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Kapitel 

AN NACHTFEUERN DER KARAWAN-SERAIL


MÄRCHEN UND GESCHICHTEN ALTTÜRKISCHER NOMADEN


erzählt von

ELSA SOPHIA VON KAMPHOEVENER

Erste Folge

CHRISTIAN WEGNER VERLAG HAMBURG



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BUCHAUSSTATTUNG: HANS HERMANN HAGEDORN


Die vierzig Lügen

Ein Padischah lag sterbend und berief seine drei Söhne zu sich. Er sah sie mit einem Lächeln an, das ein wenig Spott enthielt und viel Zufriedenheit. Der freundliche Spott galt denen, die noch weiter sich der Mühe des Lebens zu unterziehen hatten, die Zufriedenheit dem Wissen, nun bald in die leuchtende Nähe Allahs zu gelangen.

»Meine Söhne«, sagte der Padischah leise, »ich gebe euch keinen Rat, weiß ich doch, ihr befolgt ihn gewiß nicht. Ich sage euch nur dieses: so ihr Erben meines Reichtums sein wollt, meidet das Glücksspiel und vertraut keinem Zwerge. Gehabt euch wohl.« Noch einmal lächelte er einem jeden zu, drehte sein Antlitz nach Mekka und starb.

Nun aber verhielt es sich so, daß ein kluger Zwerg einer der beliebtesten Berater des Padischah gewesen war und der Herrscher selbst viele Nächte mit Glücksspiel verbracht hatte. Darum, als er sterbend so sprach, verwunderten sich seine Söhne sehr und beschlossen trotz der Warnung des Vaters, sich mit dem Zwerge zu besprechen, von dessen Klugheit die erstaunlichsten Geschichten umgingen. Sie brauchten sich aber nicht viel zu bemühen, denn kaum verließen sie das Gemach des Verstorbenen, als der Zwerg ihnen schon entgegenkam. Er verbeugte sich tief, was ihn bei seiner winzigen Gestalt einer



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Schildkröte gleich erscheinen ließ, und sagte höflich, wie es sich geziemt, erst den Ältesten und dann die zwei anderen Prinzen anredend: »Padischah Effendim, Scheichzadeler, es wäre töricht, zu klagen, wenn einem von uns verehrten Mächtigen die höchste Freude zuteil ward, die des Paradieses, und so wollen wir, so es euch genehm ist, sein Andenken feiern, indem wir das tun, was er am liebsten tat: uns dem Glücksspiel ergeben. Zudem wird es jeden Kummer ersticken, der dennoch eure Herzen beschweren könnte, ist doch das Glücksspiel die einzige Beschäftigung, die so Geist wie Sinn umfängt und auch das Weib vergessen läßt. Gehen wir uns seinem Gedächtnis zu Ehren vergnügen?«

Von unten her schaute der Zwerg zu den drei hochgewachsenen Prinzen hinauf, aber wir, die wir berichten und so hinter allem und vor allem stehen, auch alles zu sehen und zu erfassen vermögen, können verstehen, daß er trotz seiner kleinen Gestalt dennoch größer war als die Hochgewachsenen. Das erwies sich auch daran, daß die drei Prinzen sogleich seiner Ansicht waren und wirklich glaubten, in des Vaters Geist zu handeln, obwohl ihnen die Ohren noch klingen mußten von den letzten Worten des Verstorbenen und in ihren Augen sich noch sein Lächeln spiegelte. Was ist da zu sagen? Das Ohr hört, was es will, das Auge sieht nicht, was es nicht sehen will.

El harnd üllülah.

So hockten denn die drei Prinzen, deren einer soeben durch die Hand des Todes als Padischah beschenkt worden war, am Boden und spielten mit jener Hingabe, die stets unseres großen Volkes Verderben gewesen ist und sein Kismet. Sie setzten ein, was ihrer war. Der Älteste setzte das Reich. Der zweite seinen höchsten Besitz, seine edlen Pferde. Der Dritte legte lässig hie und da ein Juwel als Einsatz vor sich hin und verlor es ohne hinzusehen.



