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Kapitel 

AN NACHTFEUERN DER KARAWAN-SERAIL


MÄRCHEN UND GESCHICHTEN ALTTÜRKISCHER NOMADEN


erzählt von

ELSA SOPHIA VON KAMPHOEVENER

Erste Folge

CHRISTIAN WEGNER VERLAG HAMBURG



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BUCHAUSSTATTUNG: HANS HERMANN HAGEDORN


Der Rosenbey

Dort wo im südlichen Teil von Kleinasien alles gedeiht und blüht in verschwenderischer Fülle, wo es unter Obstbäumen von Blumen und Sträuchern würzig duftet, dort befinden sich auch die weiten Rosenfelder. Aus den Blättern der üppigen Zentifolie, deren Duft der stärkste und süßeste aller Rosendüfte ist, wird das Rosenöl gewonnen, davon ein einziger Tropfen jahrzehntelang die Frische des Duftes behält und hohe Kostbarkeit besitzt.

In dieser lieblichen Landschaft, fern den Schroffen des Karst, befand sich der Landsitz eines großen Handelsherrn, dessen ausgedehnte Ländereien einem kleinen von Rosenbüschen durchdufteten Walde glichen. Der Handelsherr selbst genoß die Schönheiten seines Besitzes allerdings nur ganz selten, befand er sich doch meist auf weiten und langen Karawanenreisen, die ihn monatelang von daheim fernhielten und denen er seinen stets wachsenden Reichtum verdankte. Im Dämmern der Rosenbüsche im Walde hielt sich nur sein zartes, immer kränkelndes Weib auf, und es mag auch ihrem steten Kranksein zugeschrieben werden, daß der Handelsherr sehr selten heimkehrte. Denn was tut ein gesunder, weitläufiger Mann mit einer kranken Frau? Obwohl er nun als Moslim der Erlaubnis des Propheten gemäß leicht noch ein zweites Eheweib neben dem ersten hätte zu sich



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nehmen können, war er doch ein zu guter Rechner, um das zu tun. Denn hatte nicht der Prophet, in weiser Voraussicht des Für und Wider solcher Erlaubnis, verfügt, daß jedes Eheweib, das ein Mann zu sich nähme, die gleichen Wohnräume, die gleiche Anzahl von Dienerschaft, die gleiche Menge von Kleidungs- und Schmuckstücken haben müsse und zudem sich in gleicher Weise der liebenden Aufmerksamkeit ihres Ehegemahls zu erfreuen habe? Wer aber vermag all diesen Bestimmungen gerecht zu werden, ohne die Ausgaben für die Lebenshaltung ins Ungemessene zu vermehren und ohne in steten Gewissensschwierigkeiten eingefangen zu sein, ob er auch wirklich nicht der einen oder der anderen seiner Frauen mehr »liebende Aufmerksamkeit« erweise? So läßt es ein kluger Mann besser bei der einen Frau bewenden und unternimmt immer längere und ausgedehntere Reisen, um nicht durch Krankheit im Hause gelangweilt zu werden.

Die kranke Frau des Handelsherrn aber war nicht etwa unglücklich über die häufige Abwesenheit ihres reisenden Eheherrn, hatte sie doch ein Töchterchen, das sie zärtlich liebte und das in der rosendurchwachsenen Wildnis ihres Besitzes ebenso fröhlich um sie herum sang wie die vielen Vögel, ebenso heiter sprang wie die kleinen Quellen, die überall den Boden befeuchteten und so auch bei größter Hitze Kühle und Lieblichkeit schufen. Gülilah, Rosengleiche, hatte die Mutter ihr Kind genannt, und da sich das Mädchen auch meist in der Nähe von blühenden Rosen aufhielt, duftete sie selbst wie eine Rose.

Doch kam der Tag, da die kranke Frau spürte, es werde bald mit ihr zu Ende gehen; sie sprach mit den treuen Skiavinnen, die gelobten, Gülilah wie ihren Augapfel zu hüten, und dann sagte sie zu ihrer jungen Tochter, sanft



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und heiter redend: »Komm her zu mir, Gülilah, und höre, was ich dir zu sagen habe. Es wird ein Tag sein, da ich nicht mehr bei dir bin. Ich werde dann für dich nicht mehr zu sehen sein, aber dort, wo ich dann lebe, werde ich wieder jung und kraftvoll sein und nie mehr krank. Du mußt hier bleiben, denn so ist es dir bestimmt, aber ganz allein wirst du niemals sein, denn ich bleibe dir nahe. Hier, bei diesem schönsten und größten Rosenstrauch, wo ich immer so gerne weilte, hier werde ich dir nahebleiben. Wann immer du Trauer oder Verlassenheit fühlst, so komme hierher, lege deine Hand an den Strauch und rufe mich. So werde ich bei dir sein, Kind meines Herzens, und dich niemals verlassen.«

Gülilah hörte zu, ohne zu weinen, schmiegte sich nur fest an die zarte Mutter. Als der Tag kam, der ihr die Mutter nahm, weinte sie auch dann nicht, gedachte vielmehr der Worte, die der zärtliche Mund zu ihr gesprochen hatte, kauerte bei dem Rosenbusch und wartete, bis sie sich getrauen würde, ihre Hand an sein Holz zu legen und die geliebte Mutter zu rufen. Sie war reichen Herzens, diese junge Gülilah, und darum gedachte sie der Mutter, die nun wieder jung und stark sein wurde, einige Zeit für den Übergang in das andere Leben zu lassen, ehe sie die Teure zurückrief, den Kummer ihres Kindes zu stillen, hierher, wo es Tränen und Einsamkeit gab. Indessen ward sie von den Skiavinnen umsorgt und verwöhnt, entbehrte so nichts, dessen sie bedurfte, einzig nur der weichen zärtlichen Stimme, die ihr das Herz erfreut hatte.

Einige Zeit verging, und der Bote, der dem Handelsherrn nachgeschickt worden war, um ihm vom Hinscheiden seiner Gemahlin zu berichten, kehrte in das heimatliche Haus zurück. Er brachte die Nachricht, daß der Herr und Gebieter sich sogleich ein neues, junges und



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gesundes Weib genommen habe, nachdem er die Botschaft vernahm . . »und hat sie sich ausgesucht, wie man eine gesunde Kamelstute aussucht«, verkündete er lachend den lauschenden Skiavinnen. Diese fanden es angebracht, Gülilah vorerst von der neuen Entwicklung nichts mitzuteilen, denn sie fanden, daß man Ungütiges stets zu früh erfährt, und waren überzeugt, daß, wie immer auch das Vorhandensein einer neuen Herrin sich auswirken könne, es niemals eine Freude für die Tochter der toten, von ihnen allen geliebten Herrin sein würde.

