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Hauffs Werke

Sechster Teil Phantasien und Skizzen Aus dem Nachlasse

Herausgegeben von

Max Drescher


VI. Der arme Schuster.

Ich habe jetzt seit mehreren Tagen die Liebenden parterre betrachtet ; immer klarer wird es mir, daß ein sehr reines Verhältnis zwischen Karolinchen und dem Pariser besteht. Wenn etwas Unchristliches in dieser Liebe wäre, so müßte es in der Art, wie sie zusammen scherzen, sich zeigen; der Pariser könnte nicht so zart seine Glut verraten; er würde, wenn er schon höhere Rechte sich zugeeignet hätte, nicht, wie ich wohl bemerkt habe, um ein Küßchen so lange betteln und sogar schmollen, wenn er es nicht bekommt; Karolinchen könnte nicht mit jenem heitern, ungetrübten Mut Scherze



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selbst beginnen, könnte ihn nicht aus ihren klaren Augen so treuherzig anblicken, wenn sie sich etwas Unchristliches bewußt wäre. Es ist etwas Heiliges, Holdes um die Unbefangenheit der ersten Liebe, sollte sie sich bei einem Schustergesellen und seines Meisters Tochter oder in dem Boudoir einer jungen Fürstin zeigen; es ist der herrliche Schmelz, den die Unschuld aushaucht; keine Kunst ersetzt ihn wieder, wenn du ihn abstreifst. Oder kann der Maler dem Schmetterling die Flügel wieder malen, wenn eine rauhe Hand ihn betastet und den Blütenstaub verwischt hat, womit die Natur seinen bunten Mantel überkleidete? Ist nicht die sanfte Röte auf den Wangen eines schönen Kindes ein solcher Blütenstaub? Wird die Schuldbewußte erröten, wenn der Geliebte um ein Küßchen bittet? Wird sie die Augen niederschlagen? Die Kunst einer Kokette geht weit; sie kann durch großes Studium vielleicht lernen, wie und wo man die Augen niederschlagen müsse; aber jenen holden, jungfräulichen Schmelz, jenes rouge tin der Natur kann sie bei Laugier pere fils, Haag l'abbé à Saria nicht kaufen,

Ich traute daher lieber meinen Augen und meinem guten Opernglas als der bösen Zunge der alten Christel, meiner Aufwärterin , die mir das Verhältnis der beiden Leutchen als ein unchristliches schilderte. Ich hatte ein Paar Pantoffeln nötig; was war natürlicher, als daß ich meinen Nachbar, den Russenschuster, mit diesem Auftrag beehrte? Ich hatte dabei noch eine Nebenabsicht. Der alte Russe, dachte ich, ist wohl zu bequem und vornehm, als daß er sich zu mir bemühte; Brenners Karlchen, den Lehrjungen, kann er auch nicht wohl schicken, um mein Maß zu nehmen, folglich werde ich den Pariser bei mir sehen. Die alte Christel wollte mir zwar das Vorhaben mit Gewalt ausreden; sie behauptete, daß ich bei dem reichen Nachbar das Doppelte werde zahlen müssen; aber es half nichts, sie mußte hinüber. Sie kam bald wieder und berichtete, man werde kommen; sie lächelte dazu vor sich hin, als wüsste sie noch etwas, das sie sich unbefragt nicht zu sagen getraue . Ich konnte ihr schon den Gefallen tun zu fragen; denn sie schwatzte gerne.

"Als ich hinüberkam," sagte sie, "und ausrichtete, daß Sie ein Paar Pantoffeln wünschten, da —nein, ich kann es nicht sagen —"

"So sprich doch, Alte! Was sagten sie denn?"

"Karolinchen sah recht mitleidig aus und sagte: .Ach, zu dem bleichen Herrn im zweiten Stocke drüben? Was fehlt ihm denn? Er ist immer zu Haus und sieht so trübselig durchs Fenster'; und der Pariser sagte: ,Ja, und wenn er ausgeht, so sieht er so ernst und traurig aus; was fehlt ihm denn?"'

"Nun, und was sagtest du, Alte? Was gabst du zur Antwort?"



