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Kapitel 

AN NACHTFEUERN DER KARAWAN-SERAIL


MÄRCHEN UND GESCHICHTEN ALTTÜRKISCHER NOMADEN


erzählt von

ELSA SOPHIA VON KAMPHOEVENER

Erste Folge

CHRISTIAN WEGNER VERLAG HAMBURG



Alt-Tuerkische Maerchen-004 Flip arpa

BUCHAUSSTATTUNG: HANS HERMANN HAGEDORN


Der Cedernbaum

Drei Männer trafen sich in einer Schutzhütte auf der Paßhöhe, dorthin verschlagen, und festgehalten durch einen heftigen Schneesturm. Der eine war ein Seidenhändler, der zweite handelte mit Edelsteinen und Geschmeiden, der dritte aber hatte keine Bündel bei sich, trug nur im Gurt ein Ledergehäuse, in welchem sich verschiedenartige Messer befanden, denn er war ein Holzschnitzer und seiner Kunst halber weit und breit bekannt.

Dort saßen nun die drei recht mißgestimmt, denn der erzwungene Aufenthalt kam ihnen sehr ungelegen. Während die zwei Händler aber nur mürrisch rauchten, sah sich der Bildschnitzer in der Hütte um, entdeckte auch einen kleinen Vorrat an Holz und ging daran, ein Feuer zu bauen; die schmale fensterartige Öffnung mochte als Abzug für den Rauch dienen, und als er die Holzverschalung aufriß, fiel ein breiter Lichtstreifen auf einen Winkel der Schutzhütte. Die beiden Händler entzündeten das Feuer, der Bildschnitzer aber begab sich in jenen Winkel und betrachtete sinnend das hohe und starke Stück Holz, das dort lehnte. Ihn packte die Leidenschaft des Künstlers, die bei ihm stets wieder unterdrückte, eine menschliche Gestalt zu bilden. Gewiß, der Koran verbietet die Nachbildung dessen, was Allahs Ebenbild ist, doch wenn man auch ein guter Moslim war . . . einmal, nur einmal, und hier in dieser Bergeinöde, gebunden



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durch diesen wilden Sturm, neben den zwei Männern, die wohl nur an ihre Gelder dachten und die er gewiß nicht wiedersehen würde: hier durfte doch die große Sehnsucht gestillt werden? Allah, der alles versteht und verzeiht, würde, wenn er durch diese Schneemassen hindurch überhaupt herunterzublicken vermochte, sicher so tun,, als sehe er nichts.

Nachdem der Bildschnitzer sich solcherart beruhigt hatte, begann er sogleich seine Messer aus dem Gurt zu holen und an dem schönen und ebenmäßigen Stück Holz herumzuschnitzen. Er hatte beim ersten Anblick des Holzes schon die Gestalt erblickt, die sich darin verbarg, wie das so Art des wahren Künstlers und seiner Schau ist. So oblag ihm nichts mehr, als die Frau, die sich im Holz versteckte, herauszuholen und zu befreien, und daran machte er sich unverzüglich.

Die beiden Händler nahmen indessen den Kampf mit dem Feuer und dem Rauch auf und kümmerten sich zunächst nicht um des Bildschnitzers Tun und Lassen. Als jedoch eine hochsprühende Flamme ihnen verriet, was sich da entwickelte, erhoben sie sich vom Boden und kamen langsam näher. Der Bildschnitzer, ganz in seine Arbeit vertieft, achtete ihrer nicht, holte nur immer schneller und kühner die im Holz verborgene Frau aus ihrem Kerker heraus. Da sagte der Seidenhändler vor sich hin: »Es wird ein Weib, Allah verzeihe uns . . . ich will herbeiholen, was sich für ein Weib geziemt.« Er ging zu seinen Bündeln, die nahe dem Eingang am Boden lagen, und begann sie zu öffnen und die Musterstücke kostbarer Seidenstoffe hervorzuholen. Der Händler mit Edelsteinen sah dem Bildschnitzer noch eine Weile zu, murmelte dann: »Allah Kerim, wirklich ein Weib!« Ging abseits und begann die unter seiner Kleidung verborgenen Juwelen herzuholen.



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Ihrer beider nicht achtend, ja, sie nicht hörend oder von ihnen wissend, arbeitete der Bildschnitzer an dem, was ihm höchste Erfüllung bedeutete. Die beiden Händler wurden endlich des Zuschauens müde und legten sich in ihre Pelze gehüllt zum Schlafen nieder; doch flüsterte der Seidenhändler dem anderen zu: »Füllen wir das Feuer abwechselnd auf, so daß er das Weib fertigzustellen vermag, willst du?« Der Juwelenhändler nickte zustimmend und fand, daß er auch auf diese Art besser vor Diebstahl gesichert sei.

