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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON IBRAHÎM EL-MAUSILI UND DEM TEUFEL

Abu Ishâk Ibrahim el-Mausili berichtete: Einst bat ich Harûn er-Raschîd, mir einen Tag Urlaub zu geben, um mit den Meinen und mit meinen Freunden allein zu sein; und er gab mir den Urlaub für den Samstag. Da begab ich mich in meine



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Wohnung, und ich begann, Speise und Trank und alles, was ich sonst noch brauchte, bereit zu machen; den Türhütern hatte ich Befehl gegeben, die Türen zu verschließen und niemanden zu mir hereinzulassen. Während ich nun, umgeben von den Frauen, in meinem Gemache saß, erschien plötzlich ein alter Mann von würdevoller und schöner Gestalt. in weißen Kleidern und einem Untergewande aus feinem Stoffe; auf dem Kopfe trug er den Turban eines Gelehrten, in der Hand hielt er einen Stab mit silbernem Griffe, und zarte Wohlgerüche strömten von ihm aus, die Haus und Vorhalle erfüllten. Heftiger Grimm kam über mich, als er zu mir hereinkam, und ich wollte schon die Türhüter fortjagen. Doch der Fremde grüßte mich in vornehmster Weise, so daß ich ihm den Gruß zurückgab und ihn bat, sich zu setzen. Da setzte er sich und begann mich mit Geschichten von den Arabern und mit ihren Gedichten zu unterhalten, bis der Groll schwand, der mich erfüllt hatte; ja, ich glaubte sogar, meine Diener hätten mir eine Freude machen wollen, indem sie einen Mann von so feiner Bildung und Lebensart, wie er es war, zu mir hereinließen. Dann fragte ich ihn: ,Wünschest du zu speisen?' ,Ich trage kein Verlangen danach', erwiderte er. Und als ich ihn weiter fragte: ,Vielleicht zu trinken?' gab er zur Antwort: ,Nach deinem Belieben!' Darauf trank ich ein Maß Wein und gab ihm das gleiche zu trinken. Nun hub er an: ,Abu Ishâk, willst du uns nicht etwas vorsingen, auf daß wir etwas von deiner Kunst hören, durch die du hoch und niedrig übertriffst?' Seine Worte erzürnten mich; dennoch überwand ich meinen Ärger, griff zur Laute, schlug sie und sang. Da rief er: ,Vortrefflich, Abu Ishâk!' Nun ward ich - so berichtete Ibrahim -noch zorniger und sagte zu mir selber: ,Ist es ihm nicht genug, daß er ohne Erlaubnis bei mir eingetreten ist und mich belästigt? Muß er



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mich auch noch bei Namen nennen, als wüßte er nicht, wie man mich höflich' anredet?' Doch er fuhr fort: ,Willst du noch etwas singen, auf daß wir es dir vergelten?' Ich fügte mich in die Notlage, nahm die Laute und sang; und ich gab mir viel Mühe beim Singen und verwendete die größte Sorgfalt darauf, weil er ja gesagt hatte: ,Auf daß wir es dir vergelten.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 680. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu Ishâk erzählte: Nachdem der Alte zu mir gesagt hatte: ,Willst du noch etwas singen, auf daß wir es dir vergelten?' fügte ich mich in die Notlage, nahm die Laute und sang; und ich gab mir viel Mühe beim Singen und verwandte die größte Sorgfalt darauf, weil er ja gesagt hatte: ,Auf daß wir es dir vergelten.' Er war entzückt und rief nun: ,Vortrefffich, mein Herr!' Dann fragte er: ,Erlaubst du auch mir, zu singen?' ,Wie du willst!' erwiderte ich: denn ich hielt ihn für schwach von Verstand, dieweil er in meiner Gegenwart singen wollte, nachdem er zuvor mich angehört hatte. Er nahm die Laute und glitt über die Saiten dahin, so daß ich, bei Allah, vermeinte, die Laute selbst rede in arabischen Worten voll Feinheit mit einer Stimme von lieblicher Reinheit; dann hub er an diese Verse zu singen:

Ich hab ein wunde» Herz. Wer will es mir vertauschen
Mit einem andren, frei von Wunden und von Schmerz?
Doch weigert sich ein jeder, es mir abzukaufen -
Wer kauft denn auch ein krankes für ein heiles Herz?
Ich stöhn vor Liebesqual, die in dem Herzen mein:
So stöhnt und schluchzet, wer verwundet ist vom Wein!



