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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON 'ADSCHÎB UND GHARÎB

Einst lebte in alten Zeiten ein mächtiger König, Kundamir geheißen; früher war er als tapferer Herrscher bekannt, als ein Fürst, dem keiner widerstand, aber nun war er ein hochbetagter und hinfälliger Greis geworden. Dennoch schenkte Allah der Erhabene ihm in seinem hohen Alter einen Sohn; den nannte er 'Adschîb wegen seiner Schönheit und Anmut, und er übergab ihn den Pflegerinnen und Ammen, den Dienerinnen und Odalisken, bis daß er heranwuchs und größer ward und volle sieben Jahre alt war. Da bestimmte sein Vater für ihn einen Priester aus dem Volke seines Glaubens, und der unterwies ihn in ihren Satzungen, ihrem Unglauben und allem, was dazu gehört, drei volle Jahre lang, bis daß er unterrichtet war, von Willen entschlossen und im Geiste klar. So ward er ein Gelehrter, redegewandt und als Philosoph bekannt, der sich mit den Weisen maß und im Kreise der Rechtsgelehrten saß. Als sein Vater das an ihm sah, gefiel es ihm. Darauf ließ er ihn lehren, das Roß zu besteigen, mit der Lanze zu stoßen und mit dem Schwerte zu schlagen, bis er ein tapferer Ritter geworden war. Und als er noch nicht zwanzig' Jahre alt war, übertraf er schon die Menschen seiner Zeit in allen Dingen; er kannte das Kriegshandwerk, ja, er war ein steifnackiger Tyrann und ein eigenwilliger, dämonischer Mann. Wenn er zu Hatz und Jagd ausritt, zog er dahin inmitten von tausend Reitern, machte Raubzüge gegen die Ritter, trieb Wegelagerei und raubte die Töchter der Könige und Fürsten. Da ward des Klagens über ihn viel bei seinem Vater; und so rief der König fünf seiner Sklaven zu sich und sprach zu ihnen, als sie vor ihm stans.



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den: ,Ergreift den Hund da!' Alsbald fielen die Burschen über 'Adschîb her und fesselten ihm die Arme auf dem Rücken. Darauf befahl er ihnen, sie sollten ihn schlagen; und sie hieben auf ihn ein, bis er die Besinnung verlor. Und schließlich sperrte er ihn in ein Verlies, in dem sich weder Himmel noch Erde. weder Länge noch Breite erkennen ließ. Dort blieb er zwei Tage und eine Nacht gefangen. Doch nun begaben sich die Emire zum König, küßten den Boden vor ihm und legten Fürbitte ein für 'Adschîb, also daß er ihm die Freiheit wiedergab. 'Adschîb wartete noch zehn Tage; dann aber drang er bei Nacht, als der König schlief, zu ihm ein und schlug ihm mit einem Hieb den Kopf ab. Als es Morgen ward, setzte 'Adschîb sich auf den Königsthron seines Vaters und befahl seinen Mannen, vor ihn zu treten, in Stahl gepanzert und mit gezückten Schwertern, und dann stellte er sie zur Rechten und zur Linken auf. Wie nun die Emire und Hauptleute eintraten, entdeckten sie, daß ihr König erschlagen war, und daß sein Sohn auf dem Königsthrone saß; und ihre Sinne verwirrten sich. 'Adschîb aber sprach zu ihnen: ,Ihr Leute, ihr habt gesehen, wie es eurem König ergangen ist. Wer mir gehorcht, den will ich ehren, wer mir aber zuwiderhandelt, mit dem werde ich ebenso verfahren wie mit dem König!' Als sie das von ihm hörten, fürchteten sie, er würde ihnen ein Leid antun, und so riefen sie: ,Du bist unser König und der Sohn unseres Königs!' und küßten den Boden vor ihm. Er freute sich darüber und dankte ihnen. Dann befahl er, Geld und Gewänder zu bringen; und er kleidete sie in prächtige Ehrengewänder und überhäufte sie mit Geld, so daß sie ihn liebgewannen und ihm gehorchten. Ebenso verlieh er Gewänder an die Statthalter und an die Häuptlinge der Beduinen, den freien und den abhängigen; so unterwarf sich ihm das Land, und seine Herrschaft ward von



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allem Volke anerkannt, und er sprach Recht, gebot und verbot, eine Zeit von fünf Monaten. Da sah er im Schlafe ein Traumgesicht und wachte mit Furcht und Zittern auf; bis zum Morgen lag er schlaflos da. Dann setzte er sich auf den Thron, und als die Truppen sich rechts und links von ihm aufgestellt hatten, berief er die Traumausleger und die Sterndeuter und sprach zu ihnen: ,Legt mir diesen Traum aus!' Sie fragten: ,Was ist das für ein Traum, den du gesehen hast, o Könige' Und er gab zur Antwort: ,Ich sah meinen Vater vor mir liegen, und seine Scham war entblößt; da stieg aus ihr etwas empor, so groß wie eine Biene, und es ward immer größer, bis es war wie ein mächtiger Löwe mit Pranken gleich Dolchen. Und wie ich es mit Furcht und Staunen ansah, stürzte es plötzlich auf mich los, hieb mit seinen Pranken nach mir und riß mir den Bauch auf. Da erwachte ich mit Furcht und Zittern.' Die Traumdeuter blickten einander an und dachten nach. welche Antwort sie geben sollten. Dann hüben sie an: ,Mächtiger König, dieser Traum deutet auf ein Wesen hin, erzeugt von deinem Vater: zwischen dir und ihm wird Feindschaft sein, und er wird dich überwinden. Drum sei auf deiner Hut vor ihm wegen dieses Traumgesichtes!' Als 'Adschîb die Worte der Traumdeuter vernommen hatte, sprach er: ,Ich habe keinen Bruder, den ich fürchten müßte: also ist diese eure Rede eitel Lüge.' Sie erwiderten: ,Wir haben nur das kundgetan, was wir wissen.' Da ergrimmte er wider sie und ließ sie geißeln. Und alsbald erhob er sich, ging in den Palast seines Vaters, untersuchte die Odalisken des Getöteten und fand unter ihnen eine, die seit sieben Monaten schwanger war. Nun gab er zweien seiner Sklaven Befehl, indem er sprach: ,Nehmt diese Odaliske und bringt sie ans Meer und ertränkt sie!' Sie ergriffen sie bei der Hand, schleppten sie ans Meer und



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wollten sie ertränken. Als sie aber die Odaliske anschauten und sahen, daß sie von großer Schönheit und Anmut war, sprachen sie: ,Warum sollen wir diese Frau ertränken? Wir wollen sie in den Wald schleppen und durch sie in wunderbaren Liebesfreuden leben.' Und sie nahmen sie und zogen Tage und Nächte mit ihr umher, bis sie fern von allen Wohnungen waren. Dann gingen sie mit ihr in einen Hain, wo viele Bäume mit Früchten sprossen und die Bächlein flossen. Sie hatten verabredet, daß sie beide ihren Willen an ihr haben wollten; doch nun sagte jeder von den beiden: ,Ich will es zuerst tun!' Und wie sie darüber miteinander stritten, kam plötzlich eine Schar von Schwarzen über sie; die Schwerter wurden gezückt, und beide Seiten griffen an. So kam es zu heißem Waffentanze, zu Hieb und zu Stich mit der Lanze; die beiden Sklaven kämpften nach Kräften; aber jene erschlugen sie schneller als im Augenblick. Nunmehr begann die Odaliske allein im Walde umherzuziehen; sie aß von den Früchten, die dort sprossen, und trank von den Bächen, die dort flossen, so lange, bis sie einen Knaben zur Welt brachte, braun und zart und von zierlicher Art. Den nannte sie el-Gharîb', weil er in der Fremde geboren war. Sie schnitt ihm die Nabelschnur ab, wickelte ihn in eins ihrer eigenen Kleider und säugte ihn; doch ihr Herz und ihre Seele trauerten um all das Ansehen und Wohlleben, das sie früher genossen hatte. «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 625. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Odaliske in dem Walde lebte, und daß ihr Herz und ihre Seele trauerten. Doch sie säugte ihr Söhnlein, obwohl sie voll Trauer und Furcht



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war ob ihrer Einsamkeit. Und wie sie eines Tages so dasaß in ihrem Elend, kamen plötzlich Reiter und Fußgänger des Wegs, mit Falken und Jagdhunden, und ihre Rosse waren beladen mit Kranichen, Reihern, irakischen Gänsen, Tauchern und anderen Wasservögeln, mit Tieren der Wildnis, Hasen, Gazellen, Antilopen, jungen Straußen, Luchsen, Wölfen und Löwen. Jene Beduinen zogen in den Wald und fanden die Odaliske, die ihren Sohn auf dem Schoße hatte und ihn säugte. Sie traten an sie heran und fragten sie: ,Bist du ein Menschenkind oder ein Geisterwesen?' ,Ich bin ein Menschenkind, ihr Herren der Araber!' antwortete sie; und sie taten es ihrem Emir kund. Der hieß Mirdâs und war der Häuptling des Stammes Kahtân; er war auf die Jagd gezogen mit fünfhundert Emiren, Leuten seines Stammes und seinen Vettern. Und sie hatten solange gejagt, bis sie jene Odaliske trafen. Sie schauten sie an, und als sie ihnen erzählt hatte, was ihr widerfahren war, von Anfang bis zu Ende, da staunte der Fürst ob ihrer Abenteuer. Dann rief er seinen Leuten und seinen Vettern zu, die Jagd fortzusetzen, bis sie zum Lager der Kahtân kamen. Er aber nahm die Odaliske und wies ihr ein eigenes Zelt an und bestimmte fünf Sklavinnen für ihren Dienst. Und er gewann sie sehr lieb, ging zu ihr ein und wohnte ihr bei; und sie ward alsbald schwanger. Nachdem ihre Monde erfüllet waren, gebar sie einen Knaben und nannte ihn Sahîm el-Lail': und er ward zusammen mit seinem Bruder von den Ammen erzogen, und er wuchs und gedieh unter dem Schutze des Emirs Mirdâs. Der übergab dann die beiden einem Lehrer, um sie in den Dingen ihres Glaubens unterrichten zu lassen. Und danach vertraute er sie den tapferen Haudegen der Araber an; die unterwiesen sie im Speerstechen, im Schwerthieb und im



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Pfeilschießen. Kaum hatten die beiden ihr fünfzehntes Lebensjahr vollendet, da hatten sie auch schon alles gelernt, was sie brauchten, und sie übertrafen jeden Helden des Stammes; denn Gharîb vermochte es mit tausend Rittern aufzunehmen, und sein Bruder Sahîm el-Lail desgleichen. Nun hatte Mirdâs viele Feinde; doch seine Araber waren die tapfersten unter den Beduinen, alle waren wackere Ritter, an deren Feuer niemand sich zu wärmen gewagt hätte. In seiner Nachbarschaft aber hauste ein Emir der Araber. des Namens Hassan ibn Thâbit, der war sein Freund. Dieser Emir hatte eine edle Jungfrau aus seinem Stamme gefreit und lud alle seine Freunde zur Feier ein, darunter auch Mirdâs, den Häuptling des Stammes Kahtân. Der leistete Folge und nahm aus seinem Volke dreihundert Ritter mit sich: vierhundert andere ließ er zurück zum Schutze der Frauen. Und er zog dahin, bis er bei Hassan ankam; jener zog ihm entgegen und wies ihm den höchsten Ehrenplatz an. Nachdem dann all die Ritter zur Hochzeit gekommen waren, ließ er die Gastmähler für sie rüsten und hatte hohe Freude an seinem Feste. Danach kehrten die Araber zu ihren Stätten zurück. Als aber Mirdâs bei seinem Lager ankam, sah er rings umher Erschlagene liegen, über denen zur Rechten und zur Linken die Raubvögel kreisten; da erbebte sein Herz. Er eilte ins Lager, und dort trat ihm Gharîb entgegen, gewappnet mit einem Kettenpanzer, und wünschte ihm Glück zur wohlbehaltenen Heimkehr. Doch Mirdâs rief: ,Was bedeutet all dies Gharîb?' Jener antwortete: ,El-Hamal ibn Mâdschid hat uns mit seiner Schar von fünfhundert Rittern überfallen.' Der Grund dieses Überfalls aber war folgender: Der Emir Mirdâs hatte eine Tochter, die Mahdîja hieß, so schön, wie noch nie jemand eine Maid gesehen hatte. Davon hörte el-Hamal, der Häuptling des Stammes Nabhân; und alsbald



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machte er sich mit fünfhundert Rittern auf, begab sich zu Mirdâs und warb um Mahdîja. Jener aber nahm ihn nicht an, so daß der Freier enttäuscht heimkehren mußte. Nun wartete er, bis Mirdâs fortgezogen war, um der Einladung Hassâns Folge zu leisten. Dann saß er mit seinen Recken auf und fiel plötzlich über die Söhne Kahtâns her; da ward ein Teil der Ritter erschlagen, während die übrigen in die Berge flüchteten. Gharîb aber und sein Bruder waren mit hundert Reiters leuten zu Jagd und Hatz fortgeritten, und sie kehrten erst um die Mittagszeit zurück. Da mußten sie sehen, daß el-Hamal und seine Schar das Lager mit allem, was darinnen war, erobert hatten; ja, sie hatten die Töchter des Stammes gefangen genommen, und el-Hamal hatte Mahdîja, die Tochter von Mirdâs, geraubt und trieb sie nun mit dem Gefangenentroß vor sich her. Als Gharîb solches erschaute. ward er außer sich vor Wut und schrie seinen Bruder Sahîm el-Lail an: ,O du Sohn einer Verfluchten, sie haben unser Lager geplündert und unsere Frauen und Kinder geraubt! Auf, und den Feinden nach, laß uns die Gefangenen befreien, Männer und Frauen und Kinder!' Und sofort stürzten Sahîm el-Lail und Gharîb mit den hundert Rittern auf die Feinde los. Immer höher loderte der Grimm Gharîbs, und erließ, wie ein Schnitter, die Köpfe niedersinken und gab den Helden die Todesbecher zu trinken, bis er zu el-Hamal durchdrang und dort unter den Gefangenen Mahdîja erblickte. Da sprengte er wider el-Hamal, traf ihn mit der Lanze und warf ihn von seinem Schlachtrosse; und ehe noch die Zeit des Nachmittagsgebetes gekommen war, hatte er bereits den größten Teil der Feinde niedergemacht und die übrigen in die Flucht getrieben. So konnte Gharîb die Gefangenen befreien, und er kehrte zu den Zelten zurück, das Haupt von el-Hamal auf seiner Lanzenspitze. Dabei sang er diese Verse:



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Ich bin bekannt am Tag der Schlacht im Blachgefild;
Der Erdengeister Schar erschrickt vor meinem Bild.
Ich hab ein Schwert: wenn das in meiner Rechten saust.
So kommt von meiner Linken Tod einhergebraust.
Ich hab auch einen Speer: wes Auge ihn erreicht,
Der sieht dort eine Spitze, die dem Neumond gleicht.
Ich bin Gharîb genannt, der Held des Stammes mein;
Und ich bin nie verzagt, ist meine Schar auch klein.

Kaum hatte Gharîb sein Lied gesungen, da kam Mirdâs und sah, wie die Erschlagenen umherlagen und die Raubvögel über ihnen zur Rechten und zur Linken kreisten. Da ward er wie von Sinnen und sein Herz erbebte. Gharîb aber tröstete ihn; denn nachdem er ihm zur wohlbehaltenen Heimkehr Glück gewünscht hatte, berichtete er ihm alles, was im Lager vorgefallen war seit der Abreis des Emirs. Da dankte Mirdâs ihm für das, was er getan hatte, und sprach: ,An dir war die Erziehung nicht verloren, Gharîb!' Dann stieg Mirdâs in seinem Häuptlingszelte ab; die Mannen drängten sich um ihn, und der ganze Stamm pries Gharîb und sprach: ,O unser Emir, wenn Gharîb nicht gewesen wäre, so wäre nicht einer vom Stamme gerettet worden!' Und von neuem dankte Mirdâs ihm für seine Heldentaten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 626. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Mirdâs, als er zu seinem Lager zurückgekehrt war und seine Mannen zu ihm kamen und Gharîb priesen, ihm von neuem, für seine Heldentaten dankte. Der aber war, als er Mahdîja in der Gefangenschaft el-Hamals gesehen und den Räuber getötet und sie von ihm befreit hatte, von den Pfeilen ihrer Blicke getroffen und in das Netz der Liebe zu ihr verstrickt, also daß sein Herz sie



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nicht mehr vergessen konnte; er versank im Meere der Sehnsucht, bedeckt von der Liebe Wunden. des Schlafes Süße war ihm entschwunden, Speise und Trank wollte ihm nicht mehr munden. Er begann sein Roß zu tummeln und in Bergeshöhen hinaufzudringen, dort Verse zu singen und erst heimzukehren, wenn die Abendschatten ihn umfingen. So waren an ihm die Zeichen der Liebe und Leidenschaft sichtbar. Er entdeckte sein Geheimnis einem seiner Freunde, und bald ward es im ganzen Stamme ruchbar, bis es auch Mirdâs zu Ohren kam. Der begann zu donnern und zu blitzen, aufzuspringen und niederzusitzen, zu hauchen und zu fauchen und Schmähworte gegen Sonne und Mond zu gebrauchen; und er rief: ,Das ist der Lohn für den, der Bastarde aufzieht! Jedoch, wenn ich Gharîb nicht töte, so will ich mit Schande bedeckt sein.' Dann fragte er einen der Weisen des Stammes um Rat, wie er Gharîb zu Tode bringen könne, und offenbarte ihm so sein Geheimnis. Jener erwiderte ihm: ,O Emir, erst gestern hat er deine Tochter aus der Gefangenschaft befreit. Wenn er denn wirklich sterben muß, so laß es durch eine andere Hand geschehen als durch die deine, damit niemand dich in Verdacht habe.' Darauf sagte Mirdâs: ,Ersinne mir einen Plan, ihn zu töten. Ich weiß niemanden als dich, durch den er zu Tode kommen kann.' ,O Emir,' fuhr der Weise fort, ,warte, bis er zu Jagd und Hatz auszieht; dann nimm tausend Reiter mit dir und lege ihm in einer Höhle einen Hinterhalt! Kommt er dann ahnungslos vorüber, so fallet alle über ihn her und schlagt ilm in Stücke; so wirst du von der Schande befreit sein.' Mirdâs sprach: ,So ist es recht', und wählte aus seinem Volke hundertundfünfzig Ritter aus, gewaltige Recken, und spornte und feuerte sie an, den Gharîb zu töten. Von da an lauerte er immer, bis Gharîb zur Jagd auszog; und als der Held weit über



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Berg und Tal entfernt war, zog er mit seinen elenden Rittern aus, und sie legten ihm einen Hinterhalt am Wege; wenn er von der Jagd heimkehrte, wollten sie wider ihn hervorbrechen und ihn totschlagen. Doch als Mirdâs und seine Leute dort zwischen den Bäumen auf der Lauer lagen, fielen plötzlich fünfhundert Recken über sie her, erschlugen sechzig von ihnen und nahmen die übrigen neunzig gefangen; dem Mirdâs aber fesselten sie die Hände auf dem Rücken. Der Grund von alledem war dieser. Als el-Hamal und seine Leute erschlagen waren, eilten die Überlebenden immer weiter auf ihrer Flucht dahin, bis sie zu seinem Bruder kamen; dem meldeten sie, was geschehen war. Da machte er einen Höllenlärm, rief seine Recken zusammen und wählte aus ihnen fünfhundert Reiter aus. deren jeder fünfzig Ellen lang war, und machte sich auf, um Blutrache für seinen Bruder zu nehmen. Sie trafen aber auf Mirdâs und seine Helden, und zwischen ihnen geschah, was geschehen war. Nachdem nun Mirdâs und seine Leute gefesselt waren, machten der Bruder el-Hamals und seine Leute Halt. und er gab ihnen das Zeichen, sich auszuruhen, indem er hinzufügte: ,Ihr Leute, die Götzen haben es uns leicht gemacht, Blutrache zu nehmen; nun bewachet Mirdâs und seine Leute, bis ich sie fortführe und des schmählichsten Todes sterben lasse!' Wie Mirdâs sich nun gefesselt sah, bereute er, was er getan hatte, und er sagte sich: ,Dies ist der Lohn für den Frevel!' Der Feind aber verbrachte die Nacht froh über den Sieg, während Mirdâs und seine Gesellen in ihrer Gefangenschaft nicht mehr auf Lebenshoffnung bauten und den sicheren Tod vor Augen schauten.

