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Hauffs Werke

Sechster Teil Phantasien und Skizzen Aus dem Nachlasse

Herausgegeben von

Max Drescher


Vorwort an Madame z. Floret,

Eigentümerin des Hôtel Flandre, nue Notre Dame des Victoires à Saria

Sehr verehrte Frau!

Sie gehören unter die wenigen Menschen, die mir auf mein ehrliches Gesicht hin und ohne anderen Schein als etwas Scheinheiligkeit getraut haben, und ich würde Ihre trefflichen Eigenschaften, ein gutes Herz, nachsichtige Augen, ein offenes Ohr und einen für Rue Notre Dame des Victoires hinlänglichen Verstand öffentlich gemacht haben, auch wenn ich es Ihnen nicht versprochen hätte.

Als ich, versehen mit allein, was ein mutiges, junges Herz unterstützt, in Ihr Haus trat, da dachte ich freilich nicht, es einst so plötzlich verlassen zu müssen; doch wäre auch jene Begebenheit schon damals vor meiner ahnungslosen Seele gestanden, an eine so romantische, samaritanische, beinahe unglaubliche Zuversicht einer Eigentümerin eines Hôtel gara hätte ich nie geglaubt.

Ich vergesse jenen Abend nie, als ich, vor Schrecken, Unwillen und Angst beinahe leblos, bei Ihnen eintrat, nach meiner Rechnung fragte und Ihnen gestand, daß ich abreisen müßte. Ich hatte von allem gemünzten Gold, das auf der Erde umherrollt, noch zwei Zwanzigfrankenstücke, von dem ungemünzten in Barren. Gefäßen und Geschmeiden einen Ring, und alles übrige Schätzbare bestand in einigen Kleidern. welche rechtlicherweise noch nicht mir gehörten.

Ihr Scharfblick, verehrte Frau, — oder nenne ich es lieber barmherzigen Instinkt? — kurz, jene unbegreifliche Ahnung sagte Ihnen in einem Augenblick alles; Sie schlugen da:, wohlbekannte Buch von grünem Saffian auf, Sie lispelten freundlich: "Vierhundertundfünfzig



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Francs" , und ich wiederholte mit bebender Zunge: "Vierhundertundfünfzig ! und als ich Ihnen dann meinen Kummer auseinanderzusetzen wagte, wie gütig waren Sie da, wie mütterlich besorgt fragten Sie nach den kleinsten Umständen!

Genug! Sie haben mir aus einer Verlegenheit geholfen, die, so klein sie dem Namen nach sein mochte, für mich in jenem Drang der Umstände niederdrückend, schmerzlich war. Es war in meinen Augen, obgleich ich gewiß war, schon im folgenden Monat meine Schuld tilgen zu können, nichts anderes als ein Geschenk; denn konnten Sie wissen, daß ich ehrlich genug sein werde, die Summe heimzuzahlen? und mit welcher Urbanität wußten Sie es zu bieten! Wie fein wußten Sie der peinlichen Notwendigkeit, eine Wohltat annehmen zu müssen, alles Drückende zu benehmen! Es ist heute ein Jahr seit jenem Abend verflossen; aber noch heute steht jedes Ihrer Worte deutlich und wie gedruckt vor meiner Seele. "Es haben schon viele deutsche Doktoren bei mir gewohnt," sprachen Sie, bald auf Ihr Buch, bald auf mich blickend, "meistens an cinqiuème und quatrième, Sie sind der erste gewesen au second; alle haben geraucht wie Sie, alle haben schlecht Französisch gesprochen, alle verlangten anfangs ein Kopfkissen von Federn statt meiner trefflichen Rollen von Roßhaar, keiner von ihnen konnte mit dem Kaminfeuer zurechtkommen, fast alle schrieben den ganzen Vormittag, oft bis vier Uhr, und Gott weiß, was sie schrieben; aber alle waren redliche, ehrsame Leute und mir, ich gestehe es (ihre runden Köpfe und blonden Haare abgerechnet), lieber als meine jungen Landsleute , die über einen unpolierten Nagel an der Wand eine Stunde sprechen können und doch nicht mehr wert sind, als daß man sie daran aufhänge. Ich habe gehört," fuhren Sie fort, "daß alle diese jungen Herren, wenn sie nach Deutschland zurückkehren, unsere schöne Hauptstadt in Büchern beschreiben und weitläufig erzählen, was sie daselbst gehört und nicht gehört, gesehen und nicht gesehen haben. Mein Vetter, Doktor Q —, Sie müssen ibn oft bei mir gesehen haben, und die Leute behaupten, er sehe mir ähnlich, obgleich sein Teint dunkler ist als der meinige, nun, dieser Vetter ist Mitarbeiter am .Globe', und es ist nicht die schlechteste Zeitung, die in Paris gelesen wird. ,Die Deutschen, Madame,' sagte er mir oft, sind in der Gesellschaft nicht zu gebrauchen; aber die Feder ist ihre Zunge; sie sind treffliche Leute mit der Feder und in der Tat gelehrt; ihre Literatur fängt an, bei uns bekannt zu werden, und es ist nicht das Schlechteste, was wir vom Auslande empfangen.' So sprach er oft, und meine Achtung vor Ihren Landsleuten stieg."

