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Kapitel 

AN NACHTFEUERN DER KARAWAN-SERAIL


MÄRCHEN UND GESCHICHTEN ALTTÜRKISCHER NOMADEN


erzählt von

ELSA SOPHIA VON KAMPHOEVENER

Erste Folge

CHRISTIAN WEGNER VERLAG HAMBURG



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BUCHAUSSTATTUNG: HANS HERMANN HAGEDORN


Liebeslist

Sklavenmarkt ist, und es geht bunt zu. Die Händler haben ihre Buden mit gestickten Stoffen und Teppichen behängt und schreien sich gegenseitig nieder, um ihre Waren anzupreisen. Yemen, das große, das berühmte Land des Sklavenhandels, ist es sich selbst schuldig, diesen Markt mit aller nur möglichen Pracht auszustatten. Stolz ist man über die hohe Qualität der angebotenen Ware und geht zunächst nur herum, sich alles betrachtend und mit Freunden zusammen stehenbleibend vor den einzelnen Buden. Als das Gebot dann beginnt, hebt es an um die männlichen Sklaven, besonders um diejenigen, die des Waffentragens fähig sind. Schöne, dunkle, hochgewachsene Gestalten sind es, und sie stellen sich hochmütig zur Schau, wohl wissend, daß die Weiterentwicklung ihres Schicksals in ihren eigenen waffenfähigen Händen liegt, in der geschmeidigen Kraft ihrer Muskeln, der Schnelligkeit ihrer Füße, der Ausdauer ihres Atems.

Hin und her mit den Freunden geht auch der junge Omer und betrachtet gleich den anderen bewundernd diese zur Schau gestellten Männer. »Wie ist es nur möglich, daß diese sich haben fangen lassen?« sagt er staunend. »Ob sie wohl anderswo entsprungen waren und sich freiwillig in die Hände der Händler gaben?« Hassan und Achmed, die Freunde, halten das durchaus für möglich und sind



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der Ansicht, daß die kriegerischen Männer vermutlich auf einen Anteil am Verkaufsgeld abgeschlossen hatten. Doch Hassan rief jetzt halb lachend aus: »Sieh dort, Omer, da geht der alte Ferid! Gewiß ist er gekommen, um eine junge Sklavin zu erwerben. Und wie jung muß sie sein, um sein Alter auszugleichen! Wollen wir warten und sehen, was er kauft? Es könnte erheiternd sein.« »Warum nicht?« sagte Omer auch lachend, »es ist immer lehrreich, zuzuschauen, wie einer sich öffentlich zum Narren macht und noch teuer selbst dafür bezahlt.«

So hielten sich die drei jungen Karawanenführer in der Nähe des reichen alten Ferid auf und warteten, was geschehen würde, wenn die männlichen Waffensklaven ausverkauft wären und die weiblichen jungen Schönheiten zum Verkauf kämen.

Omer sowohl wie Hassan und auch Achmed hatten schon oft ihre Kamele in der Karawane für Ferid geführt und wußten viel von seinem Geiz und seiner schmutzigen Gesinnung zu berichten. Ferid war reich; sehr, sehr reich, und deshalb setzte es auch niemanden in Erstaunen, daß er geizig und gemein dachte, führte doch großer Reichtum fast immer zu solcher Gesinnung. Er bedurfte auch längst keiner eigenen Karawane mehr, sondern bekam von weither alles zugesandt, ohne es auch nur angefordert zu haben, so bekannt war er. Wohlgerüche aus Persien, Samt aus Syrien, Juwelen aus Hindostan: alles wurde ihm gesandt, und er verkaufte es zugleich mit den heimischen Seiden des Yemen weiterhin in alle Welt. Sein Name allein war schon Geld, und er saß wie eine Spinne im Netz wartend da, bis man ihm alles vor die Füße legte. Wenn jemand irgendwo in Hindostan oder Arabistan einem Karawanenführer sagte: »Für Ferid in Yemen bei Schükri«, so wußte man Bescheid. Wer kannte nicht den großen Kawehdji Schükri, bei dem man



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täglich vom Mittags- bis zum Abendgebet den reichen Ferid vorfand und zu dem man ihm die Waren bringen konnte? Das einzige, was ihm nicht zum Kaweh-Han des Schükri gebracht werden konnte und um dessen Besichtigung er sich selbst bemühen mußte, war das Fleisch junger schöner Frauen, ausgestellt auf dem Sklavenmarkt. Und um diese erfreuliche Besichtigung war jetzt der reiche alte Ferid bemüht, nicht ahnend, daß ihm drei junge Männer folgten, die allen Grund zu haben glaubten, ihm nicht wohlgesinnt zu sein.

Schlau war Ferid, weise nicht, und alt war er, älter als es seinen Jahren entsprach - ausgetrocknet wie eine Smyrnafeige. Der junge Omer dagegen verdiente wohl gut als Karawanenführer, denn sein sicherer Schwertarm war begehrt, aber was konnte er gegen des alten Ferids Reichtum bieten? Und dennoch besaß er mehr als Geld: neben seiner strahlenden Jugend hatte er das in seinem klugen Kopf, was Erfolg und Gold herbeizieht.

