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Hauffs Werke

Sechster Teil Phantasien und Skizzen Aus dem Nachlasse

Herausgegeben von

Max Drescher


IV. Joco.

Ein Besuch, der mir gerade jetzt sehr ungelegen kam, unterbrach meine Beobachtungen. Es war einer jener freundlichen Alltagsmenschen, die, wenn sie mit uns Billard gespielt haben, auf der Promenade einige hundert Schritte mit uns gingen, in der Loge zufällig neben uns einen Platz fanden, sich unaufgefordert zu unsern Freunden zählen. Er hatte sicher nicht geruht, bis er mein geringes Stübchen aufgefunden; er kam, wie er versicherte, nur aus Teilnahme, und doch war es die unverschämteste Neugierde, die ihn hergetrieben hatte; er und sein Hund beguckten und berochen jeden Winkel meines Zimmers; ich sah ihm an, wie er Notizen sammelte, um abends einige Damen über mich und meinen Spleen zu unterhalten.

"Sie sind doch ein glücklicher Mensch," sagte er; " waren Sie in Gesellschaft, so vergaßen die Damen, daß es gegen allen guten Ton sei, länger als fünf Minuten über einen Gegenstand zu sprechen. Man lauschte begierig auf Ihre Worte, weil Sie ein halber Gelehrter sind."

"Sie können sich doch wahrlich nicht beklagen," erwiderte ich; wie glänzend haben Sie vor drei Wochen die Damen unterhalten, als Sie den Brief aus Paris bekommen hatten."

"Es war der einzige glückliche Abend meines Lebens," sprach er mit süsser Wehmut; "mein Modekorrespondent hatte den vernünftigen Einfall, mir einige Anekdoten aus den Salons, einiges Neue über Damenputz und über die Stellung einer modernen Pariserin beim Teeeingießen, und wie sie in Gegenwart ihres jungen Ehemanns die Schlafhaube aufsetze, zu schreiben. Ich brachte es bei Graf C. vor; man fand mich köstlich, man fand mich liebenswürdig und amüsant. Es war aber auf Ehre der einzige Abend. Aber Sie! Wie glücklich sind Sie."

"In was soll nur mein Glück bestehen?" fragte ich ärgerlich über seine Ausrufungen.

"Haben Sie nicht immer das verdammte Spiel ,der Chevalier



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de Papillot' von vorn bis hinten ohne Anstoß behalten können? Und ich! Wenn ich am herrlichsten frisiert und gebrannt war, so wurde das dumme Chevalier pupillot a un papillot' gespielt, meine Frisur ging zum Teufel; denn ich konnte den französischen Sermon nicht behalten und bekam den ganzen Kopf voll Papilloten. Aber Sie! Hatten Sie den ganzen Abend nichts getan, als an einer Türe gestanden und finster in die Zimmer geblickt, so gab es doch Leute, die Sie sehr interessant fanden. Jetzt verlassen Sie sogar die Welt, werden melancholisch; ich wollte wetten, wenn ich es geworden wäre, man hätte gelacht, und Sie werden bemitleidet, zurückgesehnt; es gibt sogar junge Damen, die ganz offen den Fächer vor das linke Auge halten, wenn von Ihnen gesprochen wird."

"Den Fächer vor das linke Auge halten? Wozu denn, was soll es denn bedeuten?"

"Sie wissen nicht einmal dieses Zeichen der trauernden Liebe? Das ist das Neueste, was man hier in der Liebessprache kennt; das heißt à la Joco trauern,"

A 1u Saco trauern!" rief ich. "Wer trauert denn mit der Windfuchtel vor dem linken Auge um mich?"

"Gehen Sie, das wissen Sie nur zu gut; Oberforstmeisters Trinettchen ist ganz melancholisch geworden. Auf Ehre, ich sah sie zweimal à 1u Joco trauern. Ist das nicht rührend?"

"Was werden Sie heute mit Ihrem Tage anfangen?" fragte ich, um mir das Erröten über die trauernde Joco zu ersparen. "Wo werden Sie speisen? Werden Sie ins Theater gehen?"

"Speisen?" sagte er wehmütig lächelnd. "Speisen! Ich lebe gegenwärtig wie ein Klausner. Denken Sie sich mein Unglück!"

Ich war begierig; sollte ihn etwa auch eine Tante enterbt haben? War er vielleicht auf halben Sold gesetzt wie ich? Er schien bekümmert, geheimnisvoll.

