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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON CHUZAIMA IBN BISCHR UND 'IKRIMA EL-FAIJÄD

Einst lebte in den Tagen des Beherrschers der Gläubigen Sulaimân ibn 'Abd el-Malik' ein Mann vom Stamme der Asad: der hieß Chuzaima ibn Bischr, und er war bekannt durch seinen Edelmut, reich gesegnet mit Geld und Gut, und freigebig und lauter gegen seine Stammesbrüder. So lebte er immerdar, bis das Geschick ihn in Not brachte; da bedurfte er der Hilfe eben



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jener Brüder, gegen die er freigebig und hilfreich gewesen war, und sie unterstützten ihn auch eine Weile, dann aber wurden sie seiner überdrüssig. Als er nun bemerkte, daß sie anders gegen ihn geworden waren, ging er zu seiner Frau, der Tochter seines Oheims, und sprach zu ihr: ,Liebe Base, ich sehe, daß meine Brüder anders gegen mich sind; darum habe ich beschlossen, fortan das Haus zu hüten, bis der Tod zu mir kommt.' Dann verriegelte er die Tür und blieb im Hause, indem er sich von dem nährte, was er noch bei sich hatte, bis es verbraucht war und er nicht mehr wußte, was er tun sollte. Nun kannte ihn aber 'Ikrima el-Faijâd er-Raba'i, der Statthalter von Mesopotamien; und als der eines Tages in seiner Staatshalle saß, ward der Name Chuzaimas ibn Bischr genannt, und er sprach: ,Wie steht es mit ihm?' Es ward ihm gesagt: ,Im geht es unsagbar traurig; er hat seine Tür verriegelt und hütet das Haus.' Da sprach 'Ikrima el-Faijâd: ,So ist es ihm nur wegen seines übergroßen Edelmutes ergangen. Doch wie kommt es, daß Chuzaima ibn Bischr weder Helfer noch Vergelter findet?' Man antwortete ihm: ,Solche Leute hat er nicht gefunden.' Als es aber Nacht war, holte er viertausend Dinare und tat sie in einen Beutel: dann befahl er, sein Reittier zu satteln, verließ heimlich sein Haus und ritt fort, begleitet von einem seiner Sklaven, der das Geld trug. Und er ritt dahin, bis er sich vor der Tür Chuzaimas befand; dort nahm er dem Diener den Beutel ab und hieß ihn sich entfernen; er selbst aber trat zur Tür und klopfte an. Alsbald kam Chuzaima zu ihm heraus, und er gab ihm den Beutel, indem er sprach: ,Bessere damit deine Lage!' Jener nahm den Beutel hin; aber da er bemerkte, daß er schwer war, legte er ihn aus der Hand, ergriff den Zügel des Reittieres und sprach: ,Wer bist du? Ich gebe mein Leben für dich dahin!' Doch 'Ikrima erwiderte: ,Mann, ich käme nicht um eine solche



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Zeit zu dir, wenn ich wünschte, daß du mich erkenntest!' Da rief Chuzaima: ,Ich lasse dich nicht, bis du mir kundtust, wer du bist!' ,Ich bin Dschâbir 'Atharât el-Kirâm'', erwiderte 'Ikrima; und Chuzaima bat: ,Sag mir mehr!' ,Nein!' sagte 'Ikrima und ritt davon. Chuzaima aber ging mit dem Beutel zu seiner Base und sprach zu ihr: ,Freue dich! Allah hat uns rasche Hilfe und Gutes gesandt. Wenn dies auch nur Dirhems sind, so sind ihrer doch viele. Erhebe dich und mache Licht.' Doch sie antwortete: ,Ich habe nichts, um die Lampe anzuzünden.' Nun verbrachte er die Nacht damit, daß er die Goldstücke mit den Fingern betastete, und er fühlte, daß sie dick wie Dinare waren, aber konnte nicht glauben, daß es Gold war. Derweilen kehrte 'Ikrima in sein Haus zurück und erfuhr, daß seine Frau ihn vermißt und nach ihm gefragt hatte; und als man ihr gesagt hatte, er sei ausgeritten, hatte sie das an ihm befremdlich gefunden und Argwohn gegen ihn geschöpft; und nun sagte sie: ,Der Statthalter von Mesopotamien reitet zu so später Nachtzeit allein ohne Sklaven und heimlich vor den Seinen nur zu einer anderen Frau oder zu einer Geliebten.' Er aber sprach zu ihr: ,Allah weiß, daß ich zu keiner von beiden gegangen bin!' ,So sage mir, zu welchem Zwecke du ausgegangen bist!' ,Ich bin zu dieser Zeit gerade deshalb ausgegangen, damit niemand es wisse.' ,Du mußt es mir dennoch kundtun!' ,Kannst du es geheimhalten, wenn ich es dir sage?' ,Ja', erwiderte sie; und nun erzählte er ihr alles, wie es wirklich war, und was er getan hatte, und er fügte hinzu: ,Willst du, daß ich es dir auch noch beschwöre?' ,Nein,' sagte sie, ,mein Herz ist jetzt beruhigt und traut deinen Worten.'