So geschah es denn, daß eines Abends mit viel Lärm und Aufwand die Karawane des Handelsherrn zurückkehrte, mit sich ein weißes Kamel führend, auf dessen Rücken eine kostbar ausgestattete Haudah schwankte, deren golddurchwirkte Seiden in der Abendsonne blitzten, als sich das edle Tier niederließ. Gülilah aber vernahm nur, daß ihr Vater heimgekehrt sei, und da eine Tochter abzuwarten hat, ob sie vor den Vater befohlen wird, und nicht ihm entgegeneilen darf, verhielt sie sich ruhig. Zudem hatte sie von je ihren Vater so selten zu Gesicht bekommen, daß es ihr wenig ausmachte, ob er im Hause war, ob nicht, hatte doch auch er diese Tochter seiner kranken Frau kaum beachtet, da ein Mädchen ja überhaupt ohne Bedeutung ist.

So kam es, daß Gülilah sich der Anwesenheit einer Gemahlin ihres Vaters erst bewußt wurde, als der Schmuck der Mutter, mit dem sie oftmals spielte schien ihr doch an den blitzenden Dingen noch etwas von der Lieblichkeit der Verstorbenen zu haften -, fortgeholt wurde, damit er der neuen Frau überlassen werde. Behutsam begann da Rukiya, ihre alte Amme, Gülilah mitzuteilen, was geschehen war, und jetzt überwältigte ein Gefühl des Verlassenseins zum ersten Male das Mädchen. Sie eilte fliegenden Fußes davon, und ihre grauen Schleier, in die



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sie sich zu hüllen liebte, flatterten wie Taubengefieder um sie herum. Zum Rosenstrauch der Mutter, nur dorthin, nur schnell! Bei dem vertrauten Platz angelangt, hockte sich Gülilah am Rosenstrauch nieder, legte die Hände weich und fest um das starke Holz der Rose und sagte leise, bittend, innig: »Anam« (das ist »meine Mutter«), »ich habe Kummer, tröste mich.« Kaum hatte sie das gesagt, als der Rosenstrauch auseinanderzufallen schien, sich öffnete, wie wenn der Vorhang vor einem Gemach zurückgeschlagen wird, und aus ihm hervor klang die weiche, die zärtliche Stimme der Mutter. »Komm herein zu mir, mein Kind«, sagte sie, »und dein Kummer wird vergehen.«

Zuerst erschrak Gülilah ein wenig, aber dann wurde ihr ganz leicht und freudig zu Sinne, sie lachte leise und rief glückselig: »Ich komme, Anam, geliebte Mutter, ich komme!« Sie trat ein in die schmale Öffnung, die ihre schlanke, junge Gestalt weich umschloß, als umfange sie die Mutter, und der Rosenstrauch schloß sich hinter ihr. Alle Blüten wandten sich nach innen Gülilah zu, alle Dornen nach außen, wie Waffen auf einem Festungswall sich gegen den Feind richten.

Verzweifelt suchte Rukiya ihrer aller Liebling, aber es dauerte bis zum Sonnenuntergang, daß sie an den Platz dachte, den die tote Herrin bevorzugte, und nun dort ihre bangen Rufe nach Gülilah erklingen ließ. Wie erstaunte sie, als eine frohe junge Stimme ihr aus dem Rosenstrauch heraus Antwort gab und gleich darauf der dornige Strauch seine blühende, duftende Innenseite zeigte! Heraus schlüpfte Gülilah, selbst einer Rose gleich duftend, und unzählige Rosenblätter hafteten an ihren grauen Schleiern. »Ich war bei der Mutter, Rukiya, meine Seele, und ich bin so glücklich, oh, so glücklich!« jauchzte die junge Stimme. Die alte Frau dachte sich,



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daß es mehr Wunder gäbe, als ein Mensch allein verstehen könne, und wenn es nun so sich gestaltete, daß Gülilah von der neuen Herrin Ansprüchen nichts bemerkte, vielmehr im Rosenstrauch geborgen blieb wie gut war das dann, und wie beruhigt konnten sie alle sein!

Und wirklich wurde es auch so, wie die treue Seele gehofft hatte. Da ihm niemand von Gülilah sprach, vergaß der Handelsherr bald, daß er jemals ein Tochter gehabt hatte, und Gülilah lebte von den Skiavinnen umsorgt und verhätschelt in den weiten Räumen des großen Hauses unbehelligt dahin. Wurde ihr das Herz schwer, so schlüpfte sie hin zum Rosenstrauch, legte die Hände daran, rief die Mutter und war geborgen im Innern dieses Duftes, der nach außen nur wehrhafte Dornen zeigte.

Das ging lange so weiter, und aus dem Kinde wurde eine Jungfrau. Sie hatte keine Gefährtinnen, und kaum jemand wußte, daß im Hause des Handelsherrn eine Tochter lebe. Für alle anderen Mädchen aber des Ortes, wo sich der große Besitz befand, kam jetzt eine sehr aufregende Zeit. Und das geschah so: An den Waldbesitz des Handelsherrn grenzten Rosenfelder. Sie gehörten dem reichsten Mann der ganzen Gegend, den man allgemein den Rosenbey nannte, waren doch seine Rosenfelder schier unübersehbar. Er war jung, er war schön, und er war wählerisch in allem. So genügten ihm auch die flüchtigen Freuden der Liebe in ihrem steten Wechsel und steten Gleichmaß nicht, und jedesmal, wenn er von seinen Reisen nach Jspahan, dem Lande der Rosen, heimkehrte, schien er wieder um ein weniges mehr mißgestimmt und unzufrieden. Seine Mutter, der wie allen Müttern daran lag, den Sohn an das Haus zu fesseln, nahm an, dieses Ziel würde erreichbarer sein, wenn ein



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junges und geliebtes Eheweib den Reiselustigen daheim erwarte, und sie lag dem Sohne mit diesem Anliegen stets in den Ohren. Um sie nicht durch Rauheit zu verletzen, sagte der Rosenbey eines Tages, mehr zum Spaß als aus wirklicher Überzeugung heraus: »Also gut, Mutter, wie du es wünscht, so sei es. Nein, warte, freue dich noch nicht, denn meine Zustimmung ist an eine Bedingung geknüpft. Es ist diese: ich werde das Mädchen zur Frau nehmen, das am süßesten duftet, einer kostbaren Rose gleich, einer einzigartigen.«