Wenden wir uns nun von Mirdâs zu Sahîm el-Lail! Der war verwundet daheim geblieben und begab sich zu seiner Schwester Mahdîja. Die erhob sich vor ihm, küßte ihm die Hände



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und sprach zu ihm: ,Nie verdorren mögen die Hände dein, und nie mögen deine Feinde schadenfroh sein! Wäret ihr nicht gewesen, du und Gharîb, so wären wir nicht aus der Gefangenschaft bei den Feinden befreit. Vernimm jedoch, mein Bruder, dein Vater ist mit hundertundfünfzig Reitern ausgezogen und will Gharîb umbringen. Du weißt, daß Gharîbs Tod ein großer Verlust wäre; denn er hat ja eure Ehre gewahrt und euer Gut gerettet.' Als Sahîm diese Worte hörte, da ward das helle Tageslicht finster vor seinem Angesicht. Und er legte die Schlachtrüstung an, bestieg seinen Renner und eilte dorthin, wo sein Bruder jagte. Da sah er, daß jener viel Wild erjagt hatte, und er ritt auf ihn zu, begrüßte ihn und sprach: ,Lieber Bruder, gehst du fort, ohne es mir zu sagen?' ,Bei Allah,' erwiderte Gharîb, ,ich hab es nur deshalb nicht getan, weil ich dich verwundet sah und dir Ruhe gönnen wollte.' Darauf sagte Sahîm: ,Lieber Bruder, nimm dich vor meinem Vater in acht!' und er erzählte ihm, was geschehen war, daß nämlich Mirdâs mit hundertundfünfzig Rittern ausgezogen sei, um ihn zu töten. Gharîb rief: ,Allah möge seinen Verrat gegen seinen eigenen Hals wenden!' Dann machten Gharîb und Sahîm sich auf den Heimweg zum Zeltlager; doch die Nacht überraschte sie, und da zogen sie auf dem Rücken der Pferde weiter, bis sie zu dem Tale kamen, in dem sich der Feind befand; und sie hörten das Wiehern der Rosse im Dunkel der Nacht. ,Bruder,' sagte Sahîm, ,das ist mein Vater mit seiner Schar, die in diesem Tale im Hinterhalte liegen. Laß uns dies Tal meiden!' Gharîb aber war schon von seinem Pferde abgestiegen, und nun warf er seinem Bruder den Zügel zu, indem er sprach: ,Bleib stehen, wo du bist, bis ich zu dir zurückkehre!' Dann ging er weiter, bis er die Leute sah, und entdeckte, daß sie nicht von seinem Stamme waren; doch hörte er, daß sie von Mirdâs sprachen



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und sagten: ,Wir wollen ihn erst in unserem eigenen Lande töten.' Nun wußte er. daß sein Oheim Mirdâs bei ihnen gefangen war, und er sagte sich: ,Beim Leben Mahdîjas, ich will nicht eher fortgehen, als bis ich ihren Vater befreit habe; ich will ihr keinen Kummer machen!' Dann begann er, Mirdâs zu suchen, und suchte so lange, bis er ihn gefunden hatte, ihn, der mit Stricken festgebunden war. Da setzte er sich neben ihn und flüsterte ihm zu: ,Der Himmel befreie dich, mein Oheim, aus dieser Schmach und diesen Fesseln!' Als Mirdâs Gharîb erkannte, war er wie von Sinnen, und er sprach zu ihm: ,Mein Sohn, ich stehe in deinem Schutze. Befreie mich nun um der Pflicht gegen den Erzieher willen!' Gharîb aber fragte ihn: ,Willst du mir, wenn ich dich befreie, Mahdîja geben?' ,Mein Sohn,' erwiderte er, ,bei allem, was ich heilig halte, sie ist dein für alle Zeit!' Da löste er ihm die Fesseln und sprach zu ihm: ,Geh zu den Pferden; denn dort ist dein Sohn Sahîm!' Alsbald schlich Mirdâs fort, bis er zu seinem Sohne kam; und der freute sich seiner und beglückwünschte ihn zu seiner Rettung. Darauf band Gharîb die Gefangenen los, einen nach dem anderen, bis er alle neunzig Ritter befreit hatte. Und als alle fern von den Feinden waren, ließ Gharîb Waffen und Rosse für sie holen; dann sprach er zu ihnen: ,Sitzt auf und zerstreut euch rings um den Feind und erhebt den Kriegsruf; euer Kriegsruf sei: .O Volk von Kahtân!' Und wenn sie erwachen, so rückt von ihnen ab und umringt sie in weiterer Ferne.' Dann wartete er bis zum letzten Drittel der Nacht und rief: ,O Volk von Kahtân!' Und seine Leute riefen desgleichen: ,O Volk von Kahtân!' alle wie ein Mann. Da hallten die Berge wider, so daß die Feinde vermeinten, der ganze Stamm habe sie überfallen. Und sie griffen zu den Waffen und fielen übereinander her. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die Sechs 627 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Feinde, als sie aus dem Schlafe erwachten und Gharîb und seine Leute schreien hörten: ,O Volk von Kahtân!' vermeinten, das ganze Volk von Kahtân habe sie überfallen, und daß sie zu den Waffen griffen und mordend übereinander herfielen. Ghârib und seine Leute aber hielten sich zurück, während die Feinde einander erschlugen, bis es Tag ward. Da griffen Gharîb und Mirdâs und die neunzig Recken die übriggebliebenen Feinde an und töteten einige von ihnen, während die anderen flüchteten. Nun erbeuteten die Söhne Kahtâns die herrenlosen Rosse und die Waffen der Erschlagenen und machten sich auf den Weg zu ihrem Lager, Mirdâs aber konnte noch gar nicht glauben, daß er von den Feinden befreit war. Sie zogen rasch dahin, bis sie bei ihrem Stamme ankamen; und dort kamen ihnen die Zurückgebliebenen entgegen und freuten sich über ihre glückliche Heimkehr. Alle stiegen bei ihren Zelten ab. Auch Gharîb begab sich in sein Zelt, und alle Jünglinge des Stammes drängten sich um ihn, und groß und klein begrüßte ihn. Als Mirdâs sah, wie die jungen Männer Gharîb umringten, haßte er ihn noch mehr als früher, und er ging zu den Seinen und sprach zu ihnen: ,Jetzt ist der Haß auf Gharîb noch stärker geworden in meinem Herzen, und nichts quält mich so sehr, wie daß ich diese Burschen ihn umdrängen sehe. Und morgen wird er gar Mahdîja von mir verlangen!' Da sagte sein Ratgeber zu ihm: ,O Emir, verlange von ihm etwas, das er nicht ausführen kann.' Erfreut konnte nun Mirdâs die Nacht über ruhig schlafen bis zum Morgen. Dann ließ er sich auf seinem Häuptlingssitz nieder, und die Araber versammelten sich bei ihm. Da kam auch



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Gharîb, umringt von seinen Mannen und den jungen Helden, und er trat vor Mirdâs hin und küßte den Boden vor ihm. Der tat erfreut, erhob sich vor ihm und ließ ihn zu seiner Seite sitzen. Darauf hub Gharîb an: ,Mein Oheim, du hast mir ein Versprechen gegeben; erfülle es nun!' ,Mein Sohn,' gab Mirdâs zur Antwort, ,sie ist dein für alle Zeit: aber es fehlt dir an Gut!' Gharîb entgegnete: ,Mein Oheim, verlange von mir, was du willst! Ich will die Emire der Araber in ihren Lagern überfallen, ja auch die Könige in ihren Städten, und ich will dir so viel Herden bringen, daß die ganze Welt von Osten bis Westen davon erfüllt wird.' Da fuhr Mirdâs fort: ,Mein Sohn, ich habe bei allen Götzen geschworen, Mahdîja nur dem zu geben, der meine Blutrache vollstreckt und meine Schande zudeckt.' ,Sag mir, mein Oheim,' fragte Gharîb, ,wem unter den Königen gilt deine Blutrache, auf daß ich zu ihm eile und seinen Thron auf seinem Schädel zerschmettere?' Mirdâs erwiderte: ,Mein Sohn, ich hatte einst einen Sohn, einen Held der Helden, der zog mit hundert Recken aus zu Jagd und Hatz; er ritt von Tal zu Tal und war schon weit ins Bergland vorgedrungen, als er zum Tale der Blumen kam und zum Schlosse des Hâm ibn Schîth ibn Schaddâd ibn Chald. An jener Stätte aber, mein Sohn, haust ein schwarzer Riese, der ist siebenzig Ellen lang und kämpft mit Bäumen. Er reißt die Bäume aus der Erde und schwingt sie dann als Waffen. Als mein Sohn damals in jenes Tal kam, zog dieser Riese wider ihn aus und erschlug ihn samt den hundert Rittern; nur drei Ritter von ihnen konnten sich retten, und die kamen und berichteten uns, was geschehen war. Da sammelte ich die Helden und machte mich auf zum Streite mit ihm. Aber wir vermochten nichts wider ihn, und so traure ich immer noch wegen der unerfüllten Rache für meinen Sohn. Deshalb habe ich auch geschworen, meine Tochter nur



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dem zu vermählen, der Rache für meinen Sohn nimmt.' Als Gharîb diese Worte von Mirdâs hörte, rief er: ,Oheim, ich will wider diesen Riesen zu Felde ziehen und Rache für deinen Sohn nehmen, mit der Hilfe Allahs des Erhabenen!",O Gharîb,' erwiderte Mirdâs, ,wenn du ihn bezwingst, so wirst du von ihm Reichtümer und Schätze erbeuten, die kein Feuer verzehren kann.' Nun sagte Gharîb: ,Beschwöre mir vor Zeugen, daß du mir deine Tochter zum Weibe geben willst, sodaß ich ruhigen Herzens ausziehen kann, mein Glück zu suchen.' Mirdâs beschwor es und rief die Ältesten des Stammes als Zeugen an. Gharîb aber ging fort, voller Freude, daß er sein Ziel erreicht habe, begab sich zu seiner Mutter und erzählte ihr, wie es ihm ergangen war. Doch sie sprach zu ihm: ,Mein Sohn, wisse, Mirdâs haßt dich, und er sendet dich nur deshalb in jene Berge, damit er mich deiner beraubt. Drum nimm mich mit dir, ich will fortziehen aus dem Lande dieses Tyrannen!' Gharîb entgegnete: ,Liebe Mutter, ich will nicht eher fortziehen, als bis ich mein Ziel erreicht und meinen Feind bezwungen habe!' Dann ruhte er die Nacht über, bis der Morgen sich einstellte und die Welt mit seinem Licht und Glanz erhellte. Und kaum hatte er seinen Renner bestiegen, da kamen auch schon seine Freunde, die jungen Männer, zweihundert trutzige Ritter an der Zahl, bewaffnet vom Kopf bis zu den Füßen, und riefen ihm zu: ,Laß uns mit dir ziehen, wir wollen dir helfen und dich auf deiner Fahrt als Freunde begleiten!' Erfreut antwortete Gharîb ihnen: ,Allah lohne es euch mit Gutem an meiner Statt!' Und er fügte hinzu: ,Wohlan denn, meine Freunde, auf zur Fahrt!' Nun ritten Gharîb und seine Gefährten den ersten und den zweiten Tag dahin; am Abend machten sie am Fuße eines ragenden Berges Halt und fütterten ihre Pferde. Gharîb



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aber ging fort und wanderte auf jenen Berg hinauf, bis er zu einer Höhle kam, aus der ein Licht hervorschien. Er drang hinein bis an das obere Ende der Höhle, und dort fand er einen Greis, der war dreihundertundvierzig Jahre alt, und ihm hingen die Brauen über die Augen, und sein Bart bedeckte seinen Mund. Als Gharîb jenen Alten erblickte, ward er von Scheu und Ehrfurcht vor einer solchen Gestalt erfüllt. Der Greis aber sprach zu ihm: ,Mich dünkt, du gehörst zu den Ungläubigen, mein Sohn, die da Steine verehren und nicht den König der allgewaltigen Macht, den Erschaffer von Tag und Nacht und von der kreisenden Sphären Pracht.' Wie Gharîb diese Worte aus dem Munde des Alten vernahm, erzitterten seine Glieder, und er fragte: ,O Scheich, wo ist dieser Herr, auf daß ich ihm diene und mich an ihm satt sehe?' ,Mein Sohn,' erwiderte der Greis, ,dies ist der allmächtige Herr, den niemand in der Welt schauen kann. Er sieht, aber er wird nicht gesehen. Er ist von Angesicht der Erhabenste, und er ist allgegenwärtig in seinen Werken. Er ruft alles Seiende ins Leben; er läßt die Zeit das Schicksal weben; er hat Menschen und Geistern das Dasein gegeben. Er hat die Propheten ausgesandt, um die Menschheit auf den rechten Weg zu leiten; und wer ihm gehorcht, den führt er ins Paradies, doch wer sich ihm widersetzt, den wirft er ins Höllenfeuer.' Und weiter fragte Gharîb: ,Mein Oheim, was muß man sagen, so man diesen allgewaltigen Herren anbetet, der da mächtig ist über alle Dinge?' ,Mein Sohn,' gab der Greis ihm zur Antwort, ,wisse, ich bin von einem Stamme, 'Âd genannt, der da rebellisch war im Land und der nicht an Gott glaubte. Da sandte Allah ihnen einen Propheten, des Namens Hûd; den nannten sie einen Lügner, und da wurden sie durch einen todbringenden Wind vernichtet. Ich aber mit einigen meines Stammes war gläubig geworden, und so entrannen



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wir dem Unheil. Ich war auch bei dem Stamme der Thamûd und sah, wie es ihnen und ihrem Propheten Sâlih erging.' Und nach Sâlih entsandte Allah der Erhabene einen Propheten namens Abraham, den Freund, zu Nimrod, dem Sohne Kanaans, und ihm geschah bei jenem, was geschehen ist. Meine Gefährten, die gläubig geworden waren, sind gestorben, und nun diene ich Allah in dieser Höhle, und Er, der Erhabene, versorgt mich, ohne daß ich mich darum mühe.' ,Oheim,' fragte Gharîb weiter, ,was muß ich sagen, auf daß auch ich zum Volke dieses allmächtigen Herrn gehöre?' Der Greis erwiderte: ,Sprich: Es gibt keinen Gott außer Allah; Abraham ist der Freund Allahs.' Da nahm Gharîb mit Herz und Zunge den Islam an; und der Alte sprach zu ihm: ,Möge die Süße des Islams und des wahren Glaubens in deinem Herzen festgegründet sein!' Dann lehrte er ihn noch einiges von den göttlichen Verordnungen und Schriften, und schließlich fragte er ihn: ,Wie heißest du?' Der Jüngling erwiderte: ,Ich heiße Gharîb!' Weiter fragte der Greis: ,Wohin willst du ziehen, Gharîb?' Da erzählte jener ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende, bis er auch von dem Ghûl des Berges sprach, gegen den er ausgezogen war. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 628. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, als er Muslim geworden war und dem Alten seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende erzählt hatte, bis er auch von dem Ghul des Berges sprach, gegen den er ausgezogen war, von



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dem Greise gefragt ward: ,O Gharîb, bist du von Sinnen, daß du allein gegen den Ghul des Berges ziehst?' ,Mein Gebieter,' antwortete der Jüngling, ,ich habe zweihundert Ritter bei mir.' Doch der Alte fuhr fort: ,Und wenn du auch zehntausend Ritter bei dir hättest, du würdest doch nichts wider ihn vermögen; denn sein Name ist ,Ghul Menschenfresser Gottseibeiuns'. Er gehört zu den Kindern Harns, und sein Vater hieß Hindi; der war es, der Indien besiedelte und nach dem das Land benannt wurde, und er hinterließ diesen Sohn, den er Ghul Sa'dân genannt hatte. Der war nun, mein Sohn, ein steifnackiger Tyrann und ein eigenwilliger, teuflischer Mann, der keine andere Speise kannte als Menschenfleisch. Sein Vater hatte vor seinem Tode es ihm verboten, aber er ließ es sich nicht verbieten, sondern ward immer gottloser. Da verstieß ihn sein Vater und jagte ihn aus dem Lande Indien hinaus, nach Kämpfen und schweren Mühen. So kam er in dies Land, verschanzte sich und blieb hier wohnen; und jetzt verlegt er allen, die da kommen und gehen, den Weg und kehrt dann in seine Behausung zurück, die in diesem Tale liegt. Er hat auch fünf Söhne erzeugt, gewaltige, starke Gesellen, von denen ein jeder es mit tausend Helden aufnimmt: und er hat mit seiner Beute an Schätzen und Waren, an Rossen, Kamelen, Rindern und Schafen fast das Tal gesperrt. Ich bin in Sorge um dich seinetwegen, und ich flehe zu Allah dem Erhabenen, daß er dir den Sieg über ihn verleihe durch das Bekenntnis der Einheit Gottes. Wenn du die Ungläubigen angreifst, so rufe: Allah ist der Größte! denn dieser Ruf macht die Ungläubigen zuschanden.' Darauf gab der Alte dem Jüngling eine stählerne Keule, die wog hundert Pfund und war mit zehn Ringen versehen, die wie der Donner klangen, wenn der Träger sie schwang; ferner schenkte er ihm ein Schwert, das war aus einem Donnerkeil



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geschmiedet, drei Ellen lang und drei Spannen breit, und wenn es auf einen Felsen schlug, so spaltete es ihn in zwei Hälften. Und schließlich reichte er ihm einen Panzer, einen Schild und ein heiliges Buch, indem er zu ihm sprach: ,Geh hin zu deinen Leuten und biete ihnen den Islam dar!' Da ging Gharîb fort, froh über den islamischen Glauben, und begab sich zu seinen Mannen; die begrüßten ihn und sprachen: ,Weshalb bist du so lange von uns fortgeblieben?' Und er erzählte ihnen, was ihm begegnet war, von Anfang bis zu Ende, und bot ihnen den Islam dar. Darauf wurden sie allzumal Muslime; und nachdem sie die Nacht dort zugebracht hatten, saß Gharîb in der Frühe auf und begab sich zu dem Alten, um von ihm Abschied zu nehmen; nachdem er das getan hatte, verließ er ihn und machte sich auf den Rückweg zu seinen Mannen. Da kam plötzlich ein Ritter daher, starrend in eiserner Wehr, von dem man nur die Augenwinkel sehen konnte. Der stürzte auf Gharîb ein und rief ihm zu: ,Du Abschaum der Araber, was du trägst, lege ab; sonst werf ich dich in das Verderben hinab!' Doch Gharîb sprengte auf ihn los, und es entbrannte zwischen ihnen ein Kampf, der war so grausig, daß kleinen Kindern graue Haare sprossen und harte Felsen zerflossen. Dann aber hob der Beduine das Visier, und siehe, es war Sahîm el-Lail, der Bruder Gharîbs von Mutters Seite, der Sohn des Emir Mirdâs. Der Grund, weshalb er ausgeritten und dorthin gekommen war, lag darin, daß er, als Gharîb wider den Ghûl des Berges auszog, abwesend war; und als er bei seiner Rückkehr den Bruder nicht sah, ging er zu seiner Mutter und traf sie weinend. Da fragte er sie, warum sie weine, und sie berichtete ihm, wie es dazu gekommen war, daß sein Bruder fortzog; sofort, ohne sich Ruhe zu gönnen, legte er die Kriegsrüstung an, bestieg seinen Renner und ritt davon, bis er seinen



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Bruder einholte, und dann geschah zwischen ihnen, was geschehen war. Wie nun Sahîm sein Antlitz enthüllte, erkannte Gharîb ihn, und er grüßte ihn und sprach: ,Was hat dich zu solcher Tat getrieben?' Jener erwiderte: ,Ich wollte mich mit dir messen im Waffentanze und meine Kraft erproben mit Schwert und Lanze.' Dann ritten sie zusammen weiter, und Gharîb bot seinem Bruder den Islam dar, und der nahm ihn an; so zogen sie immer weiter, bis sie in das Tal kamen.

