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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DER LIEBENDEN VOM STAMME 'UDHRA'

Masrûr der Eunuch berichtete: Eines Nachts ward der Beherrscher der Gläubigen Harûn er-Raschîd von arger Schlaflosigkeit geplagt. Da sprach er zu mir: ,Masrûr, wer von den Dichtern ist an der Tür?' Ich ging in die Vorhalle hinaus und fand dort Dschamîl ibn Ma'mar vom Stamme 'Udhra, und ich sagte zu ihm: ,Folge dem Rufe des Beherrschers der Gläubigen!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte jener; dann ging ich mit ihm hinein, und als er vor dem Kalifen stand, grüßte er ihn mit dem Gruße, der dem Herrscher gebührt. Der erwiderte den Gruß und hieß ihn sich setzen; dann fragte er: ,Dschamîl, kannst du uns etwas von seltsamen Begebenheiten erzählen?' Der Dichter antwortete: ,Jawohl, o Beherrscher der Gläubigen! Was ist dir lieber, etwas, das ich selbst mit eigenen Augen gesehen habe, oder etwas, das ich gehört und behalten habe?' Der Kalif befahl: ,Erzähle mir, was du mit eigenen Augen gesehen hast!' ,Jawohl, o Beherrscher der Gläubigen,' sprach Dschamîl, ,neige mir dein Herz und leihe mir dein Ohr!' Darauf nahm der Kalif ein Polster aus rotem Brokat, das mit Gold bestickt und mit Straußenfedern gefüllt war; das legte er unter seine Schenkel, und indem er seine Ellenbogen aufstützte, sprach er: ,Erzähl deine Geschichte, Dschamîl!' Und der hub an: ,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, ich war einmal von heißer Liebe zu einer Jungfrau erfüllt, und ich pflegte sie oft zu besuchen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 689. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß der Beherrscher der Gläubigen, nachdem er sich auf ein Kissen von Brokat gestützt hatte, sprach: ,Erzähl deine Geschichte, Dschamîl!' Und der hub an: ,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, ich war einmal von heißer Liebe zu einer Jungfrau erfüllt, und ich pflegte sie oft zu besuchen; denn sie war mein Wunsch und mein Begehr in dieser Welt. Nach einer Weile aber zog ihr Stamm mit ihr davon, weil die Weide karg wurde, und so sah ich sie eine Zeitlang nicht mehr. Doch die Sehnsucht ließ mich nicht ruhen und zog mich zu ihr hin, und mein Geist trieb mich an, zu ihr zu reisen. Und als eines Nachts die Sehnsucht nach ihr an mir rüttelte, erhob ich mich, sattelte meine Kamelin, band mir den Turban ums Haupt und legte meine Lumpen an. Dann gürtete ich mich mit meinem Schwerte, hängte mir meine Lanze um, bestieg meine Kamelin und zog aus, auf der Suche nach der Maid; und ich ritt rasch dahin. Eines Nachts nun zog ich meines 'Weges, und es war eine finstere, pechschwarze Nacht: dennoch ritt ich mühsam hinab in die Täler und hinauf zu den Bergen, während ich das Gebrüll der Löwen und das Heulen der Wölfe und das Schreien der andren wilden Tiere auf allen Seiten hörte. Da ward mein Verstand wirre und mein Herz irre; meine Zunge aber hörte nicht auf, den Namen Allahs des Erhabenen anzurufen. Und wie ich in solcher Not dahinzog, übermannte mich plötzlich der Schlaf, und die Kamelin ging mit mir abseits von dem Wege, den ich eingeschlagen hatte. Mitten im Schlafe nun schlug mir auf einmal etwas an den Kopf, so daß ich ganz erschrocken aufwachte. Und da sah ich Bäche und Bäume, auf deren Zweigen die Vöglein ihre vielerlei Weisen und Lieder sangen; die Bäume jener Wiese aber verstrickten sich ineinander, und so stieg ich ab und führte meine Kamelin am Halfter. Vorsichtig suchte ich