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Sie spielten die ganze Nacht hindurch, und als der Morgen graute, hatten sie alles verloren. Ruhig erhoben sie sich - denn es geziemt sich nicht, Erregung welcher Art immer zu zeigen, vornehmlich aber nicht dem gegenüber, der Schaden zufügte - und begaben sich hinaus vor das Tor des Serails, um der frischen Morgenfrühe zu genießen. Dort standen die vier und schauten dem Kommen des Tagesgestirns entgegen und auch dem des Kismet. Der älteste Scheichzadeh hatte sich auf die Stufen vor dem Eingang des Serail niedergelassen und sah aus, als wolle er jeden Augenblick einschlafen. Der zweite lehnte an der Mauer, die Arme untergeschlagen, und blickte voll Trauer dem Tag entgegen, dem ersten seines bewußten Lebens, da er ohne Pferd sein würde. Der dritte stand frei da, hatte die Beine gespreizt, als reite er, die Hände auf die Hüften gelegt, als bereite er sich zu einem Kampf, und sah auf den Zwerg hinab, als stehe er auf einem Turm. Der Zwerg schaute schnell zu ihm auf und begab sich dann zu dem Ältesten, dem Müden. Wieder verneigte er sich tief, ohne daß der Scheichzadeh ihn beachtete, und sagte: »Erhabener Herr und Gebieter, der du gewesen bist, erlaube einem elenden Nichts, das ich bin, dir einen Vorschlag zu unterbreiten.« Der Prinz schien ihn nicht gehört zu haben, lehnte weiter mit geschlossenen Augen an der Serailmauer. Der Zwerg versteckte ein Lächeln und fuhr fort: »Der Vorschlag ist dieser: wenn du es vermagst, erhabener Herr, mir vierzig vollendete Lügen zu erzählen, so daß ich sie vernehme, als seien sie die lauterste Wahrhaftigkeit, dann wird dein Reich wieder dir gehören, das du an mich verloren hast, und du wirst wieder sein, der du warst: Padischah und unser Herr.«

Der älteste Prinz öffnete nicht die Augen und nur ein weniges die Lippen, um halblaut zu sagen: »Bin zu müde.



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Will schlafen. Lügen sind anstrengend.« Der Zwerg verneigte sich wieder und murmelte: »Wie du befiehlst, und recht hast du auch.« Dann wandte er sich zu dem an der Mauer lehnenden zweiten Prinzen, fragte mehr freundlich als höflich: »Und du, Scheichzadeh, willst du mir einige Lügen erzählen und so Padischah werden?« Der Prinz schaute nicht auf den Zwerg, sprach wie zu sich selbst und dem werdenden Tag: »Lügen? Ach nein, auch nicht um einen Thron, der doch Lüge ist. Freiheit ist mein Ziel, und ich wäre der reichste und glücklichste Mann auf Erden, hätte ich nur meine Pferde wieder. Ohne Pferde - was ist da ein Mensch? Nichts! Ein Käfer, der am Boden kriecht, jedem Fußtritt preisgegeben, ein Wurm, der ein Schlupfloch sucht. Oh, meine Pferde! Ach, mein Leben, meine Pferde!« Der Zwerg schaute den Prinzen an, als sei er ein verfrühter Sonnenstrahl, denn hatte er nicht gesagt, ein Thron sei Lüge? »Höre mich an, Scheichzadeh: wenn du deine Würde so weit vergessen kannst, daß du in die Ställe gehst und mir einen Sattel holst, oder so viele Sättel, wie du tragen kannst, und diese hierher bringst, dann wirst du es erleben, daß du wieder Pferde hast. Denn wisse, ich liebe die Reiter und alle, die mit Pferden zu schaffen haben, sind sie doch Lügner feinster und vollkommenster Art. Willst du also?« Doch da war der Prinz schon fort, und sie hörten das leichte Aufschlagen seiner weichen Sohlen sich mehr und mehr entfernen.

Ein leises Lachen erschütterte den kleinen, schmächtigen Körper des Zwergs, und er wandte sich an den dritten Prinzen, der immer noch seine Kämpferstellung innehatte. »Wie ist es nun mit dir, mein Scheichzadeh? Wärest du um des Thrones willen bereit, mir einige wunderbare Lügen zu erzählen?« Der Prinz ließ die Arme sinken, beugte sich vor und sah auf den Zwerg hinab; seine nachtdunklen



