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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON 'UTBA UND RAIJA

'Abdallah ibn Ma'mar el-Kaisi berichtete:

Eines Jahres machte ich die Pilgerfahrt zum heiligen Hause Allahs; und nachdem ich meine Wallfahrt vollendet hatte, kehrte ich um und besuchte das Grab des Propheten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! Als ich nun eines Nachts in der



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Rauda zwischen dem Grabe und der Kanzel saß, hörte ich eine sanfte Stimme leise seufzen: und wie ich auf sie lauschte, hörte ich diese Worte:

Hat das Gegirr der Tauben in dem Lotusbaume
Dir Schmerz erweckt und Sorgen in der Brust erregt?
Bist du betrübt, weil du an eine Schöne denkest.
Die deinen Sinn zu bittrer Traurigkeit bewegt?
O über eine Nacht, die lang dem Siechen währet,
Wenn er in Sehnsucht klagt, verlassen, ohne Mut!
Du raubtest mir den Schlaf, der ich in Liebesfeuer
Verbrenne wie die Kohlen in der Flammenglut.
Der Vollmond ist mein Zeuge, daß in heißer Liebe
Mein Herz der Vollmondgleichen innig zugetan.
Ich glaubte nie, daß mich der Liebe Kraft besiegte:
Sie hat mich heimgesucht, noch ehe ich es ahn'.

Dann verstummte die Stimme; und da ich nicht wußte, woher sie kam, blieb ich ratlos sitzen. Doch plötzlich seufzte sie von neuem und sprach:

Hat Raijas Traumbild dich besucht und tief bekümmert
In dieser schwarzgelockten, grausig finstren Nacht?
Hat Liebe deinem Auge seinen Schlaf genommen?
Und hat ihr Bild dein Herz um seine Ruh gebracht?
Ich klagte meiner Nacht, in der das tiefe Dunkel
Dem Meere mit der hohen Wogen Brandung gleicht:
O Nacht, wie währst du lang für ihn, den Liebe quälet,
Und dem allein der Morgen Heil und Hilfe reicht!
Sie sprach zu mir: Beklage nicht die Länge mein!
Die Liebe nur allein gibt dir die trübe Pein.

Schon beim ersten dieser Verse sprang ich auf und ging in der Richtung des Schalles weiter, und noch hatte der Sprecher seine Worte nicht beendet, da stand ich schon vor ihm und erkannte in



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ihm einen Jüngling von höchster Schönheit, auf dessen Wange noch kein Flaum sproß, während die Tränen auf ihnen zwei Furchen gegraben hatten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 681. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallah ibn Ma'mar el-Kaisi erzählte: Schon beim ersten dieser Verse sprang ich auf und ging inder Richtung des Schalles weiter, und noch hatte der Sprecher seine Worte nicht beendet, dastand ich vor ihm, einem Jüngling von höchster Schönheit, auf dessen Wangen noch kein Flaum sproß, während die Tränen auf ihnen zwei Furchen gegraben hatten. Und ich sprach zu ihm: ,Gutes widerfahre dir, Jüngling!' Er antwortete: ,Auch dir! Wer bist du, Mann?' Ich fuhr fort: ,'Abdallah ibn Ma'mar el-Kaisi. 'Da fragte er: ,Hast du einen Wunsch?' Und ich erwiderte ihm: ,Ich saß in der Rauda. und es geschah nichts, als daß deine Stimme mich in dieser Nacht erschreckte. Ich will mein Leben für dich geben; was quält dich?' ,Setz dich', sagte er; und nachdem ich mich gesetzt hatte, begann er: ,Ich bin 'Utba ibn el-Hubâb' ibn el-Mundhir ibn el-Dschamûh el-Ansâri. Ich begab mich am Morgen zu der Moschee el-Ahzâb' und verrichtete dort Gebete, indem ich mich verbeugte und niederwarf; dann zog ich mich zurück, um mich in Andacht zu vertiefen. Doch da kamen plötzlich in wiegendem Gange Frauen vorbei, schön wie Monde, und in ihrer Mitte war eine Maid von wunderbarer Anmut und vollendeter Schönheit; die blieb vor mir stehen und sprach zu mir: ,Was sagst du zu der Vereinigung mit jemandem, der mit dir vereint sein möchte?' Dann verließ sie mich und ging fort; und seit der Zeit habe ich keine



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Kunde mehr von ihr vernommen, noch bin ich auf eine Spur von ihr gekommen. Siehe, ich bin ratlos und ziehe von Ort zu Ort.' Dann stieß er einen Schrei aus und sank ohnmächtig zu Boden. Als er wieder zu sich kam, war es, als sei der Brokat seiner Wangen mit Safran gefärbt; und er sprach diese Verse:

Im Herzen seh ich dich in einem fernen Lande,
Darin du weilst; ach, säh dein Herz von fern auch mich!
Mein Herze und mein Auge sind um dich bekümmert;
Bei dir ist meine Seele: dein nur denke ich.
Das Leben freut mich nicht, bis ich dich wiederschau,
Und wär ich auch in Eden, auf der Himmelsau.

