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Hauffs Werke

Sechster Teil Phantasien und Skizzen Aus dem Nachlasse

Herausgegeben von

Max Drescher


III. Der große Unbekannte.

Ein Bedienter unterbrach uns. "Die Frau Gräfin von Langsdorf läßt sich ein Buch ausbitten," sprach er.

"Was für eine Nummer?"

"Das hat sie nicht gesagt. Aber ich glaube, sie will eine Geistergeschichte ."

"Geistergeschichte?" fragte der kleine Bibliothekar umhersuchend, "darf es auch eine Rittergeschichte sein? Die Geister sind alle ausgeblieben ."

"Ja, nur etwas recht Schauerliches, das hat sie gerne," erwiderte der Diener, "so wie das letzthin, die schwarzen Ruinen oder das unterirdische Gefängnis; das hat uns sehr gut gefallen."

"Liest Er denn auch mit?" fragte der kleine Mann mit Staunen.

Nachher, wenn die Frau Gräfin einen Band durch hat, lesen wir ihn auch im Bedientenzimmer."

"Gut; will Er lieber ,das Geisterschloß', ,die Auferstehung im Totengewölbe' oder .das feurige Racheschwert von Hildebrandt'?"



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"Da tut mir die Wahl weh," erwiderte er; " was müssen das für schöne Bücher sein! Nu —ich will diesmal ,das feurige Racheschwert' nehmen; behalten Sie mir .das Geisterschloß' für das nächste Mal auf."

Kaum hatte sich der Diener der Gräfin, die gern Schauergeschichten las, entfernt, so trat gemessenen Schrittes ein Soldat ein.

"Für den Herrn Leutnant Flunker beim fünfzehnten Regiment den blinden Torwart, vom alten Schott."

"Freund, hat Er auch recht gehört " fragte der Leihbibliotbekar. "Den blinden Torwart, vom alten Schott? Ich kenne keinen Autor dieses Namens."

"ES soll auch kein Auditor sein," entgegnete der Soldat vom fünfzehnten, "sondern ein Buch; der Herr Leutnant sind auf der Wache und wollen lesen."

"Wohl! Aber vom alten Schott? Es steht weder ein alter, noch ein junger im Katalog."

"Es ist, glaub' ich, derselbe, der so viel gedruckt hat und den sich alle Korporals und Wachtmeister um zwei gute Groschen getauft haben."

"Walter Scott!" rief der Kleine mit Lachen. "Und das Buch wird ,Quentin Durward' heißen?"

"Ach ja, so wird es beitzen!" sprach der Soldat. "Aber ich darf den Herrn Leutnant nichts zweimal fragen, sonst hätte ich wohl den Namen gemerkt, und er hat sich das undeutliche Sprechen vom Kommandieren angewöhnt." Er empfing seinen blinden Torwart und ging. Aber der Himmel hatte ihn in diesem Augenblicke in die Leihbibliothek gesandt, und seine Worte hatten einen Lichtstrahl in meine Seele geworfen. "So ist es denn wahr," sprach ich, "daß die Werke dieses Briten beinahe so verbreitet sind als die Bibel, daß alt und jung und selbst die niedrigsten Stände von ihm bezaubert sind."

"Gewiß; man kann rechnen, daß allein in Deutschland sechzigtausend Exemplare verbreitet sind, und er wird täglich noch berühmter In Scheerau hat man jetzt eine eigene Übersetzungsfabrik angelegt, wo täglich fünfzehn Bogen übersetzt und sogleich gedruckt werden."

"Wie ist das mögliche"

"Es scheint beinahe so unmöglich, als daß Walter Scott diese Reihe von Bänden in so kurzer Zeit sollte geschrieben haben; aber es ist so; denn erst vor kurzer Zeit hat er sich öffentlich als Autor bekannt; die Fabrik habe ich aber selbst gesehen."

"Wird vielleicht durch Verteilung der Arbeit Zeit gewonnen?" fragte ich.



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"Einmal dies," entgegnete er, "und sodann wird alles mechanisch betrieben; der Professor Lux ist sogar gegenwärtig beschäftigt, eine Dampfmaschine zu erfinden, die Französisch, Englisch und Deutsch versteht; dann braucht man gar keine Menschen mehr. Die Fabrik ist folgendermaßen beschaffen: Hinten im Hof ist die Papiermühle, welche unendliches Papier macht, das, schon getrocknet, wie ein Lavastrom in das Erdgeschoß des Hauptgebäudes hinüberrollt dort wird es durch einen Mechanismus in Bogen zerschnitten und in die Druckerei bis unter die Pressen geschoben. Fünfzehn Pressen sind im Gang, wovon jede täglich zwanzigtausend Abdrücke macht. Nebenan ist der Trockenplatz und die Buchbinderwerkstätte . Man hat berechnet, daß der Papierbrei, welcher morgens fünf Uhr noch flüssig ist, den andern Morgen um elf Uhr, also innerhalb dreißig Stunden, ein elegantes Büchlein wird. Im ersten Stock ist die Übersetzungsanstalt. Man kommt zuerst in zwei Säle; in jedem derselben arbeiten fünfzehn Menschen. Jedem wird morgens acht Uhr ein halber Bogen von Walter Scott vorgelegt, welchen er bis Mittag drei Uhr übersetzt haben muß. Das nennt man dort aus dem Groben arbeiten." Fünfzehn Bogen werden auf diese Art jeden Morgen übersetzt. Um drei Uhr bekommen diese Leute ein gutes Mittagsbrot. Um vier Uhr wird jedem wieder ein halber Bogen gedruckte Übersetzung vorgelegt, die durchgesehen und korrigiert werden muß."

"Aber was geschieht denn mit den übersetzten Bogen von Vormittags"

"Wir werden es sogleich sehen. An die zwei Säle stoßen vier kleine Zimmer. In jedem sitzt ein Stilist und sein Sekretär; Stilisten nennt man dort nämlich diejenigen, welche die Übersetzungen der dreißig durchgehen und aus dem Groben ins Feine arbeiten; sie haben das Amt, den Stil zu verbessern. Ein solcher Stilist verdient täglich zwei Taler, muß aber seinen Sekretär davon bezahlen. Je sieben bis acht Grobarbeiter sind einem Stilisten zugeteilt; sobald sie eine Seite geschrieben haben, wird sie dem Stilisten geschickt. Er hat das englische Exemplar in der Hand, läßt sich vom Sekretär das Übersetzte vorlesen und verbessert hier oder dort die Perioden. In einem fünften Zimmer sind zwei poetische Arbeiter, welche die Mottos über den Kapiteln und die im Texte vorkommenden Gedichte in deutsche Verse übersetzen."

Ich staunte über diesen wunderbaren Mechanismus und bedauerte nur, daß die dreißig Arbeiter und vier Stilisten notwendig ihr Brot verlieren müssen, wenn der Professor Lux die Übersetzungsmaschine erfindet.

"Gott weiß, wie es dann gehen wird," antwortete der kleine



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Mann; "schon jetzt kostet das Bändchen in der Scheerauer Fabrik nur einen Groschen; in Zukunft wird man zwei Bändchen um einen Silbergroschen geben, und alle vier Tage wird eines erscheinen ."


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