Als der Ghûl des Berges den Staub sah, den die Reiter aufwirbelten, rief er: ,Meine Söhne, sitzet auf und holt mir die Beute dort!' Da stiegen die fünf zu Rosse und ritten auf sie zu. Wie aber Gharîb die fünf Riesen auf sich und die Seinen losstürmen sah, spornte er seinen Renner an und rief ihnen zu: ,Wer seid ihr? Was ist eure Art? Und was begehrt ihr?' Da ritt Faihûn ibn Sa'dân, der älteste von den Söhnen des Bergghûls, hervor und rief: ,Steigt ab von euren Pferden und fesselt einander! Wir wollen euch zu unserem Vater treiben, auf daß er die einen von euch röste und die anderen koche; denn er hat schon lange kein Menschenfleisch mehr gegessen.' Kaum hatte Gharîb diese Worte gehört, da sprengte er wider Faihûn, indem er die Keule schwang, daß die Ringe wie der rollende Donner erklangen und Falhûn verwirrt wurde. Dann schlug er ihn mit der Keule; doch es war nur ein leichter Schlag, der ihn zwischen den Schultern traf, und so fiel der Riese wie ein hochstämmiger Palmbaum zu Boden. Sahîm aber und einige der Ritter fielen über Falhûn her und fesselten ihn; dann legten sie ihm einen Strick um den Hals und zogen ihn dahin wie eine Kuh. Als die anderen Riesen sahen, daß ihr Bruder gefangen war, wollten sie Gharîb angreifen; aber der nahm sie alle gefangen, nur nicht den fünften, der enteilte flüchtig und kam zu seinem Vater. Der fragte ihn., ,Was ist geschehen? Wo



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sind deine Brüder?' Jener antwortete ihm: ,Ein bartloser jüngling, vierzig Handwurzeln hoch, hat sie gefangen genommen.' Wie der Bergghul diese Worte vernahm, tiefer: ,Möge die Sonne keinen Segen auf euch senden!' Dann stieg er von seiner Burg herab, riß einen großen Baum aus und suchte nach Gharîb und seinen Gefährten; er ging aber zu Fuß, da kein Roß seinen ungeheuren Leib zu tragen vermochte. Sein Sohn folgte ihm, und beide schritten dahin, bis sie auf Gharîb trafen. Da fiel er, ohne ein Wort zu sagen, über die Mannen her, schlug mit dem Baume auf sie los und zerschmetterte fünf von ihnen. Dann stürmte er wider Sahîm und schlug nach ihm mit dem Baume; doch Sahîm wich ihm aus, und der Hieb ging ins Leere. Darüber ergrimmte der Ghul, und indem er den Baum aus der Hand warf, sprang er auf Sahîm und packte ihn, wie ein Falke den Sperling packt. Doch als Gharîb seinen Bruder in den Händen des Ghuls sah, rief er laut: ,Allah ist der Größte! O Ruhm Abrahams, des Gottesfreundes, und Mohammeds - Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 629. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, als er seinen Bruder gefangen in den Händen des Ghuls sah, laut rief: ,Allah ist der Größte! O Ruhm Abrahams. des Gottesfreundes, und Mohammeds -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' Dann trieb er seinen Renner wider den Bergghul und schwang die Keule, so daß die Ringe laut erklangen. Und wiederum rief er: ,Allah ist der Größte!' und traf den Ghul mit der Keule in die Rippen, also daß er ohnmächtig zu Boden sank und Sahîm sich seinen Händen entwinden konnte. Und als der Ghul wieder zu sich kam, war er schon gebunden und gefesselt. Wie



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sein Sohn ihn so in Fesseln erblickte, wandte er sich zur Flucht; aber Gharîb setzte ihm auf seinem Rosse nach und traf ihn mit der Keule zwischen die Schultern. so daß er vom Pferde fiel. Darauf band er dem Riesen die Hände auf dem Rücken zusammen, wie bei seinen Brüdern und seinem Vater. Und sie legten ihnen feste Stricke an und zogen sie wie Lastkamele, die man führen kann. So begaben sie sich weiter, bis sie zur Burg kamen, und die fanden sie voll von Gütern und Schätzen und Kostbarkeiten; auch fanden sie dort zwölfhundert Perser, die gebunden und gefesselt waren. Gharîb setzte sich auf Thron des Bergghuls, der ursprünglich dem Sâsa' ibn Schîth ibn Schaddâd ibn 'Âd gehört hatte. Dann ließ er seinen Bruder Sahîm an seine Rechte treten, während die anderen Gefährten zur Rechten und zur Linken sich aufstellten. Und nun ließ er den Bergghul bringen und sprach zu ihm: ,Wie befindest du dich jetzt, du Verfluchter?' ,Mein Gebieter,' gab er zur Antwort, ,in der übelsten Lage von Elend und Plage. Ich und meine Söhne, wir hegen an Stricken fest, so, wie man Kamele anbinden läßt.' Darauf hub Gharîb an: ,Ich wünsche, daß ihr zu meinem Glauben übertretet, das ist der muslimische Glaube, und daß ein jeder von euch das Bekenntnis zur Einheit des allwissenden Königs spricht, des Schöpfers von Finsternis und Licht, der alle Dinge erschaffen hat, des allvergeltenden Königs, außer dem es keinen Gott gibt, und daß ihr zum Prophetentum Abrahams, den der Herr liebt -über ihm sei Frieden! —euch bekennet hienieden!' Da nahmen der Bergghul und seine Söhne den Islam an, und ihr Bekenntnis war schön; deshalb befahl Gharîb, ihre Bande zu lösen. Weinend nahte Sa'dân der Ghul sich den Füßen Gharîbs und wollte sie küssen, und ebenso taten seine Söhne; der aber verwehrte es ihnen, und so stellten



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sie sich mit den anderen auf, die dort standen. Dann hub Gharîb von neuem an und rief: ,Sa'dân!' Der antwortete: ,Zu Diensten, mein Gebieter!' Und Gharîb fuhr fort: ,Was ist es mit diesen Persern?' ,Mein Gebieter,' erwiderte der Ghûl, ,die sind meine Jagdbeute aus dem Perserlande, doch sie sind nicht die einzigen.' ,Wer ist noch bei ihnen?' fragte Gharîb weiter; und der Ghûl fuhr fort: ,Bei ihnen ist die Tochter des Königs Sabûr, des Herrschers von Persien; die heißt Fachr Tâdsch', und sie hat hundert Mädchen gleich Monden.' Mit Staunen vernahm Gharîb diese Worte, und dann sprach er: ,Wie bist du zu diesen gekommen?' ,O Emir,' gab Sa'dân zur Antwort, ,ich zog einmal mit meinen Söhnen und fünf meiner Sklaven aus, und da wir auf unserem Wege keine Beute fanden, so verteilten wir uns über die Steppen und Wüsten, und da befanden wir uns plötzlich im Perserland, als wir noch nach Raub umherzogen, um nicht mit leeren Händen heimzukehren. Nun erblickten wir eine Staubwolke, und wir sandten einen unserer Sklaven aus, um zu erfahren, was sie bedeute: nachdem er eine Weile fortgeblieben war, kehrte er zurück und sprach: ,Mein Gebieter, das ist die Prinzessin Fachr Tâdsch, die Tochter des Königs Sabûr, des Herrschers der Perser, Türken und Dailamiten, mit einem Geleit von zweitausend Rittern: sie sind auf der Reise.' Ich rief dem Sklaven zu: ,Da hast du frohe Botschaft gemeldet. Eine prächtigere Beute als diese gibt es nicht!' Alsbald fiel ich mit meinen Söhnen über die Perser her, und wir töteten von ihnen dreihundert Ritter und nahmen zwölfhundert gefangen; auch erbeuteten wir die Tochter Sabûrs und all ihre Schätze und Kostbarkeiten und schleppten unsere Beute in diese Burg.' Als Gharîb die Worte Sa'dâns vernommen hatte, fragte er: ,Hast du der Prinzessin Fachr



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Tâdsch Gewalt angetane' ,Nein,' antwortete jener, ,bei deinem Haupte und bei der Wahrheit dieses Glaubens, den ich angenommen habe!' Gharîb sagte darauf: ,Das war wohlgetan, Sa'dân; denn ihr Vater ist der König der Welt, und er wird sicherlich Krieger aussenden hinter ihr her und wird die Länder derer, die sie geraubt haben, verwüsten. Wer das Ende nicht bedenkt, dem wird vom Schicksal keine Gunst geschenkt. Wo aber ist diese Prinzessin, o Sa'dân?' Der Ghûl erwiderte: ,Ich habe für sie und ihre Dienerinnen eine eigene Wohnung bestimmt.' Da befahl Gharîb: ,Zeig sie mir!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Sa'dân, und er führte Gharîb, bis sie zudem Söller der Prinzessin Fachr Tâdsch kamen. Die fanden sie, wie sie traurig und niedergeschlagen um ihr einstiges Ansehen und herrliches Leben weinte. Als Gharîb sie sah, glaubte er, der Mond sei ihm nah; und er verherrlichte Allah. den Allhörenden und Allwissenden. Auch Fachr Tâdsch blickte ihn an und erkannte in ihm einen fürstlichen Ritter; denn die Tapferkeit leuchtete zwischen seinen Augen hervor, und sie bezeugte, daß sie ihn nicht verwarf, sondern erkor. Da erhob die Prinzessin sich vor ihm, küßte ihm die Hände, warf sich ihm zu Füßen und sprach: ,O größter Held unserer Zeit, ich bin unter deinem Schutze; schirme mich vor diesem Ghûl; denn ich fürchte, er wird mir das Mädchentum nehmen und mich dann auffressen. Nimm mich hin, auf daß ich deinen Sklavinnen diene.' Gharîb erwiderte: ,Du bist in Sicherheit und sollst zu deinem Vater und zur Stätte deiner Macht heimkehren.' Da betete sie, der Himmel möge ihm langes Leben und Ruhm in wachsender Fülle geben; Gharîb aber befahl, die Perser zu befreien, und also geschah es. Dann wandte er sich zu Fachr Tâdsch und fragte sie: ,Was führte dich fort von deinem Schlosse in jene Steppen und Wüsten, so daß die Wegelagerer dich rauben



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konnten?' ,Mein Gebieter,' erwiderte sie, ,wisse, mein Vater und das Volk seines Reiches und des Landes der Türken und Dailamiten und alle Magier bringen dem Feuer Verehrung dar und nehmen des allgewaltigen Königs nicht wahr. Wir haben in unserem Lande ein Kloster, das heißt das Feuerkloster; dort versammeln sich bei jedem Feste die Töchter der Magier und der Feueranbeter und bleiben in ihm einen Monat, so lange wie das Fest währt, und dann kehren sie wieder heim. Ich zog nun, wie gewöhnlich, mit meinen Dienerinnen aus, und mein Vater sandte zweitausend Ritter mit mir zu meinem Schutze. Aber dieser Ghul überfiel uns, machte einen Teil von uns nieder, nahm die anderen gefangen und sperrte uns in diese Burg ein. Dies ist, was geschah, o tapferer Degen - Gott schütze dich vor den Wechselfällen der Zeit allerwegen!' Da sagte Gharîb: ,Fürchte dich nicht! Ich will dich zu deinem Schlosse und zu der Stätte deiner Macht heimführen.' Sie flehte Segen auf sein Haupt und küßte ihm Hände und Füße. Dann verließ er sie, nachdem er befohlen hatte, ihr alle Ehren zu erweisen, und verbrachte dort die Nacht bis zum Morgen. Nachdem er sich erhoben hatte, nahm er die religiöse Waschung vor und betete zwei Rak'as' nach der Weise unseres Vaters Abraham, des Gottesfreundes - Frieden sei über ihm! Desgleichen taten auch der Ghul und seine Söhne, und alle Begleiter Gharîbs beteten wie er. Dann wandte Gharîb sich an Sa'dân und sprach zu ihm: ,Sa'dân, willst du mir nicht das Tal der Blumen zeigen?' ,Gern, mein Gebieter!' erwiderte jener; und nun machten sich alle auf, Sa'dân und seine Söhne, Gharîb und seine Mannen, die Prinzessin Fachr Tâdsch und ihre Dienerinnen, und zogen aus. Inzwischen aber hatte Sa'dân seinen Knechten und Mägden befohlen, zu schlachten und das



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Mittagsmahl zu bereiten und unter den Bäumen aufzutragen. Er hatte nämlich hundertundfünfzig Sklavinnen und tausend Sklaven, die seine Kamele und Rinder und sein Kleinvieh hüteten. Als nun Gharîb mit seiner Schar im Tale der Blumen ankam und sich dort umschaute, fand er. daß es wunderschön war: Bäume standen dort einzeln und gepaart; Vögel zwitscherten auf den Zweigen ihre Weisen so zart. Der Sprosser trillerte vielerlei Sang; und die Holztaube erfüllte die Lande, die Schöpfung des Barmherzigen, mit ihrer Stimme Klang.

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 630. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, als er mit seiner Schar und mit dem Riesen und seinen Leuten in das Tal der Blumen kam, dort vielerlei Vögel fand. Die Holztaube füllte die Lande, die Schöpfung des Barmherzigen, mit ihrem Sang; die Nachtigall schluchzte mit ihrer schönen Stimme, die wie eine Menschenstimme klang. Der Amsel Flöten war so süß, daß keine Zunge es beschreiben kann; das Gurren der Turteltaube zündete in der Menschen Herzen das Liebesfeuer an; und der Ringeltaube Lieder gab der Papagei mit reiner Stimme wider. Und die Bäume, die Früchte trugen, standen dort immer in Paaren; da gab es Granatäpfel, die je nach ihrer Art süß oder bitter waren; Mandel aprikosen, Kampferaprikosen und Mandeln aus chorasanischem Land; Pflaumen, um deren Stämme sich das Geäst des Behennußbaumes wand; die Orangen waren Feuerfackeln gleich; der Pomeranzen Zweige neigten sich früchtereich; da gab es Limonen, eine Arznei gegen der Eßlust Versagen; und Zitronen, das Heilmittel wider der Gelbsucht Plagen; Datteln in roter und gelber Pracht, das Werk



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Allahs, der groß ist an Macht. Von einer Stätte, wie diese es war, singt der liebende Dichter gar:

Wenn ihre Vögel singen dort an ihrem See,
Dann bangt am Morgen früh das Herz in Liebesweh.
Sie gleicht dem Paradies mit ihrer Düfte Hauch,
Dein Schatten und der Frucht, dem klaren Wasser auch.

Gharîb fand hohes Gefallen an diesem Tale, und er gebot, das Prunkzelt der Perserprinzessin Fachr Tâdsch dort zwischen den Bäumen aufzuschlagen. Nachdem das Zelt errichtet und mit prächtigen Teppichen ausgelegt war, setzte Gharîb sich nieder, die Speisen wurden gebracht, und alle aßen, bis sie gesättigt waren. Dann rief Gharîb: ,Sa'dân!' Der antwortete: ,Zu Diensten, mein Gebieter!' ,Hast du ein wenig Weint' fragte Gharib; und jener erwiderte: ,Jawohl, ich habe eine Zisterne voll alten Weines.' Da sagte Gharîb: ,Bring uns etwas davon!' Nun schickte der Ghûl zehn seiner Sklaven aus, und die brachten eine große Menge Weines. Und man aß und trank und war fröhlich und guter Dinge. Auch Gharîb war froh gestimmt, er gedachte Mahdîjas und sang diese Verse:

Ich denk der schönen Zeit, da ihr mir nahe waret,
Mein Herze ist erregt von heißem Liebesgram.
Bei Allah, nicht mein Wunsch hat mich von euch getrieben -
Der Zeiten Wechselspiel ist doch so wundersam!
Nun komme Heil und Glück und tausendfacher Gruß
Zu dir, dieweil ich mich in Leid verzehren muß.

Drei Tage lang blieben sie dort, aßen und tranken und erfreuten sich des schönen Anblicks; dann kehrten sie in die Burg zurück. Dort rief Gharîb seinen Bruder Sahîm, und als der gekommen war, sprach er zu ihm: ,Nimm mit dir hundert Ritter und ziehe zu deinem Vater und deiner Mutter und deinem Stamme, den Söhnen Kahtâns, und bringe sie an diese Stätte,



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auf daß sie allezeit hier leben können; ich aber will mit der Prinzessin Fachr Tâdsch zu ihrem Vater ins Land der Perser ziehen. Und du, Sa'dân, bleib mit deinen Söhnen in dieser Burg, bis wir zu dir zurückkehren.' Da fragte Sa'dân: ,Und warum nimmst du mich nicht mit dir ins Land der Perser?' Gharîb antwortete: ,Weil du die Tochter Sabûrs, des Königs der Perser geraubt hast. Wenn sein Auge auf dich fällt, so wird er dein Fleisch essen und dein Blut trinken.' Als der Bergghûl das hörte, lachte er so laut, wie wenn der Donner rollte. Dann sprach er: ,Mein Gebieter, bei deinem Haupte, wenn auch alle Perser und Dailamiten sich wider mich vereinigten, ich würde ihnen doch den Trank der Vernichtung zu trinken geben.' Und Gharîb entgegnete: ,Du bist so, wie du sagst. Aber du sollst dennoch in deiner Burg bleiben, bis ich zu dir zurückkehre.' ,Ich höre und gehorche!' sagte der Ghûl. Dann brach Sahîm auf; und Gharîb selbst begab sich in das Land der Perser mit seinen Mannen vom Stamme Kahtân und mit der Prinzessin Fachr Tâdsch und ihren Begleitern, und sie zogen zur Hauptstadt Sabûrs, des Königs der Perser.