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Augen hatten einen fragenden Blick, und er sagte ernsthaft: »Nun wir allein sind, o kleines Wesens das so seltsame Kräfte birgt, willst du mir sagen, was dies alles bedeuten soll? Du vermagst es, drei Brüder, die verschieden sind wie die Farben des Lichts, in einen Zustand zu versetzen, daß sie ihren gesamten Besitz verspielen. Du nennst dich imstande, aus Sätteln Pferde zu machen, und du fragst nach Lügen um eines Thrones willen. Sprich nun zu mir, als sei ich ein Geschöpf Allahs mit der Kraft, hell und dunkel zu erkennen, und sage mir, was es alles bedeuten soll. So du ein Mensch bist und nicht ein Djin. . . Doch rede auch dann, ich höre.« Und der Scheichzadeh ließ sich hockend auf den Boden nieder, wodurch sich sein Gesicht in gleicher Höhe mit dem des Zwerges befand. So ganz aus der Nähe hatte der Prinz Nazir noch niemals den Zwerg seines Vaters gesehen, an dem er bisher immer verächtlich vorbeigegangen war, von seiner Höhe her das »Gewürm« mißachtend. Jetzt zum ersten Male blickte er in ein Menschengesicht, das die Trauer in Lachen verwandelt zu haben schien, denn große Augen leuchteten wie geheimnisreiche Sterne. Eine kleine Hand streckte sich zaghaft aus, und wie ein leichter Windhauch strichen Finger über des Prinzen seidenglatte Haare. »Prinz Nazir«, sagte leise der Zwerg, »weil du der erste hochgewachsene Mensch bist, der nach mir und meinem Wesen gefragt hat, will ich dir Antwort geben, und Allah segne dich, daß du diese versiegelten Lippen erschließt: So wisse: uns, die wir nicht sind wie die anderen Menschen, hat das Kismet die Gabe gewährt, mehr zu sehen und zu wissen als sie, auch Wünsche zu erfüllen, so sie uns nicht zum eigenen Vorteil gereichen. Darum ist es mir gegeben, aus Sätteln deinem Bruder Pferde zu machen, aus Lügen dir einen Thron, o Nazir, der du stets in meinem Herzen wohntest.«



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Die geheimnisvollen Augen sahen Nazir an, und der junge Prinz fühlte, wie sich sein Herz einen Schlag lang umdrehte. »Aman, du Erstaunlicher, sage mir, warum du nach Lügen fragst, so als wolltest du eines Narren Können prüfen, und dazu von einem Throne sprichst?« Der Zwerg lächelte, und der Prinz Nazir mußte an das Lächeln seines sterbenden Vaters denken, so sehr glich dieses in leisem Spott und Zufriedenheit jenem. »Ich bitte dich, oh Nazir, versuche es mit den Lügen, tue es um des Vertrauens willen, das dein Vater mir schenkte, und vergiß nicht, alles ist Kismet, auch daß dein ältester Bruder seinen Thron verschläft und dein zweiter jetzt eben die Sättel, deren er bedarf, nicht sogleich findet. Rede, ich beschwöre dich!« Von der Eindringlichkeit dieser Worte tief getroffen, begann Nazir sogleich: »Lügen, o Fragender, sind die andere Seite der Wahrheit, wie Schatten die andere des Lichtes. Höre: wenn ich dir sage, daß ich nicht anwesend war, während ihr spieltet oder wir spielten, was wirst du mir antworten?«

Der Prinz Nazir hockte immer noch vor dem Zwerg, und der stand und sah in das junge lebensvolle Gesicht. »Ich werde dir antworten«, sagte der Zwerg, »daß du mir die Wahrheit deiner Lügen beweisen mußt.« Nazir lächelte zustimmend und zog aus seinem Gürtel einen großen, bläulich schimmernden Diamanten. In dem grauenden Morgen leuchtete der Edelstein wie ein Stern, und der Zwerg, dem das Juwel nahe vor die Augen gehalten wurde, schloß geblendet die Lider. »Siehst du, dieser hier war mein Führer, er geleitete mich durch die Finsternisse des Bazars. Denn es geschah mir, während wir spielten und ich einen Edelstein nach dem anderen verlor, daß dieser in meinem Gürtel brannte und mich daran gemahnte, daß ich ihn nicht verlieren dürfe. So hielt ich die Hand darauf gepreßt, und bald vernahm ich eine



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Stimme, die flüsterte an meinem linken Ohr: >Nimm deinen leuchtenden Stein und folge ihm in die Dämmerung des Bazars!< So tat ich denn und ging fort.«