Die Mutter starrte ihn erschreckt an, stammelte: »Aber, mein Sohn, wie soll es geschehen, daß man solches erkennt, ehe denn das Mädchen nicht in deiner Nähe wäre? Und du weißt gut, daß das unziemlich und unmöglich war vor der Hochzeit.« Der Bey hatte Mühe, sein Lachen vor der Mutter besorgtem Blick zu verbergen, und fand schließlich den Ausweg, auf ihre Frage in dieser Art zu antworten: »Da du von der gebotenen Sitte sprichst, verehrungswürdige Mutter, so sei daran erinnert, daß es deine Aufgabe ist, mir die geeignete Frau auszuwählen, nicht die meine. Ich denke darum, es wäre möglich, daß du im Hofe des Frauenhauses einige der von dir erwählten Mädchen zusammenholtest, sie verschleiert und somit unkenntlich aufstellen ließest und mir gestattetest, an ihren Reihen entlangzugehen und an ihnen zu riechen, als wären sie Rosen, die ich zu unterscheiden hätte ihrer Art und ihrem Wert nach. Du weißt, daß meine Nase die empfindlichste ist, sogar in Jspahan so gewertet, und daß man mich nicht betrügen kann, wo es um Düfte geht. Willst du es so, Mutter, dann bleibe es, wie ich gesagt habe: ich werde riechen und wählen. Willst du es aber nicht, so reden wir nicht mehr davon. Erlaube mir nun zu gehen, ehrwürdige Mutter.«

Ohne ihr noch Zeit zu lassen für eine Erwiderung, ging



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der Bey davon und begab sich in seine eigenen Räume im Selamlik, dem Hause der Männer. Er konnte auf dem Wege dorthin, durch die weiten Gänge schreitend, endlich seinem bisher unterdrückten Lachen nachgeben, und so, lachend, kam er zu einigen seiner Freunde, die ihn in seinen Gemächern erwarteten. »Was ist dir, was erheitert dich so?« fragten sie, und so berichtete er ihnen, was er soeben angestellt hatte. »Aman, Freund und Bruder, wie konntest du die ehrwürdige Mutter so verhöhnen! Ist das auch statthaft?« wurde er zurechtgewiesen von einem ernsthaften jungen Mollah. Aber die anderen Jünglinge konnten sich gleich ihm des Lachens nicht enthalten, und als sie später in ihre Behausung zurückkehrten, erzählten sie rechts und links von dem tollen Einfall des Rosenbeys. Die Mütter erfuhren davon, die Schwestern, alles, was Röcke und auch Schleier trug, und wie ein Bienenschwarm summt, wenn er auszieht, Blumenduft zu suchen, so summte und lachte es bald im ganzen Ort und weit darüber hinaus. Wie überall dort, wo es zur Verbreitung einer Nachricht oder eines Geschehens nur das Mittel des Weitersagens von Mund zu Mund gibt, reiste die Neuigkeit schneller, so als rolle sie vom Rücken eines Rennkamels herab, und so kam es, daß noch, ehe die Mutter des Rosenbeys ihre Suche nach einer wohlriechenden Schwiegertochter begonnen hatte, die Preise für Duftwässer ins Ungemessene stiegen und die persischen Händler, die diese Kostbarkeiten überalihin im Lande trugen, Geschäfte machten, die sogar sie selbst überraschten.

Als dann endlich die ihres Amtes waltende Ehevermittlerin wie üblich im Auftrage der Mutter des Beys begann, ihre Runde anzutreten und den Müttern der zu erwählenden Mädchen ernsthaft mitzuteilen, welcher Prüfung sich ihre Töchter zu unterwerfen hätten, da begegnete sie



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heftigster Entrüstung, und aus dem ganzen schönen Plan wäre sicher nichts geworden, wenn sich nicht eine Art Verschwörung der Mädchen untereinander gebildet hätte. Sie fanden es wundervoll, daß in ihrem Leben, das wenig Abwechslung bot, endlich einmal etwas Besonderes vor sich gehen solle, und versprachen, besonders dichte Schleier zu tragen, um auf diese Art bei der Beriechung durch den Rosenbey in nichts gegen die Sitte zu verstoßen. Und endlich erreichten sie die Zustimmung ihrer Mütter; es sollte wirklich dazu kommen, daß ein großer Rosenzüchter sich seine Ehefrau einer Blume gleich nach dem Dufte aussuchen würde . . . Maschallah, welch ein gewaltiger Spaß! Alles lachte, und immer noch stiegen die Preise für Duftwässer.

Der Rosenbey aber hatte die Flucht ergriffen, nachdem er zu seinem Schrecken erfuhr, daß die Mutter allen Ernstes seinen Spaß zur Wirklichkeit machte. Er war plötzlich fort, aber das machte seiner Mutter nichts aus, wußte sie doch, daß er jetzt zur Zeit der Rosenernte bald wiederkommen mußte, ob er mochte oder nicht, und so lange würde sie eben mit der Ausführung ihres Planes warten, zumal alles nun so gut vorbereitet war, daß es nur einiger Botengänge bedurfte, um die Mädchen zusammenzurufen in den Hof des Haremlik.

Von all diesen Dingen erfuhr Gülilah nichts. Sie verträumte die Zeit in ihrem duftenden Gefängnis des Rosenstrauches und war glücklich in der zärtlichen Obhut der Sklavinnen. Wohl aber wußte Rukiya, die alte Amme, um alles, was geschehen sollte, und sie sprach mit den älteren Sklavinnen davon, wie es doch unmöglich sei, daß der toten Herrin Tochter in diesem Hause, wo sich niemand an ihr Dasein erinnerte außer der Dienerschaft, ihr Leben in einem Rosenstrauche verbringe. »Eines Tages«, sagte Rukiya, »wird sich diese neue, harte Herrin



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darauf besinnen, daß eine Tochter ihres Gemahls vorhanden ist, und dann wird für unsere Gülilah schwere Zeit kommen. Jetzt aber, jetzt wäre etwas zu tun geraten! Von süßem Duft reden sie, und daß der Bey sie gleich Rosen am Duft kosten wolle. Wißt ihr nicht, meine Schwestern, wie süß Gülilah stets duftet, wenn sie aus dem Rosenstrauch kommt und ausschaut zudem gleich einer Rose, da an ihren grauen Schleiern die Rosenblätter haften? Nun also, so muß etwas getan werden. Denkt ihr nicht auch so?«