Scheinbar unabsichtlich schlenderte er mit seinen beiden Freunden hin, immer von Ferid unbemerkt. Als dieser dann vor der Bude eines der erfolgreichsten Sklavenhändler haltmachte, blieben auch die drei jungen Männer in der Nähe stehen. Der Händler mußte Ferid durch einen Spalt seines noch geschlossenen Vorhangs erspäht haben, denn er kam auf den kleinen Vorraum hinaus, und eine geflüsterte Unterhaltung der beiden Männer folgte; anscheinend konnten sie jedoch nicht gleich handelseins werden, denn plötzlich erhob Ferid geärgert die Stimme, und die Freunde hörten ihn sagen: »Ich will das nicht! Niemand soll das Mädchen sehen, nur ich allein! Was weiß ich, ob dein Geschmack dem meinen entspricht? Laß mich ein und zeige sie mir; du weißt, ich zahle gut.«

Vorsichtig waren die drei nähergekommen, denn sie wollten des Händlers Antwort vernehmen; auch dieser



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erhob jetzt etwas die Stimme und sagte: »Wohl weiß ich, Herr, du zahlst gut, doch selbst du vermagst mir nicht alle meine Ware zu bezahlen, die wertlos würde, wenn du sie zuerst allein besichtigen könntest. Ich werde diejenige Sklavin, die ich für dich kaufte, jetzt herausbringen und scheinbar zum Verkauf stellen, so zwar, daß ich sie nur ganz flüchtig entschleiere und nicht unbekleidet zeige -das aber ist alles, was ich für dich tun kann, Herr! Bist du's zufrieden?« Übelgelaunt nickte Ferid, knurrte etwas, das wohl eine Zustimmung sein konnte, und da ihm nichts anderes übrigblieb, stand er wartend da. Wie es sich geziemte, zeigte er auch jetzt nicht seine Ungeduld, sondern zog langsam und bedächtig die Perlen des Tesbieh durch seine Finger.

»Ich will sehen, was der Kerl dem reichen Alten da zeigen wird«, flüsterte Omer seinen Freunden zu, »denn was es auch sei, ich gönne es ihm nicht. Wenn das Mädchen herausgeführt wird, so stoße einer von euch einen beliebigen Ruf aus, und ich bin sicher, die Sklavin wird erschrecken, wenn der Ruf hoch und hell genug ist. Sie wird dann kurz den Schleier heben, und ich kann sehen, was ich sehen will, zu der Entschleierung durch den Händler noch hinzu. Ich gehe näher, ihr bleibt hier stehen und ruft.« Schon kam auch der Händler auf die kleine Vorbühne heraus; er zog ein Mädchen an der Hand mit sich nach, und andere verschleierte Mädchen folgten. Der Händler erhob in dem leiernden Ton, der in der ganzen Welt solchen Ausrufern gemeinsam ist, die Stimme und begann seine Ware anzupreisen.

»Ihr seht hier, edle Herrn, das Beste und Schönste, das an Mädchen und Frauen geboten werden kann. Lieblich wie der junge Morgen, zart wie Nußkern, duftend wie Rosen. . . «

»Mach schon weiter, so viel Zeit habe ich nicht, zeige sie



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mir!« raunte Ferid wohl vernehmlich. Der Händler leierte weiter, hob aber zugleich, wie nebensächlich, die freie Hand und riß damit ein wenig an dem Schleier des Mädchens, das er noch immer neben sich festhielt. Im gleichen Augenblicke erklang ein heller Ruf von irgendwoher, und wie Omer es angenommen hatte, hob das Mädchen den kaum noch verhüllenden Schleier ein weniges mehr und spähte ängstlich um sich. Omer konnte sie deutlich sehen, und sofort trat er zurück, verlor sich in der Menge und fand alsbald seine Freunde wieder. »Warten wir noch, denn ich will sicher sein, daß Ferid sie kauft; seht ihr den Schwarzen, der sich in seiner Nähe hält? Er ist ein Eunuch, der im Kaweh des Schükri arbeitet; zu geizig, um sich selbst einen Wächter für seine Mädchen zu halten, wird er diesen mitgenommen haben um seinen Einkauf sicher fortschaffen zu lassen, steht doch in seiner Nähe auch eine Sänfte. Ich bitte euch, folgt dann diesem Eunuchen und kommt zu mir, um zu berichten, wenn das Mädchen sich in Ferids Haus befindet. So es euch möglich ist, sucht herauszufinden, wieviel er bezahlte. Ihr trefft mich bei Schükri. Dort werde ich euch weitere Weisungen geben. Seht hin, er kaufte sie, und der Eunuch führt sie zur Sänfte. Könnt ihr sehen, wie ihre zarte Gestalt sich zusammenzieht, als friere sie? Sie hat Angst, diese Blume Arabiens. Lebt wohl, habt acht und kommt bald.«

Schon war er in der Menge untergetaucht; Hassan und Achmed aber folgten der langsam dahinschwankenden Sänfte bis hin zum Hause des Ferid und konnten dort beobachten, wie eine schwarz verschleierte Alte das zarte junge Wesen in Empfang nahm. Mit einem dumpfen Dröhnen schloß sich die schwere Pforte des dunklen, großen Hauses hinter den wehenden hellen Schleierfalten der jungen Sklavin.



