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Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



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Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}

8 Die Krähen unter den Pfauen.

Der schöne Frühlingstag und die Furcht, für ungebildet zu gelten, wenigstens durch ihr Nichterscheinen geringes Interesse an der schönen Literatur zu verraten, vereinigte den größten Teil des Rempenschen klubs in dem Gartensaal, den man zum Sammelplatz bestimmt hatte. Der junge Rempen war zu Pferd herausgekommen, geraume Zeit vor den übrigen Gästen; gedankenvoll setzte er sich auf den Altan des Hauses und schaute in den Fluß hinab. Wie so gern hätte er sich schon heute am frühen Morgen



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Gewißheit verschafft, warum Elise so plötzlich mit Palvi gebrochen, auf eine Weise gebrochen, die notwendig, er gestand es sich mit Schmerz, auf den Charakter des jungen Mannes einen düsteren Schatten werfen mußte. Oft verwünschte er den gestrigen Tag und daß er diesen Menschen kennen gelernt habe, nur um ihn heute unaussprechlich zu achten und vielleicht morgen zu verlieren, zu — bedauern; denn verachten? Nein, es konnte keinen Fall geben, der ihn diesen Mann hätte verächtlich machen können. War es denn möglich, daß eine so großartige Seele etwas Gemeinem, Niedrigem sich hingeben könnte? "Er ist arm," sagte der gutmütige Rempen zu sich, " er muß dürftig sein; denn seine Stelle kann ihn nicht ernähren ; vielleicht hat er wieder Schulden gemacht, sie hat es erfahren und deutet als Leichtsinn, was vielleicht Not ist? Aber kann, wenn selbst Leichtsinn wäre, dieser den Geliebten in ihren Augen verächtlich, elend machen?" Wie ergrimmte er in seiner Gedankenfolge über jene Schranken, welche das Herkommen und die "gute Sitte" um vornehme Häuser und ihre Töchter gezogen, wie unnatürlich erschien es ihm, daß der Geliebte die Zürnende nicht in ihrem Hause, auf dem Wege, überall befragen, vielleicht versöhnen könnte, daß vielleicht ein kleines, aber sichtbares Ausweichen, eine scharfe und laut ausgesprochene Rede dazu gehörte, ihn, nach den Sitten der Gesellschaft, auf immer zu entfernen! "Oder wie? Sollte sie ihn vielleicht nie geliebt haben?" setzte er getrösteter hinzu. — "Es wäre möglich, daß ihm diese Gewißheit weniger schmerzlich wäre als ihr Haß, aber —darf sie ihn deswegen hassen?"

Ein großer Zug von Damen und Herren hatte während dieser Gedanken des jungen Rempen den Berg erstiegen und war jetzt in den Gartensaal getreten.

Noch fehlte Elise; aber man konnte nun um so ungezwungener ihren Geschmack und ihre Belesenheit bewundern. Auch Palvi wurde gebührendes Lob gespendet; man hatte selten mit dieser Gewandtheit , mit diesem Ausdruck etwas vorlesen gehört, und die Bewunderung stieg, als man sich sagte, daß er wahrscheinlich diesen Roman nicht zuvor gelesen habe. Elise kam mit Onkel und Tante Rempen angefahren, und Julius vergaß so ganz seine vorigen Gedanken, seine Vorsätze, daß er vor Freude errötend herbeisprang, sie aus dem Wagen zu heben, daß er halb unbewußt ihre Hand drückte und dies erst erkannte, als er diesen Druck erwidert fühlte. Alle jene düsteren Bilder, die auf dem Altan vor seiner Seele vorübergezogen. verschwanden vor dem Glanz ihrer Schönheit. Er hatte sie nie so reizend, so wundervoll gesehen, wenigstens so huldreich war sie nie gegen ihn gewesen. Den Grund davon gestand ihm in einer Ecke des Saals die Tante. Er hatte den Zirkel gestern abend so bald verlassen,



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daß Elise glaubte, sie habe ihn gekränkt. Dieser Gedanke erfüllte ihn jetzt so ganz, daß er in ihre Nähe eilte, daß er mit ihr sprach und scherzte und erst durch die wiederholte Mahnung seines Onkels darauf aufmerksam gemacht werden konnte, daß die Gesellschaft sich bereits im Kreise gesetzt habe und die Erzählung des Fräuleins Wilkow erwarte.