"Monsieur Off," fuhren Sie fort, denn mein Name war Ihnen nicht geläufig, "Sie haben viel geschrieben, so lange Sie auf Nr. 15



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im Hôtel Flandre waren. Doktor K., Ihr Landsmann, hat mir auch versichert, daß man schon einige von Ihren Schriften gedruckt habe; Monsieur Off, gegen einen solchen Mann kenne ich meine Pflichten und diese Rechnung (Sie machten einen dicken Strich dadurch durch) soll Ihnen nicht länger beschwerlich fallen; aber Sie werden auf Ihrer Seite auch so gütig sein, meiner und meines Hauses in Ihrer nächsten Schrift zu erwähnen, und ich weiß, diese vierhundertundfünfzig Francs werden mir dann schöne Zinsen tragen."

Wahrlich, verehrte Frau, noch zur Stunde kann ich nicht glauben, daß es Ihnen mit jener Bitte ernst war; denn wer von meinen Landsleuten wird deshalb, weil ich dort wohnte, Ihr Hotel beziehen? Dies Buch, vor welches ich Ihren Namen setze, Sie selbst können es nicht lesen, und Saura, 1o garçon, spricht zwar die Worte Brot, Schnaps, Salz, Wein, Wurst, Durst, Bett, die er auf seinen militärischen Durchreisen bei uns zu lernen die Gnade hatte, deutlich genug aus; aber auch er wird unsere Buchstaben so wenig lesen können als die gotischen Charaktere an den Butiken der deutschen Schneidermeister, die ihn oft zu Verwünschungen steigerten. Vielleicht wohnt irgend einer meiner Landsleute an quatrième und in diesem Fall können Sie sich einige Kapitel übersetzen lassen, vorausgesetzt, daß Sie sein ang und ong verstehen.

Auf jeden Fall aber müssen Sie sich durch Ihren gelehrten Vetter von der Redaktion des 'Globe' ein Zertifikat verschaffen, daß à 1n tête dieser Schrift wirklich eine Zueignung an Sie zu lesen ist; denn Sie könnten glauben, dadurch, daß ich darauf bestand, meine Rechnung zu tilgen, habe ich mich von meinem Wort und einer angenehmen Pflicht losgesagt. Wem könnte ich ein Buch, in dem meine Landsleute flüchtige Zeichnungen der Sitten Ihres und meines Volkes finden sollen, würdiger zueignen als einer liebenswürdigen Repräsentantin des neuen Frankreichs, einem Kinde der Revolution, das, obgleich so weit entfernt von Politik als vom Studium der Geographie, die Abschnitte seines Lebens nach den Leiden und Freuden seines Vaterlandes zählt? Sie wurden von der Sturmglocke des dreizehnten Vendemiaire aus dem Mutterleibe geläutet; als Bonaparte sich die Krone Karls des Großen auf die Stirne setzte, warf Sie, Neugierige, eine Volkswelle an die Treppe des Hôtel-dieu; die Stirnnarbe, die Sie davontrugen, ist noch nicht verschwunden; aber sie steht Ihnen gut, und Sie wissen es. Bald fluchte Ihr junges, der Liebe erschlossenes, Herz Cäsarn und seinem Glück; denn Ambroise, der hübsche Kommis aus der Rue Montmartro, sollte als Voltigeur helfen Rußland erobern. und bald beweinten Sie Frankreich und sich, —Ambroise mit erfrorenen Beinen konnte nicht wieder über die Beresina voltigieren. Monsieur