"Denken Sie sich mein Unglück! Schon seit einiger Zeit bemerkte ich, daß mir meine Röcke und Westen nicht mehr recht passen wollen. Ich nahm daher das vormalige Maß meiner Taille (mein Schneider in Frankfurt und ich haben jeder ein Exemplar, und zwar aus Draht geflochten, daß es sich nicht verzieht); ich nehme es, lege es um, und o Schrecken! Ich bin seit einem Vierteljahre um zwei Daumen breit stärker geworden! Ich war außer mir, ich wütete, ich war nahe daran, Hand an mich selbst zu legen. Ich entdeckte mich dem jungen Baron F.; Sie kennen seinen herrlichen Wuchs; er tröstete mich, er gab mir Mittel."

"Nun, in was bestehen diese?"

"Zuerst mußte ich Rhabarbertinktur nehmen, daß ich beinahe tot war. Dann darf ich acht Tage lang nichts genießen als eine



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Tasse voll Gerstenschleim, einige Austern und ein Glas Madeira. Alle Morgen nach acht Uhr muß ich ein Glas Kräuteressig trinken und darauf spazieren gehen. Es ist heute der fünfte Tag; es ist wahr, es hilft, ich bin schon um einen Daumen eingegangen, aber meine Kraft schwinden, ich bin so schwach, daß ich heute abend nicht werde tanzen können. Es ist nur gut, daß es jetzt Mode ist, daß wir jungen Herren nicht tanzen; aber das ewige Stehen mit dem Hut in der Hand werde ich auch nicht aushalten; ich werde mich setzen müssen gegen allen guten Ton und feine Lebensart."

"Ich bedaure Sie," sagte ich, als er mit zitternder Hand von mir Abschied nahm. "Wären denn fünf Tage nicht auch genug?"

"Acht Tage müssen es sein," antwortete er seufzend; "aber dieser Leidenskelch wird auch an mir vorübergehen; was tut man nicht um den Ruhm, eine Taille à la Joco zu haben!"

Armer Joco! sprach ich bei mir, als er weggegangen war. Armseliger Affe! Du schämst dich deiner menschlichen Gestalt und wendest Mittel an, ein Pavian oder eine Wespe zu werden! Jene große Werkstätte der Torheit ergötzte sich an einem Menschen in Affengestalt; sie trugen sich wie der herrliche Affe; es gab nichts, was nicht den Namen dieses Affen trug; es nimmt mich wunder, daß sie ihren König nicht à la Joco krönten. Aber die Narrheit bleibt nicht in jenen Mauern, sie verbreitet sich über die Provinzen, sie passiert ungehindert die Douanen des Rheins, und man schämt sich in Deutschland, auf eine andere Art ein Tor zu sein, als es vor sechs Monaten in Paris Sitte war. Wer ist ein größerer Affe und der Tierheit näher, jener Ur-Joco oder die unzähligen Affenherren, Affenfräuleins und Affenmamsells, die an dem Affen einen Affen gefressen haben, ihm nachäfften und mit Freuden samt und sonders Jocos wurdent

Erbärmlicher Affe! Der du mich um eine schöne Stunde betrogst! Warum verbieten es die gesellschaftlichen Sitten, daß ich dich freundschaftlichst aus der Türe warf?

Wie vergnügt, wie zufrieden wäre ich mit mir selbst gewesen! Wie gut hätte ich mich an meinem Fenster unterhalten können! Und dieser hohle Mensch, in dessen Kopf kein Gedanke war als der an das Souper heute abend, dessen Blick in die Zukunft nicht weiter reichte als bis zum nächsten Ball, dessen Erinnerungen nur in Austern und Tanzmusik bestanden, dessen Herz kein wärmeres Gefühl kannte als Neid, wenn er nicht die feinste Taille hatte, oder die Freude, das neueste Tuch oder die eleganteste Hutfasson zu haben; dieser Mensch durfte sich meinen Freund nennen, durfte mein stilles Asyl durch sein Geplauder entweihen? Sind nicht diese Menschen die ärgsten Heiden? Es steht im Evangelium: "Ihr sollt nicht sagen.



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Was werden wir essen, was werden wir trinken, wie uns kleiden? denn nach diesem allen fragen die Heiden." Und diese Leute möchten verzweifeln, weil sie nicht wissen, ob sie heute in jenem Hotel oder bei diesem Italiener speisen werden; sie sind in Gefahr, krank zu werden, weil sie im Zweifel sind, ob sie sich schwarz oder blau ankleiden sollen.


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