Da sprach ich zu ihm: ,O 'Utba, mein lieber Sohn, bereue vor deinem Herrn und bitte um Vergebung für deine Sünden; denn der Schrecken des Jüngsten Gerichtes steht dir bevor!' Doch er rief: ,Das sei fern von mir! Ich werde von meiner Liebe nicht ablassen, als bis die beiden Sammler der Akazienschoten zurückkehren." Bis zum Anbruche der Morgenröte blieb ich bei ihm; dann sprach ich zu ihm: ,Komm, laß uns in die Moschee gehen!' Wir setzten uns dort nieder, bis wir das Mittagsgebet sprachen. Da kamen jene Frauen wieder vorbei, aber die Maid war nicht unter ihnen. Und sie riefen ihm zu: .O 'Utba, wie denkst du von ihr, die mit dir vereint zu sein wünschte' Er fragte: ,Was ist mit ihre' Und sie erwiderten: ,Ihr Vater hat sie mitgenommen und ist nach es-Samâwa' aufgebrochen.' Ich fragte sie nach dem Namen der Maid, und sie antworteten: ,Rana, die Tochter von el-Ghitrîfes-Sulami.' Da hob er sein Haupt und sprach diese beiden Verse:



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Ihr Freunde, Rana zog dahin mit ihrem Stamm
Und eilte nach Sa, was Flur am frühen Morgen.
Ihr Freunde, noch zu weinen hab ich keine Kraft;
Hat einer von euch Tränen, um sie mir zu borgen?

Nun sagte ich zu ihm: ,'Utba, wisse, ich bin mit reichem Gute hierher gekommen, durch das ich hochgemuten Männern zu helfen wünsche; und bei Allah, ich will es vor dir ausschütten, damit du dein Ziel erreichest und noch mehr. Komm mit mir zum Rate der Ansâr!" Da machten wir uns auf, bis wir zu ihrer Versammlung kamen. Ich grüßte sie, und sie erwiderten den Gruß in höflicher Weise; dann fragte ich: ,Ihr Leute, was sagt ihr von 'Utba und seinem Vater?' Sie antworteten: ,Die gehören zu den Herren der Araber.' Und ich fuhr fort: ,Wisset, 'Utba ist vom Unheil der Liebe heimgesucht, und ich bitte euch, verhelft uns nach es-Samâwa.' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie: und dann saßen die Männer mit uns auf. und wir ritten dahin, bis wir uns dem Lagerplatze der Banû Sulaim näherten. Als el-Ghitrîf von unserer Ankunft hörte. eilte er uns entgegen und empfing uns mit den Worten: ,Langes Leben euch, ihr Edlen!' Wir antworteten ihm: ,Auch dir langes Leben! Siehe, wir kommen als Gäste zu dir.' Darauf sagte er: ,Ihr seid bei dem gastlichsten der weiten Zelte abgestiegen'; und indem er abstieg, rief er: ,Heda, ihr Sklaven, kommt herbei!' Da eilten die Sklaven herzu, breiteten Lederdecken und Kissen aus und schlachteten Kamele und Kleinvieh. Wir aber sprachen: ,Wir wollen nicht eher von dieser Speise kosten, als bis du unseren Wunsch erfüllt hast.' Er fragte: ,Und



