebilde vor sich an und wußte nichts zu antworten, fand aber dann das tief in ihm verborgene Lachen wieder und fragte heiter: »Wie denn, Dew Effendim, du willst mir meine Frau nehmen und mir noch etwas dafür schenken?« Den Dew aber verzehrte die Ungeduld, er sagte hastig: »Reden wir nicht mehr, Mensch, denn du hast mir etwas geschenkt, danach ich seit Jahrtausenden suche. Wähle nun: du kannst Reichtum haben, mehr, als jemals ein Mann besaß; du kannst Macht haben, diese kleine Welt zu leiten; was willst du? Rede, ich habe Eile!«



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Der Mattenfiechter kam näher, denn er fühlte sich nun dem Dew schon ganz vertraut, und fragte: »Wenn es wahr ist, daß ein Dew alles beherrscht, dann bitte ich dich nur um eines: bringe mich fort von diesem Platz, der mir zuwider wurde, weit fort, so daß sie mich niemals mehr finden könnte, selbst wenn sie nicht von einem Dew geholt würde. Kannst du das, sage?« Der Dew machte eine verächtliche Gebärde, sagte höhnisch: »Welch elendes Geschlecht, diese Menschen! Immer nur Bettler, niemals Besieger! Also höre du, der mir einen Dienst erwies, ich tue ein Gleiches für dich: setze dich auf meine Schulter, atme tief, denn je tiefer du atmest, desto weiter kommst du fort. Bist du bereit?« Der Mattenflechter zögerte nicht länger, raffte sein Gewand hoch, kletterte auf einige Steine, um von oben her jene Schulter erreichen zu können. Dabei überlegte er, daß er keine Worte habe, um diesem Wesen, das nicht aus Allah kam, Dank zu sagen, und dann saß er schon, atmete, atmete so tief, daß er glaubte, er würde zerspringen! Fast sogleich spürte er einen heftigen Stoß, und die Erde kam hoch um ihn zu schlagen. Aman, dachte der Mattenflechter, es war nichts! Nimmt mich auch nicht wunder, denn die so laut schreien, vollbringen niemals etwas. Aber er hatte sich geirrt. Denn als er sich umsah, erkannte er, daß er auf dem Boden vor einem Tor saß, daß er noch niemals gesehen hatte, und als er aufschaute, bemerkte er am abendlichen Himmel eine dunkle Wolke, die sich schnell entfernte. Da fliegt er zu dem herrlichen Weibe - viel Vergnügen! dachte er und winkte hinauf.

Dann erhob er sich, klopfte den Staub von seinem kleinen brauen Kaftan, rückte sein Fez und den weißen Turban gerade und schritt eilends auf das Tor zu, denn soeben hörte er die letzten Worte des Azanrufes, und



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jeder weiß, daß die Tore der Städte in unseren Landen dann geschlossen werden. Bei der begreiflichen Verwirrung und Aufregung, darin er sich befand, fiel es dem Mattenfiechter auch nicht als seltsam auf, daß er diese letzten Worte des Gebetsrufes jetzt hier vernahm, nachdem er den Beginn gehört hatte, als er den Bazar verließ. Er konnte nicht wissen, daß jeweils, wenn ein Mensch sich mit einem der Geisterwelt Zugehörigen unterhält, die Zeit, die nur zum Menschen, zu sonst nichts in Beziehung steht, sich wandelt und umdreht; kurz wird lang, und lang wird kurz; sie, die der Menschen Leben bestimmt, ist dann nicht mehr. So waren auch nur wenige Herzschläge aus des kleinen Mattenflechters Erdendasein ins Ewige verklungen, als er durch das Tor in jene fremde Stadt hineinschritt. Hinter ihm schlossen sich mit lautem Knarren die schweren eisenbewehrten Flügel, und unser kleiner hassyr-dji fühlte sein Inneres vor Freude springen bei diesem Ton, der ihm das Absperren seiner bisherigen Welt bedeutete.

Er stand und sah sich um, wußte er doch, daß immer in der Nähe des Haupttores sich auch das besuchteste Kaweh zu befinden pflegt. Hastig und besorgt überflog er in Gedanken den kleinwinzigen Betrag an Geld, den er bei sich hatte, berechnete aber, daß er für einen Kaweh gerade reichen würde, und weiterhin möge dann das Kismet sorgen.

So trat denn der Mattenfiechter ein und setzte sich bescheiden gleich am Eingang auf einen Eskemleh nieder, geruhsam des Weiteren wartend. Der Kawehdji kam nach kurzem herbei, wie es sich geziemt, und brachte den Kaweh, ohne auf die Bestellung zu warten, denn wer eintritt, ist Gast, auch wenn er das Genossene vergütet. Der Kawehdji, gewöhnt an reiche und anspruchsvolle Gäste, verbarg höflich sein Erstaunen über den kleinen



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bescheidenen Mann, der sein hochberühmtes Haus betrat, und begrüßte ihn geziemend: »Hosch geldinis, sefah geldinis«, was besagt »Seid gut willkommen, seid freudig willkommen«, und der Mattenfiechter antwortete mit »Tschock schükür«, vielen Dank. Des weiteren verlangt es dann die Höflichkeit des Wirtes, einige Fragen zu stellen, nicht etwa aus Neugier, nicht um etwas zu erfahren, nein, nur der gastlichen Sitte gemäß. Diese Fragen stellte nun der Kawehdji. »Ihr seid soeben eingetroffen?« Der Mattenfiechter neigte bejahend den Kopf. »Du sagst es, soeben.« »Ihr gedenkt hier zu verweilen?« »Du sagst es, ich gedenke zu verweilen.« »Ihr treibt, es versteht sich, Geschäfte?« Hier überlegte der Mattenflechter die Antwort einen Herzschlag lang, denn er war insofern ein seltsamer Mann, als er gerne die Wahrheit sagte, erwog aber dann, daß sein Mattenflechten auch ein Geschäft sei, und bejahte die Frage. Es folgte die nächste: »Ihr erwartet hier Eure Karawane?«

Diese Frage nun bezog sich auf die Besonderheit des Platzes, an welchen der Dew den Mattenfiechter gebracht hatte und davon dieser noch nichts wußte. Denn diese Stadt war einer der größten Umschlagplätze für den Handel mit Teppichen, mit schweren Seiden, mit hauchleichten Schleierstoffen, mit geschorenem Samt, weich wie die Haut einer Frau, mit Wohlgerüchen und Schmuck aus Silber und Gold. Nur Edelsteine und Perlen wurden nicht gehandelt, wie überhaupt aus Hindostan keine Karawanen hierher kamen. Aber Beludschistan, Kurdistan, Arabistan, Turkestan, alle diese schickten ihre Waren, um sie umzutauschen gegen solche, die von anderen Seiten hergebracht wurden. Daher ergab es sich, daß die Besitzer der Karawanen, die großen Handelsherren, an diesem Orte wartend verblieben, um die Umtauschgeschäfte zu beaufsichtigen. Weil es nun aber



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niemals genau zu berechnen ist, wann eine Karawane an einem bestimmten Orte eintrifft, ist sie doch abhängig von Sandstürmen und Überfällen, die ihren Weg verzögern, so saßen die Handelsherren oft wochenlang wartend an diesem Platz und vertrieben sich meist die Zeit mit dem Glücksspiel.