"Mein Unfall," sprach sie mit leichtem Erröten, "hat mich gestern, wenn ich nicht irre, gerade bei der Zusammenkunft der Ritter mit dem Fräulein getroffen. Wandas Vater, der nicht nur von außen, sondern auch im Innern dem Orden durch Zwischenträgerei und Uneinigkeit zu schaden sucht, hat überall Spione. Erwünscht ist ihm, daß ihm einer die Anzeige von jener nächtlichen Zusammenkunft macht. Er denkt keinen Augenblick daran, daß es seine Tochter sein könnte, sondern schleicht sich mit Knechten in jene Ruinen und überfällt zuerst den Freund; die Dame und ihre Amme, die immer zugegen war, entfliehen; es kommt zum Gefecht, die Knechte werden in die Flucht geschlagen und auch der Alte zieht sich zurück, doch nicht, ohne sich vorher mit einem Zeichen von seinem Gegner versehen zu haben.

"Den anderen Tag versammelt der Großmeister ein Kapitel. Er entdeckt den Rittern diesen Vorfall und beschwört die Schuldigen, sich zu nennen. Sie schweigen. Noch einmal fordert er sie vergebens auf und zeigt dann der Versammlung eine goldene Kette, woran ein Siegelring befestigt ist. Das Wappen wird erkannt, und der Freund sieht sich genötigt zu gestehen. Er übersieht mit klarem Blick seine Lage; die geschärften Gesetze müssen ihn schuldig sprechen, darum ist für ihn keine Rettung. Doch glaubt er, da er selbst verloren ist, seinen Freund retten zu können. Er gesteht, in den Ruinen mit einer Dame gesprochen zu haben. Der Meister ist tief ergriffen von diesem Geständnis; es ist ein tapferer junger Mann, den da: Urteil trifft, er wurde von vielen geliebt. Peinlich ist die Lage de: Helden selbst und treffend die Beschreibung, wie die Furcht vor Entehrung, die Hoffnung, der Freund könne gerettet werden, ihn bald zur Entdeckung antreiben, bald davon zurückhalten. Das Urteil der Ritter wird gesammelt. Es lautet: ,Entehrender Ausschluß aus dem Orden.' Jetzt aber erzählt der Meister, daß noch ein zweiter Johanniter diesen Fehltritt geteilt habe; er verspricht, die Strafe in Entlassung zu mildern, wenn der Schuldige den Mitschuldigen entdeckt. Jener schweigt und verratet ihn nicht. Da stürzt der Neffe des Meisters hervor und bekennt seine ganze Schuld. Diese Szene, der Schmerz des alten Ulerich von Elrichshausen und der Wettstreit der Freunde, von welchen jeder der Schuldige sein will. ist so treffend, daß man sie hören muß.



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Jetzt erst sah man sich nach dem Vorleser um. Doktor Zündler sprang nach dem Buch, das auf dem Tische lag, um zu lesen, und hatte sich schon mit freundlichem, zuversichtlichem Lächeln Elisen genähert, als der alte Rempen plötzlich aus den dichten Reihen der Männer Palvi herbeiführte. "Nein, nein," sagte er, "hier steht der Mann, der uns gestern gezeigt hat, wie gut er einen Roman vorlese; ich denke, bester Doktor, Ihre Stimme paßt mehr zum Leichten, Lyrischen." Mit spöttischem, halb verlegenem Lächeln reichte der Doktor das Buch hin, und Palvi las, wenn es möglich war, noch schöner als am gestrigen Abend. Diese erhabene und so unglückliche Freundschaft, die Zeremonien ihrer Ausstoßung aus dem Orden, ihre letzten Worte, als sie das Schloß verlassen, lockten in manches Auge Tränen der Wehmut, und Elise selbst schien so gerührt, daß Palvi mehrere Kapitel weiter las, um ihr Fassung zu geben. Unsern Lesern ist dieser Roman zu bekannt, als daß wir nicht besorgen müßten, sie durch längere Auseinandersetzung zu ermüden. Jene interessanten Abteilungen, wo die beiden verstoßenen Ritter an den romantischen Ufern der Nogat umherstreifen, jene glücklichen Schilderungen eines schönen Landes, die Nachrichten über die alten Preußen, in deren Mitte der Orden zwei Jahrhunderte zuvor den Samen der Kultur getragen hatte, ihre altertümlichen Gebräuche, die unverkennbaren Spuren heidnischer Sitten und Gebräuche, auf sonderbare Weise mit christlichem Ritus vermischt, dies alles, getragen und veredelt von der tiefen Melancholie Kunos, von seines Freundes Seelenstärke und heiterem, unverzagtem Mut, spannte die Zuhörer und riß sie hin.