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"Na, ich weiß es ja selbst nicht; ich sagte, es müsse Ihnen jemand gestorben sein, Sie gehen meist in schwarzen Kleidern; und da meinten sie — hi! hi!-— da sagte Karolinchen: ,Ach, gewiß ist ihm sein Schah gestorben, dem armen Herrn, oder es geht ihm gar wie mit dem armen jungen Werther, der auch so viel gelitten hat'."

Die guten Seelen! dachte ich; weil sie lieben, so tennen sie kein anderes Leid als die Trauer der Liebe! Wie unendlich prosaischer ist doch mein Kummer! Freilich ist mir ein Schatz gestorben; der Leipziger Magister hat ihn gewonnen. Die alte Tante ist es, der meine Melancholie gilt, der seligen Idoina, der Mitarbeiterin an der "Zeitung für noble und gebildete Leute" Wie prosaisch, wie so ganz miserabel und unpoetisch! Meine Farbe spielt etwas ins Blasse; was ist natürlicher, als daß ich Kummer habe? Ich bin viel zu Hause, ich muß über meinen Kummer brüten; ich sehe melancholisch an: ich könnte schwer verdauen, ich könnte einen Roman unter falschem Namen geschrieben haben und deswegen auf Geldbuße angeklagt sein. Aber dies alles ist uns heutzutage zu prosaisch — er ist melancholisch , er muß Liebeskummer haben, ganz erschreckliche Seelenleiden; sogar die Schustermamsell, die liebende, weiß gleich, wo einen der Schuh drücken könnte. In welcher Schule mag sie da:, gelernt haben? Ja, sie hält mich für größer, als ich bin; sie vergleicht mich sogar mit dem jungen, liebenden Werther, dem unvergeßlichen; und ich —muß erröten, jene enorme Höhe von tragischem Pathos noch nicht erreicht zu haben!

Mit diesen Betrachtungen beschäftigt, sah ich den Pariser aus dem Hause treten. Ersah gar nicht übel aus, und ich konnte es Karolinchen nicht verdenken, daß sie gern mit ihm scherzte. Er war nett und elegant gekleidet; denn zu solchen Besuchen wurde der Sonntagsstaat angelegt. Er ist ein hübscher, gedrungener, untersetzter Bursche, lebhaft, gewandt; es kann ihm nicht fehlen, er muß bei den Mädchen Glück machen. Schon der Name: der Pariser , weckt tausenderlei günstige Meinungen zum voraus. Der muß die Welt gesehen haben, denkt man und fühlt sich nicht wenig geehrt, von ihm zu einem Walzer oder Dreher aufgezogen zu werden. Ich konnte mir denken, daß er seine Sitten perfektioniert haben werde. In der Hauptstadt der Welt, wo die Schuster in Glaswagen bei ihren Kunden vorfahren und ihre eigenen geheimen Sekretärs haben, welche sogleich die Maße der Kundenfüße zu Protokoll nehmen, wo die Meister Künstler sind, ein Atelier statt der Werkstatt hab en, mehrere Kurse über Anatomie anhören, um sich in ihren Bemühungen um den Fuß zu vervollkommnen, wo die Gesellen nicht auf einfüßigen Schemeln, sondern in prachtvollen Fauteuils Schuhe flicken und die Lehrjungen oder Sargons den Draht mit parfümiertem



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Pech wichsen, in einer solchen Stadt hatte er den deutschen Handwerksburschen, diesen aus Flegelei, Courtoisie und Sinnlichkeit zusammengesetzten Kraftmenschen, ausziehen und in den Pariser fahren müssen.

Er kam; ich hatte mich nicht getäuscht. Wie artig wußte er sich zu verbeugen, den Hut abzulegen und ein paar Fünffingerstriche durch sein Haar zu tun! Wie unbefangen näherte er sich, mit welcher Grazie setzte er mir den Stiefelziahar zurecht! Er schien mich mit mitleidigen Blicken zu betrachten; der arme Siegwart mochte ihm einfallen oder gar die Leiden des jungen Werther; denn er erkundigte sich dolce nach meiner Gesundheit.

"Sie haben eine angenehme Werkstatt da drüben," sagte ich zu ihm, indem er mit einem rosenfarbenen Seidenband meinen Fuß maß und sich Notizen in eine saffianene Brieftasche aufzeichnete ; "ich meinte, Ihre Werkstatt muß hell und freundlich seins"

"Unser Arbeitszimmer meinen Sie? O ja, es ist hübsch und freundlich, und man hat doch auch eine Aussicht auf die Straße."