All dieses konnte der Mattenfiechter nicht wissen, ebensowenig wie der Kawehdji ahnte, auf welche Art dieser für ihn erstaunlich bescheiden erscheinende Gast hierhergekommen war, denn nur die reichen Karawanenbesitzer waren für gewöhnlich seine Gäste. Daß er nach der Karawane des Gastes fragte, bedeutete allergeschliffenste Höflichkeit, denn was würde dieser bescheidene kleine Mann schon an Tieren haben, wenn er überhaupt welche besaß? Drei, vier allerhöchstens, und die von jener bräunlichen Zottigkeit, wie sie nur die billigsten Kamele hatten, mit einigen Matten oder ähnlichem beladen. So dachte der Kawehdji und wartete gelassen auf die Antwort des ärmlich gekleideten Gastes, während er ruhig dort stand und langsam das kleine Messingtablett, darauf er den Kaweh gebracht hatte, hin und her drehte. Er mußte eine gute Weile noch warten, ehe der Fremde sprach. Wie konnte er wissen, daß er ein Zauberwort ausgesprochen hatte, als er harmlos »Karawane« sagte.

Denn unser kleiner Mattenfiechter hatte sich, wenn er im Bazar auf seinem Vorbau saß und Matten focht, während das vielfarbige Leben an ihm vorbeiflutete und hinter ihm im Hause sein Weib schrie, oft eine eigene Karawane erdacht. Sie war von unerhörter Schönheit, so wie sie niemals noch erschaut worden war, und sie brachte von allen Enden der Welt die herrlichsten Dinge herbei. Manchmal blieb sie eine kleine Weile aus, weil Ungemach sie aufgehalten hatte, dann wartete er auf sie, tat es aber nicht voll Unruhe, nein, mit der Sicherheit, daß sie wiederkommen



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werde, seine wunderbare Karawane. Noch niemals hatte er über sie gesprochen, nichts je von ihr verraten, und als der Kawehdji ihn nun fragte, ob er seine Karawane hier erwarte, da durchschoß es diesen Schweiger, dessen Lippen plötzlich entsiegelt waren, heiß und glückselig. Er durfte sprechen von ihr, von seiner schönen, geliebten, seiner herrlichen Karawane! Welch ein Geschenk des Kismet, Maschallah, welch eine Gabe! So kam es, daß der kleine Mattenfiechter auf die Frage des Kawehdji, ob er hier seine Karawane erwarte, wahrheitsgetreu antwortete: »Du sagst es, ich erwarte sie.«

Immer noch in gleichgültiger Höflichkeit sprechend, solcherart, daß der Ärmliche nicht in Verlegenheit gerate, fragte der Kawehdji weiter, sein Tablett drehend, drehend: »Und woher erwartest du sie, Effendim? Von Beludschistan vielleicht?« Er sagte das, weil von diesem Lande, das zudem nicht allzuweit entfernt war, jene groben Teppiche kamen, an deren Kehrseite die langen Ziegenhaare hingen. Doch der kleine Mann, der so lange im Bazar beobachtend gesessen hatte, kannte die Eigenschaften der Waren aus Beludschistan ebenso genau, und er antwortete entrüstet, da seine schöne Traumkarawane solcherart herabgesetzt wurde: »Aus Beludschistan? Aman, Kawehdji, was fällt dir ein? Meine Karawane kommt aus Hindostan, nur daher.« Sagte es zufrieden und trank einen Schluck Kaweh. Dann fuhr er erschreckt zusammen, denn das kleine Tablett, das der Kawehdji die ganze Zeit hin und her gedreht hatte, fiel mit einem heftigen Klirren zu Boden, wo es der völlig aus der Fassung geratene Mann auch liegen ließ. Er stammelte: »Aus Hindostan? Aman, Effendim, noch niemals kam eine Karawane von dort hierher. Es geht doch nicht, Herr! Zu viele Berge dazwischen.«

Der Mattenfiechter zuckte die Achseln. Was gingen ihn



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Berge oder ähnliche Nebensächlichkeiten an? Seine Karawane überwand das alles mit Leichtigkeit. »Höchste Zeit dann, daß endlich eine hierher kommt, wenn noch keine da war«, sagte er verächtlich und nahm den zweiten und letzten Schluck aus dem winzigen Täßchen. Der Kawehdji sah den so ärmlich gekleideten Mann forschend an, denn es wollte ihm nunmehr scheinen, als habe er sich doch geirrt in dessen Beurteilung. Vorsichtig fragte er, und ahnte nicht, welche unbeschreibliche Freude er durch seine Fragen dem Mattenfiechter bereitete, der endlich - ach, nun endlich! — von seiner Karawane sprechen konnte: »Und was, Herr, wenn die Frage erlaubt ist, bringt deine Karawane? Stoffe?« »Stoffe? Lächerlich! Sie bringt Perlen, was sonst? Verstehst du, herrliche Perlen und, um sie einzuhüllen, weißen Samt oder auch ganz weiches weißes Leder, von jungen Ziegen. Und sie ist weiß, meine Karawane, wie die Perlen, die sie bringt. Ja.«

Dem Kawehdji war zumute, als habe ihn jemand mit einem seiner eigenen Schemelstühle über den Kopf geschlagen. Er wollte mehr wissen von dieser erstaunlichen Karawane, viel mehr, aber er getraute sich nicht so recht zu fragen, denn an diesem Orte, wo alles nur nach Geld, Gewinn und Besitz ging, hatte ein jeder vor dem Reichtum die größte Hochachtung. Und wenn der kleine Mann in seinem braunen Kaftan auch ärmlich genug aussah . . . wie reich, wie unvorstellbar reich mußte er sein, da er eine ganze Karawane mit Perlen beladen lassen konnte! Aber dieses mußte noch gefragt werden, dieses eine war dringlich zu wissen. »Du sagtest, Herr, sie sei weiß, deine Karawane; wie, vergib die Frage, ist das zu verstehen? Was ist an ihr weiß, Herr?«

Der Mattenfiechter richtete sich auf, seine Augen strahlten, und er schien zu wachsen. »Sie ist weiß, mein Freund,



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weil sie aus weißen Kamelen besteht.« Das sagte er und wußte genau, was er damit tat, wartete auch ungeduldig auf die nächste Frage. Sie kam, gestammelt, unsicher. »Weiße Kamele, Herr? Aber vergib deinem Diener, das kann nicht sein! Alle zwei, drei Jahre einmal wird irgendwo ein einziges weißes Kamel geboren .. . Wer hörte jemals von einer ganzen Karawane aus weißen Tieren?« Der Mattenfiechter lächelte glücklich, sagte einfach: »Du.« Ratlos starrte ihn der Kawehdji an, flüsterte: »Wie meinst du, Herr? Wie sagtest du?« »Ich sagte, du habest als erster von einer weißen Karawane gehört, Freund. Und wenn du sie siehst, wirst du gleich mir entzückt sein! Es ist unbeschreiblich schön, wenn sie kommt, und ich weiß immer schon von weitem, was sie bringt. Sind die Satteldecken grün, so bringt sie Smaragden; blaue Decken zeigen Saphire an und rote Rubinen. Aber am schönsten bleibt es, wenn Perlen kommen. Du mußt wissen, Freund, ich lasse sie immer schon vor dem Versenden durchbohren, die Perlen, und es werden dann lange, lange Ketten. Sehr erheiternd ist es, wenn sie sich aus ihrer Umhüllung lösen und herabhängen, so daß sich gelegentlich die Füße der Kamele darin verwickeln.«

Und der Mattenfiechter, tief beglückt von seiner Perlenkarawane, lachte leise vor sich hin. Hier aber war es ganz vorbei mit der Beherrschung des Kawehdji, und es will viel heißen, wenn es gelingt, den festen Panzer zu durchbrechen, der die Brust eines jeden umschließt, der mit der Versorgung von Gästen zu tun hat. So kam es dem Kawehdji sehr gelegen, daß er in diesem Augenblick von der anderen Seite des Kawehs herbeigerufen wurde, denn er bedurfte der Fassung, der äußersten Fassung. Geschmeidig eilte er, dem Ruf der reichen Gäste zu gehorchen, aber in dem Kopfe des klugen Menschenkenners brodelten seltsame und neue Gedanken.