Der Zwerg schaute in das Gesicht des Jünglings, und ihm war, er sähe die Gedanken darin Leben gewinnen. »Und so warst du fort, während du dennoch weiterspieltest vor unsren Augen?« fragte er und neigte sich noch näher zu Nazir. Da war es dem Prinzen, als ströme ihm aus den Blicken des Zwerges ein Leben zu, das er so stark noch niemals verspürt hatte, und aus dieser Fülle schöpfend, sagte er lachend: »Was weiß ich, was ihr sahet und für mich hieltet? Ein Nebelbild, eine Wolke, was weiß ich? Ist es nicht an dem, daß wir nicht wissen, was wir sind?« Der Zwerg lachte ein leises, wissendes Lachen, bat leise: »Berichte nun weiter, oh ersehnter Sohn meines Herzens!« Ein kurzes Stutzen, ein schneller forschender Blick zu dem Zwerge hin, und der Prinz Nazir fuhr fort zu sprechen. »Geführt von meinem leuchtenden Stein gelangte ich zum Bazar, wo alles dunkel und verschlossen war. Sobald ich mich aber mit meinem Edelstein nahte, sprangen die Tore auf, und die einzelnen Werkstätten öffneten sich.« Der Zwerg fragte nur halblaut, wie um den Fluß der Gedanken und Gesichte nicht zu unterbrechen: »Und was geschah, als sich alles vor dir und deinem hellen Licht öffnete?« Der Prinz flüsterte heimlich betroffen: »Vor mir und meinem hellen Licht...? Wie du es nur zu deuten vermagst! Es geschah, daß viele Stimmen erklangen und viele Wünsche laut wurden. Es geschah, daß mir gesagt ward, daß ich eine Last zu tragen habe, die denen zu schwer sei, die dort schafften, und daß der Sohn eines Padischah mehr Kraft zeigen müsse als alle anderen. Das rief alles jäh auf mich ein.« »Und was hast du geantwortet, oh du, Sohn meines Herzens?« fragte dringend der Zwerg. »Ich stand verwirrt, denn es



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schwoll von allen Seiten auf mich zu, verstehst du, und ich wußte nicht, wohin mich wenden. Da aber kam ein Hund auf mich zu, ein kleiner, ein armer und elender Hund, saß vor mir und sagte... versteht du mich, oh Fragender? Dieser Hund, dessen Sprechen ich vernahm, sagte: >Hilf mir tragen, mein Helfer, denn ich vermag es nicht allein.< So sagte der kleine Hund.«

Der Zwerg beugte sich vor zu dem vor ihm Hockenden, legte die Hand auf seine Schulter, fragte angstvoll: »Und du? Was tatest du? Gabst du ihm einen Tritt, daß er dich verschone?« Der Prinz Nazir sah den Zwerg erstaunt an, nahm die kleine Hand von seiner Schulter und klopfte sie beruhigend, wie er es mit der eines angstvollen Kindes getan hatte. »Wo denkst du hin«, sagte er ruhig, »wie werde ich ein bittendes Geschöpf Allahs beschimpfen, sei es auch nur ein kleiner armseliger Hund? Ich sagte zu dem elenden Tier, es solle mich dorthin führen, wo sich jene Last befinde. Da leuchtete mein Stein auf, und sogleich fand ich den Weg, dem kleinen Hunde folgend. In einem der engen Bazar-Räume stand ein schwerer, großer Sack; ich wandte mich zu dem kleinen Hunde und fragte ihn: >Ist dieses die Last, die du tragen solltest?< Der Hund nickte mit dem Kopf, sagte etwas, das ich nicht verstand, und sah mich an.« »Und du, Nazir, was tatest du? Wandtest du dich ab und lachtest?« Der Prinz Nazir sah den Zwerg erstaunt an, fragte schmerzlich bewegt: »Warum nur glaubst du mich so harten Sinnes, daß du mir solche Fragen stellst, oh du, mit den tiefen Blicken? Wann wurde ich schuldig solcher Dinge?« Wieder kam die kleine Hand und legte sich wie ein fallendes Blatt leicht auf die Schulter des Jünglings. »Niemals noch wurdest du so schuldig, Prinz Nazir; denn wer fragt, sucht nur Bestätigung, verstehst du das nicht?« Nazir lächelte, strich über die kleine Hand und fuhr fort