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Floret war Ambroises Nachfolger in der Wohnung Ihres Herzens; jedoch erbte er nicht das ganze Appartement, er mußte sich mit einer Kammer begnügen, die anderen blieben für Ambroises Andenken verschlossen. Alle Kammern konnten sich indessen nicht enthalten, bange zu klopfen, als Herr Floret im Kleide der Panser Nationalgarde, Gewehr im Arm, Abschied nahm, um an die Barriere zu fliegen, und Sie — zum letzten Male umarmte, ehe er unter Blüchers erstem Kanonendonner wiederkam. Frankreich:, Geburtswehen beschleunigten Ihr Glück; Sie stiegen mit Ludwig XVIII, auf den Thron des Zahltisches und saßen ungleich fester; denn Sie bedurften seitdem keiner Restauration; ja, Herrn Florets Tod, der an dem Tage, wo der alte Lilienstengel eine junge Knospe trieb, zu Pere la Nuise schlafen ging, statt ihn zu erschüttern, diente dazu, ihn zu befestigen. —Leben Sie wohl auf Nimmerwiedersehen, einfache und, —meine Landsmänninnen mögen die Nasen rümpfen, so viel sie wollen, — tugendhafte Frau; Ihr Andenken soll mich begeistern, wenn sich die liebenswürdige Seite Ihres Volkes mir zuwendet; ich werde sie aufsuchen und mit Liebe aufsuchen, und ewig sollen mir die Worte unvergeßlich bleiben, die Sie im Augenblicke des Abschieds, anfangs in einem Tone, als seien Sie die Sprecherin Ihrer Nation der meinigen gegenüber, dann mit zitternder Stimme und mit feuchtem Auge sprachen: "Monsieur, ich achte Ihre Nation, und diese Achtung hat sich vermehrt, seitdem ich die Ehre hatte, Sie kennen zu lernen. Reisen Sie glücklich, und kommen Sie schnell wieder in das schöne Frankreich, wenn Sie zu Hause friert, — car je suppose, qu'il n'y a pas loin chez vous les glaces, où mon pauvre petit Ambroise a péri."

Es sind schon so viele Reisen nach Paris geschrieben und gedruckt worden, daß man eine eigene Bibliothek davon errichten könnte, und es scheint, es sei eine überflüssige Mühe, nach der tausendsten noch die tausendunderste herauszugeben; dennoch kann keinem Reisenden das Recht bestritten werden, seine eigene Reise zu beschreiben, so wenig als einem verboten werden könnte, seine Biographie oder Reise durchs Leben herauszugeben, weil er etwa nur Nachtwächter, Doktor der Philosophie und nicht König, Kaiser oder Goethe war; jeder lebt, denkt und reist anders als sein Vordermann, und es kommt am Ende weder auf die Reise, noch auf die Beschreibung , sondern darauf an, ob einer etwa so viele Leser findet, als ich mir wünsche.

Vergebens würde übrigens einer aus meiner Reisebeschreibung zu berechnen hoffen, wie viele tausend Taler ein junger Mann etwa in einem Monat brauchen könnte, wo die besten Nachtlager und die teuersten Mittagessen, wo die höchsten Türme und die



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breitesten Straßen seien. Vergebens wird einer, der töricht genug ist, sie als Saso des Voyageurs mitzunehmen, nach andächtigen Empfindungen und richtigen Notizen über irgend ein bedeutungsvolles Monument blättern; ich schreibe weder zur Erbauung, noch zur Bereicherung der Geographie, ich dränge niemand meine Empfindungen auf; denn jeder hält am Ende doch seine eigenen für die besten; ich will nur wiedererzählen, was ich gehört habe, nur einiges Vorübergehende, aber Bedeutungsvolle, was andere nicht gesehen haben, will ich beschreiben.