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Als er in den Bereich der Duftwolken kam, Wolken der kostbarsten Wohigerüche, die von den seidenen Gewändern der reichen Handelsherren bei jeder leisesten Bewegung ausströmten, als er die Juwelen und blitzenden Schwertgurte sah, da wandte er noch einmal den Kopf zu dem kleinen Manne im braunen Kaftan zurück, und ein Lächeln huschte über seine sonst unbewegten Züge. Aber er löschte es schnell aus, verneigte sich vor den reichen Gästen, sagte leise: »Die Beys befehlen ihrem Diener?« Der reichste Bey der Stadt, der sich immer ein wenig als Hausherr gebärdete denen gegenüber, die gingen und kamen, sagte schwer geärgert: »Was fällt dir ein, dort bei dem kleinen Bettler so lange stehenzubleiben, während wir neuen Scherbet bestellen wollen? Und warum nimmst du jetzt solch ärmliches Volk bei dir auf, anstatt es fortzuweisen, wenn es sich hierher verirrt? Sag an, was soll das heißen? Du wirst auf diese Art unsere Kundschaft verlieren, das sage ich dir!«

Und hier war es, daß sich jenes fremdartige Brodeln im Kopfe des Kawehdji zu etwas verstärkte, das ihn wie ein starker und lebensvoller Windstoß durchfuhr. Er wußte plötzlich, daß er diese seidenen, wohlduftenden Herrchen schon lange nicht mehr ausstehen konnte und daß nun der Augenblick gekommen sei, wo er sich nicht mehr zu scheuen brauchte, es ihnen zu zeigen. So sagte er in aller Ruhe und mit der ihm eigenen Höflichkeit: »Bey Effendim, es würde mich schmerzen, Eure Kundschaft, der ich so vieles verdanke, zu verlieren, aber jener Eine dort, den Ihr, Bey Effendim, einen Bettler nennt, würde sie mir reichlich ersetzen.« Beflissen vorgeneigt, mit ausdruckslosem Gesicht, stand der Kawehdji vor dem reichsten Bey. Der starrte ihn verblüfft an, sagte halblaut: »Djanoum, was ist mit dir? Hat dich die Sonne geschlagen, daß du solche Torheiten vorbringst? Der ärmliche



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kleine Mann dort sollte . . . lächerlich! So sieht kein Reicher aus, niemals!« Und der Bey tat einen tiefen Zug aus dem Nargileh, wandte sich achselzuckend ab.

In gleicher höflicher Ruhe sagte der Kawehdji: »Was die Kleidung anlangt, so ist sie gewiß ärmlich, doch bleibt zu bedenken, daß der größte Reichtum es sich leisten kann, bettelhaft auszusehen, während der geringste begreiflicherweise nach außen hin prächtig erscheinen muß.« Ein bezeichnender Blick huschte über die Gewänder der Handelsherren und ihre juwelengeschmückten Turbanzierden hin.

Der Kawehdji schwieg, aber der reichste Bey hatte das Wort vernommen, das ihn auch aus dem tiefsten Schlummer geweckt hätte, das Wort: Reichtum. Er setzte sich auf, fragte ernsthaft: »Was redest du von Reichtum? Und was kann er mit diesem Manne dort zu tun haben?« Der Kawehdji, den diese ganze Unterhaltung unsagbar erfreute, bedeutete sie ihm doch so etwas wie Befreiung von der Fesselung, die ihm die Anmaßung dieser Handelsherren bereitete, sagte bedächtig: »Ich weiß nicht, Bey Effendim, was Ihr unter Reichtum versteht; aber ich, ein bescheidener Mann, nenne es Reichtum, wenn einer eine Karawane aus Hindostan erwartet, die mit Perlen beladen ist und aus weißen Kamelen besteht, deren Füße mit eben diesen Perlen umwickelt sind.« Jetzt hatte sich der Kawehdji gewißlich nicht über Mangel an Aufmerksamkeit zu beklagen, und es war nicht einer unter den Kaufherren, der sich nicht aufrichtete, vorbeugte und Fragen zu stellen begann.

Der reichste Bey der Stadt aber überrief sie alle und fragte hastig: »Du sagtest Perlen und weiße Kamele? Und du bist sicher, daß du nicht vom Traumsaft genossen hast?« Der Kawehdji hatte Mühe, seinen Arger zu unterdrücken und nicht merken zu lassen, wie sehr es



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ihn verdroß, des Opiumgenusses beschuldigt zu werden, als sei er einer jener immer halb verschlafenen Würdelosen, deren Schritt die Erde beleidigt. Er sagte kurz: »Geht hin und fragt ihn selbst«, wandte sich ab und begab sich in die Küchenräume.

Der reichste Bey sah ihm nach, überlegte kurz und bewies dann, daß man nicht umsonst der reichste Bey wird, vielmehr muß man es verstehen, auch dort eine Möglichkeit des Gewinnes zu vermuten, wo andere nur Torheit sehen. Darum erhob sich der reichste Bey, legte ein Geldstück auf das niedere Tischchen vor sich, grüßte die Kaufherren schweigend und ging dorthin, wo der kleine Mann in seinem braunen ärmlichen Kaftan saß. Höflich grüßte der Bey, wies auf einen Eskemleh, fragte: »Du erlaubst?«, ließ sich nieder, grüßte wieder und begann dann die Unterhaltung in genau der gleichen Art, wie es der Kawehdji getan hatte, denn auf andere Art geschieht es nie. Nachdem die Frage erledigt war, ob der Mattenflechter lange zu bleiben gedenke, folgte die Bemerkung: »Ich höre, du erwartest hier deine Karawane?« Und wieder antwortete der kleine hassyr-dji wahrheitsgemäß: »Ich erwarte sie immer.« Dabei sah er den Unbekannten forschend an und fragte sich, ob er ihm wohl von seiner wunderbaren Karawane erzählen könnte, das Schönste, was er kannte und nun erst tun durfte. Da kam schon die Frage, etwas spöttisch vorgebracht, mit der Überlegenheit des großen Herrn dem Gerede Untergebener gegenüber. »Der Kawehdji erzählte da ganz törichte Dinge, denn er behauptete, deine Kamele hätten mit Perlen umwickelte Füße und seien weiß . Torheit, ist es nicht so?« Ganz aufgeregt antwortete der Mattenfiechter: »Gewiß ist es Torheit, denn wie könnten meine schönen Kamele schreiten, wenn ihre Füße mit Perlen umwickelt wären, meine weißen, meine edlen Kamele, die ich so sehr liebe?«