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zu berichten. »So also standen wir, der kleine Hund und ich, vor dem Sack. >Was ist darin?< fragte ich. >Bozah<, sagte er. >Was soll es damit?< fragte ich >Fort von hier, an das andere Ende des Bazars, wo des Himmels Licht eindringt<, sagte er. >Wozu?< fragte ich. >Zum Wachsen<, sagte er. Und so standen wir beide dort.«

Der Zwerg lachte ein leises tiefes Lachen. »Und dein Stein, tat er nichts?« Nazirs Augen leuchteten auf. »Da du fragts, muß ich sagen . . . ja! Er leuchtete und verlosch, so als blitze es, wieder und wieder. >Djanoum<, fragte ich ihn, >was ist dir?< Da drückte er mich und es war, als dränge er mich. Der kleine Hund verstand schneller als ich. >Gehen wir hinaus<, sagte er, >es kommt etwas.< So gingen wir.« Der Zwerg beugte sich vor, fragte: »Und was kam? Sage mir, was kam?« Der Prinz lachte leise vor sich hin. »Du glaubst es nicht, was kam! Eine ganze Herde von Hähnen kam daher, einer nach dem anderen, den Weg der Mitte des Bazars entlang! Hähne, wie ich sie so groß und schön noch niemals gesehen hatte, kamen daher, als wollten sie nur die Schönheit ihrer Federn zeigen.« Der Zwerg fragte leise: »Und wollten sie denn mehr? Und wenn, wie wußtest du es?« Eifrig sagte Nazir: »Der kleine Hund, verstehe doch, er wußte es. >Gib acht<, sagte er, >sie kommen uns zu helfen; sie sind da, um diesen schweren Sack zu tragen, der sogar dir beschwerlich wäre. Aber es ist an dir, sie danach zu fragen. Der erste ist ihr Padischah, gehe hin und bitte ihn.<«

Der Zwerg fragte ernsthaft: »Du hast es getan?« Prinz Nazir sah erstaunt aus. »Wie sollte ich nicht, da der kleine Hund es mir geraten hatte? Ich ging und verneigte mich gebührend vor diesem Hahn-Padischah, dessen Federn im Lichte meines Edelsteines glänzten, fragte ehrerbietig: >Hahn-Padischah, es geht hier um eine Schwierigkeit, würdest du mit den Deinen aus Güte mir behilflich sein



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wollen?< Der Hahn sah mich an, sah den kleinen Hund an, sagte ernsthaft: >Um was denn geht es, oh meine Freunde?« Der Zwerg fragte eilig dazwischen: »Und du, was sagtest du diesem Hahn-Padischah?« »Nicht ich war es, der zu ihm sprach, denn der kleine Hund trat vor, verneigte sich höflich, legte die Pfoten zusammen . »Wie konnte er das, da er doch auf den Pfoten stand?« »Oh, vergaß ich dir zu sagen, daß er immer nur aufrecht ging? Entschuldige mich bitte. Er sagte also höflich: >Hahn-Padischah, ein Sack Bozah ist hier, der soll dorthin gebracht werden, wo das Tageslicht eindringt, und mir und meinem Freunde hier ist er zu schwer. Könntest du deine Diener uns zur Hilfe rufen, Erhabener?< Der Hahn-Padischah hat seine rote Krone geneigt und sich zurückgewandt zu den Hähnen, die ihm folgten, hat befohlen: >Holt den Sack mit Bozah, tragt ihn dorthin, wohin er zu sein bestimmt ist.<« Der Zwerg nickte verständnisvoll, fragte dann schnell: »Und wie haben die Hähne den Befehl ihres Herrschers ausgeführt, sage mir, Nazir?« Der Prinz lachte leise, antwortete aber ganz ernst: »Sie haben den Sack mit ihren Schnäbeln herausgezogen, während der kleine Hund, der Hahn-Padischah und ich zusahen, und dann haben sie eine lange feste Reihe gebildet und so den Sack sich aufgelegt, indem die einen hoben, die anderen sich zum Tragen boten. Da standen sie klein und gedrückt mit dem großen Sack auf ihren Rücken und es sah sehr komisch aus!«