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einen Ausweg, bis ich aus dem Dickicht ins offene Land hinauskam. Dort brachte ich den Sattel in Ordnung und saß wieder auf; doch ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte, noch an welche Stätte mich das Schicksal führen wollte. Wie ich aber meine Blicke über jene Steppe schweifen ließ, entdeckte ich mir gegenüber in der Ferne ein Feuer. Ich spornte meine Kamelin an und ritt darauf zu. Und wie ich nahe an das Feuer herankam und mich umschaute, entdeckte ich ein aufgeschlagenes Zelt, vor dem ein Speer mit einem flatternden Fähnchen in den Boden gesteckt war; Pferde standen dort umher, und Kamele weideten. Da sagte ich mir: ,Mit diesem Zelte muß es wohl eine gewichtige Bewandtnis haben, da ich es so allein hier in der Wüste stehen sehe.' Dann trat ich hinzu und rief: ,Friede sei mit euch, ihr Bewohner des Zeltes, und die Gnade und der Segen Allahs!' Alsbald trat zu mir ein Jüngling heraus, der zu den Neunzehnjährigen gehören mochte, schön wie der volle Mond, wenn er am Himmel aufgeht, ein Held, dem die Tapferkeit aus den Augen leuchtete. Der sprach: ,Auch über dir sei Friede und die Gnade und der Segen Allahs, o Bruder Araber! Mich dünkt, du bist vom Wege abgeirrt.' ,So ist es,' erwiderte ich, ,führe du mich auf den rechten Weg, so wird Allah sich deiner erbarmen!' Doch er fuhr fort: ,Bruder Araber, schau, unser Land hier ist reich an wilden Tieren, und diese Nacht ist düster und unheimlich, voll Finsternis und Kälte; deshalb bin ich um dich besorgt, die wilden Tiere könnten dich zerreißen. So steige denn ab bei mir in Ruhe und Muße; und wenn der Morgen graut, will ich dir den Weg zeigen.' Da stieg ich von meiner Kamelin herunter und fesselte ihr mit dem Ende der Halfter den Fuß': die Oberkleider, die



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ich trug, legte ich ab, und nachdem ich es so mir leicht gemacht hatte, setzte ich mich eine Weile nieder. Der Jüngling aber holte ein Schaf und schlachtete es, zündete ein Feuer an und entfachte es; dann ging er ins Zelt, holte feine Spezereien und treffliches Salz. schnitt Stücke von dem Fleisch ab und röstete sie. Die gab er mir zu essen, indem er bald seufzte und bald weinte. Zuletzt aber tat er einen tiefen Seufzer. weinte bitterlich und hub an diese Verse zu sprechen:

Jetzt blieb ihm nichts als ein fliehender Hauch,
Ein Aug, dessen Stern vom Irrsinn gebannt;
Ihm blieb in den Gliedern nicht Ein Gelenk.
Wo zehrende Sucht keine Stätte fand.
Ihm rinnen die Tränen. sein armes Herz
Verbrennet im Feuer, und dennoch er schweigt.
Es weinen die Feinde aus Mitleid mit ihm -
Weh ihm, dem ein Feind gar noch Mitleiden zeigt!

Daran erkannte ich - so fuhr Dschamîl fort -,o Beherrscher der Gläubigen, daß der jüngling ein verstörter Liebender war-, ach, die Liebe kennt nur, wer selbst ihren Geschmack gekostet hat! Und ich sagte mir: ,Soll ich ihn fragen?' Dann aber bedachte ich mich und sagte mir weiter: ,Wie kann ich mit Fragen auf ihn einstürmen, da ich ein Gast in seinem Zelte bin?' So hielt ich mich zurück und aß von dem Fleische, bis ich gesättigt war. Als wir unser Mahl beendet hatten, trat er ins Zelt und holte ein sauberes Becken, eine schöne Kanne und ein seidenes Tuch, dessen Enden mit rotem Golde bestickt waren, ferner auch ein Sprengfläschchen voll Rosenwasser, das mit Moschus gemischt war. Ich staunte über seine Vornehmheit und feine Lebensweise und sprach in meiner Seele: ,Ich wußte bisher noch nichts von üppiger Lebensweise in der Wüste.' Dann wuschen wir uns die Hände und plauderten eine Weile miteinander; schließlich ging er wieder ins Zelt und spannte