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Der Bey beugte sich vor, sah den kleinen Mann fragend an, sagte zögernd: »Es sind also wirklich weiße Kamele? Eine ganze Karawane?« Eifrig kam die Antwort, denn nun konnte ja wieder erzählt werden, wie schön war das! »Aber ja, alle weiß. Und wie ich schon sagte, wenn sie kommen, erkenne ich immer schon von weitem, was sie diesmal bringen, ob Rubine, Smaragden, Saphire oder Diamanten und Perlen, an der Farbe der Satteldecken erkenne ich es, verstehst du, Herr?« Nachdenklich nickte der Bey, sah weiter forschend den kleinen Mann an, fragte: »Und die Perlen? Wieso denn um ihre Füße, wie jener es verstand?« Lachend wurde ihm Antwort: »Er hat mißverstanden, denn ich sagte nur, wenn die Perlenschnüre sich lösen, verwickeln sie sich manchmal um die Füße der Kamele, das ist alles.« Der Bey tat, als lache auch er, fragte dann: »Und wie groß ist sie, diese weiße Karawane? Zwei, drei Tiere?«

Der Mattenfiechter fuhr hoch, als habe man ihn geschlagen. In hoher Erregung rief er: »Zwei, drei Tiere, meine Karawane?! Herr, Herr, wie könnte so etwas denn sein? Unter fünfzig sind es nie, niemals!« Der Bey wußte jetzt nicht, hatte er einen Irrsinnigen vor sich, oder was geschah hier? Zu genau war auch ihm bekannt, daß es so viele weiße Kamele wohl auf der Welt nicht gäbe, aber konnte man denn wissen, mit was und wem man es hier zu tun hatte? In jedem Falle galt es, die Möglichkeit zu nutzen, sei sie auch einem Trugbild der Wüste gleich. So fragte er höflich: »Hast du, Herr, schon ein Unterkommen gefunden für diese Nacht?« Der Mattenfiechter, der sich bewußt wurde, wie verdächtig es wirken mußte, wenn er so ohne Kleidungsstücke, ohne Diener, ohne Geld hier angetroffen wurde und zugleich von der Perlenkarawane erzählte, sagte leise und bedrückt: »Noch fand ich nichts, denn ich entkam nur mit dem Leben, und



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alles, was ich bei mir hatte, wurde geraubt und ich ein Opfer des Verrates. So wie du mich hier siehst, Herr, so. . . « Aber der Bey unterbrach höflich die Erklärungen, die ihm die ärmliche Kleidung begreiflich zu machen schienen, und sagte schnell: »Unterlassen wir alles Weitere, Herr, und wolle dich mit meiner bescheidenen Behausung begnügen. Tue mir die Ehre an, mein Gast zu sein, bis alles für dich wieder geordnet ist. Willst du, Herr?« Der Mattenfiechter stimmte freudig und dankbar zu, denn jetzt erst ward es ihm klar, wie schwierig es für ihn geworden wäre, in dieser fremden Stadt, ohne Geld und ohne Mittel, sich welches zu verschaffen. So folgte er dem Bey hocherfreut und war zudem voll Erwartung, ihm im Laufe des Abends noch mehr und weiteres über die Karawane erzählen zu können.

Unterdessen hatten die Kaufherren dieser Stadt und ihre Besucher voll Erstaunen und Mißbilligung mit angesehen, wie der Bey den Mann von den perlenfüßigen Kamelen entführte. »Hat dieser Bey uns nicht bisher von jeder Milch die Sahne abgeschöpft? Ist es noch jemals gelungen, uns gegen ihn zur Wehr zu setzen und ihm auch nur einmal ein Geschäft zu verderben? Niemals! Jetzt aber, so will es scheinen, hat er doch etwas zuviel getan, meine Freunde, denn er entführt uns mit diesem unbegreiflich reichen Manne alle Gewinnmöglichkeiten. Soll er es ungestraft tun? Nein! Denkt ihr gleich mir, so geht auch mit mir zum Hüter der Ordnung, zum Verwalter des Volksbesitzes, zum Großvezier!« Nach dieser schönen Rede erhob sich der älteste Kaufherr zorngeschwollen und hatte es erreicht, sie alle in die gleiche Erregung, die ihn beherrschte, zu versetzen. Denn seine Worte rührten an die Stellen, wo das ihnen Wertvollste Platz hatte, das Wissen um Geld und Geldverdienst. Da sie nun in diesem besonderen Fall alle gemeinsam



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bedroht schienen, schlossen sie sich zusammen und handelten auch wie ein Mann. Sie riefen nach ihren Sänften und begaben sich zum Serail, wo sie hofften, den Großvezier noch anzutreffen, obgleich es schon spät am Tage war und nach Sonnenuntergang.

Wer aber und was war nun dieser, den sie aufsuchten, dieser Hüter der Ordnung, Verwalter des Volksbesitzes, der Großvezier? Er war dick. Er war so dick, daß er weder gehen noch stehen konnte und, wenn er sich vom Sitz erheben wollte, auf beiden Seiten hochgeschoben werden mußte. Zu diesem Zwecke befanden sich zwei riesenhafte schwarze Sklaven stets rechts und links von ihm. Es versteht sich, daß er so dick geworden war, weil das Hüten des öffentlichen Wohles und die Verwaltung des Volksbesitzes sich in solcher Art an ihm zu erkennen gaben. Doch muß man bei all diesem bedenken, daß ein Großvezier es schwerer hat als sein Oberhaupt, der Padischah. Wo dieser ein angenehmes Leben führen kann und sich mit schönen Frauen umgeben, zur Erholung fechten, zur Erfreunis jagen kann und als schlimmstes nur das Lebensende durch gewaltsamen Tod zu gewärtigen hat, muß der Großvezier sich mit dem Volk herumärgern, muß Verordnungen erlassen, hat die Mühe, jene Gehälter in seine eigene Tasche fließen zu lassen, die für zahlreiche Beamte bestimmt sind, kurz, er muß sich plagen, von früh bis in die Nacht plagen, und davon wird er dann so dick. Ist es nicht wirklich verständlich?

Zu diesem Großvezier also begaben sich jene, die fanden, der Bey habe ihnen zu oft die Sahne von der Milch geschöpft. Sie erreichten es auch durch reichlich nach allen Seiten verstreuten Backschisch, trotz der späten Stunde noch empfangen zu werden, und fanden den Gesuchten, wie üblich auf seinem Polster sitzend, rechts und links von ihm die Schwarzen. Nach Erledigung der von beiden



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Seiten gebotenen Höflichkeiten sagte der zum Sprecher seiner Freunde erkorene Kaufherr: »Erhabener Herr, wir kommen, dir eilig etwas mitzuteilen, weil uns das Wohl des Staates am Herzen liegt und du der Hüter dieses Wohles bist.« Ungeduldig forderte der Großvezier, zur Sache zu kommen, da es schon spät sei in der Nacht und er noch Wichtiges zu erledigen habe. »Erhabener Herr, ich beeile mich«, sagte der Kaufherr, voll Angst, wie alle, die mit ihm zu tun hatten, vor dem unberechenbar und sinnlos ausbrechenden Zorn des dicken und mächtigen Mannes, dessen Folgen oft schreckliche waren.