So viel jetzt von ihnen; wenden wir uns nun zu König Sabûr! Der hatte inzwischen auf die Heimkehr seiner Tochter aus dem Kloster des Feuers gewartet; aber sie war nicht gekommen, die Zeit war verstrichen, und da war ein Feuer in seinem Herzen aufgelodert. Nun hatte er vierzig Wesire, von denen der älteste, verständigste und weiseste Didân hieß; zu dem sprach der König: ,Wesir, meine Tochter bleibt lange aus, und ich habe noch keine Nachricht von ihr erhalten, obwohl die bestimmte Zeit verstrichen ist. So schicke du einen Eilboten zum Kloster des Feuers geschwind, auf daß er erkunde, was für Dinge vorgefallen sind.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Minister, ging fort und rief den Obersten der Boten



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und sprach zu ihm: ,Eile sofort zum Feuerkloster!' Der machte sich alsbald auf den Weg, und als er beim Kloster des Feuers ankam, fragte er die Mönche nach der Tochter des Königs. Jene erwiderten ihm: ,Wir haben sie in diesem Jahre nicht gesehen.' Da kehrte er unverzüglich in die Stadt Isbanîr zurück, trat zum Wesir ein und berichtete ihm, was geschehen war. Der Wesir aber eilte zum König Sabûr und brachte ihm die Meldung. Den ergriff ein Todesschrecken, er warf seine Krone zu Boden, raufte sich den Bart und sank ohnmächtig nieder; nachdem man ihn aber mit Wasser besprengt hatte, kam er wieder zu sich. Dann sprach er mit Tränen in den Augen und bekümmerten Herzens das Dichterwort:

Als ich nach deinem Scheiden Geduld und Tränen rief,
Da kamen wohl die Tränen. allein Geduld kam nicht.
Und haben uns die Zeiten auf immerdar getrennt -
Verrat steht ja den Zeiten in ihrem Angesicht.

Dann berief der König zehn Hauptleute und befahl ihnen, mit zehntausend Reitern aufzusitzen und in verschiedenen Richtungen auszureiten, um nach der Prinzessin Fachr Tâdsch zu suchen. Alsbald saßen sie auf, und jeder Hauptmann begab sich mit seiner Schar in eine andere Gegend. Die Mutter der Prinzessin Fachr Tâdsch aber und ihre Dienerinnen kleideten sich schwarz, streuten Asche auf ihr Haupt und setzten sich nieder, zu weinen und zu klagen. So erging es ihnen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 631. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König Sabûr seine Krieger aussandte, um nach seiner Tochter zu suchen, und daß ihre Mutter und ihre Dienerinnen sich schwarz kleideten. Sehen wir nun, wie es Gharîb erging und mit welch



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wunderbaren Abenteuern seine Reise ihn umfing! Er war zehn Tage lang auf dem Wege; am elften Tage aber erschien vor ihm eine Staubwolke, die erhob sich bis zu den Wolken des Himmels. Da rief er den Emir, der über die Perser gebot, und sprach zu ihm: ,Erkunde uns, was diese Wolke bedeutet, die dort erschienen ist!' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Emir und spornte seinen Renner an, bis er inmitten der Staubwolke war, und dort sah er eine Männerschar und fragte sie um Auskunft. Einer von ihnen antwortete ihm: ,Wir sind vom Stamme Hattâl, und unser Emir ist es-Samsâm ibn el-Dscharrâh. Wir suchen nach etwas, das wir rauben können, und unsere Schar besteht aus fünftausend Reitern.' Da ritt der Perser eilends auf seinem Renner zurück, bis er zu Gharîb kam und ihm die Kunde brachte. Der rief seinen Leuten vom Stamme Kahtân und den Persern zu: ,Legt eure Waffen an!' Sie taten es und zogen in den Kampf. Da kamen ihnen auch schon die Araber entgegen und schrien: ,Beute! Beute!' Doch Gharîb rief ihnen zu: ,Allah mache euch zuschanden, ihr Hunde von Arabern!' Und er ließ seinem Rosse die Zügel und sprengte wider sie wie ein fürstlicher Held, indem er rief: ,Allah ist der Größte! Für den Glauben Abrahams, des Gottesfreundes - Friede sei über ihm!' Und siehe da, es entbrannte die Schlacht, sie stritten mit Macht, das Schwert kreiste, und hüben und drüben ward lautes Geschrei entfacht. Unaufhörlich stritten sie, bis der Tag sich neigte und die Dunkelheit kam; da trennten sie sich voneinander. Und Gharîb musterte das Kriegsvolk und fand, daß von den Söhnen Kahtâns fünf und von den Persern dreiundsiebenzig gefallen waren, aus dem Volke von es-Samsâm jedoch mehr als fünfhundert Ritter. Nun war auch es-Samsâm abgesessen, aber ihn verlangte weder nach Schlummer noch nach Essen. Sondern er sprach zu seinen Mannen:



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,In meinem ganzen Leben habe ich noch niemanden so streiten sehen wie diesen Knaben; bald kämpft er mit dem Schwerte und bald mit der Keule. Aber morgen will ich ihm auf dem Plan entgegenreiten, will ihn fordern zur Stätte, da Schwert und Lanze streiten, und will diesen Arabern den Untergang bereiten.' Doch als Gharîb zu seinem Volke heimkehrte, kam die Prinzessin Fachr Tâdsch ihm entgegen, weinend und erschrocken über das Grausige, was geschehen war; und sie küßte ihm den Fuß im Steigbügel und sprach zu ihm: ,Nie mögen verdorren die Hände dein, nie sollen deine Feinde schadenfroh sein, o größter Held unserer Zeit! Preis sei Allah, Ihm, der dich heute am Leben erhalten hat! Doch wisse, ich fürchte für dich Gefahr von jenen Arabern.' Als Gharîb diese Worte von ihr vernommen hatte, lächelte er ihr ins Angesicht, stärkte ihr das Herz und beruhigte sie, indem er sprach: ,Fürchte dich nicht, Prinzessin; wäre diese Wüste auch voll von der Feinde Gewimmel, ich würde sie doch vernichten durch die Kraft des Allerhöchsten im Himmel!' Sie dankte ihm und betete für ihn um Sieg über die Feinde. Dann ging sie wieder zu ihren Frauen; Gharîb aber stieg ab und wusch sich die Hände von dem Blute der Ungläubigen, und sie lagen die Nacht hindurch auf Wache bis zum Morgen. Nun begannen die Heere von beiden Seiten auf den Plan zu reiten, zu der Stätte, wo Schwert und Lanze streiten. Als Erster sprengte Gharîb ins Gefild; er spornte seinen Renner an, bis er nahe bei den Ungläubigen war, und rief: ,Gibt es einen, der sich mit mir im Felde mißt, der kein Zauderer und kein Schwächung ist?' Da ritt gegen ihn zum Gefecht ein gewaltiger Riese aus 'Âds Geschlecht; er stürmte auf Gharîb los mit den Worten: ,Du Abschaum der Araber, nimm, was sich für dich frommt. und vernimm die frohe Botschaft, daß jetzt deine letzte Stunde kommt!' Er trug



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aber eine eiserne Keule, die zwanzig Pfund wog; die hob er und schwang er gegen Gharîb, doch der wich ihm aus, und die Keule flog eine Elle tief in den Erdboden hinab. Nun hatte der Riese sich beim Hieb nach vorn gebeugt, und im selben Augenblick traf Gharîb ihn mit seiner eisernen Keule und zerschmetterte ihm die Stirn, so daß er tot niederfiel; und Allah sandte seine Seele sofort ins höllische Feuer hinab. Dann tummelte Gharîb sich wild auf dem Blachgefild und rief nach Gegnern; ein zweiter trat vor, den schlug er nieder, und ein dritter und noch mehr bis zum zehnten, aber alle streckte er nieder. Als die Ungläubigen sahen, wie Gharîb stritt und wie seine Schläge sausten, wichen sie ihm aus und zogen sich zurück vor ihm, also daß ihr Emir sie ansah und ihnen zurief: ,Allah segne euch nicht; ich will gegen ihn auf den Plan treten!' Und er legte seine Schlacht rüstung an, spornte seinen Renner, bis er mitten auf dem Schlachtfelde vor Gharîb hielt und ihm zurief: ,Wehe dir, du Araberhund! Bist du so vermessen geworden, daß du mir im offenen Felde trotzest und meine Mannen erschlägst?' Gharîb antwortete ihm: ,Auf zum Kampf! Nun räche du das Blut der erschlagenen Helden!' Da stürmte es-Samsâm wider Gharîb ins Feld, und der empfing ihn wie ein Held, mit schwellender Brust und einem Herzen voll wundersamer Kampfeslust; sie tauschten mit den Keulen Schlag um Schlag, bis auf beiden Heeren staunender Schrecken lag. Und aller Augen blickten auf sie mit Grausen, wie sie sich dort auf dem Plane tummelten und wiederum zwei Schläge von beiden Seiten begannen auf sie niederzusausen. Gharîb vermied seines Gegners Hieb, den Kampfeslust und Angriffswut trieb. Aber es-Samsâm ward von dem Schlage Gharîbs getroffen. und der zerschmetterte ihm die Brust und warf ihn tot zu Boden. Nun sprengte sein ganzes Heer auf einmal wider Gharib



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heran; doch er stürmte ihnen zum Angriff entgegen und schrie: ,Allah ist der Größte! Sieg und Heil! Schmach werde denen zuteil, die da den Glauben verleugnen an Abraham, dem Gottesfreund - Friede sei über ihm!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 632. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, als alle Mannen es-Samsâms auf einmal wider ihn heransprengten, ihnen zum Angriff entgegenstürmte und schrie: ,Allah ist der Größte! Sieg und Heil! Schmach werde den Ungläubigen zuteil!' Als die Heiden hörten, daß er Ihn nannte, den König, den Allbezwinger, den Einen, den Alldurchdringer, den kein Blick erreicht, der selbst aber alle Blicke erreicht, da schauten sie einander an und sprachen: ,Was für eine Rede ist diese, die unsere Glieder erzittern macht und unseren Mut sinken läßt und unser Leben abschneidet? Unser ganzes Leben lang haben wir noch nichts Herrlicheres vernommen als diese Rede!' Und sie riefen einander zu: ,Laßt ab vom Kampfe, wir wollen den Sinn dieser Worte erkunden!' Dann hörten sie auf zu streiten und saßen ab; ihre Ältesten aber versammelten sich und berieten, und danach beschlossen sie, zu Gharîb zu gehen, indem sie sprachen: ,Zehn von uns sollen sich zu ihm begeben!' So wählten sie denn zehn von ihren Besten aus, und die machten sich auf den Weg zu den Zelten Gharîbs. Der war inzwischen mit seinen Mannen bei ihren Zelten abgesessen, verwundert darüber, daß die Feinde vom Kampfe abgelassen hatten. Und während sie noch so dastanden, kamen plötzlich die zehn Männer heran und begehrten, vor Gharîb erscheinen zu dürfen; dann küßten sie den Boden vor ihm und wünschten ihm Ruhm und langes Leben. Er fragte sie: ,Warum habt ihr den Kampf abgebrochen?'



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Und sie erwiderten: ,O unser Gebieter, du hast uns durch die 'Worte erschreckt, die du uns zuriefest.' Weiter fragte er sie: ,'Was für Unheilswesen betet ihr denn an? 'Darauf antworteten sie: ,Wir verehren Wadd, Suwâ' und Jaghûth', die Herren des Volkes Noahs.' Doch Gharîb hub nun an: ,Wir verehren nur Allah den Erhabenen, er ist es, der alle Dinge erschafft, er gibt allem Lebendigen Kraft; er hat Himmel und Erde geschaffen und die Berge fest gegründet; er ließ das Wasser aus den Steinen fließen und die Bäume sprießen; er ist es, der den wilden Tieren in den Steppen ihre Nahrung bringt, er ist Allah der Eine, der alles bezwingt.' Als die Männer diese Worte aus dem Munde Gharîbs vernahmen, weitete sich ihnen die Brust durch das Bekenntnis des Einheitsglaubens, und sie sprachen: ,Wahrlich, dieser Gott ist ein Herr der Herrlichkeit, erbarmend und voll Barmherzigkeit!' Dann fragten sie: ,Was müssen wir sagen, auf daß wir Muslime werden?' Und er antwortete: , Sprecht: Es gibt keinen Gott außer Allah, und Abraham ist der Freund Allahs!' Da legten die zehn Ältesten das rechte Bekenntnis zum Islam ab, und Gharîb sprach: ,Wenn die Süße des Islams in euren Herzen fest gegründet ist, so geht zu euren Volksgenossen und bietet ihnen den rechten Glauben dar; wenn sie den Glauben des Heils annehmen, so werden sie heil ausgehen; wenn sie sich aber weigern, so wollen wir sie mit Feuer verbrennen.' Darauf kehrten die zehn Ältesten zu ihren Volksgenossen zurück und boten ihnen den Islam dar und machten ihnen den Weg der Wahrheit und des Glaubens klar. Alle bekannten nunmehr den rechten Glauben mit Herz und Zunge, und sie eilten zu Fuß dahin, bis sie bei den Zelten Gharîbs ankamen; dort küßten sieden Boden vor ihm, wünschten ihm Ehre und hohen Rang und sprachen: ,O unser Gebieter,



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wir sind deine Knechte geworden. Befiehl uns, was du willst; wir wollen auf dich hören und dir gehorchen und wollen dich nie mehr verlassen, denn Allah hat uns durch deine Hand auf den rechten Weg geleitet.' Da wünschte er ihnen Gottes reichen Lohn und sprach zu ihnen: ,Ziehet hin an eure Stätten und brechet dann mit euren Gütern und Kindern auf, mir zuvor, nach dem Tale der Blumen und zum Schlosse des Sisa ibn Schîth; ich will inzwischen Fachr Tâdsch, die Tochter des Königs Sabûr, des Herrschers von Persien, geleiten und dann zu euch zurückkehren.' ,Wir hören und gehorchen!' sprachen sie, machten sich alsbald auf den Weg und begaben sich zu ihrem Stamme, froh über den Islam; dort verkündeten sie ihren Frauen und Kindern den rechten Glauben, und alle nahmen ihn an. Dar auf nahmen sie ihre Habe und ihr Vieh und zogen zum Tale der Blumen. Der Bergghûl und seine Söhne aber kamen ihnen entgegen. Nun hatte Gharîb sie vorher ermahnt und ihnen gesagt: ,Wenn der Bergghûl wider euch auszieht und euch angreifen will, so rufet den Namen Allahs des Allschöpfers an; denn wenn er den Namen Allahs des Erhabenen hört, so wird er vom Kampfeabstehen und euch freundlich willkommen heißen.' Wie also der Bergghûl mit seinen Söhnen auszog und sie angreifen wollte, riefen sie laut den Namen Allahs des Erhabenen an; da empfing er sie aufs freundlichste und fragte sie, wie es mit ihnen stände; und sie erzählten ihm, was sie mit Gharîb erlebt hatten. Da freute Sa'dân sich über sie, nahm sie als Gäste auf und überhäufte sie mit Wohltaten. So erging es ihnen.

Gharîb aber war inzwischen mit der Prinzessin Fachr Tâdsch aufgebrochen und zog nach der Stadt Isbanîr. Fünf Tage lang war er unterwegs, da, am sechsten Tage, gewahrte er eine Staubwolke. Sofort schickte er einen Mann von den Persern



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aus, um zu erkunden, was das bedeute. Der eilte hin und kehrte zurück, schneller als ein Vogel, wenn er fliegt; und er rief: ,Mein Gebieter, dieser Staub kommt von tausend Rittern. unseren Freunden, die der König ausgesandt hat, um nach der Prinzessin Fachr Tâdsch zu suchen.' Wie Gharîb das hörte, befahl er seinen Gefährten, abzusitzen und die Zelte aufzuschlagen. Da machten sie Halt und schlugen das Lager auf, und wie die Ankömmlinge bei ihnen eintrafen, gingen die Leute der Prinzessin ihnen entgegen und meldeten ihrem Hauptmanne Tumân, daß die Prinzessin Fachr Tâdsch bei ihnen sei. Wie Tumân sie von König Gharîb sprechen hörte, trat er zu ihm ein, küßte den Boden vor ihm und fragte ihn, wie es der Prinzessin Fachr Tâdsch ergehe. Gharîb sandte ihn zu ihrem Zelte; und er trat ein, küßte ihre Hände und Füße und berichtete ihr, wie es ihrem Vater und ihrer Mutter ergangen war. Und sie erzählte ihm alles, was sie erlebt hatte, und wie Gharîb sie von dem Ghûl des Berges befreit hatte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 633. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessin Fachr Tâdsch dem Hauptmanne Tumân alles erzählte, was ihr von dem Ghûl des Berges widerfahren war, wie er sie gefangen gehalten und Gharîb sie befreit hatte, und daß der Ghûl sie sonst sicher noch aufgefressen hätte; und sie fügte hinzu: ,Es geziemt sich, daß mein Vater ihm die Hälfte seines Reiches gibt.' Darauf erhob er sich, küßte Gharîbs Hände und Füße, dankte ihm für seine gute Tat und sprach zu ihm: ,Mit deiner Erlaubnis. mein Gebieter, will ich zur Stadt Isbanîr zurückkehren und dem König die frohe Botschaft bringen.' ,Geh', erwiderte Gharîb, ,und hole dir von ihm den Lohn für die frohe



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Botschaft!' Nun eilte Tumân vorauf, und Gharîb zog hinter ihm her. Jener ritt dahin, so rasch er nur konnte, bis er in der Stadt Isbanîr ankam. Dort begab er sich ins Schloß und küßte den Boden vor König Sabûr. Der fragte ihn: ,Was gibt es Neues, du Bringer froher Botschaft?' Tumân antwortete: ,Ich will nicht eher zu dir reden, als bis du mir den Lohn für meine Botschaft gibst!' Aber der König entgegnete ihm: ,Sag mir deine Botschaft, ich will dich zufriedenstellen!' ,O größter König unserer Zeit,' rief Tumân darauf, ,freue dich, die Prinzessin Fachr Tâdsch kommt!' Als Sabûr den Namen seiner Tochter nennen hörte, sank er ohnmächtig zu Boden; doch als man ihn mit Rosenwasser besprengt hatte, kam er wieder zu sich. Dann rief er Tumân herbei, indem er sprach: ,Tritt dicht zu mir her und melde mir deine Botschaft!' Jener trat heran und berichtete ihm, was der Prinzessin Fachr Tâdsch widerfahren war. Als der König all das erfahren hatte, schlug er seine Hände zusammen und rief: ,Ach, du arme Fachr Tâdsch!' Dann ließ er Tumân zehntausend Dinare geben und beschenkte ihn mit der Stadt Jspahan und ihren Gebieten. Und nun rief er seine Emire herbei und sprach zu ihnen: ,Sitzet alle auf, wir wollen der Prinzessin Fachr Tâdsch entgegenziehen!' Der Großeunuch aber ging hinein zur Mutter der Prinzessin und brachte ihr und allen Frauen des Harems die frohe Botschaft; darüber herrschte große Freude, und die Königin verlieh dem Eunuchen ein Ehrengewand und gab ihm tausend Dinare. Auch das Volk der Stadt hörte davon. und alle schmückten die Marktstraßen und die Häuser. Der König und Tumân saßen auf und ritten dahin, bis sie Gharîb erblickten; da stieg der König Sabûr vom Rosse und ging zu Fuß, um Gharîb zu begrüßen, und Gharîb tat desgleichen und ging auf den König zu. Sie umarmten und begrüßten einander, und Sabûr beugte