Sie dachten alle so, und am nächsten Tage begab sich Rukiya zu ihrer Schwester, die, eine befreite Sklavin, als ehrsame Ehefrau eines Schreiners am gleichen Orte lebte. Rukiya hatte erst vor wenigen Tagen den Besuch dieser Schwester gehabt, und die stolze Mutter hatte berichtet, daß ihr Sohn Mehmed nun endlich soweit sei und sich in des Vaters Werkstatt eine Sänfte gebaut habe; als Sänftenträger wolle er nun zusammen mit seinem Freunde Sami sich den Lebensunterhalt erwerben. Um dieser Sänfte willen trat Rukiya den Weg zur Schwester an, und eine lange geheimnisvolle Unterhaltung der beiden Frauen begann. Sie hatten vielmals leise zu lachen, und als vollends der junge Mehmed noch hinzugezogen wurde, nahm die Heiterkeit kein Ende. »Ich gebe rechtzeitig Nachricht«, versicherte der Jüngling und schwur nochmals, sich genau an die gegebenen Vorschriften zu halten. Zufrieden trat Rukiya den Heimweg an und sagte sich, es sei zwar gewiß gut, dem Kismet alles zu überlassen, aber ein weniges durfte man auch helfend dabei eingreifen, ohne die Ehrfurcht vor der gegebenen Bestimmung zu verletzen . . . war es nicht so? Und wer außer ihr dachte sonst an Wohl und Wehe der lieblichen Gülilah? Wem, wenn nicht ihr, hatte die sterbende Mutter das Kind anvertraut? Schützender Rosenstrauch war



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wohl gut und schön, aber nicht einzige Bestimmung eines jungen Weibes!

Endlich kam der ereignisreiche Tag. Der Rosenbey war am Abend vorher wieder einmal aus Jspahan zurückgekehrt, und als er ehrfurchtsvoll die Mutter begrüßt hatte, sagte diese kluge Frau, sorgfältig das Gefühl des Triumphes verbergend, das sie durchströmte: »Mein Sohn, sei deine Heimkehr dieses Mal ganz besonders glücklich, ist doch morgen der Tag, an welchem du endlich meinen heißen Wunsch erfüllen wirst und dein Eheweib erwählen.« Der Bey starrte seine Mutter völlig aus der Fassung geraten an und stammelte verwirrt: »Was werde ich . was?« »Dir diejenige erwählen, die dir am lieblichsten duftet, mein Sohn, wie du mir versprochen hast. Es ist alles vorbereitet, und als ich Nachricht erhielt, die Vorhut deiner Karawane nähere sich, habe ich sogleich Botschaften ausgesandt, daß, wie es besprochen wurde, die Mädchen in der Morgenstunde sich hier im Hof des Haremliks versammeln. Es sind sechzehn an der Zahl.« Das wurde alles ruhig und sicher vorgebracht, und es schien, als bemerke die Mutter überhaupt nicht das fassungslose Staunen ihres Sohnes. »Du hast, ehrwürdige Mutter . . . du hast das wirklich ernst genommen? Du glaubst, ich werde herumgehen und an sechzehn verschleierten Mädchen riechen, um mir die auszusuchen, die die kostspieligsten Duftstoffe über sich ausgoß? Aman, meine Mutter, wie ist so etwas möglich?«

Der Bey sank auf dem Kissen, auf dem er zu Füßen seiner Mutter hockte, in sich zusammen und bot das Bild völliger Hilflosigkeit. Die Mutter sah mit dem Ausdruck großer Zufriedenheit auf den Sohn herab, der sich selbst die Schlinge geknüpft hatte, und bemerkte trocken: »Was ein Mann verspricht, das hält er, so er sich nicht vor seinem eigenen Spiegelbild schämen will.« Nichts konnte



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darauf der beklagenswerte Omer sagen, denn hatte sie nicht recht, diese kluge Mutter? Er ging gesenkten Hauptes in sein Selamlik hinüber, wo er sich mit dieser unmöglichen Lage in Gedanken zu befassen gedachte. Aber dazu wurde ihm keine Zeit gelassen; denn schon hatten auch seine Freunde von seiner Rückkehr gehört, und sie brannten darauf, ihm alles zu erzählen, was sich inzwischen um dieses geplante Mädchenberiechen herum abgespielt hatte. So empfingen sie ihn als Held und wunderbaren Ersinner eines unvergleichlichen Schauspieles, denn sie gedachten alle, am morgigen Tage von den Fenstern seiner Gemächer aus zuzuschauen, während er unten im Hofe des Harems an sechzehn verschleierten Mädchen entlangging und jede beroch. 0 herrlich, in Wahrheit unübertreiflich! Angesichts solcher Lobpreisungen blieb dem in seiner eigenen Schlinge gefangenen Omer Bey nichts anderes mehr übrig, als gute Miene zum eigenen erdachten bösen Spiel zu machen und so zu tun, als erheitere auch ihn die künftige Beriecherei ganz übermäßig.

Von der Nacht, die nun anbrach, ist dieses zu sagen, daß die sechzehn Mädchen kein Auge zutaten und der eine Mann auch nicht. Ebenso schlaflos blieb auch Rukiya, die Listenreiche, während Gülilah den tiefen Schlummer wohlbehüteter Jugend schlief.

Seinem Versprechen gemäß erschien Mehmed, der Neffe Rukiyas, schon beim Morgengrauen und berichtete, daß alles sich auf das Ereignis vorbereite. Eine Stunde vor dem Mittagsschuß würden die bewußten sechzehn Mädchen sich im Hofe des Harems einfinden. »Gut, gut«, sagte aufgeregt Rukiya, »dann sei rechtzeitig mit deiner Sänfte hier und achte nur darauf, daß du schnell, sehr schnell wieder zurückkommst, wie ich es dir befahl.« Etwas gelangweilt von den wiederholten Ermahnungen,



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erklärte Mehmed, weder er selbst noch auch Sami seien des Verstandes beraubt wie kleine Kinder, und was ihm wichtiger erscheine als viele Worte, wäre der in Aussicht gestellte Lohn; wann solle der gezahlt werden? Jetzt oder nach der Rückkehr? Zu langem Gerede hatte Rukiya keine Zeit mehr, war auch viel zu erregt dafür, und so bekam der freche Junge die Hälfte sogleich, worauf er zufrieden seiner Wege ging.