Der Bildschnitzer aber wußte von nichts als von seinem Werk; weder Müdigkeit noch Kälte, noch Hunger, noch Durst spürte er, war nur in einem Fieber des Schaffens, in einem Rausch der Schöpferkraft. Und als der Morgen graute, hatte er sein Werk vollendet. Er legte die Messer fort, beugte sich tief vor dem Bildwerk, indem er die Arme kreuzte und die Hände flach auf die Schultern legte, und sagte leise, andächtig: »Schönste der Frauen, die du mein eigen bist, mehr als es jemals eine Frau war, oh sei gesegnet, daß du unter meinen Händen wurdest und nun mein bist, ganz allein nur mein!« Mit diesen Worten sank er erschöpft zu Boden und wußte für eine kurze Weile nichts mehr von sich. Aber die zwei Händler waren nun aufmerksam geworden, erhoben sich, gingen vorsichtig hin zu dem Bildwerk, ohne den am Boden liegenden Künstler zu stören.

Der Seidenhändler holte wieder die prächtigen Seidenstücke herbei und sagte halblaut: »Die Frau ist schön, und sie ist mein! Denn wer ein Weib bekleidet, dem gehört sie. Sieh her und stimme mir zu!« Dabei legte er die Seiden um die Gestalt, und sie stand dort, mit dem geheimen Lächeln, das ihr Schöpfer ihr gab, auf den eifrigen Händler herabschauend. Der Juwelenhändler aber schob den anderen beiseite, holte die Geschmeide



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hervor, die er die Nacht über gehütet hatte, und begann sie um Brust und Hals der hölzernen Frau zu hängen. »Wer«, sagte er dabei, »ist es, dem eine Frau gehört, wenn nicht jenem, der sie mit Juwelen schmückt? Keine Schönheit gibt es, die unter Juwelen nicht leuchtender würde. Sie ist mein!«

Und so redeten diese Männer gegeneinander, wurden so laut, daß der Bildschnitzer aus seiner Erschöpfung erwachte und sich zwischen sie stellte, schützend sein Geschöpf verbergend. »Mein ist sie, nur mein! Wem anders als dem, der sie schuf, könnte sie gehören, ihr Toren?« Als er das gesagt hatte, gab es einen heftigen Windstoß, der die Hütte erschütterte und die Tür mit Gewalt aufriß. Die drei Männer wichen erschreckt zur Seite, denn die hölzerne Frau begann sich zu bewegen, und es war, als bahne ihr der Wind den Weg. Sie schritt langsam, so als werde sie gezogen und geschoben, auf die Tür zu, kam hinaus in den schneeweißen Morgen der Berghöhe, und wieder war es, als bahne ihr der Wind einen Pfad im Schnee. Völlig gebannt durch dieses Geschehen, ohne Denken oder Wollen, folgten die drei Männer dem Weg der hölzernen Frau, gleich ihr hingehend zu dem großen, dem wunderbar starken Cedernbaum, der hier auf den Höhen der Berge Wache hielt über die Weite und Stille.

Die Gestalt der Frau war nun bei dem schönen, starken Baume angelangt, hob die Arme und legte die Hände flach an den Stamm, durch welche Bewegung alles von ihr abfiel, was die zwei Männer an sie gehängt hatten. Der Stamm öffnete sich, und die hölzerne Frau setzte einen Fuß in die entstandene Öffnung hinein, doch im Eintreten wandte sie den Kopf und lächelte zu dem hin, der sie bildend geschaffen. Der Bildschnitzer wußte es nicht, daß er verlangend die Arme ausstreckte, schon



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aber war sie verschwunden, der Stamm hatte sich hinter ihr geschlossen, und der gewaltige Baum stand reglos, zeitfern und erhaben dort.

»Zu seinem Ursprung kehrt jed' Ding zurück«, sagte der Bildschnitzer leise, wandte sich ab, holte seinen Mantel aus der Hütte und seine verstreuten Messer und schritt ohne Gruß, ohne sich umzuschauen über die Paßhöhe ins Tal hinunter.

Einmal im Leben volle Erfüllung gekannt zu haben: ist es dem Künstler nicht alle Erkenntnis wert? Allah Kerim . .


Copyright: arpa, 2015.

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