Prinz Nazir lachte und mit ihm der Zwerg. »Sehr komisch muß es gewesen sein, in Wahrheit!« rief der Zwerg aus, erschrak dann vor diesem verbotenen Wort und sah forschend den Prinzen Nazir an, aber der hatte nichts gemerkt, so sehr war er mit den Hähnen beschäftigt. »Und wie half sich der Hahn-Padischah?« fuhr der Zwerg schnell fort. »Oh, es war sehr einfach; er befahl



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seinem Gefolge sich zu schütteln; als sie es taten, wurden sie größer und größer. >Vorsicht!< rief der kleine Hund voll Sorge. >Ihr werdet so groß werden, daß Ihr nicht in das Gewölbe hinein könnt, wohin der Sack gebracht werden soll!< So gebot ihnen der Padischah Einhalt und befahl mir, den Zug anzuführen. >Komm mit mir<, sagte ich zu dem kleinen Hund, >hilf mir, sie zu führen.< Da er sehr klein war, sah er angstvoll zu mir auf, fragte schüchtern: >Würdest du mich nicht, erhabener Freund, auf deinen Arm nehmen? Es ginge leichter so.<« Der Zwerg unterbrach, fragte eifrig: »Und du? Sagtest du, du seist dir zu gut, um einen Hund auf dem Arm zu tragen, Nazir, mein teurer Sohn?« Tief verletzt wandte sich der Prinz zum Zwerge, sagte traurig: »Warum, oh Zwerg, hälst du mich immer aller Niedrigkeiten für fähig? Du nennst mich Sohn deines Herzens und machst aus mir einen Verworfenen, der kein Verstehen und kein Mitleid mit den Geschöpfen kennt.«

Schnell, kaum daß das letzte Wort verhallt war, kam die kleine leichte Hand und legte sich auf des Jünglings Schulter. Die leise Stimme des Zwerges sagte bittend: »Mißverstehe mich nicht, oh Nazir meiner Seele, ich wollte nur das Wort meines Wissens von dir bejaht hören. Du sagtest, du nahmst den kleinen Hund auf den Arm und hieltest ihn weich und warm an dich geschlossen, war es nicht so?« Erstaunt blickte Nazir in die geheimnisreichen Augen, fragte: »Sagte ich das schon? Ich wußte es nicht. Aber so wie du es sagst, so war es. Wir gingen; der Edelstein in meiner Hand und der Hund in meinem Arm wiesen den Weg, und so langten wir an. >Hier ist es<, sagte der kleine Hund, und durch das Dach sahen wir die Sterne droben leuchten - woanders konnte es nicht sein. >Ladet ab<, sagte der Hahn-Padischah. Seine Gefolgshähne gehorchten. Der Sack Bozah fiel zu



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Boden. Die Hähne entfernten sich, der Padischah blieb stehen. Der kleine Hund in meinem Arm sagte leise: >Schau seinen Rücken an.< Ich tat es . . . und was sah ich?«

Der Zwerg beugte sich nahe zu dem vor ihm bockenden Prinzen, fragte gespannt: »Nun, was war es, das du sahst?« Auch der Prinz beugte sich vor, redete in des anderen Antlitz hinein, sagte: »Ich sah, daß des Padischah-Hahnes Rücken, des einzigen, der ohne Belastung dahergeschritten war, wie von einer Last gedrückt erschien und wund war! Aman, aman, was tun?« Der Zwerg fragte hastig: »Was denn, mein Sohn, tatest du und was dachtest du?« Der Prinz schüttelte wie ratlos den Kopf, erwiderte: »Was zu tun, wußte ich, was zu denken, nicht. Bozah heut, so schnitt ich mit meinem Dolch den Sack auf, streute auf den verletzten Rücken das Bozah, fragte vorsichtig: >0 Hahn-Padischah, du, der einzige Eine, der nichts trug, du wurdest wund, wie kann das geschehen?< Es war aber der kleine Hund in meinem Arm, der Antwort gab. Er sagte: >Lasse ihn, er heut sich selbst. Ist er nicht der Herrscher, der allein alle Wunden seiner Leute tragen muß, auch wenn sie ihnen bestimmt waren? Verstehe, er heut sich selbst. Siehst du, wie aus dem Bozah auf seinem Rücken schon das Grün wächst? Aus der Last wird Lieblichkeit, schau hin, mein erhabener Freund.<

