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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON HIND. DER TOCHTER EN-NU'MÂNS. UND EL-HADDSCHÂDSCH

Hind, die Tochter von en-Nu'mân. war die schönste unter den Frauen ihrer Zeit: und als el-Haddschâdsch von ihrer Schönheit und Anmut hörte, warb er um sie, gab viel Geld und Gut für sie dahin und vermählte sich mit ihr, indem er sich verpflichtete, ihr nach der Morgengabe noch zweihunderttausend Dirhems zu zahlen. Nachdem er dann zu ihr eingegangen war, blieb er lange Zeit bei ihr. Danach eines Tages kam er wieder zu ihr, wie sie gerade ihr Antlitz im Spiegel betrachtete und sprach:

Ein Füllen ist Hind von arabischem Stamm,
Vom Maultier gedeckt -sie, aus edelstem Blut!
Gebiert sie ein Füllen, dann segne sie Gott.
Gebiert sie ein Maultier, ist's Maultieres Brut!

Als el-Haddschâdsch das hörte, ging er nicht zu ihr hinein, sondern er kehrte wieder um, ohne daß sie ihn bemerkt hatte. Nun wollte er sich von ihr scheiden und schickte 'Abdallah ibn Tâhir zu ihr, daß er die Scheidung vollziehe. Jener trat also bei



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ihr ein und sprach zu ihr: ,Dir läßt el-Haddschâdsch Abu Mohammed sagen: ,Hier sind die zweihunderttausend Dirhems, die er dir noch als Morgengabe schuldet!' Ich habe sie bei mir, und ich bin von ihm beauftragt, die Scheidung zu vollziehen.' ,Wisse, o Sohn Tâhirs,' erwiderte sie, ,solange wir beisammen waren, habe ich, bei Allah, nicht einen einzigen Tag Freude an ihm gehabt. Wenn wir uns jetzt trennen, so werde ich es, weiß Gott. nie bereuen; und diese zweihunderttausend Dirhems schenke ich dir als Lohn für die frohe Botschaft meiner Befreiung von dem Hunde von Thakîf' Darauf gelangte die Kunde von ihr zum Beherrscher der Gläubigen, 'Abd el-Malik ibn Marwân, und er hörte von ihrer Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit, von ihrer Worte süßer Feine und ihrer Blicke Zauberscheine. Und er sandte zu ihr und warb um sie. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 682. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Beherrscher der Gläubigen, 'Abd el-Malik ibn Marwân, von der Schönheit und Anmut jener Frau hörte und zu ihr sandte und um sie warb. Sie aber schickte ihm einen Brief, in dem sie also schrieb: ,Zuvor sei Allah gepriesen, und gesegnet sei Sein Prophet Mohammed -Er segne ihn und gebe ihm Heil! Des ferneren: Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, der Hund hat aus dem Gefäße geschleckt.' Wie der Kalif das las, lachte er über ihre Worte und schrieb ihr mit den Worten dessen, dem Allah Segen und Heil spenden möge: ,Wenn ein Hund aus dem Gefäße eines von euch geschleckt hat, so wasche er es siebenmal, darunter einmal



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mit Sand.' Und er fügte hinzu: ,Wasch das Stäubchen ab von dem Orte des Gebrauches!' Als sie das Schreiben des Kaufen gelesen hatte, konnte sie ihm nicht mehr widersprechen, und sie schrieb ihm als Antwort: ,Zuvor sei Allah der Erhabene, gepriesen! Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, ich kann den Bund nur unter einer Bedingung eingehen. Und wenn du fragst, so antworteich, daß el-Haddschâdsch meine Sänfte in die Stadt führen soll, in der du weilst, und dabei soll er barfuß sein, aber die Gewänder tragen, in die er sich sonst kleidet.' Als 'Abd el-Malik diesen Brief las, lachte er laut und herzlich: dann sandte er an el-Haddschâdsch den Befehl, nach ihrem Wunsche zu handeln. Wie der das Schreiben des Kalifen gelesen hatte, fügte er sich, und ohne zu widersprechen, führte er den Befehl aus; er sandte alsbald zu Hind und hieß sie sich rüsten. Nachdem sie das getan und ihre Sänfte bereit gemacht hatte, kam el-Haddschâdsch mit seinem Gefolge vor ihre Tür. Sie stieg in die Sänfte, ihre Frauen und Diener saßen rings um sie zu Rosse, el-Haddschâdsch aber ging zu Fuß, ohne Schuhe, und hielt die Halfter des Kamels und führte es dahin des Wegs; dabei verhöhnte und verspottete und verlachte sie ihn mit ihrer Zofe und ihren Frauen. Dann sprach sie zu ihrer Zofe: ,Zieh den Vorhang der Sänfte zurück!' Die tat es, und nun sahen sie und el-Haddschâdsch einander von Angesicht zu Angesicht. Wie sie ihn auslachte, sprach er den Vers:

Wenn du auch lachst, o Hind, du hast doch manche Nacht
Um meinetwillen wach und klagend zugebracht.

Doch sie erwiderte ihm mit diesen beiden Versen:

Was kümmert's uns - wenn nur die Seele heil geblieben -,
Mag uns an Geld und Gut auch viel verloren sein!
Das Geld wird bald verdient, die Ehre wird gewonnen,
Ist mir der Mensch geheilt von Krankheit und von Pein.



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Und sie lachte und scherzte immer weiter, bis sie sich der Stadt des Kalifen näherte. Und als sie dort ankam, ließ sie aus ihrer Hand einen Dinar auf die Erde fallen und rief el-Haddschâdsch zu: ,Du Kameltreiber, uns ist ein Dirhem heruntergefallen; sieh nach und gib ihn mir.' Er sah auf der Erde nach, und als er nichts anderes als einen Dinar fand, sprach er zu ihr: ,Das ist ein Dinar.' ,Nein,' erwiderte sie, ,es ist ein Dirhem.' Doch er wiederholte: ,Es ist ein Dinar.' Nun rief sie: ,Preis sei Allah, der uns für einen wertlosen' Dirhem einen Dinar gegeben hat. Reiche ihn mir her!' Darüber war el-Haddschâdsch beschämt. Dann führte er sie in das Schloß des Beherrschers der Gläubigen 'Abd el-Malik ibn Marwân; und nachdem sie dort eingezogen war, blieb sie als eine Odaliske bei ihm. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 683. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König,


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