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sich über Gharîbs Hände und küßte sie und dankte ihm für seine gute Tat. Dann ließen sie die Zelte einander gegenüber aufschlagen. Und alsbald trat Sabûr zu seiner Tochter ein; sie erhob sich vor ihm, schlang sich um seinen Hals und erzählte ihm, was ihr widerfahren war, und wie Gharîb sie aus der Gewalt des Bergghuls befreit hatte. Da rief ihr Vater: ,Bei deinem Leben, o Herrin der Schönen, ich will ihm geben, ja, mit Gaben überhäufen!' Doch sie erwiderte ihm: ,Nimm ihn zum Eidam, mein Väterchen. auf daß er dir eine Hilfe werde wider deine Feinde; denn er ist ein Held.' Diese Worte sprach sie zu ihm, weil ihr Herz Gharîb lieb gewonnen hatte. Ihr Vater jedoch hub an: ,Liebe Tochter, weißt du nicht, daß König Chirad Schah den Brokat geworfen' und hunderttausend Dinare gegeben hat? Er ist der König von Schiras und seiner Provinzen; er besitzt ein Reich und Reisige und Krieger!' Als Fachr Tâdsch diese Worte ihres Vaters vernahm, sprach sie: ,Väterchen, mich verlangt nicht nach dem, davon du redest; und wenn du mich zu dem zwingest, was ich nicht will, so nehme ich mir das Leben!' Da ging der König fort und begab sich zu Gharîb; der erhob sich vor ihm, und Sabûr setzte sich, und er konnte sich an dem Jüngling nicht satt sehen; dabei sprach er in seiner Seele: ,Bei Allah, meine Tochter ist entschuldbar, wenn sie diesen Beduinen liebt!' Dann wurden die Speisen gebracht, und sie aßen und verbrachten die Nacht beisammen. Am nächsten Morgen aber ritten sie dahin, bis sie zur Hauptstadt kamen; und dort zogen sie ein, der König und Gharîb, Steigbügel an Steigbügel, und es war für sie ein großer Tag. Fachr Tâdsch begab sich in ihr Schloß, zu der Stätte ihrer Würde, und dort kamen ihre Mutter und ihre Dienerinnen ihr



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entgegen und ließen die Freudenrufe erschallen. König Sabûr aber setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft und ließ Gharîb zu seiner Rechten sitzen. Und die Könige und Kammerherren, die Emire und Statthalter und Wesire stellten sich zur Rechten und zur Linken auf, und sie wünschten dem König Glück zur Heimkehr seiner Tochter. Da sagte der König zu den Großen seines Reiches: ,Wer mich lieb hat, der verleihe Gharîb ein Ehrengewand!' Und da fielen Gewänder auf ihn wie Regentropfen. Zehn Tage blieb er als Gast des Königs; dann wollte er aufbrechen, aber der König verlieh ihm ein Gewand und schwor bei seinem Glauben, er solle erst nach einem vollen Monate scheiden. Nun sagte Gharîb: ,O König, ich bin einer Maid unter den Töchtern der Araber verlobt, und ich möchte zu ihr eingehen.' Da fragte der König: ,Welche von beiden ist die Schönere, deine Verlobte oder Fachr Tâdsch?' ,O größter König unserer Zeit,' erwiderte Gharîb, ,was ist der Knecht neben dem Herrn?' Aber Sabûr fuhr fort: ,Fachr Tâdsch ist deine Magd, denn du hast sie aus den Klauen des Ghûls befreit, und sie soll niemanden zum Gatten haben als dich.' Jetzt küßte Gharîb den Boden und sprach: ,O größter König unserer Zeit, du bist ein Herrscher, und ich bin ein armer Mann; vielleicht verlangst du eine schwere Morgengabe.' ,Mein Sohn,' erwiderte König Sabûr, ,wisse, der König Chirad Schâh, der Herrscher von Schiras und seinen Provinzen, hat um sie gefreit und hat ihr hunderttausend Dinare als Morgengabe bestimmt; ich aber habe dich, vor allen anderen Menschen erwählt. Ich will dich zum Schwerte meines Reiches machen und zum Schilde meiner Rache.' Dann wandte er sich an die Großen seines Volkes und sprach zu ihnen: ,Legt Zeugnis über mich ab, ihr Männer meines Reiches, daß ich meine Tochter Fachr Tâdsch meinem Sohne Gharîb vermähle.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 634. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sabûr, der König von Persien, zu seinen Großen sprach: ,Legt Zeugnis über mich ab, daß ich meine Tochter Fachr Tâdsch meinem Sohne Gharîb vermähle.' Darauf gab er ihm die Hand, und so ward sie seine Gemahlin. Gharîb aber sagte: ,Lege mir eine Morgengabe auf, und ich will sie dir bringen; denn ich habe in der Burg des Sâsa zahlreiche Schätze.' ,Mein Sohn,' erwiderte Sabûr, ,ich verlange von dir weder Gut noch Schätze, noch auch will ich eine andere Morgengabe für sie haben als das Haupt el-Dschamrakâns, des Königs von ed-Dascht' und von der Stadt el-Ahwâz'.' Gharîb sagte darauf: ,O größter König unserer Zeit, ich will hingehen und meine Leute holen und mit ihnen wider den Feind ausziehen und sein Land verwüsten.' Da wünschte der König ihm Gottes reichen Lohn und entließ das Volk und die Großen: dabei dachte er, daß Gharîb, wenn er gegen el-Dschamrakân, den König von ed-Dascht, auszöge, niemals wiederkehren würde. Als es dann wieder Morgen ward, saß der König zugleich mit Gharîb auf, und er befahl den Kriegern, ihre Rosse zu besteigen; die taten es, und alle ritten hinaus auf den Plan. Dort sprach der König zu ihnen: ,Haltet ein Lanzen turnier ab und erfreuet mein Herz!' Da fochten die Helden von Persien miteinander; und Gharîb sprach: ,O größter König unserer Zeit, ich möchte mit den Rittern von Persien fechten, doch nur unter einer Bedingung.' ,Welches ist deine Bedingung fragte der König; und Gharîb erwiderte ihm: ,Ich will ein dünnes Gewand anlegen und eine Lanze ohne Spitze nehmen; daran will ich ein Fähnchen binden, das in Safran



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getaucht ist, und dann soll jeder tapfere Held mit scharfer Lanze wider mich auf den Plan treten. Wenn einer mich besiegt, so will ich mich ihm ergeben; doch wen ich besiege, den will ich auf der Brust zeichnen, und dann soll er das Feld verlassen.' Da rief der König dem Befehlshaber der Truppen zu, er solle die Helden der Perser vortreten lassen. Der wählte und sonderte zwölfhundert tapfere Degen von den Fürsten der Perser aus; und ihnen rief der König in persischer Sprache zu: Wer diesen Beduinen zu Tode bringt, dem will ich jeden Wunsch erfüllen!' Da stürmten sie um die Wette gegen Gharîb und griffen ihn an, und nun schied sich die Wahrheit von der Lüge, der Ernst vom Scherz. Gharîb rief: ,Ich vertraue auf Allah, den Gott Abrahams, des Freundes, den Gott, der über alle Dinge mächtig ist und dem nichts verborgen bleibt, den Allbezwinger, dem keiner gleicht und den kein Blick erreicht!' Nun trat ein Riese unter den persischen Helden auf den Plan; aber Gharîb ließ ihn nicht lange vor sich stehen, sondern zeichnete ihn, so daß seine Brust voll von Safran war. Und als er sich wandte. stieß Gharîb ihn mit der Lanze in den Nacken. so daß er zu Boden fiel und seine Diener ihn aus den Schranken tragen mußten. Dann ritt ein zweiter wider ihn heran: auch den zeichnete er, und ebenso erging es einem dritten und vierten und fünften. Held auf Held sprengte gegen ihn vor, bis er sie alle gezeichnet hatte; denn Allah der Erhabene gab ihm den Sieg über sie, und nun verließen alle das Feld. Darauf ward ihnen Speise gebracht, und sie aßen; auch Wein ward aufgetragen, und sie tranken. Und als Gharîb getrunken hatte, ward sein Verstand betäubt. Er stand auf, um einem Rufe der Natur zu folgen, und als er zurückkehren wollte, verlor er den Weg und kam in den Palast der Prinzessin Fachr Tâdsch. Kaum hatte sie ihn erblickt, so entfloh ihr der Verstand, und sie rief ihren



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Frauen zu: ,Geht fort in eure Kammern!' Da gingen sie auseinander und begaben sich in ihre Gemächer. Die Prinzessin aber erhob sich, küßte Gharîbs Hand und sprach: ,Willkommen, mein Gebieter, der du mich von dem Ghul befreit hast! Ich bin deine Magd für alle Zeit!' Und sie zog ihn auf ihr Lager und umarmte ihn; da erwachte heißes Begehren in ihm, und er nahm ihr das Mädchentum und blieb bei ihr bis zum Morgen. Während nun dies geschah, glaubte der König, Gharîb sei fortgeritten. Doch am nächsten Tage früh trat er zum König ein, und der erhob sich vor ihm und ließ ihn an seiner Seite sitzen. Darauf kamen die Fürsten. küßten den Boden und stellten sich zur Rechten und zur Linken auf, und sie begannen von Gharîbs Tapferkeit zu sprechen und sagten: ,Gepriesen sei Er, der ihm solches Heldentum verliehen hat, wiewohl er noch so jung an Jahren ist.' Und während sie also miteinander redeten, erblickten sie durch das Fenster des Palastes eine Staubwolke von nahenden Rossen. Da rief der König den Läufern zu: ,He, ihr da, bringt mir Kunde über jene Staubwolke!' Einer von ihnen machte sich zu Pferde auf, und als er die Wolke ausgekundschaftet hatte, kehrte er zurück und sprach: ,O König, wir haben unter der Staubwolke hundert Ritter entdeckt, deren Emir Sahîm el-Lail heißt.' Kaum hatte Gharîb diese Worte vernommen, da rief er: ,Mein Gebieter, das ist mein Bruder! Ich hatte ihm einen Auftrag gegeben, jetzt will ich ihm entgegenreiten.' Und alsbald saß er auf mit seinen Mannen, den hundert Rittern vom Stamme Kahtân, und mit tausend Persern, und ritt in großem Prunkzuge dahin -doch wahre Größe ist nur bei Gott allein! Als Gharîb mit seinem Bruder zusammentraf, saßen beide ab und umarmten einander; dann bestiegen sie wieder die Rosse. Und nun fragte Gharîb: ,Lieber Bruder, hast du unser Volk zur Burg des Sâsa und in das Talder



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Blumen geführt?' ,Lieber Bruder,' erwiderte er, ,als der treulose Hund vernahm, daß du die Burg des Bergghûls eingenommen hast, packte ihn die Angst noch mehr, und er sagte: ,Wenn ich diese Stätte nicht verlasse, so kommt Gharîb und nimmt meine Tochter Mahdîja ohne Morgengabe.' Deshalb nahm er seine Tochter, seinen Stamm, die Seinen und sein Gut und zog in das Land Irak; dort begab er sich in die Stadt Kufa und stellte sich unter den Schutz des Königs 'Adschîb; der freit nun um seine Tochter Mahdîja.' Wie Gharîb das von seinem Bruder Sahîm el-Lail hören mußte, hätte er vor Wut beinahe den Geist aufgegeben, und er rief: ,Bei der Wahrheit des Islams, des Glaubens Abrahams, des Gottesfreundes, und bei dem höchsten Herrn, ich will mich wahrhaftig auf den Weg nach dem Lande Irak machen und dort überall Krieg entfachen!' Dann ritten sie in die Hauptstadt ein, und Gahrîb begab sich mit seinem Bruder Sahîm in das Schloß des Königs, und sie küßten den Boden vor ihm. Der König erhob sich vor Gharîb und begrüßte Sahîm. Darauf berichtete Gharîb dort, was geschehen war; und der König stellte unter seinen Befehl zehn Hauptleute, deren jeder zehntausend tapfere Ritter von den Arabern und Persern unter sich hatte. Die machten sich in drei Tagen bereit für den Feldzug. Dann brach Gharîb auf und zog dahin, bis er zu der Burg des Sâsa kam; dort kamen ihm der Bergghûl Sa'dân und seine Söhne entgegen, und sie saßen ab und küßten Gharîb die Füße in den Steigbügeln; der aber berichtete dem Ghûl alles, was geschehen war. Da sprach Sa'dân: ,Mein Gebieter, bleib du in deiner Burg und laß mich mit meinen Söhnen und meinen Scharen zum Irak ziehen; ich will die Hauptstadt des Landes niederringen und all ihre Scharen in festen Banden gebunden vor dich bringen.' Gharîb dankte ihm und sprach: ,Sa'dân, wir wollen alle zusammen ausziehen!'



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Dem Befehl gemäß machte jener sich bereit, und die Mannen brachen auf, indem sie tausend Ritter als Wächter in der Burg zurückließen, und zogen zum Irak.

Wenden wir uns nun von Gharîb wieder zu Mirdâs! Der war ja mit seinem Volke ausgezogen, bis er im Lande Irak ankam; er hatte auch ein schönes Geschenk mitgenommen, das brachte er nach Kufa und legte es vor 'Adschîb nieder. Dann küßte erden Boden, und nachdem er ihm die Wünsche, die man vor Königen spricht, dargebracht hatte, hub er an: ,Mein Gebieter, ich komme, um mich unter deinen Schutz zustellen.'——« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 635. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Mirdâs, als er vor 'Adschîb stand, zu ihm sprach: ,Ich komme, um mich unter deinen Schutz zu stellen.' Jener erwiderte ihm: ,Sage mir, wer dir Gewalt angetan hat; ich will dich vor ihm schützen, und wäre es auch Sabûr, der König der Perser, Türken und Dailamiten!' ,O größter König unserer Zeit,' fuhr Mirdâs fort, ,kein anderer hat mir unrecht getan als ein Knabe, den ich an meinem Busen aufgezogen habe. Ich fand ihn in einem Tale auf dem Schoße seiner Mutter; da nahm ich sie zum Weibe, und sie gebar auch mir einen Sohn, den nannte ich Sahîm el-Lail. Ihr eigener Sohn aber heißt Gharîb; der wuchs in meinem Schutze auf und ward zu einem flammenden Donnerkeil und zu einem gewaltigen Unheil. Er tötete el-Hamal', den Häuptling des Stammes Nabhân, vernichtete die Mannen und trieb die Ritter von dannen. Nun habe ich eine Tochter, die keinem anderen gebührt als dir. Aber er verlangte sie von mir, und da forderte ich von ihm das Haupt des Bergghûls. Er zog wider ihn aus,



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maß sich mit ihm im Zweikampfe und fesselte ihn; so ward der Ghul einer von seinen Mannen. Ich habe auch gehört, daß er Muslim geworden ist und die Menschen zu seinem Glauben ruft. Er hat die Tochter Sabûrs von dem Ghul befreit und die Burg des Sâsa ibn Schîth ibn Schaddâd ibn 'Âd eingenommen, darinnen sich die Reichtümer der Alten und der Neuen befinden, alle Schätze der Vorfahren. Nun ist er auf dem Wege, die Tochter Sabûrs heimzugeleiten, und er wird sicherlich mit den Schätzen der Perser heimkehren.' Als 'Adschîb diese Worte von Mirdâs vernahm, erblich er, und sein ganzes Aussehen veränderte sich; denn er hatte sein eigenes Verderben sicher vor den Augen. Und er fragte: ,Mirdâs, lebt die Mutter dieses Knaben bei dir oder bei ihm?' ,Bei mir in meinem Zeltlager', erwiderte jener; und als 'Adschîb fragte: ,Wie heißt sie?' fuhr er fort: ,Ihr Name ist Nusra.' Da rief 'Adschîb: ,Sie ist es', und ließ sie holen. Als er sie anblickte, erkannte er sie und fuhr sie an: ,Du Verruchte, wo sind die beiden Sklaven. die ich mit dir geschickt habe?' Sie gab zur Antwort: ,Die haben sich gegenseitig um meinetwillen erschlagen.' Da zückte 'Adschîb sein Schwert, hieb auf sie und spaltete sie in zwei Hälften. Man schleppte sie fort und warf sie hinaus; aber in 'Adschîbs Herz kehrten böse Ahnungen ein, und er sprach: ,Mirdâs, vermähle mich mit deiner Tochter!' Der antwortete: ,Sie ist eine deiner Mägde, ich gebe sie dir zum Weibe, und ich bin dein Knecht.' Und 'Adschîb fuhr fort: ,Ich wünsche diesen Bastard Gharîb zu sehen, ich will ihn vernichten und ihn mancherlei Foltern kosten lassen.' Dann befahl er, Mirdâs dreißigtausend Dinare als Morgengabe für seine Tochter zu geben, dazu hundert Stücke Seide, die mit goldenen Borten umsäumt und mit Ornamenten geschmückt waren, ferner hundert geränderte Stoffe, Tücher und goldene Halsketten. Mirdâs ging davon mit dieser



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reichen Morgengabe und beeilte sich, Mahdîja auszustatten. So stand es um. jene.