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Indessen hatte sich Omer in aller Eile zum Bazar begeben. Er wußte zwar, daß Ferid wie immer zu Schükri gegangen war, aber es galt, ihn dort länger als üblich festzuhalten, damit er nicht in Ungeduld und Hast in sein Haus eile, sich seines Neuerwerbs zu erfreuen. Es blieben Omer, um das zu vollbringen, was er sich erdacht hatte, kaum mehr als etwa sechs Stunden. Also galt es zu eilen, wenn auch jede Art von Hast unziemlich ist, in diesem besonderen Falle ließ sie sich nicht vermeiden. Im Bazar angelangt, suchte Omer einen ihm wohlbekannten Goldschmied auf und ließ sich von ihm vorlegen, was er an Mundstücken für den Nargileh-Schlauch besaß. Schnell schob er alles, was aus Silber bestand, beiseite, ebenso die einfachen Goldmundstücke, bis er ein prächtiges Stück gefunden hatte, ganz in Bernstein gearbeitet und mit Smaragden verziert. »Gib mir das, Abdullah, mein Freund, und vergib, wenn ich heute keine Zeit habe für das Bazarlik. Es ist nicht Mißachtung für dich und deine Ware, es ist die Eile eines großen Geschäftes, die mich zwingt, so unziemliche Hast zu zeigen. Wieviel sagtest du, mein Freund Abdullah?« Kummer im Blick, Mißbilligung in der Stimme, sagte Abdullah leise: »Fünf Goldstücke, nicht mehr, nicht weniger. Verhältst du dich nicht, als seist du ein Ferenghi, Omer, mein Freund? Schamvoll, in Wahrheit.« »Noch einmal, vergib. Es geht dieses Mal nicht anders. Habe Dank.«

Omer legte das Geld hin, steckte das Aghyzlyk ein und eilte davon, galt es doch vor Ferid bei Schükri zu sein. Dort angelangt, ließ er durch eben jenen Eunuchen Schükri herausrufen, sagte dann leise, indem er ihm ein Goldstück in die Hand drückte: »Da hast du, Schükri Agha, und das Doppelte ist dein, wenn du es erreichst, den Ferid Baba sein Mundstück verlieren zu lassen.« Der Kawehdji sieht das Goldstück in seiner Hand an, hebt es



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zu den Lippen, beißt mit seinen starken Zähnen darauf, steckt es fort, lächelt, sieht den jungen Omer an, fragt leise: »Das Doppelte - wann?«

Auch Omer lächelt, bereitet es ihm, dem klugen Handelsmann der Karawanenwege, doch immer Freude, einen anderen klugen Mann zu treffen. Dann sagt er eilig, denn Ferid kann jeden Augenblick eintreffen: »Das zweite Goldstück wird versehentlich aus der Hand eines eiligen Boten in einer Djelhabieh fallen, der atemlos ein anderes Aghyzlyk bringt kurz nach des Ferid Kommen.« Schükri nickt, lächelt wieder, sagt: »Wie du und der eilige Bote gesagt haben, so geschehe es«, grüßt mit der Hand und geht in seinen Kawehraum zurück.

Omer aber verbarg sich in der Nähe, um nicht von Ferid gesehen zu werden, und wartete auf seine Freunde, die er schon bald daherkommen sah. Er hörte ihren Bericht an und sagte: »Nun habt acht, was ich plane: wenn es so geht, wie ich es beabsichtige, so reite ich noch vor Sonnenuntergang mit dem lieblichen Wesen fort und bringe sie in eines unserer Lager. Dazu brauche ich eure Hilfe. Wir müssen die Alte, von der ihr sagtet, unschädlich machen und unsere Tiere dann bereit halten. Sagt, wollt ihr mir weiter helfen um des Vergnügens willen, diesen alten geizigen Betrüger zu überlisten?«

Die Freunde erklärten sich mit Freuden bereit und versprachen sich viel Unterhaltung von dem Streich, dachten auch kaum an das schöne Sklavenmädchen, denn was bedeutete schon eine Frau in allem, was den Mann anging? Unterhaltung, Zerstreuung und hie und da auch wirkliche Leidenschaft, aber das war selten genug. Nein, hier ging es darum, einen alten Händler hereinzulegen, der selbst nichts anderes wußte und verstand, als alle anderen zu betrügen, und deshalb halfen Hassan und Achmed dem Freunde Omer so freudig. Diesem selbst



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nun ging es inzwischen ganz eigenartig. Während der erzwungenen Tatenlosigkeit, bis der alte Ferid sich bei Schükri eingefunden haben würde, stand eines und immer nur eines vor seinem inneren Blick: nicht etwa, was er plante, nicht etwa die den Ferid erwartende Beschämung, darum es ihm doch zuerst allein gegangen war — nein, nur das schöne junge Gesicht der Sklavin sah er vor sich, sah ihre zarte Gestalt, wußte sich von einem heftigen Begehren erfaßt, dieses zärtliche Wesen vor Pein und Leid zu schützen. Was war es nur, das ihm die Gedanken von seinem lustigen Plan ablenkte? Lächerlich! So etwas durfte einem jungen Karawanenführer doch nicht geschehen, denn ihm mußte der Sinn frei bleiben und die Schwerthand sicher. Fort mit all diesem, jetzt galt es nur das Gedachte auszuführen und gut aufzupassen.