Elise hatte sich bald wieder so weit gefaßt, daß sie mit Ruhe weiter erzählen konnte. Sie erzählte, wie die beiden Vertriebenen die Verräterei des Ordenskastellans entdecken, der die Polen heimlich nach Marienburg rief; wie sie unter Gefahr und Beschwerden sich durch die aufrührerischen Preußen nach Marienburg durchschlagen , den Meister warnen und verborgen auf Gelegenheit harren, dem Orden zu nützen. Mit großer Begeisterung las Palvi jene Schlachtszenen, worin der Meister bei einem Ausfall auf die Polen von seinem Neffen gerettet wird, wo der Freund die heilige Fahne des Ordens, der ihn verstoßen, aus dem dichtesten Haufen der Feinde zurückbringt und diese erhabene Tat mit einer tödlichen Wunde zahlt. Tiefe Rührung brachten jene Stellen hervor, wo der Sterbende seinem Freund so manches Rätselhafte in seinem Betragen auflöst und ihm gesteht, daß auch er selbst Wanda auf; innigste geliebt habe. Der Schmerz um den Sterbenden bewegt Kuno zu dem romantischen Entschluß, seiner Liebe auf immer zu entsagen, besonders da ein Verdacht in ihm keimt, daß sie ihn weniger geliebt



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als den Freund. Die nächtliche Bestattung dieses edeln Menschen, die Wiederaufnahme Kunos in den Orden Waren von ergreifender Wirkung, nicht minder rührend Wandas Versuche, den Geliebten noch einmal zu sprechen, und als sie sich vergessen glaubt, ihr schnelles Hinwelken.

Der Kastellan ist von dem Czirwenka, dem Hauptmann der böhmischen Besatzung, der dessen Geständnis fürchtet, selbst getötet worden; verlassen, verwaist, auch von der Liebe verlassen, will sie nur so lange noch in der Nähe des Geliebten weilen, bis der Frühling heraufkommt; doch nicht nur diese zarte Blume, auch der Orden trägt den Tod im Herzen, und beide sollten den letzten Frühling in Marienburg sehen.

Der Großmeister Ulerich von Elrichshausen kann sich mit seinen Rittern nicht mehr gegen den Aufstand der Preußen und gegen seine eigenen Söldner halten. Er will den Orden nach Deutschland führen und bedingt sich von den Verrätern freien Abzug. Schon sind die Pferde gerüstet, der Zug will aufbrechen, und die Ritter nehmen mit blutenden Herzen von den Hallen dieser Burg Abschied, und als alle noch einmal ihr Teuerstes mustern, was sie verlassen sollen, kann Kuno dem letzten Ruf der Geliebten nicht widerstehen; er will zu ihr und — findet sie sterbend. Sie schien nur noch so viel Leben in sich zu tragen, um ihn von ihrer Treue, ihrer Liebe zu versichern. Indessen hat Czirwenka die Tore geöffnet. Sechshundert Polen ziehen ein, und, statt dem Orden freien abzug zu gönnen, wird der Großmeister vom Pferde gerissen, verspottet und verhöhnt. Kuno verläßt die sterbende Geliebte, um ihm beizuspringen; ein heftiges Gefecht entspinnt sich in den Höfen, einem großen Teil der Ritter, den Meister in der Mitte, gelingt es, zu entkommen; aber Kuno mit sechs anderen tapferen Ordensbrüdern , welche die Fahnenwache bildeten, werden von den übrigen abgeschnitten; kämpfend ziehen sie sich über die breiten Stufen bis in den großen Rempter zurück, wo sonst die Ordensfahne stand. Der Entschluß, sie lebend nicht zu übergeben, beseelt sie; sie pflanzen da:, Panier an seinem alten Standpunkt auf und umgeben es. Lange gelingt ihnen, das Siegeszeichen so vieler Schlachten zu verteidigen. Aber die Polen dringen immer heftiger ein; Über macht und Verrat siegen, und über ihre Fahne gebreitet, sterben die letzten Ritter von Marienburg.