Was aber Gharîb angeht, so war er dahingezogen, bis er nach el-Dschazîra' kam; das ist die erste Stadt im Irak, eine starke Festung. Dort befahl er zu halten; und als die Leute der Stadt sahen, daß sein Heer sie belagerte, verschlossen sie die Tore, befestigten die Mauern und eilten zum König, um es ihm zu melden. Der blickte von den Zinnen seines Schlosses hinab, und als er ein gewaltiges Heer, das ganz aus Persern bestand, dort entdeckte, sprach er: ,Ihr Leute, was wollen jene Perser dort?' Wir wissen es nicht', gaben sie zur Antwort. Jener König war ed-Dârnigh' geheißen, dieweil er die Schädel der Helden im Blachgefilde zu spalten pflegte. Und er hatte unter seinen Garden einen verwegenen Mann, der glich einem Feuerbrand und war Sabu' el-Kifâr' genannt. Den rief der König und sprach zu ihm: ,Geh zu dem Heere dort, erkunde, wer sie sind und was sie von uns wollen, und kehre eilends zurück!' Da eilte Sabu' el-Kifâr so geschwind wie der wehende Wind, bis er bei den Zelten Gharîbs ankam; dort fragte ihn eine Schar von Beduinen: ,Wer bist du. und was willst dus' Er antwortete: ,Ich bin ein Bote und Abgesandter von dem Herrn der Stadt an euren Herrn.' Da nahmen sie ihn und begannen sich mit ihm einen Weg zu bahnen durch die Reihen der Zelte, Pavillons und Fahnen. Und als sie bei dem Prunkzelte Gharîbs angekommen waren, traten sie ein und meldeten dem Herrscher den Boten. Er sprach: ,Führt ihn vor mich!' und sie taten es. Sobald jener Bote eingetreten war, küßte er den Boden und wünschte ihm dauernden Ruhm und langes Leben. Gharîb fragte: ,Was ist



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dein Begehr?' und der Mann erwiderte: ,Ich bin ein Abgesandter des Herrschers der Stadt el-Dschazîra, ed-Dâmigh, des Bruders von Kundamir, dem Herren der Stadt Kufa und des Landes Irak.' Wie Gharîb die Worte des Boten vernahm, rannen seine Tränen in Strömen; dann blickte er den Boten an und fragte ihn: ,Wie heißest du?' Der antwortete: ,Mein Name ist Sabu' el-Kifâr.' Und Gharîb sprach zu ihm: ,Geh zu deinem Herrn und sage ihm, der Herr dieses Zeltlagers heiße Gharîb, der Sohn Kundamirs, des Herrn von Kufa, den sein Sohn erschlagen hat, und er sei gekommen, um Blutrache zu nehmen an 'Adschîb, dem treulosen Hunde.' Alsbald ging der Bote zum König ed-Dâmigh zurück und küßte voller Freude den Boden. Der König fragte ihn: ,Was bringst du, Sabu' el-Kifâr?' ,Mein Gebieter,' antwortete er, ,der Führer jenes Heeres ist der Sohn deines Bruders'; und dann erzählte er ihm alles. Der König glaubte zu träumen, und wiederum rief er: ,O Sabu' el-Kifâr!' ,Zu Befehl, o König!' erwiderte jener; und der König fragte: ,Ist alles, was du gesagt hast, wirklich wahr?' ,Bei deinem Haupte, es ist wirklich wahr!' gab der Mann zur Antwort. Sofort befahl der König den Großen seines Volkes aufzusitzen, und nachdem sie das getan hatten, ritt der König mit ihnen hinaus zu den Zelten. Als Gharîb von dem Nahen des Königs ed-Dâmigh erfuhr, zog er hinaus, ihm entgegen; und dann umarmten und begrüßten die beiden einander. Darauf führte Gharîb den König ins Lager, und die beiden setzten sich nieder auf die Herrschersitze. Ed-Dâmigh hatte seine Freude an Gharîb, dem Sohne seines Bruders, und indem er sich zu ihm wandte, sprach er: ,Immer brannte in meinem Herzen der Gedanke an die Blutrache für deinen Vater. Aber ich vermochte nichts wider den Hund, deinen Bruder. Denn seiner Truppen sind viel, doch der meinen sind wenig.' Ihm erwiderte Gharîb: ,Lieber Oheim,



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siehe, ich bin gekommen, auf daß ich die Blutrache vollstrecke und die Schande zudecke und die Völker zur Freiheit von ihm erwecke!' Doch nun sagte ed-Dâmigh: ,Sohn meines Bruders, du hast doppelte Blutrache zu nehmen, die Rache für deinen Vater und die Rache für deine Mutter!' ,Was ist's mit meiner Mutter?' fragte Gharîb; und der König erwiderte: ,Dein Bruder 'Adschîb hat sie erschlagen.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 636. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, als er aus dem Munde seines Oheims ed-Dâmigh die Worte vernahm: ,Dein Bruder 'Adschîb hat deine Mutter erschlagen', ausrief: ,Oheim, wie konnte er sie töten?' Darauf erzählte jener ihm alles, was seiner Mutter widerfahren war, auch daß Mirdâs seine Tochter dem 'Adschîb zur Frau gegeben habe und daß dieser zu ihr eingehen wolle. Kaum hatte Gharîb das von seinem Oheim erfahren, da ward er wie von Sinnen, und er fiel ohnmächtig nieder, so daß er fast des Todes war. Als er aber wieder zu sich kam, rief er nach seinen Kriegern und befahl: ,Aufs Pferd!' Doch ed-Dâmigh bat ihn: ,Sohn meines Bruders, warte, bis ich mich gerüstet habe; dann will ich mit meinen Mannen aufsitzen und mit dir an deinem Steigbügel dahinziehen.' ,Oheim, ich habe keine Geduld zum Warten,' erwiderte Gharîb, ,rüste du dich und stoße zu mir bei Kufa!' So machte er sich denn alsbald auf und gelangte zuerst zu der Stadt Babel; und ihre Bewohner gerieten in Schrecken. Dort herrschte aber ein König, Dschamak geheißen, der hatte unter sich zwanzigtausend Ritter; nun sammelten sich bei ihm noch aus den Dörfern ringsum weitere fünfzigtausend und schlugen die Zelte vor Babel auf. Darauf schrieb Gharîb einen Brief und sandte ihn



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dem Herrn von Babel. Der Bote brach auf, und als er bei der Stadt anlangte, rief er die Worte: ,Ich bin ein Abgesandter!' Der Hüter des Tores begab sich alsbald zu König Dschamak und meldete ihm die Ankunft des Boten. ,Bring ihn zu mir!' befahl der König; und der Wächter ging und brachte den Boten vor den Herrscher. Jener küßte den Boden und überreichte das Schreiben an Dschamak; der öffnete es und las es. Darinnen aber stand geschrieben: ,Preis sei Allah, dem Herrn der Welt, dem Herrn aller Dinge, der alles Lebendige erhält, der da Macht hat über alle Dinge! Von Gharîb, dem Sohne des Königs Kundamir, des Herrn von Irak und Kufa, an Dschamak. Wenn dieser Brief in Deine Hände kommt, so sei Deine Antwort keine andere, als daß Du Deine Götzen verbrennst und Dich zur Einheit des allwissenden Königs bekennst, des Erschaffers von Tag und Nacht, des Allschöpfers, der über alle Dinge herrscht in seiner Macht! Wenn Du aber nicht tust, was ich Dir gebiete, so werde ich diesen Tag zum unseligsten Deiner Tage machen. Friede sei über dem, so der rechten Leitung nachstrebt und in Furcht vor den Folgen der Schlechtigkeit lebt und sich dem Gehorsam gegen den höchsten König unterstellt, des Herrn dieser und der nächsten Welt, der da spricht zu einem Dinge: ,Werde!' ,und es wird.' Als Dschamak diesen Brief gelesen hatte, schillerten seine Augen grünlich, und sein Angesicht erblich, und er schrie den Boten an: ,Geh zu deinem Herrn und sage ihm: ,Morgen, wenn des Tages Lichter aufsteigen, da soll sich im Kampfesreigen der rechte Meister zeigen!' Der Bote kehrte heim und berichtete vor Gharîb, was geschehen war; und der befahl sogleich seinen Mannen, sich zu rüsten. Dschamak aber ließ seine Zelte gegenüber Gharîbs Lager aufschlagen; und hinaus strömte das Heer wie das brandende Meer, und alle verbrachten die Nacht zum Kampfe ent



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schlossen. Sowie nun der Tag anbrach, stiegen die beiden Heere zu Pferde und stellten sich in Schlachtreihen auf. Und unter der Trommeln wirbelndem Klang sausten die Renner das Feld entlang, und für ihre gewaltige Menge war die weite Welt zu enge. Die Helden ritten voran, und der erste, der auf den Kampfesplan trat, war der Ghûl des Berges. Er trug auf seiner Schulter einen furchtbaren Baum, und er schrie inmitten der beiden Heere: ,Ich bin Sa'dân, der Ghûl!' Dann tiefer: ,Ist einer zum Zweikampf bereit? Wagt einer den Streit? Kein feiger, kein schwächlicher Mann trete wider mich heran!' Dann rief er seinen Söhnen zu: ,Holla, ihr da, bringt mir Brennholz und Feuer; denn mich hungert.' Und jene gaben den Ruf an ihre Sklaven weiter; die holten das Brennholz und zündeten ein Feuer mitten auf dem Schlachtfelde an. Nun ritt ein Mann aus den Reihen der Ungläubigen hervor, ein hochfahrender Riese, der trug auf der Schulter eine Keule die einem Schiffsmaste glich. Er sprengte auf den Ghûl ein mit dem Rufe: ,Wehe dir, o Sa'dân!' Kaum drangen des Riesen Worte an sein Ohr, da loderte der Grimm in ihm empor, und er schwang den Baum, so daß er durch die Luft schwirrte, und hieb auf den Riesen ein; der wollte den Hieb mit der Keule abwehren, aber der Baum sauste in seiner vollen Schwere mitsamt der Keule auf den Schädel des Riesen und zertrümmerte ihn, und der Ungläubige sank hin wie ein hochstämmiger Palmenbaum. Sa'dân aber rief seinen Sklaven zu: ,Schleppt dies fette Kalb fort und röstet es mir sogleich!' Alsbald häuteten sie den Riesen ab, rösteten ihn und brachten ihn dem Ghûl Sa'dân; der fraß ihn auf und zerkaute seine Knochen. Wie die Ungläubigen sahen, was Sa'dân mit ihrem Gefährten tat, erstarrte ihnen Haut und Leib, ihr ganzes Wesen sträubte sich, und ihre Farbe erblich. Und sie sprachen zueinander: ,Wer gegen diesen Ghûl auszieht,



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den frißt er, dem zerkaut er die Knochen, so daß er den süßen Hauch der Welt nicht mehr spürt.' Darum wagten sie nicht weiterzukämpfen, aus Furcht vor dem Ghûl und seinen Söhnen, sondern sie wandten sich, um zu fliehen und in ihre Stadt zurück zu ziehen. Da rief Gharîb den Seinen zu: ,Vorwärts! Hinter den Fliehenden her!' Nun fielen die Perser und Araber über den König von Babel und sein Kriegsvolk her und ließen das Schwert auf sie niedersausen, bis sie von ihnen zwanzigtausend oder noch mehr erschlagen hatten. Und als sich die Menge am Stadttor zusammendrängte, töteten sie noch viel Volks von ihnen, und es gelang den Ungläubigen nicht, das Tor zu schließen, so daß Araber und Perser weiter auf sie eindringen konnten. Sa'dân nahm einem der Erschlagenen die Keule ab, schwang sie den Feinden ins Gesicht und drang bis zum freien Platze der Stadt vor. Dann stürmte er zum Schlosse des Königs, und als er vor Dschamak stand, traf er ihn mit der Keule, so daß der Herrscher ohnmächtig zu Boden sank. Und weiter fiel Sa'dân über alle her, die im Schlosse waren, und zerschlug sie zu Brei. Nun erhob sich der Ruf: ,Gnade! Gnade!'——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 637. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß im Palaste des Königs Dschamak, als der Ghûl Sa'dân dort eindrang und die Leute darin zu Brei zerschlug, sich der Ruf erhob: ,Gnade! Gnade!' Da rief Sa'dân: ,Fesselt euren König!' Als sie ihn gefesselt und aufgeladen hatten, trieb Sa'dân sie wie Schafe vor sich her und führte sie, nachdem die meisten Einwohner der Stadt durch das Schwert der Mannen Gharîbs umgekommen waren, vor seinen Herrn. Und wie Dschamak, der König von Babel, nun aus seiner Ohnmacht erwachte, merkte er. daß er



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gefesselt war und daß der Ghûl sagte: ,Heute abend will ich diesen König Dschamak verspeisen.' Als er das hören mußte, wandte er sich an Gharîb und sprach zu ihm: ,Ich begebe mich unter deinen Schutz!' Gharîb erwiderte ihm: ,Suche im Islam dein Heil, so wird dir die Rache des Ghûls und die Strafe des Lebendigen, der nimmer auf hört, nicht zuteil!' Da ward Dschamak ein Muslim mit Herz und Zunge, und Gharîb gebot, seine Fesseln zu lösen. Dann bot er seinem Volke den Islam dar, und alle nahmen ihn an und traten in die Dienste Gharîbs. Dschamak aber kehrte in seine Stadt zurück und sandte von dort Speise und Trank. Dann blieb das Heer im Lager vor Babel, bis es Morgen ward. Nun gab Gharîb den Befehl zum Aufbruch, und das Heer zog weiter, bis es vor Maijafarikîn' ankam. Dort fanden sie die Stadt von ihren Bewohnern verlassen; die hatten nämlich schon gehört, wie es Babel ergangen war, und so hatten sie ihre Behausungen verlassen und waren nach der Stadt Kufa geeilt, um 'Adschîb zu melden, was geschehen war. Der begann zu rasen, sammelte alle seine Helden und tat ihnen kund, daß Gharîb herannahe; zugleich befahl er ihnen, sich zum Kampfe wider seinen Bruder zu rüsten. Dann hielt er eine Musterung ab unter seinem Volke, und als er nur dreißigtausend Reiter und zehntausend Mann Fußvolk zählte, verlangte er, es sollten noch mehr zur Stelle sein, und so kamen weitere fünfzigtausend Mann zu Pferde und zu Fuß. Und nun brach er mit einem gewaltigen Heere auf und zog fünf Tage lang dahin; da fand er das Heer seines Bruders, wie es vor Mosul lagerte, und er schlug ihm gegenüber seine Zelte auf. Darauf schrieb Gharîb einen Brief, wandte sich an seine Mannen



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und fragte: ,Wer von euch will diesen Brief an 'Adschîb überbringen?' Sofort erhob sich Sahîm und rief: ,O größter König unserer Zeit, ich will mit deinem Brief springen und dir seine Antwort bringen!' Gharîb übergab ihm das Schreiben; und Sahîm begab sich mit ihm zum Prunkzelte 'Adschîbs. Als dem seine Ankunft gemeldet war, sprach er: ,Führt ihn mir vor!' Und wie er dann vor dem König stand, fragte der ihn: ,Woher kommst du?' Er gab zur Antwort: ,Ich komme zu dir von dem König der Perser und Araber, dem Eidam des Kisra', des Königs der Welt; er sendet dir einen Brief, drum gib du ihm Antwort!' ,Her mit dem Briefe!' befahl 'Adschîb; und wie Sahîm ihn ihm gereicht hatte, öffnete er ihn und las ihn. Und darinnen fand er geschrieben: ,Im Namen Allahs des Barmherzigen, der Erbarmen übt! Friede sei über Abraham, den Gott liebt! Des weiteren: Sowie dieser Brief in Deine Hände gelangt, bekenne Du die Einheit des allgütigen Königs, des Urgrundes aller Dinge der Welt, der die Wolken wandern läßt am Himmelszelt, und verlasse den Götzendienst! Wenn Du Muslim wirst, so bist Du mein Bruder und der Herrscher über uns; und ich will Dir die Sünde wider meinen Vater und meine Mutter verzeihen und Dir wegen Deiner Taten keinen Vorwurf machen. Wenn Du aber nicht tust, was ich Dir befehle. so will ich Dir das Haupt abschlagen und Deine Stätten verwüsten. Ich komme eilends über Dich; und ich rate Dir gut. Friede über dem, so der rechten Leitung nachstrebt und im Gehorsam gegen den höchsten König lebt!' Als aber 'Adschîb die Worte seines Bruders gelesen und seine Drohungen verstanden hatte, versanken ihm die Augen in seinen Schädel, er knirschte mit den Zähnen und geriet in gewaltige Wut. Und er riß den Brief in



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Fetzen und warf sie fort. Darüber ergrimmte Sahîm, und er schrie 'Adschîb an mit den Worten: ,Allah lasse deine Hand verdorren für das, was sie getan hat!' Nun rief 'Adschîb seinen Leuten zu: ,Packt diesen Hund und haut ihn mit euren Schwertern in Stücke!' Da stürzten sie sich auf Sahîm; er aber zog sein Schwert und fiel über sie her und tötete mehr als fünfzig jener Recken. Dann brach er sich Bahn. bis er wieder zu seinem Bruder kam, in Blut gebadet. Der fragte ihn: ,Was hat dieses zu bedeuten, Sahîm?' Und jener berichtete, was geschehen war. Gharîb rief: ,Allah ist der Größte!' Und voll des Zornes ließ er sogleich die Kriegstrommeln schlagen. Da sprangen aufs Pferd die Recken zuhauf; das Fußvolk stellte sich in Schlachtreihe auf; es sammelten sich die Genossen und tummelten sich auf ihren Rossen. Die Mannen kleideten sich in das Eisengewand, den Panzer aus Ringen dicht gespannt, sie gürteten sich mit ihren Degen und begannen die langen Lanzen einzulegen. Auch 'Adschîb ritt mit seinem Kriegsvolke in die Schlacht, und Heer prallte auf Heer. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 638. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als Gharîb und 'Adschîb beide mit ihrem Kriegsvolke indie Schlacht ritten, Heer auf Heer prallte. Nun führte der Richter der Schlacht das Gericht, in dessen Spruch es kein Unrecht gibt, der ein Siegel auf dem Munde trägt und nicht spricht. Und es hub an ein Blutvergießen, seltsame Muster begannen auf der Erde zu fließen; die Haare der Streiter wurden weiß, und die Schlacht ward wild und heiß. Da glitten die Füße aus, der Tapfere hielt stand und drängte zum Strauß, dochder Feige wandte sich und eilte nach Haus. So tobte der Kampf immer weiter, bis der Tag



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zur Rüste ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing. Die Trommeln des Rückzugs wurden geschlagen, die Kämpfenden trennten sich voneinander, und jedes der beiden Heere kehrte ins Lager zurück und hielt Nachtruhe. Kaum aber war der Morgen erwacht, da schlugen die Trommeln zu Kampf und Schlacht. Die Krieger kleideten sich in die Kriegsrüstung, gürteten sich mit den glänzenden Degen und begannen die braunen Lanzen einzulegen; sie stürmten auf feurigen Küssen einher und riefen: ,Flucht gibt es heute nicht mehr!' So wogte auf beiden Seiten ein Heer gleichwie das brandende Meer. Und der erste, der das Buch des Kampfes aufschlug, war Sahîm; der spornte seinen Renner zwischen die beiden Reihen und ließ Schwerter und Lanzen im Kriegsspiele tanzen; ja, er schlug solche Kapitel des Kampfes auf, daß die Beherzten verwirrt wurden. Dann rief er: ,Ist einer zum Zweikampfe bereit? Wagt einer den Streit? Kein feiger, kein schwächlicher Mann trete wider mich heran!' Da trat ein Ritter hervor aus der ungläubigen Schar, der gleichwie ein Feuerbrand war. Doch Sahîm ließ ihn nicht lange vor sich stehen, sondern durchbohrte ihn alsbald und streckte ihn zu Boden. Da ritt ein zweiter hervor, den tötete er: und ein dritter, den zerfetzte er; und ein vierter, den zerschmetterte er. Und so stritt er weiter :jeden, der gegen ihn auf den Plan trat, streckte er nieder, bis es Mittag ward und er zweihundert Helden erschlagen hatte. Da schrie 'Adschîb sein Kriegsvolk an und gab das Zeichen zum Angriff; Helden stürmten wider Helden und begannen gewaltig zu streiten, und viel ward des Rufens auf beiden Seiten. Und es klangen die Schwerter, die leuchtend klaren: von den Mannen stürzten sich Scharen auf Scharen, bis sie in ärgster Bedrängnis waren. Ströme des Blutes flossen, und die Hirnschalen dienten als Hufeisen den Rossen. Und der wütende Kampf tobte immerfort,