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ein Stück roten Brokats auf als Scheidewand zwischen uns und sprach: ,Tritt ein, Araberfürst, und ruhe dich aus; denn du hast heute nacht und auf dieser deiner Reise Mühen und Beschwerden im Übermaß erduldet!' Ich trat also ein, und da ich ein Bett aus grünem Brokat fand, so legte ich meine Kleider ab und hatte dort eine Nachtruhe so schön, wie ich sie noch nie in meinem Leben gehabt hatte.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 690. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschamîl des weiteren erzählte: ,Und ich hatte eine Nachtruhe so schön, wie ich sie noch nie in meinem Leben gehabt hatte; doch ich machte mir Gedanken über das Schicksal dieses Jünglings. Als es dann tiefe Nacht geworden war und aller Augen schliefen, vernahm ich plötzlich eine leise Stimme, so zart und fein, wie ich sie noch nie gehört hatte. Da hob ich den Vorhang, der zwischen uns aufgespannt war, und erblickte eine junge Frau, die schönste von Angesicht, die ich je gesehen hatte; sie saß an seiner Seite, und beide weinten und klagten über den Schmerz der Leidenschaft und über der Liebe zehrende Kraft und ihre unendliche Sehnsucht nach der Vereinigung. Ich sprach: ,Gottes Wunder! Wer mag diese zweite Gestalt seine Als ich in dies Zelt trat, habe ich niemand anders darin gesehen als diesen Jüngling; da war doch niemand bei ihm!' Und dann sagte ich mir: ,Das ist sicher eine von den Töchtern der Geister, die diesen Jüngling liebt; und die beiden haben sich miteinander an dieser einsamen Stelle abgeschlossen.' Wie ich aber genauer hinschaute, war sie doch ein Menschenkind, eine Araberin; und als sie den Schleier von ihrem Antlitz hob, beschämte sie gar die leuchtende Sonne; denn das ganze Zelt ward hell durch das Licht ihrer Stirn.



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Nachdem ich jedoch die Gewißheit gewonnen hatte, daß sie seine Geliebte sein müsse, gedachte ich der Eifersucht der Liebenden; und so ließ ich den Vorhang wieder fallen, bedeckte mein Gesicht und schlief ein. Als es dann Morgen ward, legte ich mein Gewand an, vollzog die religiöse Waschung für das Gebet und sprach all die Gebete, zu denen ich noch verpflichtet war.' Dann sprach ich zu ihm: ,Bruder Araber, willst du mich jetzt auf den rechten Weg führen und deine Güte gegen mich vollkommen machen?' Er schaute mich an und sprach: ,Gemach, o Araberfürst, das Gastrecht währt drei Tage, und ich bin nicht der Mann, dich vor Ablauf dieser Frist ziehen zu lassen.' Da blieb ich - so erzählte Dschamîl -drei Tage lang bei ihm; und als wir am vierten Tage uns noch niedersetzten, um ein wenig zu plaudern, hub ich an und fragte ihn nach seinem Namen und seiner Herkunft. Und er gab zur Antwort: ,Ich stamme von den Banû 'Udhra. mein Name ist Soundso. Sohn des Soundso, und meines Vaters Bruder heißt Soundso.' Und siehe da, o Beherrscher der Gläubigen, er war mein Vetter von Vaters Seite, und er gehörte zum vornehmsten Hause der Banû 'Udhra! Nun fragte ich ihn: ,Sohn meines Oheims, was trieb dich dazu, dich so einsam in diese Wüste zurückzuziehen, wo ich dich jetzt sehe? Wie konntest du deinen Reichtum und den Reichtum deiner Väter aufgeben? Wie konntest du deine Knechte und Mägde verlassen und ganz allein an dieser Stätte dein Zelt aufschlagen?' Als er diese Worte von mir vernahm, o Beherrscher der Gläubigen, flossen ihm die Augen von bitteren Tränen über; und er sprach: ,O Sohn meines Oheims, ich war in heißer Liebe zu meiner Base entbrannt, ja, die verzehrende Leidenschaft zu ihr machte mich irre und wirre, und