Langsam und würdig wie es sich geziemt, ohne jede Eile kam Ferid jetzt des Weges daher und betrat freundlich grüßend das Kaffeehaus des Schükri. Er wurde von dem Besitzer selbst mit aller schuldigen Ehrfurcht empfangen, und Schükri säuberte ihm mit einem feinen Haarpinsel eigenhändig das Gewand vom Straßenstaub, nachdem Ferid die Schuhe abgelegt hatte. An seinem gewohnten Platz ließ sich Ferid dann auf das Bodenpolster nieder; der Kaweh wurde gebracht und gleich danach das Nargileh, dessen Schläuche noch alle unbenutzt waren. Der dienende Eunuch legte dem geehrten Gast einen der Schläuche in Griffnähe und brachte dann noch eine kleine glühende Holzkohle, die er mit der Zange vorsichtig auf den Tabak legte, damit es dem Raucher auch frisch und gut munde, dieses Trinken des duftenden Krautes. Ferid griff ganz gedankenlos in die Tasche, in der er sein Aghyzlyk, das Mundstück zum Ansetzen an den Schlauch, aufzubewahren pflegte, und nun stutzte er.



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Schükri, wohl verborgen hinter einem Vorhang, beobachtete mit geheimem Lächeln, wie das Suchen des alten Ferid immer heftiger wurde, und betastete voll versteckter Freude das Mundstück, das er in seiner Hand verborgen hielt, um es für das zweite Goldstück dem jungen Omer zu übergeben. Da niemand den alten geizigen Ferid leiden konnte, so freute sich auch Schükri jetzt des Streiches, der ihm gespielt wurde, aber nach einiger Zeit begab er sich doch zu dem immerhin recht getreuen Gast, neigte sich zu ihm herab, fragte in scheinbarer Besorgnis: »Suchst du etwas, Herr? Vermag ich dir dienlich zu sein?« Ärgerlich antwortete Ferid: »Ob du mir dienlich sein kannst, weiß ich nicht, aber es ist wahr, daß ich mein Aghyzlyk suche. Du sahst es nicht?« Unschuldsvolles Staunen antwortete der Frage, und Schükri sagte: »Ich, Herr? Wie sollte ich wohl? Vielleicht, daß du es versehentlich vergaßest? Soll der Diener in deinem Hause fragen gehn?«

Ehe noch Ferid auf dieses scheinbar so diensteifrige Angebot eingehen konnte, entstand vor dem Eingang Unruhe, und im schnellsten Laufe hereineilend, teilte ein Mann den Vorhang, offenbar ein Bote, im Mantel des Wüstenreiters unkenntlich vermummt; er lief auf Ferid zu, fiel neben ihm nieder und hielt auf seiner Handfläche ein blitzendes Etwas dem ein wenig erschreckten Alten entgegen. Atemlos, mit seltsam heiserer Stimme, die durch den Zipfel der Djelhabieh, die Mund und Kinn verhüllte, undeutlich gemacht wurde, keuchte der Wüstenreiter hervor: »Deine alte Dienerin, Herr, die Ausschau hielt nach einem Boten vor deinem Hause, sah mich vorbeigehen, rief mich und ersuchte mich, dir dieses zu bringen, das du beim Fortgehen liegen ließest, dein Aghyzlyk, Herr. Nimm es, Herr!«

Ferid schaute auf das blitzende Ding in der braunen



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Hand, dann auf den verhüllten Kopf des Boten, wollte etwas sagen, wurde aber unwiderstehlich von der Schönheit des kleinen Kunstwerkes angezogen. Er griff danach, und schon erhob sich der Wüstenreiter in einem geschmeidigen Sprung vom Boden und war fort, ehe sich Ferid noch besonnen hatte. Schneller als das Begreifen des alten Ferid war das des dicken Schükri, der scheinbar entrüstet hinter dem Wüstenreiter herlief, immer mit dem kleinen Haarbesen fegend und etwas davon murmelnd, wie doch diese Wüstensöhne stets so viel Staub überallhin mitbrächten! Daß er zugleich mit dem angeblichen Staub ein Goldstück, wie versprochen, vom Boden fortschob, bemerkte niemand, auch nicht, daß Schükri dem Wüstenreiter draußen etwas in die Hand drückte und dabei flüsterte: »Aman, Omer, wieviel muß dir dieses, was du tust, wert sein, um ein solches Stück voll Glanz und Kostbarkeit einzutauschen gegen das elende Aghyzlyk hier!« »Es ist mir viel wert«, flüsterte es unter der Djelhabieh hervor zur Antwort, und wieder ward sich Omer bewußt, wieviel mehr als noch vor einer Stunde es ihm wert geworden war. Und er eilte mit flatterndem Wüstenmantel wie beschwingt davon.