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bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing. Nun trennten sie sich voneinander, begaben sich in ihre Zelte und hielten dort Nachtruhe bis zum Morgen; dann saßen beide Heere von neuem auf und begannen für Kampf und Gefecht zu sorgen. Die Muslime schauten nach Gharîb aus, ob er wie gewöhnlich unter den Feldzeichen ritt; aber er war dort nicht. Drum sandte Sahîm seinen Sklaven zum Zelte seines Bruders; und als dieser ihn nicht fand, fragte er die Zeltdiener, doch die antworteten: ,Wir wissen nichts von ihm.' Darüber war er sehr in Sorge, und er ging hin und tat es den Kriegern kund; die aber weigerten sich zu kämpfen, denn sie sprachen: ,Wenn Gharîb fern ist, so wird sein Feind uns vernichten.' Daß Gharîb nicht kam, hatte einen seltsamen Grund; und den tun wir nun in geziemender Weise kund. Es war aber dieser: Als 'Adschîb aus dem Kampfe mit seinem Bruder Gharîb zurückgekehrt war, rief er einen seiner Leibwächter, namens Saijâr, und sprach zu ihm: ,Saijâr, ich habe dich nur für einen Tag wie diesen aufgespart; und jetzt befehle ich dir, geh zum Lager Gharîbs, dring bis zum Königszelte vor und bringe Gharîb herbei; so wirst du mir zeigen, wie verwegen und listig du bist.' ,Ich höre und gehorche!' sagte Saijâr; und er schlich dahin, bis er ins Prunkzelt Gharîbs eindringen konnte im Dunkel der Nacht, als jedermann zu seiner Ruhestatt gegangen war. Nun stand Saijâr als Diener in Gharîbs Zelt, und als den König dürstete, verlangte er Wasser von Saijâr; der aber brachte ihm einen Krug Wassers, das er mit Bendsch vermischt hatte. Kaum hatte Gharîb das Wasser getrunken, da stürzte er schon vornüber zu Boden. Nun hüllte Saijâr ihn in seinen Mantel, lud ihn auf seinen Rücken und schlich sich zurück, bis er wieder ins Zelt 'Adschîbs eintrat. Vor seinem Herrn blieb er stehen; dann warf er ihm die Last vor die Füße. ,Was ist das, Saijâr?' fragte



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'Adschîb; und jener antwortete: ,Dies ist dein Bruder Gharîb!' Hocherfreut rief' Adschîb: ,Der Segen der Götzen ruhe auf dir! Wickele ihn aus und wecke ihn!' Nachdem Saijâr ihm Essig zu riechen gegeben hatte, kam Gharîb wieder zu sich, schlug die Augen auf und entdeckte, daß er gefesselt in einem fremden Zelte lag. Da tiefer: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Aber sein Bruder schrie ihn an: ,Ziehst du wider mich das Schwert, du Hund, und willst mich töten und Blutrache an mir nehmen für deinen Vater und deine Mutter? Noch heute will ich dich ihnen nachsenden und die Welt von dir befreien!' ,O du ungläubiger Hund,' erwiderte ihm Gharîb, ,du wirst schon sehen, gegen wen die Räder des Schicksals sich drehen, und wen der allbezwingende König niederzwingen wird, Er, der die geheimsten Gedanken kennt allzumal, und der dich in die Hölle stürzen wird zu ewiger Folterqual. Hab Erbarmen mit dir selber und sprich mit mir: Es gibt keinen Gott außer Allah; Abraham ist der Freund Allahs!' Als 'Adschîb diese Worte von Gharîb vernahm, begann er zu hauchen und zu fauchen und Schmähworte wider die Steingötter zu gebrauchen; dann befahl er, den Schwertträger und das Blutleder zu holen. Doch da küßte der Wesir den Boden vor ihm; der war im Herzen ein Muslim, nach außen hin aber ein Ungläubiger, under sprach: ,O König, weile und handle nicht mit Eile, bis wir wissen, wer siegt und wer besiegt wird. Wenn wir Sieger bleiben, so haben wir auch die Macht, ihn zu töten: werden wir aber besiegt, so wirdes unsere Sache stärken, daß er lebend in unseren Händen ist.' Die Emire sprachen: ,Der Wesir hat recht.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 639. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir, als 'Adschîb den Gharîb hinrichten lassen wollte, anhub und sprach: ,Handle nicht mit Eile! Wir haben immer noch die Macht, ihn zu töten.' Da befahl 'Adschîb. seinem Bruder Handschellen und Fußfesseln anzulegen, und wies ihm sein Zelt an, wo er ihn von tausend trutzigen Helden bewachen ließ.

Als nun Gharîbs Heer am Morgen nach seinem König suchte und ihn nicht fand, da war es wie eine Herde ohne Hirt. Sa'dân der Ghûl aber rief: ,Ihr Krieger, legt eure Rüstungen an und vertraut auf euren Herrn. Er wird euch schützen!' Nun schwangen Araber und Perser sich auf ihre Rosse, angetan mit dem eisernen Gewand, von dem engmaschigen Panzer umspannt. Die Hauptleute zogen zum Strauß, die Bannerträger ihnen voraus. Als erster ritt der Bergghûl vor, der trug auf seiner Schulter ein Keule, die zweihundert Pfund wog. Und er tummelte sich bereit zu Kampf und Streit; dabei rief er: ,Ihr Götzendiener, tretet hervor! Dies ist der Tag, den der Kampf sich erkor! Wer mich kennt, der hat genug an dem Unheil aus meiner Hand; und wer mich nicht kennt, dem sei mein Name genannt: Ich bin Sa'dân, der Diener des Königs Gharîb. Ist einer zum Zweikampf bereit? Wagt einer den Streit? Kein feiger, kein schwächlicher Mann trete wider mich heran!' Da ritt hervor aus der ungläubigen Schar ein Mann, der wie ein Feuerbrand war, und er sprengte auf Sa'dân los; doch der stürmte ihm entgegen, traf ihn mit seiner Keule und zerbrach ihm die Rippen, so daß er leblos zu Boden fiel. Dann rief der Ghûl seinen Söhnen und Sklaven zu: ,Zündet das Feuer an! Röstet mir jeden Ungläubigen, der fällt, richtet ihn zu und laßt ihn gar werden im Feuer; dann bringt ihn mir, auf daß ich ihn zu Mittag verspeise!' Sie taten, wie er ihnen befohlen hatte, zündeten das Feuer mitten auf dem Plan an und warfen jenen erschlagenen



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Helden hinein; und sobald er geröstet war, brachten sie ihn dem Sa'dân; der nagte das Fleisch ab und zerkaute die Knochen. Als die Ungläubigen sahen, was der Bergghûl tat, kam grauser Schrecken über sie. Aber 'Adschîb rief seinen Mannen zu: ,He, ihr da, greift diesen Ghûl dort an, trefft ihn mit euren Schwertern und haut ihn in Stücke!' Da stürmten zwanzigtausend Mann auf Sa'dân los, all die Streiter umringten ihn und überschütteten ihn mit Pfeilen und Speeren, so daß er über und über mit Wunden' bedeckt war und sein Blut auf die Erde niederrann; und er war immer noch allein. Jetzt aber eilten die Helden der Muslime wider das Volk der Vielgötterei ins Feld und flehten um Hilfe zu dem Herrn aller Welt. Und sie kämpften und stritten unablässig, bis der Tag zur Rüste ging; da trennten sie sich voneinander. Sa'dân aber war gefangen genommen, als er ob des Blutverlustes wie ein Trunkener dalag. Die Ungläubigen hatten ihn mit starken Fesseln gebunden und neben Gharîb niedergelegt. Und als der sah, daß der Ghûl gefangen war, sprach er: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Kraft außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann fragte er: ,O Sa'dân, was hat dies zu bedeuten?' ,Mein Gebieter,' erwiderte jener, ,Allah, der Gepriesene und Erhabene, hat Leid und Freud bestimmt, und da muß es so und so geschehen.' Gharîb sagte darauf: ,Du hast recht, Sa'dân!' 'Adschîb aber verbrachte die Nacht voller Freude. und er rief seinen Leuten zu: ,Sitzt morgen früh auf und fallt über die Muslime her, bis daß keiner von ihnen am Leben bleibt!' ,Wir hören und gehorchen!' antworteten sie.

Wenden wir uns nun wieder zu den Muslimen! Die verbrachten die Nacht niedergeschlagen und weinten um ihren



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König und um Sa'dân; doch Sahîm sprach zu ihnen: Ihr Leute, macht euch keine Sorge; denn die Hilfe Allahs des Erhabenen ist nahe!' Darauf wartete er bis Mitternacht, dann begab er sich zum Lager 'Adschîbs und schlich immer weiter zwischen all den Zelten hindurch, bis er 'Adschîb auf dem Throne seiner Macht sitzen sah, umgeben von seinen Fürsten. Das hatte er tun können, da er sich als Zeltdiener verkleidet hatte. Und nun trat er an die brennenden Kerzen heran, putzte die Lichter und streute zerstoßenen Bendsch hinein. Und er ging wieder hinaus vor das Zelt und wartete eine Weile, bis der giftige Rauch 'Adschîb und seine Fürsten erreichte, so daß sie wie tot zu Boden sanken. Er ließ sie dort liegen und ging dann zum Kerkerzelte; dort fand er Gharîb und Sa'dân, umgeben von tausend Helden, die alle vom Schlafe überwältigt waren. Und er rief die Wachen an: ,He. ihr da. schlaft nicht! Bewacht euren Feind und zündet die Fackeln an!' Dann nahm er eine Fackel, zündete sie mit Brennholz an, streute Bendsch darauf und trug sie rings um das Zelt, so daß der Rauch vom Bendsch sich verbreitete und allen in die Nase drang; so wurden alle betäubt, Krieger und Gefangene schliefen ein, vom Rauche des Bendsch überwältigt. Nun hatte Sahîm el-Lail Essig in einem Schwamme bei sich: daran ließ er Gharîb und Sa'dân riechen, bis sie wieder zu sich kamen; vorher aber hatte er ihnen die Ketten und Fesseln abgenommen. Als die beiden ihn erblickten, segneten sie ihn und freuten sich über ihn. Dann gingen sie hinaus und nahmen allen Wächtern ihre Waffen ab; Sahîm aber sprach zu den beiden: ,Geht in euer Lager zurück!' Und während sie das taten, drang er in das Zelt 'Adschîbs, hüllte ihn in seinen Mantel und lud ihn auf den Rücken: und alsbald machte er sich auf den Heimweg zum Lager der Muslime, und unter dem Schutze des barmherzigen Herrn erreichte er das Zelt Gharîbs. Dort



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entrollte er den Mantel; und Gharîb, der hinausschaute, um zu sehen, was in dem Mantel war, erkannte darin seinen gefesselten Bruder 'Adschîb. Er rief: ,Allah ist der Größte! Heil und Sieg!' und segnete Sahîm; dann sprach er: ,Sahîm, weck ihn auf!' Der trat heran und gab dem Gefangenen Essig mit Weihrauch zu riechen; jener erwachte aus der Betäubung, schlug die Augen auf, und als er sich an Händen und Füßen gefesselt sah, ließ er sein Haupt zu Boden hängen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 640. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Adschîb, nachdem Sahîm ihn betäubt, gefesselt und zu seinem Bruder Gharîb gebracht und dort aufgeweckt hatte, die Augen aufschlug und, als er sich an Händen und Füßen gefesselt sah, sein Haupt zu Boden hängen ließ. Sahîm aber fuhr ihn an: ,Verruchter, hebe dein Haupt!' Der tat es, und nun sah er, daß er sich unter Persern und Arabern befand und wie sein Bruder Gharîb dasaß auf dem Thron seiner Herrschermacht und der Stätte seiner Pracht; aber er schwieg und sprach kein Wort. Da rief Gharîb: ,Entblößet diesen Hund!' Und die Leute rissen ihm die Kleider herunter und fielen mit Peitschenhieben über ihn her, bis sie ihm den Leib geschwächt und den Stolz gedämpft hatten; dann ließ Gharîb ihn von hundert Rittern bewachen. Kaum aber hatte Gharîb die Strafe an seinem Bruder vollzogen, da hörte man bei den Zelten der Ungläubigen die Rufe: ,Es gibt keinen Gott außer Allah!' und ,Allah ist der Größte!' Dies kam daher, daß König ed-Dâmigh, der Oheim Gharîbs, nach dessen Aufbruch von el-Dschazîra noch zehn Tage dort geblieben war und sich dann mit zwanzigtausend Rittern aufgemacht hatte; und er war dahingezogen, bis er sich dem Schlachtfelde



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näherte; dort entsandte er seinen Läufer auf Kundschaft. Der blieb einen Tag fort, und als er zurückkehrte, berichtete er dem König ed-Dâmigh, was Gharîb von seinem Bruder erlebt hatte. Da wartete er, bis es Nacht ward; dann aber stürmte er mit dem Rufe ,Allah ist der Größte' wider die Schar der Heiden und sandte auf sie der Schwerter Schneiden. Als nun Gharîb samt seinem Volke jenes Feldgeschrei hörte, rief er seinen Bruder Sahîm el-Lail und sprach zu ihm: ,Bring uns Nachricht über dies Heer und über den Grund dieses Feldgeschreis!' Der machte sich alsbald auf den Weg, bis er in die Nähe der Stätte kam, wo die Rufe erschollen, und dort befragte er die Sklaven; die taten ihm kund, König ed-Dâmigh, Gharîbs Oheim, sei mit zwanzigtausend Rittern angekommen und habe gesagt: ,Bei dem Gottesfreunde Abraham, ich will den Sohn meines Bruders nicht im Stiche lassen; nein, ich will handeln wie ein tapferer Held. Ich will die Heidenschar zurückschlagen und dem allgewaltigen König gefallen!' Und dann habe er mit seinen Mannen im Dunkel der Nacht die Schar der Ungläubigen angegriffen. Da kehrte Sahîm zu seinem Bruder Gharîb zurück und meldete ihm, was sein Oheim getan hatte. Nun rief dieser sogleich seinen Kriegern zu: ,Legt eure Waffen an! Besteigt eure Rosse! Eilt meinem Oheim zu Hilfe!' So saßen denn die Krieger auf und stürmten wider die Heiden und sandten auf sie der Schwerter Schneiden. Und ehe noch der Morgen anbrach, hatten sie fast fünfzigtausend Ungläubige erschlagen und wohl dreißigtausend gefangen genommen; und die übrigen, zur Flucht gewandt, eilten weit und breit ins Land. Die Muslime aber kehrten zurück im Triumph und Siegerglück; und Gharîb ritt seinem Oheim ed-Dâmigh entgegen, begrüßte ihn und dankte ihm für sein wackeres Tun. Darauf sagte ed-Dâmigh: ,Ob wohl der Hund da in dieser Schlacht gefallen ist?' Und



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Gharîb gab ihm zur Antwort: ,Oheim, hab guten Mut und ruhig Blut! Wisse, er liegt bei mir in Ketten.' Darüber war jener hocherfreut; und so, zogen die beiden Könige ins Lager, saßen ab und traten ins Zelt; aber sie fanden keinen' Adschîb. Da rief Gharîb: ,O Ruhm Abrahams, des Gottesfreundes - Friede sei über ihm!' Und weiter rief er: ,Wie unheilvoll endet dieser glorreiche Tag!' Dann schrie er die Zelt diener an mit den Worten: ,Weh euch, wo ist mein Widersacher?' Sie antworteten: ,Als du auf saßest und wir mit dir zogen, befahlst du uns nicht, ihn einzusperren.' Gharîb aber sprach: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Und sein Oheim sagte zu ihm: ,Übereile dich nicht und mach dir keine Sorgen! Wohin kann er entweichen, wenn wir auf der Suche nach ihm sind?' Die Flucht 'Adschîbs aber war durch seinen Diener Saijâr verursacht worden, der sich im Lager verborgen hatte. Kaum traute er seinen Augen, als Gharîb aufsaß und niemanden bei den Zelten zurückließ, um den Widersacher zu bewachen. Er wartete ein wenig, nahm dann 'Adschîb auf den Rücken und begab sich aufs offene Feld ;jener war war noch betäubt von den Schmerzen der Schläge. Und nun eilte Saijâr, so rascher konnte, dahin von Anbeginn der Nacht bis zum nächsten Morgen, bis er zu einer Quelle bei einem Apfelbaum kam. Dort setzte er 'Adschîb nieder und wusch ihm das Gesicht; und als der seine Augen öffnete und Saijâr erblickte, sprach er: ,Saijâr, trag mich nach Kufa, damit ich mich dort erhole und Heere von Reitern und Fußvolk sammle, um durch sie meinen Feind zu überwinden. Aber hör, Saijâr, ich bin hungrig.' Da eilte Saijâr zu einem Wildlager, fing ein Straußenjunges und brachte es seinem Herrn. Nachdem er es geschlachtet und zerlegt hatte, holte er Reisig, rieb die Feuerhölzer und zündete ein Feuer an; dann



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röstete er das Fleisch und gab es 'Adschîb zu essen, auch gab er ihm Wasser aus dem Quell zu trinken, so daß seine Kraft zurückkehrte; und nun schlich er sich in ein Beduinenlager und stahl dort ein Roß und brachte es zu 'Adschîb, ließ ihn aufsitzen und machte sich mit ihm auf den Weg nach Kufa. Sie zogen mehrere Tage dahin, bis sie in die Nähe der Stadt kamen; der Statthalter zog dein König 'Adschîb entgegen und begrüßte ihn und sah, wie schwach er war infolge der Schläge, die sein Bruder ihm hatte versetzen lassen. Nachdem der König in die Stadt eingezogen war, berief er die Ärzte und sprach zu ihnen, als sie vor ihm standen: ,Heilt mich in weniger als zehn Tagen!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie und begannen ihn zu pflegen, bis er von der Krankheit, die ihn infolge jener Schläge befallen hatte, ganz genesen war. Darauf befahl er seinem Wesir. Briefe an alle Statthalter zu schreiben; und der fertigte vierundzwanzig Schreiben aus und sandte sie an die Statthalter. Jene sammelten ihre Truppen und kamen in Eilmärschen nach Kufa. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 641. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Adschîb Botschaften aussandte, um die Truppen zu sammeln, und daß die gen Kufa zogen und dort ankamen.