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ich konnte es nicht ertragen, ihr fern zu sein. Und da meine Liebe zu ihr noch immer stärker ward, warb ich um sie bei ihrem Oheim. Er aber wies mich ab und vermählte sie einem Manne von den Banû 'Udhra, der im letzten Jahre zu ihr einging und sie zu der Stätte führte, an der er wohnte. Wie sie nun fern von mir war und meine Augen sie nicht mehr sehen konnten, trieben mich die brennenden Schmerzen der Leidenschaft und der sehnenden Liebe Kraft, mein Volk zu verlassen und mich von meinem Stamme, meinen Freunden und meinem Reichtum zu trennen, und ich schlug einsam mein Zelt in dieser Wüste auf und habe mich nun an meine Einsamkeit gewöhnt.' Dann fragte ich weiter: ,Und wo sind die Zelte ihrer Leute?' Er antwortete: ,Ganz in der Nähe, am Kamme des Gebirges dort! Jede Nacht, wenn aller Augen schlafen, wenn alles ruht, stiehlt sie sich heimlich aus dem Lager, ohne daß jemand sie bemerkt, und ich stille die Sehnsucht, indem ich mit ihr rede, und sie tut desgleichen. Schau, so lebe ich dahin und tröste mich eine kleine Weile der Nacht mit ihr, bis Allah vollendet, was geschehen soll, mag sich mein Wunsch erfüllen den Neidern zum Trotz, oder mag Allah anders über mich bestimmen. Er ist der beste Richter!' Als nun - so berichtete Dschamîl -der Jüngling mir alles erzählt hatte, o Beherrscher der Gläubigen, machte sein Schicksal mir Sorge, und ich war fast ratlos; so erregte mich der Eifer um seine Ehre. Dann aber sprach ich zu ihm: ,Sohn meines Oheims, soll ich dich auf einen Plan führen, den ich dir anraten könnte? Durch ihn soll, so Gott will, alles aufs beste gelingen; er soll dich auf den rechten Weg und zum Erfolge bringen, so daß Allah von dir abwendet, was du befürchtest.' Der jüngling erwiderte:, Sprich, mein Vetter!' So fuhr ich denn fort: ,Wenn es Nacht ist und die junge Frau kommt, so setze sie auf meine Kamelin; denn



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die ist schnell im Lauf. Du aber besteige deinen Renner, ich will eine von diesen Kamelinnen hier besteigen, und dann will ich mit euch die ganze Nacht hindurch forteilen. Und ehe der Morgen kommt, werden wir schon Steppen und Wüsten durchmessen haben; dann hast du dein Ziel erreicht und die Geliebte deines Herzens gewonnen. Die Erde Allahs ist weit, und ich will dir, bei Gott, beistehen, solange ich lebe, mit meinem Besitz und meinem Schwerte, ja mit meinem eigenen Leben.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 691. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschamîl des weiteren erzählte: ,Nachdem ich meinem Vetter geraten hatte, er solle die Frau entführen und wir wollten mit ihr in der Nacht forteilen, und ich ihm versprochen hatte, zeit meines Lebens ihm Hilfe und Beistand zu leihen, hörte er darauf und sprach: ,Lieber Vetter, laß mir nur noch sie um Rat darüber fragen; denn sie ist verständig und klug und durchschaut die Dinge.' Als es dann dunkle Nacht geworden war und die Stunde ihres Kommens nahte, wartete er auf sie um die bestimmte Zeit; doch sie blieb länger aus, gegen ihre Gewohnheit; da sah ich, wie der Jüngling aus dem Zelte hinausging, seinen Mund auftat und begann, den Windhauch, der von ihrer Seite wehte, einzuatmen, gleich als wollte er ihren Duft erhaschen; und er sprach diese beiden Verse:

O Wind des Ostens, Zephir bringst du mir
Aus einem Lande, wo die Traute weilt.
O Hauch, du trägst ein Zeichen meines Liebs;
Weißt du auch, wann sie endlich zu mir eilt?