Ferid aber hielt immer noch das Bernstein-Mundstück zwischen den Fingern und drehte es hin und her; er schätzte es auf den dreifachen Wert des seinigen und nahm an, daß es sich bei dieser seltsamen Art des Überbringens um einen besonders geschickt erdachten Backschisch handle für ein noch abzuschließendes Geschäft. Geduld! Die Zeit bringt Wissen. Und geruhsam rauchte Ferid das neue schöne Mundstück an. Indessen erreichte Omer, immer noch laufend, das Haus des Ferid Baba, ließ hastig und fest den schweren Klopfer an der Tür auf und nieder schnellen und sah sich bald einer alten, dunkel verschleierten Frau gegenüber,



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die das schwere Tor nur einen Spalt breit öffnete und vorsichtig hinausspähte. Omer hatte die Djelhabieh zurückgeschlagen, und die Alte sah einen harmlos lächelnden Jüngling vor sich, der dienstbeflissen zu reden begann, indem er ihr ein altes Aghyzlyk zeigte. »Hanoumdjim«, sagte Omer eifrig, »dieses sein Mundstück, das du gewißlich kennen wirst, übergab mir dein Herr, der geachtete Ferid Baba, um es dir vorzuweisen als Beweis, daß mein Auftrag richtig sei. Du kennst es doch?«

Hakbileh, die alte Dienerin, hatte ihren dunklen Schleier um ein weniges gehoben und ebenso auch das Tor noch um ein weniges geöffnet. Sie betrachtete das alte silberne Mundstück ihres Herrn, das der Bote ihr vorwies, und sagte zögernd: »Ich kenne es wohl. Was aber ist dein Auftrag?«

Geläufig erwiderte Omer, gewohnt an seltsame und schwierige Geschäfte, wie er es als Karawanenführer war: »Dein Herr, Hanoumdjim, sagte, du mögest mir sogleich sein Mühür geben, dessen er bedarf und das er mitzunehmen vergaß.« »Es geschehe wie befohlen«, sagte die alte Hakbileh und schloß sorgsam das Tor, denn hatte sie nicht ein schönes junges Weib seit heute zu hüten und ist das nicht schlimmer, als einen Beutel mit Flöhen zu bewachen?

Omers Herz aber tat einen schnellen Schlag, denn dieses hier war ein Wagnis gewesen. Was hätte er tun sollen, wenn Ferid das Mühür, Stempel seiner Namensunterschrift, bei sich gehabt hätte und nicht daheim vergessen? Wie hätte er dann den übrigen Teil seines Planes ausführen sollen? Aber etwas Glück mußte ja bei allem dabei sein, und nun konnte er das streng geschlossene Tor schon wieder anlächeln, denn bald würde es sich öffnen, um seinen schönen Paradiesvogel in die Freiheit fliegen zu lassen! Jetzt kam die Alte zurück, reichte nur



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durch den schmalen Türspalt das Mühür und murmelte: »Da, nimm, und gehe. Nimm auch das Mundstück, er wird es brauchen. Omer tat wie befohlen. Allah ismagladih... «, und auf diesen Segenswunsch hin schloß sich dumpf das schwere Tor. Omer hörte noch Riegel gleiten, und wieder mußte er lächeln, mußte auch eines Sprichwortes gedenken, das ihm immer weise gedünkt hatte und das sagte: »Riegel und Schlösser halten nicht, was entfliehen will; nur jene Riegel, die das Herz selbst vorschiebt, machen zu Gefangenen.«Ja, so war es! Möchte denn das Herz des Mädchens dort drin bereit sein, für ihn seine Riegel vorzuschieben! Inschallah!

Während er so dachte und sann, eilte sein schneller Fuß schon dahin, und in Kürze befand er sich wieder im Bazar bei demselben Goldschmied wie vorher, der auch inzwischen seine Mißstimmung über das ausgefallene Bazarlik vergessen zu haben schien, denn er empfing Omer auf das freundlichste. »Was führt dich wieder zu mir, Omer, mein Freund? Sag an.« Verächtlich das leichte Silber-Mühür Ferids hervorholend, zeigte Omer es dem Goldschmied.

