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Hauffs Werke

Sechster Teil Phantasien und Skizzen Aus dem Nachlasse

Herausgegeben von

Max Drescher


III. Der zweite Stock.

Die Jalousien des zweiten Stockes mir gegenüber öffneten sich, ich erschrak; ein ungeheurer Knebelbart schaute zum Fenster heraus. Das ist sicher der kleine Leutnant," sagte ich zu mir; "das muß ein fürchterlicher Kriegsmann sein!" Ich wagte es, wieder aufzublicken und nach ihm hinüber zu schielen; wo hatte ich nur meine Augen gehabt, daß ich vor seinem Anblick so erschrak? Der Bart war allerdings bedeutend und gehörte in die Klasse der grimmigen; aber hinter diesem Wall von Haaren lag ein kleines, freundliches Gesichtchen , ein Näschen, das schalkhaft zwischen dem grimmigen hervorguckte, ein Paar wackere Äuglein, die auch nicht im geringsten



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zum Erschrecken eingerichtet waren. Der Knegsmann hatte mit der Brust nicht sehr weit über den Fenstersims emporgeragt, als er die Jalousien öffnete; jetzt hatte er sich wohl einen Stuhl ans Fenster gerückt; denn er erschien auf einmal groß und schaute mit dem halben Leib auf die Straße herab; doch nach Verhältnis seiner Arme und seines Kopfes zu urteilen, mußte er ein kleiner, untersetzter Mann sein; ich erinnerte mich, daß ihn Christel den kleinen Leutnant genannt hatte. Nichtsdestoweniger brachte er eine ungeheure Pfeife hervor, die bis in den ersten Stock hinabreichte. Sie mochte ein bedeutendes Gewicht haben; denn der kleine Leutnant hielt sie mit beiden Fäusten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Als der Kriegsmann einige Zeit seinen Morgenbetrachtungen nachgehängt haben mochte, fing er an, mit der langen Pfeife an den Jalousien zu seiner Linken zu pochen. Sie taten sich auf; ein mageres, bleiches Gesicht, eine lange, hagere Figur, in einen geblümten Schlafrock gehüllt, schaute hervor; es war der Doktor Salbe.

Die Straße, in welcher ich wohne, ist ziemlich schmal; ich konnte, wenn ich das Fenster öffnete, das Gespräch meiner Nachbarn hören; ich öffnete daher mein Fenster, ließ die Gardinen herab, um nicht von ihnen bemerkt zu werden, und lauschte.

"Wo habt Ihr Euch gestern nacht herumgetrieben, Doktor?" sprach der Leutnant mit schalkhaften Blicken, indem sich der Bart zu einem angenehmen Lächeln bis an die Ohren verzog. "Warum kamt Ihr nicht in den Goldenen Hahn? Ich wollte wetten, Ihr waret in einem Singtee."

Der Doktor nickte und zündete still lächelnd eine Zigarre an der Pfeife des Soldaten an. "Ich war im Singtee," antwortete er mit hohler Stimme; "Leutnant, da war es wieder herrlich! Im Goldenen Hahn geht es mir Sonntags gar zu roh her. Eure Kameraden rauchen so schlechten Tabak, und das Schreien und Schwadronieren von den Gefechten setzt meinen Nerven zu. Aber bei dem Professor Nanze war es gestern wieder göttlich!"

War die Fremde auch dort?" fragte der kleine Krieger und deutete auf den ersten Stock seiner Wohnung. "Waren auch die beiden Fräulein da?"

"Die Mutter, die Töchter und die Fremde; und wissen Sie wohl, wer sie ist: Sie wird Cousine tituliert, und die Oberforstmeisterin tut sehr freundlich mit ihr. und denken Sie, ich wurde ihr vorgestellt als Nachbar vom oberen Stock; sie war holdselig und hat auch mein Trauerspiel gelesen und meine Erzählungen in der ,Zeittung für noble Leute'."

