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Hauffs Werke

Sechster Teil Phantasien und Skizzen Aus dem Nachlasse

Herausgegeben von

Max Drescher


VI. Schlunz.

So war ich denn durch mein günstiges Geschick in kurzem dahin gelangt, wohin ich mich so lange gesehnt hatte. Jetzt hatte ich nicht mehr nötig, die Leute und ihren Geschmack in einer Leihbibliothek zu studieren, hatte nicht mehr nötig, ängstlich nach Plan und Anordnung eines Werkes oder gar nach vortrefflichen Gedanken umherzusuchen; ich war ein Glied, ein Finger des neuen Unbekannten geworden, durfte schreiben nach Lust und mein Geschriebenes gedruckt lesen. Es ist bekannt, welch großen Erfolg das Unternehmen des Herrn Salzer hatte, und schon längst ist es kein Geheimnis mehr für die Welt, aus welchen Bestandteilen eigentlich der große Unbekannte bestand. Es konnte uns nur schmeicheln, daß man anfänglich auf berühmte und vorzügliche Schriftsteller riet, wie z. B. auf den Professor Lux, der indessen seine Übersetzungsmaschine erfand, den Dichter F. Kempler und andere Treffliche, ja, daß man einen Augenblick sogar Wilibald Alexis trotz seiner bekannten Abneigung gegen die deutsche Geschichte im Verdachte hatte. Längst haben sich jene verdienstvolle Herren genannt, die das Direktorium gebildet haben, und mir bleibt nur noch übrig, einiges von dem Anteil zu erzählen, welchen ich selbst an dem Unternehmen hatte.

Weil ich einige Teile Deutschlands genau kannte, erhielt ich zuerst eine Stelle unter den Gegendmalern. Leider schrieb ich aber in dem Roman "das Konzilium in Konstanz" : "Leicht und schwebend trug sie der Kahn an den rebenbepflanzten Hügeln hin von Basel nach Konstanz —" diese Stelle wurde von den sechs Direktoren übersehen, gedruckt, und die Rezensenten und das ganze Publikum wunderten sich höchlich, daß man damals den Rheinfall hinauf gefahren sei, und zur Strafe wurde ich in die Klasse der Gesprächführer versetzt. Gespräche in Wirtshäusern, auf Straßen und Märkten, Händel und Wortstreit wurden mir zugeteilt. In dieser Eigenschaft blieb ich, bis einer der sentimental und heroisch Sprechenden einen großen Fehler machte. Er sagte



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nämlich' "Die Wolken zogen bald vor, bald hinter dem Mond;" vergebens berief er sich auf die Autorität eines Herrn S. . ., aus dessen historischem Roman er diese herrliche Stelle entlehnt habe; man erklärte die Worte für widersinnig, weil die Wolken nicht hinter dem Mond vorbeiziehen, und setzte ihn ab; seine Stelle fiel mir zu. In diesem Fache leistete ich mehr als in den beiden andern. So ist z. B. der größte Teil des Romans " der Dom zu Aachen oder die Paladine Karls des Großen" von meiner Hand. Auch in "Barbarossa oder die Hohenstaufen" habe ich etwa zehn Kapitel geschrieben. Meine letzte Arbeit vor Auflösung des Unternehmens war das achte, neunte und fünfzehnte Kapitel in der "Schlacht von Kunersdorf .

Man hat viel über und gegen dieses großartige Unternehmen, das ich, wiewohl zufällig, ins Leben rief, geschrieben und gesprochen. Wenn man bedenkt, daß in der kurzen Zeit von zwei Jahren fünfundsiebenzig Bände oder fünfundzwanzig Romane aus der Fabrik de:: deutschen Unbekannten hervorgingen, so muss man zum mindesten den Fleiß und die Ausdauer der Teilnehmer bewundern. Man hat vorgeworfen, daß einige geschichtliche Charaktere gänzlich verzeichnet seien, daß sogar bedeute .jde Anachronismen vorkommen; aber wie kraftlos erscheint ein solcher Vorwurf gegen die übrigen Vorzüge des Unternehmen: Sind nicht alle Gegenden so treu geschildert, daß man sieht, man habe nicht die Natur, sondern wirkliche Gemälde abgezeichnet? Haben wir nicht bei den Kleidungen unserer Helden und Damen die Kostüms des pünktlichsten und genauesten Theaters von Europa als Vorlegeblätter vor uns gehabt? Hat nicht Herr Salzer mit schwerem Gelde allerlei altertümliches Hausgerät aus Burgen und Rüstkammern gekauft, damit wir desto richtiger zeichneten?

Das ist historische Wahrheit und Treue, und das ist es auch, was das Publikum verlangt; das übrige, genaue Beachtung der geschichtlichen Charaktere oder Zeiten, ist nur Nebensache; Kleider, Schuhe, Stühle, Häuser usw. wird man in allen fünfundsiebenzig Bänden niemals unwahr finden. Daß nach zwei Jahren schon diese Art von Darstellungen aus der Mode kam, war nicht unsere Schuld; aber leider scheiterte das schöne Unternehmen an der Veränderlichkeit des Publikums. Aus der Mode entstand das Ganze, und mit dem günstigen Wind dieser Mode segelten wir auf dem Strom der Gass) und unser Wahlspruch war: "Verletzet eher die Wahrheit der Geschichte, verzeichnet lieber einen historischen Charakter, nur sündiget nie gegen die Mode der Zeit und den herrschenden Geschmack des Publikums!"


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