»Kannst du mir ein Mühür in Gold geben, Babadjim, und kannst du es zudem mit derselben Namensbildung versehen lassen, wie sie auf diesem hier zu sehen ist? Aber es eilt!« Der Goldschmied betrachtete den Namens-Zug, den er erkannte, durch ein Vergrößerungsglas, schaute kurz auf, verbarg sein Erstaunen und sagte ruhig: »In einer Stunde kann die Namensbildung fertig sein. Du wähle indessen hier aus den Mühürs dir eines aus. Gold, ja? Sieh her, welch edle Arbeit! Und, so es dir genehm ist, du wirst, mein Freund, ehe du gehst, um in einer Stunde wiederzukehren, das Mühür bezahlen? Die Arbeit dann später, ja?«

»Schade um den Atem, den du an diese Worte verwendet



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hast, Babadjim. Sage, für was hältst du mich? Bin ich ein Säugling, bin ich ein Harem-Mädchen, das von nichts weiß? Wieviel?« Tief beschämt murmelte der Goldschmied etwas von drei Goldstücken, verbeugte sich, flüsterte noch etwas von einer Stunde, zu der gewiß alles fertig sein würde, und sah dem Davongehenden bewundernd nach. Hatte dieser junge Omer nicht das beste Stück sogleich herausgefunden, und war er nicht trotz seiner fremdartigen Hast ein Kunde, um das Herz eines Händlers froh zu machen?

Omer begab sich nun zu dem Schreiber am Eingang des Bazars, ließ sich nieder auf dem Kissen vor dem Sitz des Schreibers und sagte: »Babadjim, setze mir ein Schreiben auf, das so lauten soll: >Wer immer dieses Schriftstück erblickt, soll dem Überbringer, meinem getreuen Diener, meine neu erworbene Sklavin ausliefern, die geleitet werden soll von meiner alten Dienerin an einen meinem Diener bekannten Platz.< So soll es heißen, Babadjim. Schreibe es auf bestem steifen Papier und halte es bereit, daß ich dann meines Herren Mühür daruntersetzen kann, das ich bei mir habe. Ein halbes Goldstück zahle ich dir dafür und hole es in einer kleinen Stunde ab. Ist es dir so recht?« Freudig über die reiche Bezahlung stimmte der Schreiber zu, und nun endlich konnte sich Omer nach all dieser Hast ein wenig ausruhen. Er ging zum nächsten Kawehdji im Bazar, saß und trank und rauchte und ließ seinen Sinn sich von Träumen umspinnen, darin das liebliche Gesicht der jungen Sklavin ihm zulächelte.

Nicht lange danach klopfte es wieder am Tore vom Hause des Ferid, und mit den gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie vorher öffnete auch dieses Mal die alte Hakbileh. Erstaunt erblickte sie wiederum denselben Boten wie vorher, und ihr Unmut über diese neue Belästigung



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veranlaßte sie zu fragen: »Was willst du denn schon wieder, Djanoum? Hast du wieder eine Botschaft des Herrn zu bestellen? Seit Jahren, die ich hier diene, hat es noch niemals so viele Botschaften gegeben wie jetzt an einem Tag!«

Mit demselben bescheidenen und dienstbeflissenen Lächeln wie bereits eingeübt antwortete Omer auch dieses Mal. »Diesen Brief hier befahl mir dein Herr dir zu übergeben und verlangte, du sollest streng danach handeln. Nimm!« Voll versteckter Schadenfreude sah Omer das hilflose Staunen der Alten mit an, wußte er doch genau, daß sie weder lesen noch schreiben konnte. Wer von des Propheten Kindern bedurfte auch dessen? Immer noch hielt er ihr das Schreiben entgegen, doch wollte er sie nicht verstimmen, weil er ihrer noch bedurfte, und so sagte er denn freundlich: »Wenn du willst, lese ich dir vor, was hier geschrieben steht, damit du dich nicht zu bemühen brauchst. Willst du, Hanoumdjim?« Voll Bewunderung starrte Hakbileh diesen Wüstenreiter an. »Du kannst lesen? Maschallah, welche Gelehrsamkeit!

Nun, so lies es mir also.«

Und Omer, der das Schreiben ja Wort für Wort kannte, gab eine ausgezeichnete Vorstellung eines, der mühsam etwas vorliest. »Jetzt gleich soll das geschehen? Djanoum, wie kann ich denn so schnell alles bereit halten? Zumal die junge Sklavin noch im Bade ist. Aman, aman, was soll ich tun?«

Omer, der ja auch noch allerlei Vorbereitungen zu treffen hatte, beruhigte die erregte Alte und sagte, es sei ihm nur aufgetragen worden, den Befehl zu übermitteln - und hier sei auch das Mühür des Herrn aufgedrückt, wie sie sehe -, aber sonst habe er selbst auch noch einiges im Auftrage des Herrn zu erledigen, die Sänfte holen, die Diener bestellen und solches mehr. Hakbileh hörte ihm



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zu, fragte dann plötzlich: »Warum aber, o kluger Bote, will der Herr das Mädchen an einen anderen Ort bringen? Und welcher Art ist denn dieser Ort?« Wenig gefaßt auf diese Frage, fand Omer dennoch die Antwort. »Ich denke mir, o Hanoumdjim, er wünschte völlige Ungestörtheit mit dieser jungen Sklavin; könnte es nicht so sein, daß etwas ihm hier im Hause Unbehagen bereitete? Wo aber der Ort ist . . . glaubst du wirklich, er würde das einem Boten verraten?«