»Es ist dieses, erhabener Herr: In unserer Stadt ist der reichste Mann der Welt eingetroffen, gekleidet als ein Bettler. Er besitzt Karawanen, die Perlen aus Hindostan bringen. Ihn hat der Bey mitgenommen, und er wird ihn allein ausbeuten. Dir dieses zu melden, kamen wir, Herr.« Der Großvezier hatte alle Langeweile und Ungeduld vergessen. »Ihr tatet recht, ich werde es euch nicht vergessen.« Er machte nach rechts und links einige Handbewegungen und rief: »Hebt mich, hebt mich, tragt mich, tragt mich... ich begebe mich sogleich zum Bey«, ward gehoben und getragen, gelangte so zu seiner stets in Bereitschaft wartenden Sänfte, neben der die beiden Schwarzen im Paßgang hertrotteten.

Der Mattenfiechter war indessen im reichen Hause des reichen Bey in solcher Art bewirtet worden, wie es sich für reiche Leute geziemt. Da er durch den bedauerlichen Überfall seitens der Wegelagerer aller seiner Sachen verlustig gegangen war, wurde ihm neue und reichliche Kleidung zur Verfügung gestellt, die er vorfand, als er aus dem Bade kam. Gewiß wäre nun ein anderer bescheidener kleiner Handwerker durch diesen plötzlichen Umschwung aller Lebensumstände in Erregung oder Staunen oder Verwirrung versetzt worden. Von all



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diesem aber war an dem kleinen Manne nichts zu bemerken. Er saß in der gleichen ruhigen und bescheidenen Art in seinem Mantel aus schwerem Brokat auf weichen Kissen, wie er vorher in seinem braunen Kaftan auf hartem Holz hockte, und das kam daher, daß sein ganzes Denken von einem einzigen Gegenstand beherrscht war: von seiner Karawane. Wie ihm dieser erdachte Besitz lange Jahre der Pein hindurch stumme und geheime Hilfe bedeutet hatte, so war er ihm jetzt Stolz und Freude. Und er war wirklicher Besitz, weit wahrheitsnäher als die prächtigen Gewänder, die er trug. Er sah sie vor sich, seine weißen Kamele, sah die Satteldecken aus weichem weißen Leder, sah die Perlenschnüre, die so weit herabhingen, und fühlte sich allem Reichtum weit überlegen, besaß unermeßlich mehr, als irgendein Mensch sein eigen nennen konnte, war in Wirklichkeit der reichste Mann der Welt.

So saß er noch geruhsam beim Mahl mit dem Bey, als das Kommen des Großveziers gemeldet wurde, der sich diesen reichsten Mann in gewinnbringender Art aus der Nähe betrachten wollte. Er war auch durchaus nicht enttäuscht von dem immer noch bescheidenen Aussehen des kleinen Mannes, denn ihm war bekannt, daß oft die bedeutsamsten Leute am unscheinbarsten wirkten.

Die üblichen Höflichkeiten wurden ausgetauscht, die Fragen gestellt und beanwortet, die der Mattenfiechter nun schon wie im Halbschlaf hersagte, und dann kam die Hauptfrage, die unvermeidliche, die nach der Karawane. Die Antwort lautete wie bereits mehrfach: »Du sagst es, Herr, ich erwarte sie auch hier.« Keinem der beiden Zuhörer fiel diese Wortbildung auf, für den Mattenfiechter selbst aber bedeutete sie die Wahrheitsaussage. Der Großvezier beugte sich vor, sagte halb lächelnd, ein wenig ungläubig: »Es wurde mir zu verstehen



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gegeben, daß diese deine Karawane, Herr, aus Hindostan komme und nur Perlen bringe. Das wird wohl eines jener Mißverständnisse sein, wie sie immer auftauchen bei Absonderlichkeiten.« Kampfbereit richtete sich der kleine Mann auf, fragte: »Und warum, Herr, soll es ein Mißverständnis sein? Es ist so, wie dir berichtet wurde: sie kommt aus Hindostan und sie bringt Perlen, meine weiße Karawane.« Der Großvezier starrte diesen Wundermann an, sagte halblaut: »Aber von Hindostan hierher geht keine Karawanenstraße! Und warum nennst du sie weiß?«

Hier fiel der Bey etwas schadenfroh in das Gespräch ein, denn es bereitete ihm Freude, am Großvezier die gleichen Zweifel zu beobachten, die schon ihn heimgesucht hatten. »Der geehrte Gast sagt, es seien alles weiße Kamele, etwa fünfzig an der Zahl.« Der Vezier und der Bey wechselten einen Blick, der dem Mattenfiechter nicht entging. Er sagte lebhaft und ärgerlich: »Es ist dennoch wahr, sie besteht aus weißen Kamelen, meine Karawane, und es sind deren nicht fünfzig, sondern siebenzig!«

Der Großvezier zuckte die Achseln, murmelte »Wie du befiehlst« und nestelte an seinem Gewand; er holte aus den reichen Falten über seiner Brust einen kleinen Beute! hervor, und während der Bey und sein Gast ihn schweigend beobachteten, lösten die Finger vorsichtig und sorgsam die Schnur, die den kleinen Beute! verschloß, entnahmen ein kleines Päckchen, offenbar aus weicher Seide, falteten die Umhüllungen auseinander und hielten dann mit scheuer Ehrfurcht eine wunderbare Perle hoch. Sie war birnenförmig, schimmerte wie die Morgenröte und hätte ein Tropfen Himmelstau sein können. Der Vezier hielt diese schöne Kostbarkeit dem Mattenfiechter hin, fragte leise: »Du, der du ganze Karawanenladungen von Perlen erhältst, du, Herr, mußt von Perlen



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alles wissen. So sage mir, was deucht dich von dieser?« Und er drehte und wendete die Perle hin und her, daß sich ihr Glanz im Lichte der vielen Öllampen immer neu zu wandeln schien. Der Mattenfiechter, der noch niemals eine Perle in der Nähe gesehen hatte, betrachtete sich genau dieses für ihn erste Muster und antwortete dann wahrheitsgetreu, wie er sich immer bemühte, es zu sein: »Nichts, Herr!«

Der Bey und der Vezier stießen gemeinsam einen einzigen tiefen Seufzer aus, und hauchleise flüsterte der dicke Mann: »Ich wußte nicht, daß es so viel Reichtum gibt . . . Nichts, sagt er . . . nichts! Meine Perle, mein kostbarstes Gut . . . Aman, aman!« Während er so vor sich hin sprach, verwahrte der Vezier die Perle wieder im Beutelchen, versteckte dieses in den Gewandfalten, sagte zum Bey: »Ich bitte dich, Bey Effendim, lasse meine Leute holen. Ich muß eilends in einer wichtigen Sache zum Serail, werde aber, so es mir verstattet ist, in Kürze zurückkehren in dein gastliches Haus und hoffe, dann den ehrenwerten Herrn auch noch anzutreffen.«

Die Schwarzen kamen, der Großvezier befahl, ihn zu heben und zu tragen, die Sänfte stand bereit, und die Männer trotteten zurück zum Serail, setzten den Vezier auf seinen Kissenhaufen und erwarteten weitere Befehle. Die erfolgten auch sofort. »Schafft mir den Mann her, der heute über die Gemächer des Padischah die Wache hat, eilt!« Der junge Kammerherr, der gleich danach vor dem Vezier stand, glaubte nicht recht gehört zu haben, als ihm befohlen wurde, den Padischah zu befragen, ob der Großvezier ihn sprechen könne. »Jetzt, Herr, um diese Abendstunde? Unmöglich!« Der Großvezier sagte einige Worte, die dem jungen Manne klar machten, daß es hier keine Unmöglichkeit geben könne, denn es handle sich um das Staatswohl. »Gehe und tue