Chuzaima aber befriedigte am nächsten Morgen seine Gläubiger und ordnete seine Lage. Dann rüstete er sich für die Reise



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zu Sulaimân ibn 'Abd el-Malik, der damals in Palästina weilte. Und als er vor dem Tore des Herrschers stand, bat er den Kammerherrn um Einlaß; der ging hinein und meldete dem Kalifen seine Ankunft. Nun war er ja berühmt wegen seiner Hochherzigkeit, und Sulaimân wußte von ihm, so daß er ihm die Erlaubnis gab, einzutreten. Nachdem dann Chuzaima hereingekommen war und den Gruß, der dem Kaufen gebührte, vor ihm gesprochen hatte, fragte Sulaimân ibn 'Abd el-Malik: ,Chuzaima, was hat dich so lange von uns fern gehalten?' ,Die Not', erwiderte er; und der Herrscher fuhr fort: ,Und was hat dich gehindert, zu uns zu kommen?' ,Meine Krankheit, o Beherrscher der Gläubigen!' ,Und weshalb kommst du jetzt?' ,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, ich saß einmal in meinem Hause zu später Nachtstunde; da klopfte ein Mann an die Tür, und er tat dann dasunddas'; und so erzählte er ihm alles von Anfang bis zu Ende. Da fragte Sulaimân: ,Kennst du den Mann?' ,Nein,' erwiderte Chuzaima, ,ich kenne ihn nicht, o Beherrscher der Gläubigen. Denn er gab sich nicht zu erkennen, und ich habe nichts weiter von ihm gehört als die Worte: Ich bin Dschâbir 'Atharât el-Kirâm.' In Sulaimân ibn 'Abd cl-Malik aber entbrannte das heiße Verlangen, den Mann kennen zu lernen, und er sprach: ,Wenn wir wüßten, wer er ist, so würden wir ihn für seinen Edelmut belohnen.' Dann verlieh er Chuzaima ibn Bischr die Amtsabzeichen und machte ihn zum Statthalter von Mesopotamien an Stelle von 'Ikrima el-Faijâd. So zog denn Chuzaima gen Mesopotamien, und als er dort eintraf, kam 'Ikrima ihm entgegen, und auch das Volk von Mesopotamien zog aus, um ihn zu empfangen. Die beiden begrüßten einander und ritten dann gemeinsam in die Hauptstadt ein; dort ließ Chuzaima sich im Palaste des Statthalters nieder und befahl alsbald, 'Ikrima zur Verantwortung zu ziehen und Rechenschaft



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von ihm zu verlangen. Bei der Abrechnung aber fand sich, daß er viel Geld schuldete. Chuzaima verlangte von ihm, es zu zahlen. Doch 'Ikrima sprach: ,Ich habe keine Mittel, es zu tun.' Chuzaima sagte darauf: ,Es muß aber bezahlt werden.' Und als jener wiederholte: ,Ich habe nichts; tu, was du zu tun hast!', befahl Chuzaima, ihn in den Kerker zu werfen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 684. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Chuzaima, nachdem er befohlen hatte, 'Ikrima el-Faijâd in den Kerker zu werfen, noch zu ihm sandte, um von ihm die Bezahlung seiner Schuld zu verlangen. Der aber ließ ihm sagen: ,Ich gehöre nicht zu denen, die ihr Geld auf Kosten ihrer Ehre bewahren; tu. was du willst!' Da befahl Chuzaima, ihm Fußeisen anzulegen und im Kerker zu behalten; einen Monat oder noch länger blieb der Gefangene dort, bis er durch die Haft schwach und krank wurde. Nun gelangte die Kunde von seiner Not zu seiner Frau, und die grämte sich sehr deswegen; und sie rief eine ihrer Freigelassenen, die einen trefflichen Verstand und reiche Erfahrung besaß, und sprach zu ihr: ,Geh sofort zum Tore des Emirs Chuzaima ibn Bischr und sprich: ,Ich habe einen guten Rat!' Wenn dich jemand fragt, wie er laute, antworte: ,Ich kann ihn nur dem Emir allein sagen.' Und wenn du dann zu ihm eingetreten bist, so bitte ihn, daß er dich mit sich allein lasse! Und bist du mit ihm allein, so sprich zu ihm: ,Was hast du da getan? Hat Dschâbir 'Atharât el-Kirâm keinen anderen Lohn von dir verdient, als daß du ihm vergaltest durch die Haft der Strenge und des Eisens Enge?' Die Frau tat, wie ihr befohlen war. Und als Chuzaima ihre Worte vernommen hatte, rief er mit lauter Stimme: ,O wie abscheulich! War er es