Ein listiges Lächeln begleitete seine Worte, und die Alte erwiderte es. »Du magst recht haben, o kluger Bote. Andere Weiber sind da, die immer störend sind, wenn eine Neue kommt. In wieviel Zeit also sollen wir bereit sein?« «In einer kleinen Stunde, Hanoumdjim; und noch eines: verrate den anderen Frauen nichts von des Herrn Vorhaben und sorge, daß die junge Sklavin einen warmen Überwurf habe. . . es wird dunkeln, bis wir ankommen, und die Nächte sind kalt.«

Damit grüßte er höflich und wandte sich ab, wobei er daran dachte, wie sehr kalt die Nächte in der Wüste sind und daß er einen seiner eigenen großen Wüstenmäntel noch für die zarte junge Last werde mitnehmen müssen. Und jetzt wieder zum Kaffeehaus des Schükri zurück, dort wieder eilig, mit flatterndem Reitermantel zu dem geruhsam rauchenden Ferid, der ihm neugierig entgegensah, denn um ehrlich zu sein, hatte er die Rückkehr des Boten erwartet, der ihm alle geheimnisvollen Geschehnisse erklären würde. Darum, als sich Omer zu ihm herabbeugte und voll Wichtigkeit flüsterte, eifrig und geheimnisvoll, wunderte sich der schlaue Ferid in keiner Weise, lauschte nur aufmerksam. Omer zeigte ihm verstohlen das in seiner Hand liegende goldene Mühür und flüsterte schnell: »Herr und Gebieter, sieh hier, dieses goldene Mühür gab mir der gleiche Mann,



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der auch das Aghyzlyk durch mich schickte. Er bittet dich, Herr, hier auf ihn zu warten und auch, wenn es später wird als das Abendgebet, noch zu warten, verstehst du, Herr? Er wird kommen, so schnell er es vermag; nimm das goldene Mühür, ehe uns jemand beobachtet. Schnell, Herr, schnell!«

Von diesem Verhalten angesteckt, nahm Ferid eilig das goldene Mühür, betrachtete die Zeichen seines Namens darauf, schüttelte den Kopf und bemerkte fragend: »Das muß ein großes Geschäft sein, worum es hier geht. Weißt du etwas davon, Bote?«

Noch tiefer beugte sich Omer nieder und flüsterte fast unmittelbar am Ohr des Alten ein Zauberwort: »Haschisch!« Dann eilte er wie gepeitscht davon, seiner Rolle getreu. Denn die Droge, gehandelt mit Lebensgefahr, erworben um schwindelhafte Preise, verkauft zu unwahrscheinlich hohem Gewinn, bedeutete immer und überall noch das begehrteste geheime Geschäft, darauf der alte Ferid warten würde, und wenn es die ganze Nacht hindurch sein sollte. Man bedenke - was mußte dieses Geschäft abwerfen können, wenn vorher schon solch kostbarer Backschisch verabreicht wurde!

Omer begab sich nun in aller Behaglichkeit zu dem von ihm und seinen Freunden benutzten Lager und Stall, dem großen Han, wo er sicher war, Hassan und Achmed anzutreffen. Er täuschte sich auch nicht, denn es war alles vorbereitet, und auf seinem Lieblingskamel befand sich bereits die mit Teppichen und Polstern weich und warm ausgestattete Haudah, darin die Frauen zu reisen pflegen. Nun galt es nur noch, eine Sänfte und ihre Träger ausfindig zu machen, was bald geschehen und um den Preis eines halben Goldstückes geordnet war. Neben der Sänfte herlaufend, so als habe er Fittiche an den Füßen, erreichte Omer wieder das Haus des Ferid



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und klopfte zum vierten Male an diesem Tage an die schwere Pforte. Dieses Mal aber ward sie ihm sogleich aufgetan, und wortlos kamen zwei tief verschleierte Frauen heraus, eine alte und eine junge, gingen, ohne die verhüllten Köpfe zu heben, auf die Sänfte zu, die unmittelbar vor dem Tore stand und deren schmale Tür bereits einladend geöffnet war, stiegen ein und zogen die Vorhänge von innen zu, wie es die Sitte verlangt. Omer stand schweigend dort, den Blick gesenkt, wie es sich für einen Mann in der Nähe von Frauen geziemt, und schloß die Tür der Sänfte, als beide Frauen darin saßen.

Ebenso stumm setzten sich die Sänftenträger in Bewegung, und wieder lief Omer beflügelten Fußes neben seiner kostbaren Beute her. Die Träger, die genau Bescheid wußten und reich bezahlt worden waren, liefen zum großen Han, in dem die Karawanenwaren gestapelt wurden und die Kamele hausten, und setzten dort die Sänfte nieder, zogen die Tragstangen aus den Haltern und gingen davon. Hinter ihnen schlossen Hassan und Achmed die schweren Torflügel, die zur Sicherung der Waren sehr dauerhaft gefertigt waren. Eine Weile stand die Sänfte ruhig dort, und nichts war zu hören als das seltsame Schnaufen der Kamele, nichts zu verspüren als ihr unverkennbarer Geruch. Die alte Hakbileh, an das gedankenlose Gehorchen gewöhnt und behaglich in das weiche Polster der Sänfte gekauert, bereitete sich zu einem kleinen Schlaf vor, bis es dem Herrn genehm sein würde, weiter über sie zu befinden. Die junge Zafireh aber fühlte eine große und unerklärliche Aufregung in sich hochsteigen. Sie hatte die schnaufenden Laute erkannt, hatte vor allem den geliebten, den vertrauten Geruch der Kamele eingeatmet. Die Tochter des Wüstenscheichs sog diesen Freiheitsdunst durstig in sich ein, und als sie zur Seite sehend bemerkte, daß die Alte schlief,