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nach meinem Wunsch, Bey; ich lasse mich indessen in das Vorgemach tragen. Glaube mir, wenn ich dir sage, daß es von hoher Wichtigkeit ist.« Der Kammerherr murmelte zwar, auch sein Kopf sei ihm von hoher Wichtigkeit, tat aber doch, wie ihm befohlen ward, und hatte das Glück, zu erfahren, der Padischah sei noch nicht zur Ruhe gegangen. Trotzdem war der Herrscher keineswegs in rosiger Laune, als er kurz danach beim Vezier im Vorgemach stand. »Was ist denn, o Vezier? Brennt es? Gibt es Krieg? Warum nimmst du dir heraus, mich zu stören?«

Der Vezier verneigte sich so gut als möglich von seiner bockenden Stellung aus, brachte die gebotenen Höflichkeiten vor, fügte aber gleich an: »Erhabener Herr, es ist dieses: der reichste Mann der Welt ist bei uns eingetroffen, und wir müssen seiner habhaft werden, ehe es ein andrer tut; unsere Schatzkammer ist leer!« Der Sultan unterdrückte ein Gähnen und murmelte gelangweilt: »So sperre ihn dort ein, dann ist sie voll.« Mit verzweifeltem Nachdruck flehte der Vezier: »Herr, Herr, ich beschwöre dich, nimm es ernst! Wir brauchen Geld, viel Geld, und dieser hat es. Wir müssen ihn fesseln, Herr, das müssen wir wirklich!« Noch gelangweilter gähnend, sagte der Sultan: »Was geht denn mich das an? Seit wann muß ich denn Übeltäter fesseln? Gib Befehl, und es geschieht.« Flehend richtete sich der Vezier ein weniges auf, rief beschwörend: »Er ist doch kein Übeltäter, Herr, nur reich, unermeßlich reich! Ich will ihn auf die einzige Art fesseln, wie es bei einem Manne gelingen kann durch eine Frau.«

Der Sultan zuckte die Achseln: »Um dieses Geschwätz anhören zu müssen, läßt du mich aus meiner Ruhe herbeiholen? Ich verstehe dich nicht mehr, mein Freund. Weiber gibt es genug. Wenn du eines brauchst für diesen



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reichen Toren, so nimm eines. Nochmals, was geht es mich an?« Der Sultan wandte sich zum Gehen, da schrie ihm der Vezier, zum Äußersten getrieben, nach: »Keine Weiber, eine deiner Töchter, Herr, muß es sein!« Der Sultan blieb erstaunt stehen, drehte sich um, fragte: »Was sagst du da? Töchter? Eine der meinen? Ja, habe ich denn Töchter?« Nun war es am Vezier, erstaunt zu sein. »Wie sagst du, Herr?« »Ich fragte, ob ich Töchter habe, das wüßte ich gerne. Meine Söhne kenne ich, von Töchtern weiß ich nichts.« Sehr unruhig geworden, fragte der Vezier: »Aber Herr, es muß eine deiner Töchter sein, die diesen Reichen ehelicht, nur so gelingt es, ihn an uns zu fesseln, nur so allein! Und wenn du nichts von deinen Töchtern weißt, wer wüßte es dann, Herr?«

Der Sultan begann sich jetzt gut zu unterhalten. Er ließ sich auf einigen Kissen nieder und bemerkte: »Das weiß der Khisler Agha, der Obereunuch. Wie, wenn wir ihn holen ließen und befragten? Bin ich gestört worden durch dich, soll er es auch sein. Holt ihn!« Diener stürzten davon, und während des Wartens berichtete der Vezier dem Sultan einiges über diesen reichen Mann mit der Perlen-Karawane. »Maschallah«, sagte der Sultan, »dann wird also diese zu vermählende Tochter, falls ich eine solche habe, viele Perlen ihr eigen nennen und glücklich sein. Ali der Khisler Agha! Sei willkommen und ärgere dich nicht, denn ich habe auch hierherkommen müssen und nach des Veziers Wünschen tun. Sage mir, Agha, habe ich Töchter?«

Der Khisler Agha, ein hochgewachsener Eunuch mit der schlanken Gepflegtheit, die diesen seltsamen Lebewesen eigen ist, verbeugte sich tief und murmelte unbewegten Gesichts: »Wir haben viele Töchter, Herr. Wir sind sogar berühmt wegen unserer Töchter, haben wir sie doch



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in allen Farben, Herr.« Der Sultan, ganz hingenommen von diesem neuen Besitzanteil, fragte eifrig: »In allen Farben? Wie denn das, Agha?« Ernsthaft gab der Obereunuch Antwort, an seinen schlanken dunklen Fingern aufzählend: »Schwarz, braun, gelb und dann wie unvermeidlich - auch weiß, je nach der Hautfarbe der Sklavin, welche du, Herr, mit deiner Aufmerksamkeit beglücktest.« »Dann sind es also mehrere, diese meine Töchter?« Wieder kam die ernste Entgegnung: »Es sind ihrer viele, Herr, gewißlich mehr als dreißig.« »Und alle meine, sicher meine?« Neugierig war das gefragt, mit leichtem Lächeln, aber der Obereunuch nahm es durchaus nicht lächelnd hin. Er richtete sich zu seiner ganzen schlanken Höhe auf, fragte ruhig und ernst: »Wann gab ich dir Anlaß, Herr, mich so zu beleidigen? Welch eine Art von verabscheuungswürdigem Geschöpf wäre ich, müßte der Sultan solche Frage an mich stellen!«

Der Sultan lachte leise, stand auf und klopfte dem Khisler Agha beruhigend auf die Schulter. »Lasse es gut sein, Freund, ich habe nicht an dir gezweifelt. Aber du könntest mir eine Freude bereiten: morgen gegen die Mittagsstunde stelle alle meine Töchter im großen Saale des Haremlik in einer Reihe auf, ordne sie nach Farben und lasse es mich wissen, wenn du damit fertig bist, dann komme ich, sie zu besichtigen. Ich freue mich darauf, denn ich wußte von diesen Mädchen nichts. Ist es dir so genehm, Agha?« Die ernsten Züge erhellten sich, und der Obereunuch murmelte: »Wir sind beglückt und geehrt, o Herr.« Der Sultan nickte, wollte gehen, besann sich, sagte halb lachend: »Der Großvezier hier will eine meiner Töchter haben; einige dich mit ihm, Khisler Agha, ich bin einverstanden« — grüßte mit einer Handbewegung und war fort.