Auch ein Genosse der seligen Tante Idoina, dachte ich und machte ihm hinter den Vorhängen eine Faust; denn er schien mit dem



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Leipziger Magister im Bunde gegen mich zu sein. Indem hörte man einen wahrhaft höllischen Lärm in der Wohnung des Schusters. Eine tiefe Baßstimme fluchte und tobte wie die rauhen Töne des Violons; dazwischen hörte man Karolinen und ihre Schwester in hohen, klingenden Tönen wie Hoboe und Klarinette, und Brenners Karlchen, der wohl Schläge bekam, fistulierte mit greulichen Violinpassagen dazwischen. Es war kein Zweifel, der Russenschuster war erwacht und hielt seinen feierlichen Einzug in sein Reich.

"Hören Sie doch, wie der Alte wieder rumort," sagte der Doktor Salbe; "mich dauern nur die Mädchen; er probiert sicher an Karolinchen ein paar neue Knieriemen. A propos, wie stehen Sie mit Karolinchen, Leutnant?"

"Gar nicht," antwortete er mürrisch und blies eine große Wolke vor sich hin. "Die hochmütige, schnippische Person! Ich weiß nicht, was sie jetzt wieder im Kopf hat; sie dankt kaum, wenn ich sie grüße. Es ist mir auch ganz einerlei," fuhr er ärgerlich fort; "meine Gedanken stehen jetzt auf die Fremde, auf die Cousine; der will ich die Cour machen, Höllenschwerenötchen, Doktor! Das sollt Ihr 'mal sehen."

"Hoho!" fiel ihm sein Nachbar mit hohlem Lachen ins Wort. "Wenn Sie erst wüßten, was ich weiß, Wertester!"

"Donner! Hat sie von mir gesprochen? Salbe! Ihr foltert mich; hat sie von mir gesprochen?"

"Nein! Aber sie sagte mir viel Schönes über mein Flötenspiel, das sie vorgestern nacht in den Schlaf gewiegt habe."

Ich glaubte, der Leutnant werde bei diesen Worten zum Fenster hinausstürzen; er hüpfte auf seinem Stühlchen hin und her und rückte weiter über die Brüstung heraus, um dem Doktor näher zu sein. "Und Ihr habt dem lieben Kind doch gesagt, daß ich es bin, der musiziert:"

"Ja wohl; ich sagte ihr, daß ich nur Gitarre schlage und etwas weniges dazu singe' der Flötist aber sei mein Nachbar, der Leutnant Münsterthurm. Ich will Ihnen auch gar nicht im Wege stehen; ich habe an meinem neugriechischen Roman so entsetzlich zu arbeiten, daß ich vor den nächsten vierzehn Tagen an keine Liebe denken kann; aber den Goldenen Hahn sollten Sie sich abgewöhnen; Sie sollten in gebildete Zirkel sich einlassen; dort können Sie die Haus-Cousine treffen."

"Gott straf' mich, Ihr habt nicht unrecht!" unterbrach ihn der liebende Soldat. "In den Goldenen Hahn kommt sie doch nicht; also muß ich sie andern Orts aufsuchen. Aber Ihr kennt ja meine Antipathie gegen das Teetrinken; ich riskiere, daß ich auf der Stelle krank werde, wenn ich dieses laue Wasser zu mir nehme. Was haltet Ihr davon, Doktor, wenn ich Punschessenz mit mir nehme in einem



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Gläschen und, während ich nach der tollen Sitte mit der Tasse auf und ab spaziere, heimlich einige Tröpflein in den Tee gieße? Dann kann er mir nichts schaden.

"Wahrhaftig, das könnten Sie tun; kaufen Sie Essenz, ich will Sie einführen in Nanzes göttlichen Singtee."

"Am Donnerstag bekomme ich meinen neuen Uniformsfrack," antwortete er vergnügt; "dann gehen wir miteinander in den Singtee."


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