"Nun, und die Einsicht ist gewiß auch nicht übel; läßt Ihnen Mamsell Karoline so viel Zeit, auf die Straße zu sehens"

Stumm vor Staunen lag er vor mir auf den Knien; er hielt in einer malerischen Stellung das rosenfarbene Maß in der Hand, die Brieftasche war ihm entfallen. "J der Tausend!" preßte er heraus. "Wie meinen Sie denn das, wertgeschätzter Herr . . .?"

"Nun, ich habe letzthin eine kleine Attacke mit den eisernen Ladenstangen gesehen, wo eine Fensterscheibe zerschlagen wurde; da dachte ich —"

Ei! So hat Brenners Karlchen doch recht gehabt," rief er; er hat gesagt, Sie hätten herausgesehen; ja, ich hatte einen kleinen Spaß mit des Meisters Tochter."

"Und wenn ich recht gesehen habe, ist sie Ihnen gut, die Mamsell?" ;

Der gute Pariser wurde über und über rot, und ein Strahl der Freude schien an:: seinen ehrlichen Augen zu dringen. "Was hilft es mir auch, wenn mir das Mädchen gut ist?" sagte er nach einigen Augenblicken leise, — "ich kriege sie doch nicht!"

"Und warum nicht?" fragte ich verwundert; " ein geschickter Arbeiter, der sogar in Paris gelernt hat, diesen sollte der Meister verschmähen? "

"Es ist wahr," sagte der junge Schuster nicht ohne Selbstgefühl, "ich habe in Deutschland und Frankreich gelernt; ich habe in Pans, Amsterdam, Berlin und Frankfurt in den berühmtesten Ateliers gearbeitet; aber was hilft's? Der Meister ist reich und vornehm, er wird nächstens Stadtrat werden, er sucht seine Tochter in vornehme Familien zu verheiraten. Ein Bierbrauer, ein Schweinemetzger,



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ein Rotgerber, alles vornehme und angesehene Herren, die wenigstens ihre zwanzig- bis dreißigtausend Taler schwer sind, haben um Karolinchens Hand angehalten, und der Alte ist nur noch im Zweifel, wem er sie geben soll."

Der arme Bursche dauerte mich, er hatte Tränen in den Augen, während er mir das erzählte. "Und Karolinchen?" fragte ich.

"Ach! das ist gerade mein Jammer; sie hat mich lieb, wir haben es vergangenen Sonntag auf dem Tanzboden einander gestanden. Wenn ich wollte, sie liefe mit mir davon; denn sie mag keinen andern als mich; aber ich weiß wohl, in den Romanbüchern werden oft junge Frauenzimmer entführt, die es nachher recht gut bekommen; aber was kann ich ihr anbieten? Bis ich Meister werde zu Haus, geht mein kleines Vermögen vollends drauf; und ich soll sie in ein Haus voll Kummer und Sorgen führen? Nein; sie wird mich vielleicht doch auch vergessen können. Sie soll heiraten, wie es der Vater will; sie wird dann eine vornehme, wohlhabende Frau, und wenn sie erst ein paar liebe Büblein hat, denkt sie nimmer an unsere Liebschaft und an den armen Pariser."

"Aber Sie? Können Sie so ruhig entsagen? Wird es Ihnen nicht recht schwer werden, von Karolinchen zu scheiden?"

"Ich mag nicht daran denken," antwortete er; "es würde mir jede Stunde verbittern; wenn einmal geschieden muß, so soll es schnell gehen. Wohl wird es mich schmerzen, wenn ich wieder so allein in die weite Welt hinaus muß; denn hier kann ich nicht bleiben; aber ich denke dann, es wandert mancher arme Teufel durchs Reich, den es im Herzen noch weit schwerer drückt als sein Bündel auf dem Rücken; so geht's halt in der Welt!"

Er ging mit einer Träne im Auge von mir.