Als der Obereunuch sich aus der tiefen Verneigung aufrichtete,



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sah er starr und voll Bestürzung auf den dicken alten Vezier. »Du, Herr, willst eine der Töchter des Sultans haben? Aber ich nahm doch an, du habest selbst alles, was du brauchst?« Doch der Großvezier war nun wirklich am Ende seiner Geduld angelangt. Er schlug sich auf einen seiner dicken Schenkel und rief zornig: »Willst auch du mich noch zum Irrsinn treiben, o mein Freund, wie alle es heute abend versuchen? Ich brauche doch kein Mädchen für mich, nur für einen reichen Mann, der durch eben diese Tochter des Sultans hier festgehalten werden soll, er und sein Geld. Lasse uns, ich bitte dich, schnell einig werden, denn ich muß diese Sache in der nächsten Stunde erledigt haben. Was also kannst du mir geben?«

Der Obereunuch dachte nach, mochte wohl im Geiste die vielfarbigen Mädchen vor sich sehen, fragte dann, immer gleich ernst und ruhig: »Sage mir erst, wie alt dieser Mann ist; ob sehr verwöhnt, was Farben angeht, und welcher Art sonst. Ist einer sehr reich, so muß man gut auswählen, denn er ist dann schon müde aller Genüsse, und je älter der Mann ist, um so jünger muß das Mädchen sein. Sage mir alles genau, und wir werden schnell wissen, was zu tun ist.« Der Vezier rief sich das Bild des still und bescheiden wirkenden kleinen Mannes zurück, der gar nicht verwöhnt schien und offenbar nur an seine Karawane dachte. »Er wird, so denke ich, etwa Ende Dreißig sein, ist klein und einfach und wird leicht zufriedenzustellen sein.« »Das ist ausgezeichnet«, sagte erfreut der Obereunuch, »dann kann ich ihm ein Mädchen geben, das schon beginnt zu altern, auch sonst nicht von besonderen Reizen ist und zudem weiß, was sie alltäglich aussehen macht. Sie ist schon vierzehn und hat einen großen Fehler: sie scheint mir nämlich klug zu sein, das schlimmste, was es für ein Mädchen geben



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kann, glaube mir, Herr! Willst du sie uns abnehmen?« »Ja, ja, ich nehme sie, und wir werden in drei Tagen die Hochzeit feiern. Ich lasse das alles in deinen Händen, Agha, und es mag dabei bleiben. Sei deine Nacht friedlich, mein Freund. Und ihr, hebt mich, tragt mich zurück zum Haus des Beys, woher wir kamen.«

Und wieder wurde der dicke Mann vor dem Mattenflechter niedergelassen, der in der Zwischenzeit dem Bey so vieles von der Karawane erzählt und die Anzahl der Tiere so vermehrt hatte, daß sich dem bedauernswerten Bey das Gehirn im Kopf wie ein Kreisel zu drehen schien. Er war darum glücklich, den Vezier wieder zu begrüßen, dieser aber kümmerte sich kaum um ihn, rief vielmehr, sich in scheinbar hoher Freudigkeit an den Mattenfiechter wendend: »Herr, ich habe dem Padischah, unserem Herrn, von deinem Kommen berichtet, und er ist davon so hoch beglückt, daß er dich nicht nur durch mich begrüßen läßt, sondern dich auch zu seinem Sohne machen will.« Der überraschte Mattenflechter starrte den dicken Mann an, sagte verwirrt und halb lachend: »Wie will er denn das machen, dieser Padischah? Wie könnte ich zu seinem Sohne werden, o Bote der Freude?« Der Großvezier brachte es fertig, noch mehr vor Beglückung zu strahlen, und rief aus: »Das ist doch unendlich einfach, Herr! Du ehelichst eine seiner Töchter und bist dadurch sein Sohn, begreifst du?«

Hier aber hörte für den Mattenfiechter jede Art von Spaß ganz und völlig auf. Heiraten? Er, der noch nicht einmal einen ganzen Tag lang der verhaßten Fesseln los und ledig war? Niemals! Und er rief dieses Wort seiner tiefsten Überzeugung wild dem Vezier ins Gesicht, vorgeneigt, ganz Erregung und Verneinung. Aber der schien diese Ablehnung gar nicht ernst zu nehmen, lachte ein wenig und sagte überredend: »Aber Herr, wer wird sich



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denn erregen um einer solchen Kleinigkeit willen, wie es eine Heirat für den Mann bedeutet? Ein Frau, nun gut, die mag es wichtig nehmen. Aber ein Mann? Herr, Herr, vergissest du denn ganz, wie leicht es ist, die uralten Worte der Scheidung auszusprechen? Du heiratest, und wenn du der Frau überdrüssig bist, so sagst du ihr nach drei, vier Tagen, ihr Antlitz sei dir wie ihr Rücken, und du bist wieder frei. Vergaßest du das, o Herr?«

Nun hatte zwar der Vezier damit völlig recht, insoweit es sich um die Ehen der einfachen Leute handelte, nicht aber, wenn ein Mann die Tochter eines Sultans ehelichte. Er wurde dadurch Damat, das ist des Sultans Schwiegersohn, und seine Ehe band ihn unlöslich. Der Vezier wußte das und rechnete damit, daß es nicht allgemein bekannt sei, womit er in diesem besonderen Falle durchaus recht hatte. Ahnungslos, daß er sich für immer binden würde, hörte der Mattenfiechter sich diese rosigen Darstellungen an und erfuhr dann schließlich so viel Verlockendes über die in Aussicht genommene Braut, daß seine Abwehr mehr und mehr einschlief. Der Vezier schilderte das Mädchen so, wie ein Mann eine Frau zeichnet, die er nie gesehen hat und auch niemals sehen wird, und der Mattenfiechter überlegte nicht, daß er auch hierbei allzu leichtgläubig sei - denn wie konnte es angehen, daß dieser beredte dicke Mann das Mädchen jemals gesehen hätte? Das war so völlig ausgeschlossen wie, daß es Tage ohne Nächte gäbe oder Wüste ohne Sand. Aber dem Vezier glitten die Worte von der Lieblichkeit und Jugend der Braut wie Honigtau von den Lippen, und endlich gab der Mattenfiechter nach. Was ihn gefangen hatte, war der Gedanke, ein junges Mädchen im Arm zu halten, und er bildete sich ein, solche Jugend und Lieblichkeit könne nur mit dem Zauber des schweigenden Gewährens verbunden sein.



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Also gab er nach, und von nun an hatte er nicht einmal mehr einen freien Augenblick, um über seine Karawane zu sprechen. Der Bey, der vom Vezier eine sehr ansehnliche Summe zugesichert bekommen hatte dafür, daß er diesen reichsten aller Männer dem Lande bewahrte, umgab den künftigen Damat mit allen Ehren, die königlichem Geblüt zukamen, und der arme kleine Mattenflechter kannte sich hinfort selbst kaum noch. Um nicht ganz unterzugehen in diesem lauen Meere der Ehrungen, klammerte er sich an etwas, das ihn an sein bisheriges Leben gemahnte, und das war sein kleiner brauner Kaftan, der ärmliche. Er hatte ihn einem Diener entrissen, der ihn vernichten wollte, und verbarg ihn heimlich unter den prächtigen Gewändern, die ihn am Tage der Hochzeit in das Serail begleiteten.