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welches ist euer Wunsch?' Und wir gaben ihm zur Antwort: ,Wir erbitten deine edle Tochter zur Gemahlin für 'Utba ibn el-Hubâb ibn el-Mundhir, den hochberühmten, edelgeborenen.' ,Meine Brüder.' erwiderte er. ,sie, um die ihr werbt, ist ihre eigene Herrin; ich will hineingehen und es ihr sagen.' Er sprang aber zornig auf und ging zu Raija hinein; die sprach zu ihm: ,Väterchen, warum sehe ich dich im Zorne?' Er antwortete: ,Zu mir sind Männer von den Ansâr gekommen, die bei mir um dich werben.' Da sagte sie: ,Es sind edle Herren; für sie bittet der Prophet -über ihm sei der reichste Segen und das höchste Heil! Für wen werben sie denn?' ,Für einen Jüngling, 'Utba ibn el-Hubâb geheißen', erwiderte er; und sie fuhr fort: ,Ich habe von diesem 'Utba gehört, daß er hält, was er verspricht, und erreicht, was er will.' Ghitrîf jedoch entgegnete: ,Ich schwöre, daß ich dich nie mit ihm vermählen werde. Mir ist etwas von deinem Gerede mit ihm hinterbracht.' ,Was kann das sein?' sagte sie darauf; ,ich aber schwöre, daß die Ansâr nicht schmählich abgewiesen werden sollen. Kleide die Abweisung schön ein!' ,Wie denn?' fragte er; und sie erwiderte: ,Mache ihnen den Brautpreis zu schwer; dann werden sie abstehen.' Und mit den Worten: Trefflich ist, was du sagst', ging er eilends hinaus und sprach zu den Ansâr: ,Die Maid des Stammes willigt ein; doch für sie gebührt sich ein Brautpreis, der ihrer würdig ist. Wer bürgt für den?' ,Ich', erwiderte ich. Dann fuhr er fort: ,Ich verlange für sie tausend Armbänder aus rotem Golde und fünftausend Dirhems aus der Münze von Hadschar', hundert Stück wollenen Tuches und gestreifter Stoffe aus Jemen und fünf Blasen mit Ambra.' Darauf sagte ich: ,Das sollst du haben. Bist du zufrieden?' ,Ich bin zufrieden', gab er zur Antwort. Nun entsandte ich einige von den Ansâr



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nach Medina, der erleuchteten Stadt, und sie brachten alles. wofür ich mich verbürgt hatte. Dann wurden die Kamele und das Kleinvieh geschlachtet, und das Volk versammelte sich, um von dem Mahle zu essen. So blieben wir vierzig Tage bei ihnen; darauf sagte Ghitrîf: ,Nehmt eure Braut mit!' Wir setzten sie in eine Kamelsänfte, und ihr Vater stattete sie mit dreißig Kamellasten kostbarer Dinge aus. Nachdem er sich von uns verabschiedet hatte und umgekehrt war, zogen wir heim, bis zwischen uns und dem erleuchteten Medina nur noch eine Tagreise lag. Da fielen die Reiter über uns her, um uns zu berauben, und mich deucht, sie waren von den Banû Sulaim. 'Utba ibn el-Hubâb trat ihnen entgegen und erschlug gar viele von ihnen; aber schließlich wich er zurück, von einem Lanzenstiche getroffen, und fiel zu Boden. Da kam uns Hilfe von den Bewohnern jenes Landes, und sie vertrieben die Reiters leute. Doch 'Utba hatte schon den Geist aufgegeben. Wir riefen: ,Wehe um 'Utba!' Und als die Maid das hörte, warf sie sich von dem Rücken des Kamels herunter, beugte sich über ihn und begann herzzerreißend zu klagen. Und sie sprach diese Verse:

Ich stellte mich geduldig; doch ich war nicht standhaft.
Nein, ich betrog mich selbst, bis daß ich bei dir weilt!
Wär meine Seele treu, so wäre ich im Tode
Vor allen andren Menschen dir vorausgeeilt.
Jetzt ist nach mir und dir kein Treuer in der Welt,
Kein Freund, ja, keine Seele, die noch Treue hält.

Darauf tat sie noch einen einzigen Seufzer und gab den Geist auf. Wir aber gruben für die beiden ein gemeinsames Grab und betteten sie in der Erde. Darauf kehrte ich in meine Heimat zurück und blieb dort sieben Jahre. Dann zog ich wieder zum Hidschâz, und als ich auf meiner Wallfahrt in das erleuchtete



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Medina kam, sprach ich: ,Bei Allah, ich will noch einmal zum Grabe 'Utbas gehen.' Und wie ich dort war, erblickte ich über dem Grabe einen hohen Baum, an dem rote und grüne und gelbe Zeugstreifen' hingen. Ich fragte die Leute der Gegend: ,Wie heißt dieser Baum?' Und sie erwiderten mir: ,Der Baum der beiden Brautleute.' Einen Tag und eine Nacht blieb ich bei dem Grabe; dann ging ich wieder fort. Das ist meine letzte Kunde von ihm; Allah der Erhabene erbarme sich seiner!

Ferner wird erzählt


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