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Bei Gott, mir war - so erzählte Abu Ishâk -, als ob die Türen und die Wände und alles, was im Hause war, ihm antworteten und mit ihm singen; so schön war seine Stimme. Ja, mich dünkte schließlich, daß ich meine Glieder und meine Kleider ihm antworten hörte. Und so saß ich ganz verstört da; denn in der Aufregung meines Herzens konnte ich weder reden noch mich rühren. Darauf sang er diese Verse:

Ihr Turteltauben dort am Hange, zieht von dannen!
Denn eure Stimmen machen, daß ich Trübes ahn'. Sie wandten waldwärts sich und raubten fast mein Leben,
Fast hätt' ich mein Geheimnis ihnen kundgetan.
Sie riefen einen Fernen, gurrend gleich als wären
Sie weinestrunken oder in des Wahnsinns Bann.
Nie sah mein Auge solche Tauben; denn sie weinten,
Obgleich aus ihren Augen keine Träne rann.

Dann sang er noch diese Verse:

O Zephir aus dem Nedschd', wann bist du dort erwacht?
Dein nächtlich Kommen hat mir Qual auf Qual gebracht!
Am hellen Morgen klang der zarte Ruf der Taube
Auf dem Geäst der Weide und im Myrtenlaube.
Sie weinte wie der Jüngling, der vor Liebe weint;
Und Leid, wie ich's nie klag, war in dem Ruf vereint.
Man sagt, wer liebt, wird müde, wenn er nahe weilt,
Und daß die Ferne wohl von Liebesschmerzen heils'.
Ach, ich erprobte beides -Heilung fand ich nimmer;
Allein von Näh und Ferne ist das Fernsein schlimmer.
Doch auch die Nähe kann von keinem Nutzen sein.
Erwidert der Geliebte nicht die Liebe dein.'



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Dann fuhr er fort: ,Ibrahîm, sing dies Lied, das du gehört hast, indem du seine Weise bei deinem Singen beibehältst, und lehre es deinen Sklavinnen!' Ich bat: ,Wiederhole es mir!' Doch der antwortete: ,Du bedarfst keiner Wiederholung; du hast es schon behalten und kennst es genau.' Da plötzlich verschwand er vor meinen Augen. Ganz bestürzt eilte ich zum Schwerte und zog es, lief zur Tür des Harems und fand sie verschlossen. Nun fragte ich die Frauen: ,Was habt ihr gehört?' Sie erwiderten: ,Wir haben den lieblichsten und schönsten Gesang vernommen!' Ich war ratlos; als ich dann zur Haustür ging und auch die verschlossen fand, fragte ich die Türhüter nach dem Alten; die aber sagten: ,Welcher Alte? Bei Allah, zu dir ist heute niemand hereingekommen!' Da ging ich zurück, indem ich über das Ganze nachdachte. Plötzlich jedoch kam eine Stimme aus einer Ecke des Hauses: ,Sei unbesorgt, Abu Ishâk, ich bin Abu Murra.' Heute bin ich dein Zechgenoß gewesen; fürchte dich nicht!' Darauf ritt ich zu Harûn er-Raschîd, und nachdem ich ihm alles erzählt hatte, sprach er: ,Wiederhole die Weisen, die du von ihm behalten hast!' Ich nahm die Laute und spielte; und siehe, ich hatte sie alle fest im Gedächtnis behalten. Davon war der Kalif so entzückt, daß er bei ihrem Vortrage zu trinken begann, obgleich er sonst nicht dem Weine ergeben war; ja, er sagte sogar: ,Ich wollte, er würde uns einmal einen Tag lang durch seine Gegenwart erfreuen, so wie er dich erfreut hat!' Dann wies er mir ein Geschenk an, und ich nahm es und ging meiner Wege.

Ferner wird erzählt


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