Jetzt mußte Rukiya noch an das schwere Werk gehen, die ahnungslose Gülilah in ihr feines Maschengewebe einzuwickeln. Ihre Aufregung stieg, als sie sich gegen die dritte Vormittagsstunde zum Rosenstrauch begab, in den sich Gülilah wieder verkrochen hatte. »Komm heraus, meine Taube, meine Seele, komm heraus zu mir, denn ich habe dir eine Bitte vorzutragen, komm heraus!« Als schlüpfe sie durch einen Vorhang hindurch, so schob Gülilah die Blätter und Dornen auseinander und fragte leise: »Eine Bitte? Die ich erfüllen kann? Nenne sie, meine Getreue, und schon ist sie erfüllt.« Rukiya begann in ihrer Verlegenheit an den grauen Schleierfalten herumzuzupfen, als müsse sie die kleine Herrin schmücken, und sagte halblaut, weil ihr die Stimme kaum gehorchte: »Es ist dieses, Herz meiner Seele . . . mein Neffe Mehmed, von dem du weißt, hat sich eine Sänfte gebaut, eine schöne, helle, auf die er sehr stolz ist und die er zusammen mit einem Freunde tragen will. Nun wurde sie noch niemals benutzt, und man weiß nicht, ob sie halten wird oder ob der Boden durchbricht. Da wollte ich dich bitten, da du so leicht bist wie ein Vogel, kleine Herrin, ob du mir die Bitte erfülltest, dich von ihm einige Schritte tragen zu lassen? So werden wir wissen, ob ihm sein großes Werk gelang . . . willst du?«

Gülilah lachte und sagte ein wenig erstaunt: »Aber warum so viele Worte machen um ein so kleines Geschehnis,



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Rukiya, meine Treue? Gewiß werde ich mich in die schöne helle Sänfte setzen. Dieser Mehmed wird mich nicht weit tragen, denke ich?« Mit sehr schlechtem Gewissen versicherte Rukiya, man werde nur um die Mauer des Besitzes herumgehen, ein einziges Mal nur . . . und zog Gülilah mit sich fort, stand doch die Sonne schon bald in der Himmelshöhe und der Schuß, der die Mittagsstunde ankündigte, mußte bald fallen. Kam er rechtzeitig, dieser freche Mehmed, oder betrog er sie alle? Aber nein, da war er schon, und vor der schmalen Pforte, die den Eingang zu den Sklavenräumen bildete, sah man die schöne helle Sänfte stehen, bewacht von Sami. Mehmed trat seiner Tante entgegen und erklärte keck, daß er da wäre, wie verabredet, dann aber bewies er seine Eignung zum künftigen Geschäftsmann, indem er in höflichster Dankbarkeit der jungen Herrin Gülilah versicherte, welch großen Dienst sie ihm leiste. Die grauen Schleier wurden vor das junge Gesicht gezogen, und darunter hervor lachte Gülilah leise, sagte, sie freue sich auf das kleine Abenteuer. Ihr fiel es nicht weiter auf, daß Rukiya ein banges »Güleh. . . güleh. . . « murmelte, und wenn sie hingehört hätte, würde sie vermeint haben, ihren eigenen Namen zu hören, nicht aber den Wunsch, es möge alles lachend mit Lachen sich vollenden.

Schon fühlte sie das rhythmische Schweben, das vom gleichmäßigen Schreiten der zwei Sänftenträger verursacht wird, und lehnte sich zufrieden in die weichen hellen Seidenpolster zurück. Die Vorhänge an den Fenstern der Sänfte waren geschlossen, und Gülilah sah nicht hinaus, denn sie vermeinte, an der Mauer des heimatlichen Besitzes entlang getragen zu werden, und an der war nichts zu sehen. Die Geräusche vieler Stimmen störten sie weder, noch wollte dieses Kind der Einsamkeit wissen, was sie hervorrief. So zog geheimnisvoll und verhüllt



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die kleine schöne helle Sänfte ihres Schicksalsweges dahin.

Unterdessen hatten sich die sechzehn wohlriechenden Mädchen im Hof des Frauenhauses von Omer Beys Besitz eingefunden und standen in der Mittagssonne, von ihren Schleiern dicht verhüllt wie in einem selbstgeschaffenen Badedunst reglos und erwartungsvoll dort. Droben, an den geschlossenen Fenstern des Selamliks, der Wohnung des Hausherrn, standen, durch Vorhangsspalten spähend, die Freunde und Gefährten Omers und wollten sich vor Lachen ausschütten. »Das ist der köstlichste Anblick, den wir je genießen werden«, rief Faik, Omers nächster Freund, »und wir sind dir so sehr dankbar dafür, Freund! Wann aber willst du nun endlich hinuntergehen und an ihnen entlang riechen? Diese Schaustellung zu erleben, ist fast das Geschenk einer jungen Stute wert!« Omer aber hielt sich im Hintergrunde, wollte nicht hinunterschauen, schämte sich der ganzen Veranstaltung und wußte doch, es blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als wirklich duftatmend an der Mädchenaufstellung entlangzugehen.

Als jetzt einer der Diener kam und meldete, die Herrin habe soeben sagen lassen, der Bey Effendi möge sich beeilen, da die Mädchen in der Hitze ohnmächtig zu werden drohten, entschloß sich Omer, der Sache ein Ende zu bereiten, und ging eilends davon. Er betrat den Hof des Harems durch die schmale und niedere Tür, die in einem Winkel des großen Vierecks fast verstohlen angebracht war, und konnte von hier aus genau vor sich zum Eingang des weiten Hofraumes hinüberblicken. Er sah an der Reihe verschleierter Frauen, von denen ein nahezu betäubender Duft aufstieg, vorbei und beobachtete eine kleine helle Sänfte, die soeben am Hofeingang abgestellt wurde. Ein Eunuch, der wohl annahm, eines der erwarteten



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Mädchen habe sich verspätet und werde soeben noch herbeigebracht, ging langsam wiegenden Schrittes auf die Sänfte zu, um die Nachzüglerin zu empfangen. Omer sah im gleichen Augenblick, wie eine Hand den Vorhang zur Seite schob und graue Schleier wehten. Er hörte eine leise Stimme fragen: »Warum halten wir?«, und gleich danach öffnete sich die Tür der Sänfte, und ein schmaler Fuß in grauem Seidenschuh schob sich vorwärts.

In diesem Augenblick erhob sich von irgendwoher ein leichter Windstoß und von ihm getragen schwebte zu Omer Bey ein Rosenduft von solcher Süße heran, daß er den Atem scharf einzog. Drei schnelle Schritte brachten ihn zu der Sänfte hin, doch ehe er sie erreichte, erklang ein leiser erschreckter Ruf, die Tür wurde hastig zugezogen, und die Sänfte war schon gehoben und schwebte fort, ehe Omer noch etwas tun konnte um sie anzuhalten. Auch vergaß er es, rechtzeitig den Befehl zu geben, überhörte sogar das fragende Flüstern des Eunuchen neben sich, denn dort, wo die Sänfte gestanden hatte, lag eine Rose, die wohl dem jungen Wesen in den grauen Schleiern entfallen war, als sie sich so hastig ins Innere der Sänfte zurückflüchtete . . . eine Rose, wie dieser Rosenkenner sie noch niemals gesehen hatte. Omer, der Rosenbey, vergaß alles um sich herum, stand und hielt die fremde Rose in der Hand und sog ihren Duft ein; beide Hände hatte er zu einer Höhlung geformt, und darin ruhte die Rose. Er ging wie ein Träumender den Weg zurück, den er gekommen war, hin zu der kleinen Tür im Winkel des Hofes, vorbei an den sechzehn duftenden Mädchen, die er nicht sah, vorbei an dem ängstlich fragenden Eunuchen, den er nicht hörte, hinauf in seine Räume, dort vorbei an den entrüstet fragenden Freunden, hin zu seinem Schlafgemach, in dessen kühler



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Dämmerung er sich auf sein Lager streckte, die becherförmig geformten Hände vor dem Gesicht, mit tiefen langsamen Atemzügen den Duft der fremden Rose einatmend. Und so blieb er. Der Tag verging, die Nacht kam, er rührte sich nicht. Sein Diener stellte Becher auf Becher des mit Bergschnee gekühlten Wassers neben ihn, auch eine Schale mit Trauben, und das war alles, was Omer in drei Tagen und drei Nächten zu sich nahm, während deren er sich nicht von der Stelle rührte. Die Rose aber, die fremde Rose in seinen Händen, sie verwelkte nicht!