Darunter gehört zum Beispiel nicht das Städtchen Saarlouis, sondern die Leute, die von dort aus in dem Metzer Eilwagen mit mir fuhren; obgleich es beinahe so viele Geschichten von Postwagen gibt als Gespenstersagen und Lichtkarzmärchen, so bin ich doch versucht , von einigen dieser Personen zu sprechen.

Ich saß in einer Ecke und mußte es mir gefallen lassen, wenn mich die übrigen so aufmerksam betrachteten wie ich sie; es ist mir übrigens gewiß nicht zu verargen, wenn meine Blicke hauptsächlich auf einer jungen Dame mir gegenüber hafteten, von deren Antlitz ich freilich nichts sah als eine dunkle Locke und ein glänzendes Auge; denn eine große Kapuze, welche sie am Mund mit einem Tuch verschlossen hielt, umhüllte den Kopf; dah sie jung sei, sagte mir nicht nur die schlanke Taille, die Behendigkeit, womit sie in den Wagen gestiegen war. sondern auch ein gewisser Aberglaube; denn meine Base in Frankfurt hatte mir prophezeit, ich werde mit einer schönen jungen Dame nach Paris fahren. Ich bemerkte, daß ihr die Stellung der nächsten vier Füße unbequem sei, machte ihr Raum, konnte aber nicht verstehen, in welcher Sprache sie mir dankte; denn ich hatte bei dem Manöver einen dicken Mann, ihren Nachbar , auf seinen Leichdorn getreten, und er brummte vernehmlich und deutsch. Es war morgens vier Uhr, die Luft kühl; aber gegen acht Uhr mußte nach meiner Rechnung der Nebel und mit ihm die Kapuze der schönen Nachbarin fallen.

Ein Mann mit kühnem, dunklem Gesicht und schwarzen Falkenaugen, einem schon ins Graue spielenden Bart um die Oberlippe saß in der anderen Ecke neben dem dicken Mann. "Ein echt französisches Gesicht, ein Offizier," dachte ich, "und zwar einer von der alten Armee und auf halbem Sold; denn seine Kleidung ist etwas ärmlich, er sieht unzufrieden aus und will wahrscheinlich die Ehrenlegion Heinrichs IV. nicht tragen; denn er hat kein Band im Knopfloch . Welche Gedanken sprechen aus diesem dunkeln Auge! Dieselbe Straße nach Deutschland ist er in der Revolution als junger, feuriger Patriot, nachher als Offizier de:, Kaisers, vielleicht an der Spitze eines Regiments, gezogen! Auf diesem Wege vielleicht hat



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er seine tapfern Truppen aus den Feldzügen von sechs und neun zurückgeführt! Jetzt bezeichnet ihm die Kaiserstraße nur noch wehmütige Erinnerungen ehemaliger Größe; noch lange nicht ist seine ganze Generation ins Grab gestiegen, und doch ist alles dahin vorangeeilt, was ihnen groß und teuer war, und dieses schöne Frankreich deucht ihnen ein großer Kirchhof, wo ihr Ruhm und ihre Hoffnung begraben liegen und ,auf eine frohe Urständ warten."'

Der kleine junge Mann an meiner Seite könnte etwa ein angehender Kaufmannsdiener sein; in meinem Herzen halte ich ihn aber für einen deutschen Schneider, der nach Paris reist, um sich auszubilden. Noch gibt einen jungen Menschen in einem blauen flandrischen Hemde an der Seite meines Nebenmannes; er schläft schon und ist seinem Gesicht nach unbedeutend.

Bis jetzt wurde noch kein deutliches Wort unter der Gesellschaft gewechselt. Nach und nach schlafen die meisten; nur das Auge der jungen Dame sehe ich hie und da aus der Kapuze leuchten.


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