Darauf trat er wieder ins Zelt und saß eine ganze Stunde weinend da. Doch dann sprach er: ,Lieber Vetter, meine Base weiß



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um diese Nacht; es muß ihr ein Unheil widerfahren sein, oder ein anderer Grund muß sie gehindert haben, zukommen.' Und er fügte hinzu: ,Bleib, wo du bist, bis ich dir Nachricht bringe!' Dann nahm er Schwert und Schild und blieb einen Teil der Nacht hindurch fort von mir. Als er aber zurückkehrte, trug er etwas in der Hand und rief laut nach mir. Ich eilte zu ihm. und er rief: ,Mein Vetter, weißt du, was geschehen ist?' ,Nein, bei Gott!' erwiderte ich; und er fuhr fort: ,Heute nacht ist mir meine Base entrissen! Als sie sich zu mir begab, ist ihr ein Löwe auf dem Wege begegnet, und der hat sie verschlungen und hat von ihr nichts übriggelassen, als was du hier siehst!' Mit diesen Worten ließ er zu Boden fallen, was er in der Hand hielt; und das waren die Überreste der jungen Frau, Knorpel und Knochen. Und er weinte bitterlich, warf den Bogen aus der Hand, nahm einen Sack und sprach zu mir: ,RUhte dich nicht von hinnen, bis ich wieder zu dir komme, so Gott der Erhabene will!' Und er ging fort und blieb nur eine Weile fern; als er zurückkehrte, hatte er in der Hand das Haupt eines Löwen. Das warf er zu Boden. Dann bat er um Wasser, und als ich es ihm gebracht hatte, wusch er das Maul des Löwen und begann, es zu küssen; dabei weinte er, und indem sein Schmerz um sie immer größer ward, sprach er diese Verse:

O Löwe, der du dich in die Gefahr begabest,
Du bist dahin! Du hast mir Schmerz um sie erregt,
Hast einsam mich gemacht, der ich ihr Freund gewesen,
Hast in die Erde ihren Leib als Pfand gelegt.
Zum Schicksal, das uns grausam trennte, will ich sagen:
Du sollst mir keine Freundin mehr zu zeigen wagen!

Dann sprach er: , Lieber Vetter, ich beschwöre dich bei Allah und beider Verwandtschaft und Bluts gemeinschaft, die zwischen uns besteht, wahre meinen letzten Auftrag! Du wirst mich alsbald



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tot vor dir sehen. Wenn es dann so ist, so wasche mich, hülle mich und diese Knochen, die noch von der Tochter meines Oheims übrig sind, in dies Leichentuch und bestatte uns beide in dem gleichen Grabe. Und auf unser Grab schreib diese beiden Verse:

Wir führten auf der Erde froh das schönste Leben,
Vereint in einem Lande und als Hausgenossen.
Das Schicksal und sein Wechsel trennte unsre Freundschaft;
Und in der Erde hält ein Laken uns umschlossen.'

Darauf weinte er bitterlich und ging wieder in das Zelt hinein; und nachdem er eine Weile fortgeblieben war, kam er zu mir heraus und begann zu stöhnen und zu schreien. Noch einen tiefen Seufzer stieß er aus; dann schied er von dieser Welt. Als ich das sehen mußte, ward ich so schwer bekümmert und betrübt, daß ich ihm fast gefolgt wäre im Übermaße meines Schmerzes. Doch ich trat zu ihm heran, bahrte ihn auf und tat ihm alles, worum er mich gebeten hatte; ich hüllte die beiden in ein Laken und bestattete sie in dem gleichen Grabe. Drei Tage verweilte ich bei dem Grabe; dann zog ich fort. Aber noch zwei Jahre lang bin ich oftmals zur Stätte der beiden gepilgert. Dies ist ihre Geschichte, o Beherrscher der Gläubigen!'

Als er-Raschîd seiner Geschichte zugehört hatte, fand er Gefallen an ihr und verlieh dem Dichter ein Ehrengewand und ein schönes Geschenk.

Ferner wird erzählt, o glücklicher König,


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