Tief beängstigt stand oftmals seine Mutter neben ihm, blickte auf diesen Träumer nieder, verließ ihn schweigend wieder. Was sollte sie tun? Sie hatte anfangs zu ihm gesprochen, hatte ihren Arger an ihm auslassen wollen, der sie in eine so schmähliche Lage gebracht hatte und sechzehn Mütter zu ihren Feindinnen gemacht . . . doch bald begann sie zu begreifen, daß hier ein besonderes Kismet gewaltet haben mußte, war doch diese Rose, die niemals welkte, ein deutliches Zeichen, daß hinter all diesem ein Ifrit oder eine mächtige Peri stand. Welcher sterbliche Mensch aber vermochte gegen solche Gewalten etwas? Und dennoch schien es einen sterblichen Menschen zu geben, der gegen alles dieses etwas vermochte, und der hieß Rukiya. Die Getreue war über das so mächtig starke Gelingen ihres verschlagenen Planes selbst erschrocken. Als Gülilah ganz aufgeregt zurückgekommen war, von den zwei keuchenden jungen Sänftenträgern im Laufschritt herangebracht, sich in die Arme der Dienerin warf und atemlos berichtete von einem jungen Padischah, der auf sie zugekommen sei - einem, der dem Licht der Sonne gleiche und dem sanften Strahl des Mondes zugleich -, da war es der Getreuen doch sehr bange ums Herz geworden. »Aman, aman«, klagte sie



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vor sich hin, »wer bin ich, daß ich es mir herausnahm, mit dem Kismet zu spielen? Was soll nun werden und wie wird es alles enden?« Sie war schon drauf und dran, sich dem gestrengen Handelsherrn anzuvertrauen, als dieser ihr den Entschluß zunichte machte, da er am dritten Tage nach dem großen, von ihm nicht geahnten Ereignis zu einer langen Reise aufbrach, auf die er seine neue Frau mitnahm. So waren sie wieder allein im Sklavenhause und hatten nur die junge Gülilah zu bedienen und zu verwöhnen. Die aber war jetzt ganz in Träume versponnen, war kaum noch für die Nacht aus dem Rosenstrauch herauszulocken und verstrickte durch ihr Verhalten die getreue Rukiya immer tiefer in Sorgen und Ängste. Als die Alte nun vollends vernahm, wie es mit dem Rosenbey seit jenem schicksalsreichen Tage so seltsam stünde, daß er nicht lebe, nur noch träume, da faßte sie ihren Entschluß.

Sie machte sich auf zum Hause Omer Beys und ließ dort bitten, sie zu der Mutter des Herrn zu bringen, da sie dem Bey Heilung versprechen könne. Diese Worte wirkten wie ein Zauberschlüssel, und schon stand Rukiya vor Omers Mutter. »Bringe mich zu ihm, Herrin«, sagte sie, »denn ich weiß, woher jene Rose kam, und kann ihn zum Strauche bringen, daran sie wuchs. So wird er geheilt sein, Inschallah.« Die Mutter Omer Beys fragte nichts und zögerte auch nicht; sie packte Rukiya am Arm, sah sie strahlend an und sagte: »Komm mit mir, meine Schwester, dich sandte ein guter Geist« und zog sie mit sich fort durch die weiten Gänge des großen Hauses bis zum Eingang des Selamlik, das sie als Mutter des Hausherrn betreten durfte. Dem Diener am Vorhang der Eingangstür flüsterte sie zu: »Laß uns durch, Sami, wir bringen dem Herrn Heilung«, worauf er schweigend zur Seite trat. Die Mutter ging lautlos und eilig durch die



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hohen stillen Räume, schlug einen Vorhang zurück und wies stumm auf das Lager, darauf die reglose Gestalt des Sohnes ruhte. »Er hält die Rose in den gehöhlten Händen, siehst du es, Schwester? Die Blume blieb frisch wie am Tage, da er sie fand. Geh hin, sprich zu ihm, rufe ihn an!« Rukiya nickte, tat einige schnelle Schritte und sagte eindringlich leise, sich tief zu dem Liegenden herabbeugend, so daß ihre Schleier ihn streiften: »Herr, willst du den Strauch finden, an dem die Rose in deinen Händen wuchs, so komme mit mir.«

Kaum waren die Worte verhallt, als der Bey auch schon aufrecht vor Rukiya stand; er packte sie am Arm, sagte heiser und leise: »Bringe mich hin, schnell . . . und wehe dir, wenn du mich betrogst.« »So komme, Herr. Willst du zu Fuß gehen? Es ist nicht weit.« »Ja, ja, gehen wir, gehen wir. Sieh nur, wie schön sie ist, meine Wunderrose, und . . . ach, wie sie duftet!«

Rukiya war eine sehr ruhig und einfach denkende Frau, und sie merkte, daß sie diesen gänzlich verstörten Träumer wie ein Kind behandeln mußte, wollte sie ihr Ziel erreichen. So packte sie ihn am Arm, machte der Mutter und Hausherrin ein Zeichen, das diese auch sogleich verstand, denn sie ging voran, den Weg zum Ausgang weisend. Omer Bey schritt fast taumelnd neben Rukiya her, hatten ihn die drei Tage und Nächte doch beträchtlich geschwächt. Sie zog ihn mit sich durch schmale dämmerige Straßen und erreichte in Kürze die Umfassungsmauern des großen Besitzes, in dem Gülilah daheim war. Der Bey fragte nichts, sah sich auch nicht um, taumelte nur wie im Traum befangen dahin. Ohne sich dem Hause zu nähern, trat Rukiya durch das hohe in der Mauer befindliche Tor ein und führte Omer an den weiten Gärten entlang in den waldgleichen Teil, darin sich der geheimnisvolle Rosenstrauch befand. Sie wußte



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in Wahrheit nicht, ob sie es vermochte, die Ereignisse weiter zu beherrschen, ob sie Gülilah etwas berichten sollte von der Anwesenheit des sonnengleichen Mannes, und es war ihr bei allem recht ängstlich zu Sinne. Als sie nun bei dem Rosenstrauche anlangten, sah sie erschreckt, daß er alle Dornen nach außen gestreckt hatte. So war Gülilah darin? Was tun. . . ach, was tun?