Es entstand eine Pause, als Palvi geendet hatte; es schien niemand jene Stille stören zu wollen, die unter zwei oder drei heilig und rührend, in größeren Gesellschaften peinigend ist. Doch je erhabener da:: Gefühl ist, welches zu einer solchen Ruhe zwingt, desto ängstlicher sind die Menschen, mit etwas Gemeinem diese



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Nachklänge tieferer Empfindungen zu unterbrechen. Sie rennen dann auf allen Vieren durch die Speisekammer ihrer Erinnerung, um etwas Feines, Eingemachtes, Kandierten vorzusetzen, statt ihre frischen. natürlichen Gefühle sprechen zu lassen.

"Dieser ganze Roman," lispelte endlich eine Dame, deren Blässe und feuchte Augen auf zarte Nerven schließen ließen, "kommt mir Vor wie jener Ausspruch Jean Pauls; .Wie manche stille Brust ist nichts als der gesunkene Sarg eines erblaßten, geliebten Bildes.' Dieser Hüon liebt gewiß unglücklich, und darum gefällt er sich in diesem tragischen Geschick."

"Gerade dies kommt mir überaus komisch vor," bemerkte der Rat, dem Reid und Verdruß um die Nasenflügel spielten; "dieser Mensch hat zu wenig Tiefe, zu wenig Empfindung, um die Wehmut, das Unglück zu zeichnen; doch ich habe mich an einem anderen Ort hinlänglich darüber ausgesprochen. Gewiß, es ist so, wie ich sage. Es steht ja gedruckt, mein Urteil," setzte er hinzu, indem er sich vornehm in den Stuhl zurücklehnte.

"Doch glaube ich, auch gegen ein gedrucktes Urteil findet noch Appellation statt." sagte der junge Remyen mit gleichgültiger Miene.

"Wieso?" rief der Rat errötend.

Rempen war etwas betroffen; aber die munteren Augen seines Oheims, der hinter dem Stuhl des Rats stand, winkten ihm, fortzufahren. "Ich meine, ich habe so etwas gelesen, das Ihr Urteil, bester Herr Rat, völlig umstiess," entgegnete er; "übrigens ist ein gedrucktes Urteil immer nur das Urteil eines einzelnen, und dem einzelnen muß erlaubt sein, dagegen zu streiten. Ich zum Beispiel finde diesen Roman besser, als Sie ihn gemacht haben. Auch glaube ich, Tiefe des Gefühls müsse dem abgehen, der dies in den .Letzten Rittern von Marienburg' nicht findet."

Der Oheim hatte solche: wohl nicht geahnt: denn er und die ganze Gesellschaft schienen erstaunt über die Kühnheit des Stallmeister:

"Solche historische Romane," nahm der Professor das Wort, "sind nur Fabrikarbeiten. Die Form ist gegeben, und wie leicht, wie sicher läßt sich diese Form von jedem handhaben! Nehmen Sie irgend einen Lappen der Welthistorie, zerreißen ihn in kleine Fetzen und neiden die hergebrachten Personen von A bis Z darein, so haben Sie einen historischen Roman. Die weitere Entwicklung ist leicht, besonders wenn man es sich so leicht macht wie dieser Hüon, und nur genugsam Floskeln eingestreut sind; wenn das Tränentuch häufig als Panier aufgepflanzt wird, so kann der Eindruck nicht verfehlt werden.

"Und doch däucht mir," erwiderte Palvi, "es ist bei weitem



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schwerer, einen Roman zu dichten, der den Forderungen einer wahren, vernünftigen und billigen Kritik entspricht, als ein Drama zu schreiben."

"Und was nennen Sie denn eine vernünftige und billige Kritik, Herr Referendarius?" fragte Doktor Zündler mit ungemein klugem und spöttischem Gesicht.

"Man muß ein Buch," erwiderte Palvi mit großer Ruhe, " man muß insbesondere ein Gedicht zuerst nach den Empfindungen beurteilen, die es in uns hervorruft, denn auf Gefühl ist ja ein solches Werk berechnet; es soll angenehm unterhalten, durch den Wechsel freudiger und wehmütiger Szenen befriedigen. Und dann erst, wenn unser Herz darüber entschieden hat, daß das Buch ein solches sei, das unsere Gefühle erhoben, befriedigt hat, dann erst erlaube man dem Verstand, sein Urteil darüber zu fällen, und ihm bleibt es übrig, nachzuweisen, was in Anordnung oder Stil gefehlt ist."