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wirklich?' ,Ja', erwiderte sie. Da befahl er, sofort sein Reittier zu satteln, ließ die Vornehmen der Stadt rufen und sich bei ihm versammeln, begab sich mit ihnen zur Tür des Kerkers, öffnete sie und trat mit seinem Gefolge ein. Dort sahen sie 'Ikrima sitzen; kaum war seine Gestalt zu erkennen, so elend war er durch Krankheit und Schmerz geworden. Wie 'Ikrima nun Chuzaima erblickte, ließ er beschämt das Haupt zu Boden hängen; doch Chuzaima trat an ihn heran, beugte sich über sein Haupt und küßte es. Da hob jener den Kopf zu ihm empor und fragte ihn: ,Was verschafft mir jetzt dies von dir?' Chuzaima erwiderte: ,Dein edles Tun und mein schmählicher Lohn!' ,Allah vergebe mir wie dir', sagte 'Ikrima; und Chuzaima befahl sogleich dem Kerkermeister, er solle dem Gefangenen die Fesseln abnehmen und sie ihm selber um die Füße legen. 'Ikrima fragte: ,Was willst du tun?' Und der Emir gab ihm zur Antwort: ,Ich will erdulden, was du erduldet hast.' Doch 'Ikrima bat ihn: ,Ich beschwöre dich bei Allah. tu es nicht!' Dann gingen die beiden gemeinsam hinaus zum Hause Chuzaimas, und dort wollte 'Ikrima Abschied nehmen und fortgehen; aber Chuzaima hielt ihn zurück, und als 'Ikrima ihn fragte: ,Was hast du im Sinne?' sprach er: ,Ich will deine Lage ändern: denn ich schäme mich vor deiner Gattin noch mehr als vor dir.' Dann befahl er, das Bad zu räumen, und als das geschehen war, traten beide zusammen ein; und nun versah Chuzaima selbst die Dienste des Wärters. Als sie dann wieder hinausgegangen waren, verlieh er ihm ein kostbares Ehrengewand, gab ihm ein Reittier und sandte viel Geld mit ihm. Darauf ritt er mit ihm zu seinem Hause, und nachdem er sich von ihm die Erlaubnis erwirkt hatte, daß er seine Gattin um Vergebung bitte, gewann er ihre Verzeihung. Und weiter bat er ihn, mit ihm zu Sulaimân ibn 'Abd el-Malik zu ziehen, der damals in er-Ramla lagerte,



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und 'Ikrima willigte darin ein. Darauf machten sie sich gemeinsam auf, und als sie das Lager des Kaufen erreichten, ging der Kammerherr hinein und meldete, Chuzaima ibn Bischr sei gekommen. Darüber erschrak der Herscher und rief: ,Kommt der Statthalter von Mesopotamien ohne unser Geheiß? Das kann nur einen ernsten Anlaß haben!' Er befahl, ihn hereinzuführen, und nachdem Chuzaima eingetreten war, rief Sulaimân, noch ehe jener den Gruß sprechen konnte :, Was bringst du, Chuzaima?' Der antwortete: ,Gutes, o Beherrscher der Gläubigen!' ,Was hat dich hierher geführt?' forschte der Herrscher weiter; und er fuhr fort: ,Ich habe Dschâbir 'Atharât el-Kirâm entdeckt, und ich wollte dich durch ihn erfreuen; denn ich sah dein heißes Verlangen, ihn kennen zu lernen, und deine Sehnsucht, ihn zu schauen.' ,Wer ist es?' fragte Sulaimân; und Chuzaima erwiderte: ,'Ikrima el-Faijâd.' Da gab der Herrscher Befehl, 'Ikrima solle näher treten, und als der es getan hatte, sprach er den Gruß, der dem Kaufen gebührt; und Sulaimân hieß ihn willkommen, und indem er ihn dicht an seinen Thron herantreten ließ, sprach er zu ihm: ,O 'Ikrima, deine gute Tat an ihm hat dir nur Unheil gebracht'; und er fügte hinzu: ,Schreib alles und jedes, was du brauchst und dir wünschest, auf ein Blatt!' Jener tat es, und der Kalif befahl, ihm alles sofort zu geben; ferner schenkte er ihm zehntausend Dinare mehr, als er verlangt hatte, und zwanzig Kisten Kleider mehr, als er aufgeschrieben hatte. Dann ließ er einen Speer bringen und knüpfte daran das Banner der Statthalterschaft über Mesopotamien, Armenien und Azerbaidschân und sagte: ,Chuzaimas Schicksal steht bei dir. Wenn du willst, so laß ihn in seinem Amte; und wenn du willst, so setz ihn ab!' ,Nein,' erwiderte 'Ikrima, ,ich setze ihn wieder in sein Amt ein, o Beherrscher der Gläubigen.' Dann verließen ihn die beiden gemeinsam und



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blieben die Statthalter Sulaimâns ibn 'Abd el-Malik während der ganzen Zeit seines Kalifats.

Ferner wird erzählt


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