Aber eben an diesem Punkte bewies das Kismet, daß es dennoch immer das Führende bleibt und sich der menschlichen Hilfe nur ganz nebenbei bedient, denn der Bey hob den gesenkten Kopf, sah sich um, holte tief Atem, sagte leise und voll Beglückung: »Der Duft! In Wahrheit der Duft meiner Rose! Oh, sei bedankt, du glückselige Botin! Aber warum hat er alle Dornen nach außen, dieser geliebte Strauch? Verbirgt er sie, die gleich seinen Rosen duftet?« Leise und sacht strich der Bey mit seinen immer noch gehöhlten Händen an den Dornen des Rosenstrauches entlang. Da -Rukiya erschrak heftig -erklang aus dem Strauch die weiche Stimme Gülilahs; sie sagte: »Bist du es, mein Bey, mein Herr und Gebieter? Bist du es? Sprich!« Omer Bey drückte die Hände fest gegen die Brust und sagte leise, wie ein Hauch: »Ich bin es, o Rosengleiche! Ich kam, um an deinem Dufte zu genesen und zu neuem Leben zu erwachen. Warum aber verbirgst du dich vor mir? Darf ich nicht deine taubengrauen Schleier mit den Fingern streifen, zart und ehrfürchtig, wie man geweihte Talismane berührt, o Rosengleiche?«

Da klang ein helles junges Lachen aus dem Rosenstrauch hervor, und Gülilah sagte heiter: »Du darfst es nicht, Herr! Und ich verberge mich, weil mir so meine Mutter zu tun befahl. Sie schloß mich hier ein und befahl mir so zu sprechen: wenn er jetzt kommt, der vom Duft deiner Rose träumt, dann sage ihm dieses: Der Strauch wird sich



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öffnen, wenn du ihn ausgegraben hast, tief und lange gegraben hast, vierzig Tage lang; in der gleichen Zeit sollst du auf deinem eigenen Grund ein Loch graben lassen, das ebenso tief sei wie dieses, das du um meinen Strauch ziehen lässest; dann bringe den Strauch hin zu deinem Grund und Boden, senke ihn dort in dein Erdreich, und der Strauch wird sich öffnen, dir die zu zeigen, die dir bestimmt ist. Vorher aber wirst du sie nicht erblicken. So, o Herr, gab mir meine Mutter auf zu dir zu sprechen.« Gülilah schwieg; Rukiya hatte sich ganz im Hintergrund verborgen, den Schleier noch fester um sich gezogen, und ihr Herz schlug schwer und hart vor Bangen. Was, o was hatte sie da angerührt?

Der Bey aber schien nicht erschreckt; er ließ sich vor dem Strauch nieder, auf den Absätzen hockend, und fragte: »Ist deine Mutter bei dir dort drin, Rosengleiche?« »Nein, Gebieter, sie starb und ließ mir diesen Strauch als Trost zurück, und bin ich in ihm, höre ich ihre Stimme. Bisher konnte ich aus und ein, wann immer ich wollte, nun aber . . . vierzig Tage sind eine lange Zeit. Und wirst du graben lassen wollen, o mein Bey?« Omer lachte leise, sagte schnell: »Wenn du mir eine deiner Wunderrosen zuwerfen kannst, so wird sie mich über die vierzig Tage fort trösten, und ich werde sogleich den Befehl geben, daß mit dem Graben begonnen wird. Bekomme ich die Rose?« »Da ist sie, o mein Bey«, sagte die weiche Stimme, und ein winziger Spalt zeigte sich in den Dornen, zwei zarte Finger warfen eine Rose hindurch; ehe aber der Bey die Finger erfassen konnte, schloß sich der Spalt wieder, doch er hielt eine Rose in Händen, genau derjenigen gleich, die ihm solange ihren Duft geschenkt hatte und ihm frisch geblieben war. Kaum aber legte er die frische Rose neben die erste, die er noch hielt, als diese in duftenden Staub zerfiel. Der Bey wischte den



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Staub der ersten Träume von seinen Fingern, sprang auf, barg die zweite Rose in seinem Gewand, sagte heiter und eifrig: »Ich gehe, o Rosengleiche, und bringe schon jetzt Arbeiter herbei. Immer werde ich hier sein, mit dir reden, mit dir scherzen, und jeden Tag sollst du mir eine neue Rose geben. Willst du es so, du Liebliche?« »Ich will es, Herr«, sagte die junge weiche Stimme, und als der Bey davoneilte, wollte es ihm scheinen, er habe Flügel an den Füßen, so wie es von den Ifrits berichtet wird.

Und so, wie es geplant war, so geschah es. Jeden Tag und den ganzen Tag saß der Rosenbey vor dem Rosenstrauch, der seine Gefangene nicht freigab, und sie redeten, sie scherzten, sie glaubten sich sehen zu können. In Verborgenheit bei den Bäumen stand Rukiya, die auch immer wieder ihren Liebling fragte, ob nicht Hunger, nicht Durst sie plage? »Für den Durst genügt der Tau, o Rukiya, für den Hunger aber der Duft der Rosen . . . es ist, als sättige er mich gleich einer köstlichen Speise.« Vierzig Tage, vierzig Nächte. Der Mann draußen vor dem dornigen Strauch, das Mädchen drinnen zwischen lauter Rosen, die Arbeiter im weiten Umkreise grabend, immer tiefer grabend, denn keine noch so zarte Wurzel durfte verletzt werden. Und ebenso andere Arbeiter im Grund und Boden des Rosenbey grabend nach gleicher Art. Die Tore blieben geschlossen, aber viel Volks stand draußen vor den Mauern, schweigend das Wunder dort drinnen bewachend. Und die Mutter des Bey richtete die Gemächer her für die, die als des Sohnes Braut einziehen sollte.