An diesen Tag erinnerte er sich später immer nur ganz ungenau, so viele Männer hatte er begrüßen müssen und war von so vielen prüfend betrachtet worden, daß ihm ganz bange wurde. Es war verständlich, daß sie alle den neuen Damat zu beurteilen versuchten, denn ein solcher konnte eine Macht am Hofe werden. Auch der Sultan hatte den kleinen Mann erstaunt geprüft, denn den reichsten der Welt hatte er sich anders vorgestellt. Endlich war dann der Mattenfiechter mit der jungen Prinzessin allein, und jetzt prüfte ihn diese wiederum. Man hatte ihr gesagt, der Mann sei so reich, daß er sie von Kopf zu Fuß in Perlen wickeln werde, und nun wartete sie auf diese Wickelung. Als nichts erfolgte, nur ein freundlicher kleiner Mann sich ihr mit großer Befangenheit näherte und im weiteren Verlauf des Beisammenseins sie immer »meine schöne Morgenröte« nannte, wußte sie mit dieser ganzen Langweilerei nichts anzufangen. Aber sie war wirklich ein kluges Mädchen und bewies diese bei einem schönen Kinde als so störend



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betrachtete Eigenschaft dadurch, daß sie einen Tag lang nichts fragte, ja auch noch einen zweiten Tag schwieg. Dann aber war die Grenze ihres Ertragens erreicht.

Am dritten Morgen wurde der Mattenfiechter durch ein heftiges Rütteln und Schütteln geweckt, und eine harte, laute Stimme sagte: »Heh du, wach mal auf!« Er rieb sich die Augen, setzte sich hoch, sagte zufrieden: »Oh, du bist es, meine schöne Morgenröte! Ich hatte eben einen schrecklichen Traum, ich dachte, die Stimme meiner Frau zu hören . . . « Doch mit gleicher Lautstärke und Härte sagte es wieder neben ihm: »Hast du ja auch gehört. Bin doch deine Frau.« Zuerst noch ein wenig vom Schlaf benommen, eingesponnen auch in das Trugbild von der Morgenröte, verstand der Mattenfiechter nicht sogleich, was ihm geschah. Dann aber stürzte eine eiskalte Welle der Erkenntnis über ihn, und er murmelte vor sich hin: »Ach, so ist das! Ob vierzehn, ob vierzig - es ist die Stimme der Ehefrau . . . ja also, was wünschest du?« Sie sah ihn zornig und verächtlich an, fragte hart: »Ich will wissen, wo deine Karawane ist.« Er gab traurig zur Antwort, denn er sah die geliebte Karawane in diesem schlimmen Augenblicke nicht vor sich: »Ich weiß es nicht.«

Sie stand vor ihm, erregt, böse, unschön, schrie ihn an: »Und was ist mit den Perlen? Heh du, wo sind die Perlen?« Der Mattenfiechter hatte sich erhoben, suchte unter den seidenen Kissen des Bettes, zog seinen ärmlichen braunen Kaftan hervor, legte ihn sich um und antwortete der jungen Frau, ohne sie anzuschaun: »Ich weiß auch das nicht.« Dann ging er aus dem prächtigen Gemach schweigend davon, kam in die Vorzimmer, gelangte in die weiten Gänge und traf keine lebende Seele, denn es war noch sehr früh am Morgen. Er war jetzt am



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Tor des Serails, das soeben geöffnet wurde; niemand achtete auf den kleinen Mann im braunen Kaftan, und er war draußen.

Die Straßen waren noch menschenleer. Der Mattenflechter strebte zum Tore hin, wo ihn, so wollte es ihm scheinen, vor unendlich langer Zeit der Dew hatte niederfallen lassen. Auch hier war das Tor schon offen, und er schritt hindurch, setzte sich draußen auf den Stein, der da zu stehen pflegt und von dem aus man das Pferd besteigt. Da saß er, legte die Hände vor das Gesicht, war so tief traurig und entmutigt, daß er nur vor sich hin stöhnen konnte. »Aman. . . Aman. Aman.. .«klagte er und hob den Kopf, denn es war ihm gewesen, als werde er gerufen; doch was er sah, war nur Staub, der hochwirbelte und, von den Strahlen der aufgehenden Sonne getroffen, sich zu bewegen und zu regen schien. Aber da, war das nicht eine Gestalt, und zeigte sich nicht ein Gesicht? Sahen ihn nicht unsagbar traurige Augen an? Und nun war eine Stimme zu vernehmen, die sagte: »Du hast mich gerufen, was begehrst du?« Der Mattenflechter sagte leise: »Ich rief dich nicht, und ich begehre nichts.« Die Stimme aber sprach wieder: »0 doch, du riefst mich. Mein Name ist Aman, denn das ist der Menschen tiefster Seufzer. Und du begehrst, ich weiß es wohl, Perlen, um ein junges Weib damit zu schmücken, und zudem deine weiße Karawane. Sieh hin, da kommt sie...«

Der Geist zeigte in die Ferne, und aus dem Sonnendämmern des Morgens ward sie sichtbar, die weiße Karawane der Träume, leuchtend und schimmernd, wie es nur Träume sind. Der Mattenfiechter starrte und starrte, vernahm aber noch die Geisterstimme, die sagte: »Wenn du mich wieder brauchst, rufe mich ebenso; du wirst noch viel begehren müssen. Junge Weiber sind habgierig,



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du armer Reicher.« Und der Geist war nur noch eine Staubwolke, die um die Füße der Kamele schwebte.

Dann stand neben dem Stein, darauf der Mattenfiechter gesessen hatte, ein weißes Berberroß, auf dessen Sattel ein weißer Burnus lag. Der Mattenfiechter warf ihn sich über, stieg von dem Stein der Klage aus zu Pferd - und er, der noch niemals in einem Sattel gesessen hatte, fühlte, daß er reiten könnte. Zum Tor hinein, der weiße Berber voran, unabsehbar hinter ihm die weißen Kamele.

Droben, auf den Mauerzinnen waren schon seit Tagen Wächter aufgestellt, Ausschau zu halten nach der weißen Karawane. Und jetzt erhob sich laut und schreiend der Klang ihrer Hörner, davon die Stadt zu brandendem Leben erwachte. Von überall her riefen Stimmen, antworteten andere und alles dröhnte von dem Ruf: »Die Karawane kommt, die weiße Perlenkarawane!«

Die Prinzessin droben im Serail, die Jungvermählte, hörte die Rufe, verstand die Worte und spürte gegen sich selbst heftigen Zorn. Sie stand vor dem Spiegel und schalt auf das ihr daraus entgegenschauende eigene Antlitz. »Wie dumm von dir, wie sehr dumm, ihn diese harte Stimme hören zu lassen! Und er geht stumm und holt mir die Perlen! 0 ich Törin, wie kann ich es ihn nur vergessen machen? Weich wird sie von nun an ihm immer klingen, diese meine Stimme, weich wie der Glanz der Perlen, die er mir bringt. . . «

Und der Mattenfiechter, auf dem weißen Berber einherreitend, bemühte sich zu glauben, daß er sich doch geirrt habe, dennoch geträumt habe und die harte Stimme in Wirklichkeit nie gehört habe. »Warte, meine schöne Morgenröte, ich werde dich in Perlen hüllen, ganz einhüllen in sie, die weiß sind wie deine duftende Haut . . .



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So dachte der arme reiche Tor und neigte hie und da den Kopf, den begeisterten Grüßen antwortend.

Er ritt ein in das Serail, ein Sieger, ein Reicher, und er wußte nicht, daß er von nun alles würde bezahlen müssen: Liebe, Treue, Freundschaft, alles, alles nur gegen Bezahlung erhalten und auch nur, solange diese ausreichte. Und daß er für immer das höchste Gut verloren hatte: den unermeßlichen Reichtum der Armen.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
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