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schlug sie ihren Schleier zurück und beugte sich zu der Fensteröffnung hin auf ihrer Seite; mit unendlicher Vorsicht hob sie den Vorhang ein wenig und spähte hinaus... ach, wie schlug ihr das Herz hoch und bang bei dem vertrauten Anblick, der sich ihr bot! Denn da waren sie, die Freunde ihres Lebens, da standen einige der Kamele schlafend mit gesenkten Köpfen, andere kauerten am Boden und bewegten die Lippen wie schnalzend, und sie erweckten jenen Eindruck tiefster Behaglichkeit, wie ihn nur ein ruhendes Kamel zu vermitteln vermag.

Nach einem prüfenden Seitenblick auf die alte Dienerin, die unbekümmert weiterschlief, beugte sich Zafireh noch etwas vor, und da erschrak sie tödlich, denn sie hörte in nächster Nähe eine flüsternde Stimme. »Erschrick nicht, Schöne, Liebliche, ich will dir nichts Böses, nur will ich dich dem alten Manne, der dich heute kaufte, entführen; ist es dir genehm, so beuge dich vor und sieh mich an. Aber bewahre Ruhe und Vorsicht. Ich stehe nahe deiner Fensteröffnung.« Atemlos beugte sich Zafireh vor und sah in ein schönes, junges entschlossenes Gesicht, in strahlende Augen. Sie sog die Luft ein, als sei es der erste Trank eines Verdurstenden, und flüsterte hastig:

»Hol mich, o hole mich, Schönster!«

Omer zögerte nicht. Einen Blick nur warf er in die Sänfte auf die schlafende Alte, winkte nach rückwärts, und während er auf seiner Seite die Tür der Sänfte für Zafireh öffnete, eilten die Freunde herbei, um von der anderen Seite her der Alten habhaft zu werden. Omer zog Zafireh zu sich heran und schlang einen bereit gehaltenen Mantel um sie, indessen die Freunde aus der Alten ein wohlverschnürtes Bündel machten und ihr den Mund mit ihren eigenen Schleiern schlossen. Dann ließen sie die Sänfte stehen.

Omer brachte Zafireh zu der Haudah seines knienden



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eigenen Reittieres, half ihr hinein, schwang sich auf den Hals des Kamels und sagte leise: »Steh auf, Ischmal!« Das Kamel erhob sich mit der üblichen Schwankbewegung, und Zafireh atmete tief, denn Freiheit bedeutete diese vertraute Bewegung . . . Freiheit!

Die Freunde öffneten die Tore des Hans, wünschten lachend frohe Reise und gingen ihres Weges, um die Sänftenträger wieder herbeizuholen. Nach einiger Zeit kamen die Braven ihrem Auftrag gemäß gemächlich herbei und brachten die Sänfte wiederum zum Hause des Ferid, wo sie sie niedersetzten und bis zum Morgen stehen ließen. — —

Der alte Ferid selbst, der viele Stunden lang auf den geheimnisvollen Geschäftsfreund gewartet hatte, begab sich endlich müde und verärgert heim. Vor seinem Hause fand er eine Sänfte stehen, die er erstaunt betrachtete; einen Blick warf er hinein und bemerkte eine fest verschnürte weibliche Gestalt. Welche Bösewichter hatten das getan? Als er näher hinsah, entdeckte er am verschleierten Kopf der Gestalt einen Zettel angeheftet; er nahm ihn und las dieses:

»Dem ehrenwerten Ferid Baba zu wissen: du kauftest eine Sklavin für dreißig Goldstücke. Ich zahlte dagegen:

für ein Aghyzlyk fünf Goldstücke;
für ein Mühür drei Goldstücke;
für Backschisch zwei Goldstücke;
für Schreiber und Sänfte ... ein Goldstück zusammen elf Goldstücke
und erhielt dafür ein schönes junges Weib.

Es war sehr preiswert und das zu Recht, denn Alter zahlt mit Gold, Jugend mit Freude. Du aber gewannst ein neues Aghyzlyk und ein neues Mühür. Der Bote grüßt dich... Preis sei Allah.«



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Ferid band schweigend die alte Dienerin los, strafte sie nicht und befahl ihr, über alles zu schweigen, wie auch er selbst es tat.

In der Nacht der Wüste aber erfüllte jeder Schritt der Füße eines edlen Kamels das Kismet der jungen Zafireh, und ein junger Wüstenreiter gewann sich Liebe und Ruhm . . . Preis sei Allah!


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