Von all diesem wußte nur einer nichts, der Handelsherr, der Vater der Gülilah, und erfuhr auch niemals etwas davon, denn auf diesem Zuge ward er das Opfer räuberischer Scharen, und nur ein Diener konnte entkommen



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und die schlimme Nachricht bringen, auch, daß des Gebieters neues Weib von den Räubern mitgeschleppt worden sei. So gab es niemanden, der Ja oder Nein zu sagen gehabt hätte, als am vierzigsten Tage die Grube um den Rosenstrauch ausgeschachtet war. Der sorgfältig dafür gebaute große und breite Wagen, gezogen von starken Maultieren, stand bereit, und mühsam, unter vielem Rufen und angstvollen Beschwörungen des Beys, man möge den Strauch nicht erschüttern, wurde er endlich aufgeladen, und die hohen Tore ihres Heimathauses öffneten sich, um Gülilah, die Gefangene des Rosenstrauches, hindurchzulassen. Der Rosenbey ging nebenher, sprach zu ihr, stellte besorgte Fragen, wenn auf der unebenen Straße der Wagen stieß; sie aber lachte nur, denn sie zitterte vor Freude und Erwartung. Wenn sie es auch nicht zugestand - welches Mädchen hätte solches jemals zugestanden? —, sie hatte ihn, den sie sonnengleich nannte, jeden Tag einmal gesehen. Wenn sie ihm die tägliche Rose durch den feinen Spalt reichte, dann spähte ein dunkles Auge an der winzigen Öffnung und erlabte sich am Anblick dessen, der Schicksal, Glück und Liebe bedeutete. Er aber? Er hatte sie noch niemals gesehen. Und wenn es auch die Sitte so erfordert, daß der Bräutigam die ihm Bestimmte erst erblickt, wenn sie ihm schon ehelich angetraut ist, hier hatte es etwas gegeben, das sonst niemals vorkam: sie hatten vierzig Tage lang miteinander gesprochen, sich alles Sehnen und Denken anvertraut und kannten sich, soweit sich Mann und Frau jemals kennen können.

War sie so schön, so lieblich, wie der Rosenduft, der sie umgab, es ihm vorspiegelte? 0 Ungeduld, o Sehnen! Hätte er doch wieder wie damals Flügel der Ifrits an den Füßen, und schwebte doch der schwere Wagen mit seiner großen Last auf Wolken! So dachte Omer auf dem ihm



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endlos erscheinenden Wege zu seinem weiten Besitz. Endlich nun . . . endlich! Da erblickte er schon eine Menschenmenge, vernahm das Rufen seiner Freunde, schritt ihm feierlich und freudig der Imam entgegen, der, kaum daß sich der Strauch öffnete, ihm die Rosengleiche verbinden sollte. Nahe der großen weiten Grube sah er die tief verschleierte Mutter stehen, denn sie wollte die neue Tochter sogleich in ihre Obhut nehmen; neben der Mutter Omers stand mit klopfendem Herzen die treue Rukiya. Jetzt dann . . . jetzt war es soweit! Der Wagen war derart gebaut worden, daß seine eine Seite sich kippen ließ. »Langsam, nur jetzt langsam!« beschwor der Bey seine Arbeiter. »Sei ohne Sorge«, rief die lachende Stimme aus dem Rosenstrauch, »ich halte mich fest, lasse sie nur tun!« »Maschallah!« riefen die, die zum ersten Male diese Stimme aus der Rose hörten und sich des Wunderns nicht genug tun konnten. Und jetzt, jetzt eben berührte die Erde des Rosenstrauches die Erde von des Beys Heimatgrund, jetzt eben sank der Strauch tiefer ein, sank, war am großen Erdblock im Grunde der Grube angelangt. Kaum aber war das geschehen, als, ohne daß eine Hand sich rührte, die beiden Erdflächen sich aneinanderschlossen, und zugleich öffnete sich, wie ein Vorhang sich auftut, der Strauch.

Da stand sie, Gülilah, die Rosengleiche. Hinter ihr Rosen, ihr zu Seiten Rosen und dazwischen die schlanke junge Gestalt, in ihre grauen Schleier gehüllt, die zwei schmale Hände über der Brust zusammenhielten. An diesen Schleiern aber war nicht ein einziges Teilchen, nicht ein Fältchen, das nicht ein Rosenblatt hielt, und so sah sie aus, als sei sie in Rosen gekleidet und von einer Wolke umschwebt. Schweigen grüßte diesen wundersamen Anblick, den niemand vergaß, dem er zuteil geworden war. Der Bey stand wie versteint, denn er glaubte,



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sein Herz müsse ihm zu den Lippen herausspringen, so wild tobte es in ihm. Dieses Wunder sein eigen? Diese Schönheit sein? In das Schweigen erhob sich langsam wie singend die tiefe Stimme des Imam, sprach, fragte, sprach wieder und sagte dann endlich: »Nimm, mein Sohn Omer, dieses dein Weib Gülilah und sorge, daß kein Auge außer dem deinen ihre Rosenschöne betrachte.« Da rührte sich Gülilah; sie streckte die Hände aus, und sogleich war Omer bei ihr, hob die schmale Gestalt aus dem Rosengehäuse, hüllte seinen weiten Mantel um sie und trug sie mit federnden Schritten in sein Haus.

Schweigen herrschte noch immer, da erhob der Imam nochmals seine Stimme und sagte im singenden Tonfall, wie Bedeutsames vorgesprochen wird: »Wessen Geist auch immer dieses Wunder wirkte, wie gut, wie klug, wie groß war sein Gedanke! Die geheiligten vierzig Tage lang war die Braut verborgen, von Dornen umgeben, doch in Rosen eingehüllt, und erst als die Erde ihrer Heimat sich mit der Heimaterde des Gatten vermählte, wurde sie frei aus ihrer Gefangenschaft. Preisen wir die Weisheit des großen Geistes, die uns solches erleben ließ, ein Gleichnis höchster Klugheit, voll Bedeutung für Mann wie Weib. El harnd üllülah . . . « Die herumstanden wiederholten leise murmelnd das »El harnd üllülah«, und dann zerstreuten sie sich, wie wenn sie auf die Feier einer Hochzeit verzichteten, da sie schon mehr als eine Feier erlebt hatten. Rukiya aber, die Treue, der dieser Tag die Freiheit gebracht hatte und die Gebieterin über die Skiavinnen der jungen Herrin wurde, sprach an diesem Abend zu ihren Untergebenen, den dienenden jungen Frauen und Mädchen . . . sie sagte: »Hört mich, ihr, die ihr auch an Männerliebe denkt, hört, was ich euch sage! Dieses, was hier uns geschah, wird fortleben noch für Ungeborene, wird ein Beispiel sein



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für Liebe und ihre Wunder. Und wenn auch viele Zweifler sagen werden, es sei alles nur eine Sage, ein Märchen . . . laßt sie! Wir wissen um die Wahrheit und die Wirklichkeit, und jede Rose, die aus unsrem Tal ihren Duft entsendet, wird bis in fernste Zeiten künden von Omer und Gülilah. El harnd üllülah . . .

Und so war es, so ward es, so blieb es.



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~jQ ~


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