So sagte der kleine Hund.«

Der Zwerg neigte seine Stirn in die Hand, fragte kaum hörbar: »Und was sahst du, o Nazir?« Eifrig beugte sich der Jüngling vor, antwortete mit dem Feuer der Jugend: »Einen Garten sah ich wachsen, wandelte in ihm, sah seine Blumen, sah seine Wege und Sträucher und in seiner Mitte einen goldenen Kürbis erstehen.« Der Zwerg, hinter seinen vorgehaltenen Händen sprechend wie aus dem Traum heraus, sagte: »Lasse es genug sein, mein Sohn Nazir, du Kind meines Herzens und Sinnes, ich



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weiß, was du sagen wirst von dem Kürbis, der Edelsteine barg gleich denen, die du im Spiel verlorst. Aber ich weiß mehr: der eine Edelstein, den du trugst und der dir Führer wurde, der zeigte dir viel mehr, als du mir sagen willst. Ist es nicht so, Nazir?«

Der Prinz neigte sich ein wenig zu den geheimnisvollen Augen, die ihn mehr fragten, als die leise Zwergenstimme es tat, und wollte antworten, da aber kam laufend der zweite Prinz daher, warf einen Haufen von Sätteln auf den Boden, rief lachend: »Mache dein Wort wahr, o Djin, gib mir meine Pferde wieder!« Nazir sah erwartungsvoll auf, sah die kleinen leichten Hände, die ihn liebkost hatten, sich über die Sättel hin wie streichelnd bewegen, und im nächsten Augenblick stürmte eine betäubende Wolke herrlicher Pferde davon. Der zweite Prinz packte eines davon an der Mähne, schwang sich hinauf und ward im Wehen des Staubes nicht mehr gesehen. Der Prinz Nazir wandte sich zu dem Zwerge. »Lügen hast du verlangt«, sagte er, »geschah dir davon genug?« Der Zwerg erhob sich und stand klein und zierlich vor dem Schechzadeh, der sich wegen der stürmenden Rosse seines Bruders erhoben hatte. »Warte ein wenig, Sohn meines Herzens«, sagte der Zwerg, »und du wirst erfahren, ob mir genug geschah. Lügen gabst du mir, und sie wurden zur Wahrheit, denn ich erkannte daran dich und dein Denken. Willst du es sehen, so sieh her!« Der Zwerg faßte weich nach des Prinzen Stirn, machte mit jenen leichten Händen einige Bewegungen, und kaum, daß er es getan, stand ein kleiner, armseliger, ängstlicher Hund da. Prinz Nazir streckte die Hände aus, rief leise: »Komm zu mir, kleiner Freund, und bleibe auch bei mir.« Und der kleine Hund sprang in die empfangsbereiten Arme mit einem Laut, der bei einem Menschen ein Jauchzer gewesen wäre.



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Noch eine Bewegung machten die Zwergenhände, und da stand er, der Hahn-Padischah, in all seiner Pracht, aber das Lachen eines verstehenden Herzens ließ ihn allsogleich dem Lichte des Sonnenunterganges gleich verschwinden. Der Zwerg sagte: »Lügen zeigen des Menschen tiefste Wahrheit, denn Lügen sind den Träumen gleich, die den Stimmen der Unsichtbaren Worte verleihen. Fragte ich nach Lügen, so war es, um die Wahrheit zu ergründen und diesem Lande einen Padischah zu geben, wie es ihn ersehnt. Immer aber sah ich im Spiegel meiner Seele dich, oh Sohn meines Herzen, Nazir, mein Padischah!

So geschah es, daß dieses Volk unseres Landes einen Padischah bekam, der mitleidsvoll, verstehend und voll des Lachens war. So geschah es, daß seines Bruders weiches Träumen Obdach fand bei ihm und des anderen Bruders wilde Freiheit ihm nicht geneidet ward. So geschah es aber auch, daß ein kleiner Hund sich stets in des Padischahs Armbeuge schmiegte, mochte er nun wichtige Dinge erledigen oder sich des Kefs erfreuen, und daß neben seinem Pferde eine Sänfte daherzog, darin auf vielen Polstern erhöht ein Zwerg thronte, dessen Augen mit dem Blicke unzerstörbarer Liebe auf dem Antlitz dessen ruhten, den sein Volk den Padischah mit dem sehenden Edelstein nannte - wenn auch niemand wußte, warum. Ist es nicht der Geheimnisse schönster und erhabenster Vorzug, nicht erkannt und nicht gedeutet zu werden?


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