"Da müsste man am Ende alle Herzen abstimmen lassen," sagte der Rat, mitleidig lächelnd, "müßte umherfragen, hat's gefallen oder nicht? ehe man ein öffentliches Urteil fällt. Aber dem ist nicht so; unsere Journale waren es von jeher, denen zu loben oder zu verdammen zustand, und der gebildete, geläuterte Geschmack ist es, der dort richtet."

"Überhaupt dächte ich," setzte Doktor Zündler mit zärtlichem Seitenblick auf Elisen hinzu, " man kann über Dinge dieser Art in Gesellschaft eine gebildete Dame mit Vergnügen hören, wie schon Goethe im 'Tasso' sagt; aber ein öffentliches Urteil müssen nur Leute vom Fach fällen, und nur Leute vom Fach können dagegen opponieren .

"Und halten Sie sich etwa für einen Mann vom Fach?" fragte Palvi mit großem Nachdruck.

Der Doktor verbarg seinen Unmut über diese Frage nur mühsam hinter einem lächelnden Gesicht. "Ich denke, die Welt zählt mich zu Deutschlands Dichtern," sagte er.

"Die Welt," antwortete der Referendar, "die betrogene Welt, aber nicht ich —so wenig als ich meinen Dekopisten für ein Genie halte."

Die Gesellschaft fiel aus ihrer Spannung in eine sonderbare Bewegung. Die Damen sahen unmutig auf Palvi, ein Teil der Männer lachte über des Doktors auffallenden Mangel an Fassung, ein anderer Teil mißbilligte laut solche Reden in einer guten Gesellschaft .

"Herr von Palvi," rief endlich Zündler bebend, — man wußte nicht, ob vor Wut oder Schrecken, — " wie soll ich Ihre sonderbaren Reden verstehen?"



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"Ja, ja, Doktor," sagte der Stallmeister laut lachend, "auch mit meiner Bewunderung hat es ein Ende; man sagt, Sie haben sich Ihre Gedichte und sonstigen schönen Sachen machen lassen." "Machen lassen?" fragte der Chorus der Literatoren mit Bestürzung.

"Hat sie machen lassen:" rief die Gesellschaft.

"Wer wagt dies zu sagen?" schrie der Doktor, indem er bleich und atemlos aufsprang.

"Nun, leider derjenige selbst, der sie Ihnen verfertigt hat," antwortete Rempen mit großer Ruhe, "der Magister Bunker; er logiert oben in Ihrem Hause.

Der entlarvte Dichter versuchte noch einige Worte zu sprechen; er war anzusehen wie der Kopf eines Enthaupteten; die Augen drehen sich noch, die Lippen scheinen Worte zu sprechen; aber der Geist ist entflohen, der diesen Organen Leben gab. Eilig drängte er sich dann durch den Kreis, stürzte nach seinem Hut und verließ den Saal und die vor Verwunderung verstummte Gesellschaft.

"Ist es denn wahr?" sprach endlich die von Angst und Sorge erbleichte Elise, indem sie den Stallmeister sehr ernst ansah.

"Gewiß, mein Fräulein!" erwiderte dieser lächelnd. "Ich würde der Gesellschaft diese Szene erspart haben; aber ich war zu tief über die freche Stirn erbittert, womit dieser Mensch mich und Sie alle hinterging. Doch hören Sie von dem wunderlichen Mann, der ihm alles dichtet!"

Man setzte sich schweigend, und Rempen erzählte; während seiner Erzählung schlich sich der Redakteur der "Blätter für belletristisches Vergnügen" au:, dem Saal, ihm folgten seine Genossen. beschämt und ergrimmt über sich, den Doktor und die ganze Welt. Der Gesellschaft aber gereichte die Erzählung des Stallmeisters zu nicht geringem Vergnügen. Die gute Stimmung war wieder her gestellt, der Punsch, den der alte Rempen als Nachsatz von gestern gab, löste die Zungen, man fühlte sich weniger beengt, seit die öffentlichen Schiedsrichter hinweggegangen waren, man sprach allgemein das Lob des vorgelesenen Romans aus. Auch die Toasts wurden nicht vergessen, und als Julius von Rempen die Gesundheit aller wahrhaften Dichter und ihrer gründlichen kritiker ausgebracht hatte, wagte es Elise mit glänzenden Augen, aber tief errötenden Wangen, die Gesellschaft aufzufordern, auf das Wohl des neuen Hüon und "er letzten Ritter von Marienburg" zu trinken.


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