"Also auch hier die unglückselige Macht der Verhältnisse!" dachte ich. "Auch hier der Eigensinn der Väter, auch hier das eifrige Streben nach Geld und Ehre! Man spricht von dem Unglück hochgeborener junger Damen, daß sie nicht dem Zug des Herzens, sondern dem Gebot der Verhältnisse folgen müssen. Man bedauert Prinzessinnen, daß für sie wahrscheinlicherweise das Glück stiller, beglückter Liebe verloren sei; man beklagt junge Gräfinnen und Fräulein von altem Adel, daß ihrem Auge kein Mann gefallen dürfe, der nicht sechzehn Ahnen gehabt, daß ihre Seele legitimerweise kein Bild erfüllen dürfe, das nicht stiftsfähig wäre. Hat die Tochter des Russenschusters ein glücklicheres Los? Es werben reiche Grafen, besternte Diplomaten um die Hand einer jungen Dame, der "linie, Unberühmte muß zurücktreten; hier kommen ganz außerordentlich vornehme und angesehene Leute und wollen Karolinchen zur Frau, wer sind sie? Bierbrauer, Schweinemetzger, Notgerber; sollte nicht der Pariser



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ebensogut, sogar noch passender für sie sein? Mitnichten! Jene haben Geld und Ansehen in der Stadt, sie sind außerordentlich vornehm: Karolinchen muß sie heiraten. Aber welche Nötigung ist bei all diesen Fällen. Der Vater des Fräuleins wird die Achseln zucken und sagen: die Verhältnisse. Verflucht sei, wer dieses Wort erfand, um einen Begriff zu bezeichnen, der auf Vernunft und Recht keinen Anspruch machen kann!

Ich war ergrimmt über diese Unnatur des Schusters, und in meinem Grimm mußte ich die Resignation des Parisers bewundern. Wäre dieser Fall in den höchsten oder in den Mittelständen vorgefallen , der Amoroso hätte sich erstens entweder mit seinem durch die Verhältnisse begünstigten Nebenbuhler schießen wollen, oder zweitens, er hätte gewütet, seiner Geliebten das Leben verbittert, ihr geflucht, gedroht, sich zu erschießen und erst auf ihr inständiges Bitten sich das Leben geschenkt, oder drittens, er wäre ins Wasser gesprungen, oder viertens, er wäre tiefsinnig geworden, und dieses letzte ist das Allgemeinere. Nicht so der Pariser; er sieht sein Unglück voraus: er könnte zur Not einen dummen Streich machen; aber das Glück und die Ehre der Geliebten ist ihm teurer, — er liebt und vergißt sein Unglück bis es da ist, und dann schnallt er den Ranzen und wandert traurig durch das Reich. Man wird sagen: Er hat nicht jenes tiefe Gefühl, nicht jene feinere Bildung, die zur wahren Liebe und zum tieferen Schmerz der Liebe gehört; kann man glauben, daß ein Schustergeselle so innig lieben könnte als ein Dragonerleutnant oder ein Legationsrat oder gar als ein junger Doktor? Kleinliche Torheit, die du auch hier wieder die Gefühle nach den Ständen abmessen willst! Die Äußerungen dieses armen Burschen sind erhabener als die Rodomontaden hochgeborener Liebhaber; sie zeugen von tieferer Empfindung als eure erlernten und erlesenen Sentiments, und seine Resignation ist edler als euer Toben und Wüten gegen das Schicksal. Er will sich nicht schießen mit seinen Nebenbuhlern wie der Legationsrat; er will sieh nicht in seinen eigenen Sonetten ersäufen wie der Doktor; er schließt die Geliebte zum letztenmal in die Anne, wirft sein Ränzel auf den Rücken, nimmt den Wanderstab und geht. Sein Unglück fühlt er tief, wenn er zum letztenmal die Türme der Stadt, die er verläßt, aus der Ferne ragen sieht; aber er denkt, es wandert noch mancher arme Teufel durchs Reich, den es im Herzen noch weit schwerer drückt als sein Bündel auf dem Rücken. Er trocknet eine Träne ab und geht. Aber der Dragoner, der Legationsrat und der Doktor? Wenn jener nicht geblieben ist, wenn sich dieser nicht erschoß, wenn der Doktor nicht ertrunken, —so gehen sie auch und geben sich zufrieden. Aber freilich, es gehört dazu, daß sie vorher etwas weniges gestöhnt und gejammert hatten. So wollen es die Verhältnisse.


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