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Hauffs Werke

Sechster Teil Phantasien und Skizzen Aus dem Nachlasse

Herausgegeben von

Max Drescher


IV. Besuch im Buchladen.

Mein Entschluß stand fest. Einen historischen Roman à la Walter Scott mußt du schreiben, sagte ich zu mir; denn nach allem, was man gegenwärtig vom Geschmack des Publikums hört, kann nur diese und keine andere Form Glück machen. Freilich kamen mir bei diesem Gedanken noch allerlei Zweifel; ich mußte die Werke dieses großen Mannes nicht nur lesen, sondern auch studieren, um sie zu meinem Zweck zu benützen. Ein dritter und der mächtigste Zweifel war, ob ich einen Verleger bekommen würde. Ich beschloß daher, ehe ich mich an das Werk selbst machte, die Wege kennen zu lernen, die man bei solchen Geschäften zu gehen hat. Den Buchhändler Salzer und Sohn kannte ich von der Harmonie her; ich steckte zwei Taler zu mir, um ein Buch bei ihm zu kaufen und so seine nähere Bekanntschaft zu machen.

"Ein schönes Buch für zwei Taler?" fragte er. "Was soll es sein? Gedichte :"

"Erzählungen oder ein Roman, Herr Salzer."

"Um diesen Preis werden Sie nichts Schönes finden," erwiderte er lachend; "doch hier ist der Katalog."

Wie: Nichts Schönes um zwei Talern Und doch kostet ein Roman von Walter Scott nur zwanzig Groschen!"

"Wenn Sie übersetzungen haben wollen," sagte er; "ich dachte, Sie wollten Originale.

"Aber, mein Gott," entgegnete ich, " wenn ein guter Roman aus einer andern Sprache nur zwanzig Groschen kostet, warum hält man denn die deutschen Bücher so teuer?"

"Meinen Sie," erwiderte er unmutig, "wir werden auch noch die Originale um einen Spottpreis wegwerfend Diese Übersetzungen , diese wohlfeilen Preise werden uns ohnedies bald genug ruinieren. Was ist denn jetzt schon unser schöner Buchhandel geworden? Nichts als ein Verkaufen im Abstreich. Alles soll wohlfeil sein, und so wird alle:, schlecht und in den Staub gezogen. In jeder Ecke des Landes sitzt einer, der mit wohlfeiler Schnittware handelt, und wir andern, die uns noch dem Verderben entgegenstemmen, gehen darüber zugrunde.

"Aber wie kann denn diese Veränderung des Handels so großen Einfluß auf Originale oder auf die Buchhandlung üben?'



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"Wie?" fuhr er eifrig fort. "Wies Es ist so klar wie die Sonne: das Publikum wird dadurch verdorben und verwöhnt! Ich streite Scott und den beiden Amerikanern ihr Verdienst nicht ab; sie sind im Gegenteil leider zu gut. Aber jedes Nähtermädchen kann sich für ein paar Taler eine Bibliothek klassischer Romane anschaffen. Unnatürlich schnell hat sich die Sucht nach dieser Art von Dichtungen verbreitet, und hunderttausend Menschen haben jetzt durch die Groschenbibliotheken einen Maßstab erhalten, nach welchem sie eigensinnig unsere deutschen Produkte messen. ?

"Um so besser für die Welt; wird denn nicht dadurch die Intelligenz und der gute Geschmack verbreitet und das Schlechte verdrängt ?"

"Intelligenz und Geschmack, das Bändchen um neun Kreuzer rheinisch!" rief er aus. "O, ich kenne diese schönen Worte! Guter Geschmack! Als ob nur die Leute über dem Kanal guten Geschmack hätten! Intelligenz! Meinen Sie denn, die Menschen denken dadurch vernünftiger, daß sie jetzt alle selbst rezensieren und sagen: ist doch nicht so schön als Walter Scott und Cooper und nicht so tief und witzig als Washington Irving? Und welcher Segen für unsere Literatur und den Buchhandel wird aus diesem Samen hervorgehen, den man so reichlich ausstreute Verkehrtheit der Begriffe und einige schlechte Nachahmungen (wie ich mich schämte bei diesen Worten!) und überdies unser Ruin. Die Schriftsteller verlangen immer stärkere Honorare; wofür man sonst einen Louisdor zahlte, will man jetzt fünf, und im umgekehrten Verhältnis werden die Bücher weniger gesucht als jemals. überdies hat auch diese Herren Walter Scotts Fruchtbarkeit angesteckt. Sie sind jetzt sparsam mit Gedanken und verschwenderisch mit Worten. Gedanken, Szenen, Gemälde, die man sonst in den engen Rahmen eines Bändchens fügte, werden auseinandergezogen in zehn, zwölf Bände, damit man mehr Geld verdiene, und was früher vier, fünf hübsche Verse gegeben hätte, wächst jetzt in holperiger Prosa zu ebenso vielen Seiten an."

"Also geht die gereimte Poesie nicht mehr?"

"Wer will sie kaufen? Privatleute? die sehen vornehm herab und nennen alles Verselei; Gelehrte? die bekommen es vom Autor, damit sie ihn desto gnädiger rezensieren möchten; Leihbibliotheken? die führen nur Romane, weil sie ihr Publikum kennen. Und diese Leihbibliotheken sind noch unser Unglück. Jedes Städtchen hat ein paar solche Anstalten. Das Publikum denkt: Warum sollen wir für ein Buch so viel Geld wegwerfen, wenn wir es in der Leihbibliothek lesen können? Man kauft sich Groschenübersetzungen oder wohlfeile Taschenausgaben, um doch eine Bibliothek zu haben,



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und der Buchhändler, der ein Buch verlegen will, kann also höchstens noch auf fünfhundert Leihbibliotheken rechnen. Und wenn heute wieder ein Goethe oder ein Schiller geboren würde, man könnte keine fünfhundert Exemplare absetzen; das Publikum hat Glauben, Vertrauen und Lust an unserer Literatur verloren."

"Und von alledem sollten Scott und die Taschenausgaben die Schuld tragen?"

Ja! Und diese unselige Zersplitterung durch alle Zweige ist auch mit schuld! Die Schriftsteller zersplittern ihr Talent in Almanachs und Zeitschriften, weil sie dort gut bezahlt werden; das Publikum zersplittert sein Geld für diese Luxuswaren, weil sie Mode geworden sind; wir selbst überbieten uns; jeder will einen Almanach, eine Zeitschrift haben; und diese Taschenkrebse sind es, die unsere Krebse erzeugen."

"Aber, Herr Salzer," sagte ich zu dem Unmutigen, " warum schwimmen Sie gegen den Strom? Warum veranstalten Sie nicht selbst Taschenausgaben? Warum unternehmen Sie keine Zeitschrift? Oder schämen Sie sich vielleicht, selbst mitzumachen?"

"Schämen würde ich mich eigentlich nicht," erwiderte er nach einigem Nachdenken. "Was ein anderer tut, kann Salzer und Sohn auch tun. Aber ehrlich gestanden, ich fürchte, mit einer Zeitschrift zu spät zu kommen; und wer soll sie schreiben? Etwas Neues muß heutzutage auffallend, pikant sein, wenn es Glück machen soll; so habe ich mich schon lange umsonst auf einen ausgezeichneten Titel besonnen; denn der Titel muß jetzt alles tun. Hätte ich nur hier einige tüchtige Männer vom Fache, eine kritische oder belletristische Zeitschrift sollte bald dastehen; denn ich bin ein unternehmender Geist so gut als einer."


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