Da nun Gharîb wegen der Flucht 'Adschîbs in Sorge war, so schickte er tausend Helden nach ihm aus. Die zerstreuten sich nach allen Richtungen hin und ritten einen Tag und eine Nacht, fanden aber keine Spur von ihm; dann kehrten sie um und meldeten es Gharîb. Nun verlangte er nach seinem Bruder Sahîm, und als der nicht gefunden werden konnte, war er wegen der Wechselfälle des Geschicks um ihn besorgt und



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grämte sich sehr. Aber da trat plötzlich Sahîm zu ihm ein und küßte den Boden vor ihm. Kaum hatte Gharîb ihn erblickt, so fragte er ihn: ,Wo bist du gewesen, Sahîm?' ,O König,' antwortete der, ,ich bin bis Kufa gekommen und habe entdeckt, daß der Hund 'Adschîb wieder an die Stätte seiner Macht gelangt ist. Er hat den Ärzten befohlen, ihn von seinem Leiden zu heilen; die haben es getan, und sobald er wieder gesund war, hat er Briefe schreiben lassen und sie an seine Statthalter gesandt; jetzt sind sie mit ihren Truppen bei ihm.' Sofort gab Gharîb seinem Heere den Befehl zum Aufbruch; da wurden die Zelte abgebrochen, und die Krieger zogen gen Kufa. Als sie dort ankamen, fanden sie ringsum ein Heer wie das brandende Meer, ohne Anfang und ohne Ende. Gharîb lagerte mit seinen Truppen gegenüber dem Heere der Ungläubigen; die Zelte wurden aufgeschlagen, die Banner sah man in die Lüfte ragen; doch nun begann über beide Seiten die Dunkelheit sich auszubreiten. Die Lagerfeuer wurden entfacht, und beide Heere hielten Wacht, bis daß der Tag anbrach. Da erhob sich König Gharîb, nahm die religiöse Waschung vor und betete zwei Rak'as nach der Sitte unseres Vaters Abraham. des Gottesfreundes -Friede sei über ihm! Da ward der Befehl gegeben, die Schlachttrommeln zu schlagen, und sie ratterten und die Fahnen flatterten; die Ritter legten die Panzer an und schwangen sich auf die Rosse dann, sie zeigten sich als ein Schlachtenbild und ritten hin zum Blachgefild. Der erste nun, der das Tor des Krieges auftat, war König ed-Dâmigh, der Oheim des Königs Gharîb; er sprengte mit seinem Renner die Reihen entlang und zeigte sich den beiden Heeren, indem er zwei Speere und zwei Schwerter schwang, so daß die Ritter ratlos waren und Staunen über ihn sich regte bei beiden Scharen. Und er rief: ,Nimmt einer den Zweikampf an? Mir nahe kein



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Feiger, kein schwächlicher Mann! Ich bin der König ed-Dâmigh, der Bruder Königs Kundamir!' Da ritt gegen ihn aus der heidnischen Ritterschar ein Held. der wie ein Feuerbrand war. Er griff ed-Dâmigh an, ohne ein Wort zu sagen. Der aber empfing ilm mit der Lanze und stieß sie ihm durch die Brust, so daß die Spitze zwischen den Schultern wieder herausfuhr; und Allah ließ seine Seele ins Höllenfeuer sausen. die Stätte voller Grausen. Dann kam ein zweiter daher, den erschlug er; und ein dritter, den streckte er nieder; und so ging es weiter, bis er sechsundsiebenzig Helden getötet hatte. Nun zauderten die Mannen und die Helden, wider ihn auf den Plan zu treten; doch 'Adschîb, der Heide, schrie seinem Volke zu: .Heda. ihr Mannen, wenn ihr immer einer nach dem andern mit ihm kämpft, so wird er keinen von euch übriglassen, ob er stehe oder sitze. Greift ihn alle auf einmal an, auf daß ihr die Erde von ihnen säubert und ihre Schädel unter die Hufe eurer Rosse rollen!' Da schwangen sie das furchterregende Banner, und Scharen türmten sich auf Scharen. Das Blut ward vergossen, so daß seine Ströme über die Erde flossen, und der Richter der Schlacht hielt Gericht. der in seinem Urteil kein Unrecht spricht. Der Tapfere stand festen Fußes auf der Stätte der Schlacht; doch der Feige kehrte den Rücken, auf die Flucht bedacht, und konnte kaum warten, bis der Tag zu Ende ging und die Nacht alles mit tiefem Dunkel umfing. So tobte der Kampf im Waffentanze mit Schwert und Lanze, bis der Tag entschwand und die Nacht kam in des Dunkels Gewand. Da ließen die Heiden die Trommeln zum Rückzug schlagen; Gharîb aber wollte noch nicht einhalten, und so stürzte er sich auf die Ungläubigen, und ihm folgten die Gläubigen, die Bekenner der Einheit. Wie zerhieben sie die Köpfe und Nacken !Wie konnten sie die Hände und Rückgrate zerhacken! Wie viele



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Kniee und Sehnen zerbrachen sie! Wie viele Männer Jünglinge erstachen sie! Und noch ehe es Morgen geworden war, beschloß der Ungläubigen Schar, sich durch Flucht dem Kampfe zu entziehen, und so flüchteten sie bei des strahlenden Frührots Erglühen. Die Muslime aber folgten ihnen bis zum Mittag; da hatten sie mehr als zwanzigtausend Gefangene gemacht und in Fesseln eingebracht. Nun machte Gharîb vor dem Tore von Kufa Halt und befahl einem Herold, in jener Stadt zu verkünden: ,Sicherheit und Frieden ist dem beschieden, der sich vom Dienste der Götzen trennt und die Einheit des allwissenden Königs bekennt, der Tag und Nacht und die Menschheit erschuf in seiner Macht.' Und so ward auf den Straßen der Stadt, wie er befohlen hatte, Sicherheit ausgerufen; und alle, die noch dort waren, groß und klein, traten in den rechten Glauben ein. Dann zogen sie hinaus und erneuerten ihr Bekenntnis zum Islam vor König Gharîb; der war über sie aufs höchste erfreut, und seine Brust ward ihm froh und weit. Und nun fragte er nach Mirdâs und seiner Tochter Mahdîja; man berichtete ihm, jener habe sich jenseits des Roten Berges' niedergelassen. Da sandte er nach seinem Bruder Sahîm, und als der vor ihm stand, sprach er: ,Forsche mir nach deinem Vater!' Ohne Verzug bestieg Sahîm seinen Renner, und die Lanze von braunem Glanze nahm er mit auf den eiligen Ritt. Er begab sich zu dem Roten Berge und machte die Runden, doch konnte er nichts von Mirdâs erkunden, und keine Spuar ward von dessen Volk gefunden. Statt ihrer fand er einen Scheich der Araber, einen hochbetagten Mann, der durch die Fülle der Jahre hinfällig geworden war; den fragte Sahîm, wie es um den Stamm stehe, und wohin er gezogen sei. ,Mein Sohn,' antwortete



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er ihm, ,wisse, als Mirdâs hörte, daß Gharîb wider Kufa zog, fürchtete er sich gar sehr, und er nahm seine Tochter und sein Volk, alle seine Sklavinnen und Sklaven und kam in diese wüsten Steppen, aber ich weiß nicht, wohin er jetzt gezogen ist.' Wie Sahîm diese Worte des Alten vernommen hatte, kehrte er zu seinem Bruder zurück und tat sie ihm kund; der aber ward von tiefem Gram ergriffen. Dann setzte er sich auf den Königsthron seines Vaters, öffnete seine Schatzkammern und begann reiche Spenden all seinen Helden zuzuwenden; und er blieb in Kufa und entsandte Späher, um nach 'Adschîb zu forschen. Auch berief er die Großen des Reiches zu sich, und sie kamen und huldigten ihm; und ebenso taten die Bürger der Stadt. Er schmückte sie mit manch prächtigem Gewande und empfahl ihrem Schutze das Volk im Lande. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 642. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, nachdem er dem Volke von Kufa Ehrenkleider verliehen und das Landvolk ihrem Schutze empfohlen hatte, eines Tages zu Jagd und Hatz hinausritt, begleitet von hundert Reitern. Er zog dahin, bis er zu einem Tale kam, voller Bäume mit Früchten behangen, wo Bäche sprangen und Vöglein sangen. Es war ein Weideplatz für Antilopen und Gazellen, wo die Seelen Ruhe fanden und die erschlafften Geister durch den frischen Duft zu neuem Leben erstanden. Dort blieben sie den Tag über, einen sonnigen Tag, und sie verbrachten dort auch noch die Nacht bis zum Morgen. Da betete Gharîb zwei Rak'as, nachdem er die religiöse Waschung vollzogen hatte, und er sandte Preis und Dank zu Allah dem Erhabenen empor. Doch plötzlich erhob sich lautes Geschrei und Getümmel auf jener Wiese. Gharîb sprach



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zu Sahîm: ,Erkunde uns, was das bedeutet!' Und der machte sich sofort auf und sah Gut, das geplündert war, eine angeseilte Pferdeschar, gefangene Frauen und schreiende Kinder. Da fragte er einige Hirten, indem er zu ihnen sprach: ,Was gibt es dort?' Die antworteten ihm: ,Das ist der Harem des Mirdâs, des Fürsten des Stammes Kahtân, und sein Gut und das Gut seines Stammes. Denn gestern hat el-Dschamrakân Mirdâs erschlagen, sein Gut geraubt, seine Frauen und Kinder gefangen genommen und die Habe des ganzen Stammes fortgeschleppt. Er übt nach seiner Gewohnheit das Räuberhandwerk frei und treibt Wegelagerei; er ist ein gewalttätiger Tyrann, den kein Araber und kein Fürst überwältigen kann; ja, er ist eine Landplage.' So mußte Sahîm vernehmen, daß sein Vater getötet, sein Harem gefangen, seine Habe geplündert war, und er eilte zu seinem Bruder Gharîb zurück und teilte es ihm mit. Da entbrannte in ihm ein zehrendes Feuer, und er ward von dem heißen Verlangen erfüllt, die Schmach zuzudecken und die Rache zu vollstrecken. Und er saß alsbald mit seinem Kriegsvolke auf, zum Kampfe bereit, und sie eilten dahin, bis sie den Feind erreichten. Da rief er den Leuten zu: ,Allah ist der Größte! Er komme über die verstockten Sünder, des Unglaubens Verkünder!' Und er streckte in einem einzigen Ansturm einundzwanzig Helden nieder; dann machte er mitten auf dem Felde Halt mit einem Herzen, in dem keine Feigheit galt; und er rief: ,Wo ist el-Dschamrakân? Er trete wider mich auf den Plan! Ich gieß ihm den Becher der Schmach in den Rachen! Ich will die Lande frei von ihm machen.' Kaum hatte Gharîb diese Worte gesprochen, so stürzte el-Dschamrakân hervor, einer Kanonenkugel Bild oder wie ein Felsstück, in Eisen gehüllt. Er war ein gewaltig großer Riese, und ohne Wort oder Gruß griff er Gharîb an gleich einem rebellischen Tyrann. Aber auch



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Gharîb sprengte ihm entgegen gleichwie ein blutgieriger Löwe. Nun hatte el-Dschamrakân eine Keule aus chinesischem Stahl, so gewaltig schwer, daß er einen Berg hätte zertrümmern können, wenn er mit ihr darauf geschlagen hätte. Die schwang er in der Hand und hieb mit ihr nach dem Haupte Gharîbs; aber der wich aus, und so sauste die Keule in die Erde und versank in ihr eine halbe Elle tief. Da griff Gharîb zu seiner Keule, traf den Feind mit ihr am Griffe seiner Hand und zerschmetterte ihm die Finger, also daß er die Keule aus der Hand fahren ließ. Dann neigte Gharîb sich mitten aus seinem Sattel, packte sie schneller als der blendende Blitz und hieb mit ihr el-Dschamrakân flach auf die Rippen, so daß er wie eine hochstämmige Palme zu Boden stürzte. Und Sahîm ergriff ihn, fesselte ihn und schleifte ihn an einem Seile dahin, während Gharîbs Reiter über die Reiter el-Dschamrakâns herfielen und fünfzig von ihnen niedermachten. Die übrigen flohen und hielten auf ihrer Flucht nicht eher an, als bis sie ihr Stammeslager erreicht hatten; dort erhoben sie ein lautes Klagegeschrei, und alsbald bestiegen alle, die in der Feste waren, ihre Rosse, eilten den Flüchtlingen entgegen und fragten sie, was es gäbe. Jene taten ihnen kund, was geschehen war; und als die Stammesgenossen erfuhren, daß ihr Häuptling gefangen war, eilten sie, ihn zu befreien, um die Wette in jenes Tal. Inzwischen war König Gharîb, nachdem el-Dschamrakân gefangen genommen war und seine Helden sich geflüchtet hatten, von seinem Rosse gestiegen und hatte befohlen, ihm den gefesselten Feind vorzuführen. Als der dann vor ihm erschien, sprach er mit demütigen Worten: ,Ich stelle mich unter deinen Schutz, o mächtigster Ritter unserer Zeit!' Doch Gharîb fahr ihn an: ,Du Araberhund. lauerst du den Knechten Allahs des Erhabenen auf und fürchtest dich nicht vor dem Herrn der Weltenei' ,Mein Gebieter,'



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fragte el-Dschamrakân, ,was ist der Herr der Welten?' Da rief Gharîb: ,Du Hund, was für Unglückswesen betest du denn an?' ,Mein Gebieter,' antwortete jener, ,ich verehre einen Gott aus Dattelmus, der mit zerlassener Butter und Honig zusammengeknetet ist, und zuweilen esse ich ihn auf; dann mache ich mir einen neuen."Da lachte Gharîb, bis er auf den Rücken fiel; dann fuhr er fort: ,Elender, niemand ist der Anbetung wert als allein Allah der Erhabene, der dich erschuf, er, der alle Dinge erschafft, er gibt allem Lebendigen Kraft, ihm bleibt kein Ding verborgen, und er ist über alle Dinge mächtig.' Nun fragte el-Dschamrakân: ,Wo ist dieser große Gott, auf daß ich ihn anbeten kann?' Gharîb erwiderte ihm: ,Du da, wisse, dieser Gott heißt Allah! Er hat Himmel und Erde erschaffen, er ließ die Bäume sprießen und die Ströme fließen, er schuf die wilden Tiere und Vögel all, Paradies und Höllenfeuer zumal, er verbirgt sich vor den Blicken, er sieht, aber keiner kann ihn erblicken. Er ist das höchste Wesen, er ist es. der uns erschafft und versorgt, es gibt keinen Gott außer Ihm!' Als el-Dschamrakân die Worte Gharîbs vernommen hatte. taten sich die Ohren seines Herzens auf, ein Schauer überlief ihn, und er rief: ,Mein Gebieter, was muß ich sagen, auf daß ich einer von euch werde und dieser gewaltige Herr an mir Gefallen habe?' Gharîb gab ihm zur Antwort: ,Sprich: Es gibt keinen Gott außer Allah; Abraham, der Gottesfreund. ist der Gesandte Allahs!' Da sprach el-Dschamrakân das Bekenntnis der Rechtgläubigkeit und ward verzeichnet unter dem Volke der Glückseligkeit. Und als Gharîb ihn fragte: ,Hast du die Süße des Islams gespürt?' antwortete er: ,Jawohl!' Dann rief Gharîb: ,Löst ihm die Fesseln!' Und wie das geschehen war,



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küßte der Häuptling den Boden vor Gharîb und küßte ihm auch den Fuß. Aber plötzlich brach eine Staubwolke hervor, die türmte sich empor, bis sich die Welt den Blicken verlor. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 643. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Dschamrakân, nachdem er Muslim geworden war, vor Gharîb den Boden küßte; aber plötzlich brach eine Staubwolke hervor, die türmte sich empor, bis sich die Welt den Blicken verlor. Und Gharîb rief: ,Sahîm, erkunde uns, was es mit dieser Wolke auf sich hat!' Der eilte dahin wie ein Vogel im Fluge, blieb eine Weile fort und kehrte dann zurück mit den Worten: ,O größter König unserer Zeit, dieser Staub kommt von den Banû 'Âmir, den Gefährten von el-Dschamrakân!' Da sprach Gharîb zu dem Häuptling: ,Sitze auf, reite deinem Volk entgegen und biete ihnen den Islam dar. Wenn sie dir gehorchen, so sollen sie gerettet werden; tun sie es aber nicht, so wollen wir das Schwert unter ihnen walten lassen.' Alsbald saß el-Dschamrakân auf und spornte seinen Renner zur Eile an, bis er jene Leute erreicht hatte: und als er sie anrief, erkannten sie ihn, saßen von ihren Rossen ab, traten an ihn heran und sprachen: ,Wir freuen uns über deine Rettung, o unser Gebieter!' ,Ihr Leute,' erwiderte er ihnen, ,wer mir gehorcht, der wird gerettet; doch wer mir zuwiderhandelt, den zerschlage ich mit diesem Schwerte!' Und sie antworteten ihm: ,Gebiete uns, was du willst, wir werden uns deinem Befehle nicht widersetzen!' Da fuhr er fort: ,Sprechet mit mir: Es gibt keinen Gott außer Allah; Abraham ist der Freund Allahs!' Sie aber fragten: ,O unser Gebieter, woher hast du diese Worte?' Und nun erzählte



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er ihnen, was er mit Gharîb erlebt hatte, und schloß mit den Worten: ,Ihr Leute, ihr wißt doch, daß ich ein Führer bin unter euch auf dem Blachgefild, der Stätte, da Schwertschlag und Lanzenstich gilt! Und doch konnte dieser einzige Mann mich fassen und mich den Becher der Schmach und Schande kosten lassen.' Nachdem seine Leute solche Worte von ihm vernommen hatten, sprachen sie das Bekenntnis der Einheit Gottes. Dann zog el-Dschamrakân mit ihnen zu Gharîb, und sie erneuerten ihr Bekenntnis zum Islam vor ihm und wünschten ihm Sieg und Ruhm, nachdem sie den Boden vor ihm geküßt hatten. Gharîb freute sich ihrer und sprach zu ihnen: ,Geht zu euren Stammesgenossen und bietet ihnen den Islam dar!' Aber Dschamrakân und seine Krieger sprachen: ,O unser Gebieter, wir wollen uns nicht mehr von dir trennen: sondern wir wollen hingehen und unsere Kinder holen und dann wieder zu dir kommen!' ,Ihr Leute,' sagte darauf Gharîb, ,gehet hin und kommt dann zu mir in die Stadt Kufa!' Nun ritten el-Dschamrakân und seine Krieger dahin, bis sie zu ihrem Stamm kamen, und boten ihren Frauen und Kindern den Islam dar; und nachdem jene allesamt den rechten Glauben angenommen hatten, brachen sie die Zelte und Hütten ab, trieben die Rosse, die Kamele und das Kleinvieh fort und zogen nach Kufa. Inzwischen war auch Gharîb aufgebrochen, und als er sich Kufa näherte, kamen ihm die Ritter im. Prunkzuge entgegen. Darauf begab er sich in das Königsschloß, setzte sich auf den Thron seines Vaters, und die Helden reihten sich auf zur Rechten und zur Linken. Dann traten die Späher herein und meldeten ihm, sein Bruder 'Adschîb habe sich zu el-Dschaland ibn Karkar geflüchtet, dem Herrscher in der Stadt 'Omân und im Lande Jemen. Als Gharîb diese Kunde über seinen Bruder erfuhr, rief er seinen Leuten zu: ,Ihr Leute, haltet



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euch bereit zum Marsche in drei Tagen!' Dann bot er den dreißigtausend Mann, die er im ersten Kampfe gefangen genommen hatte, den Islam dar und forderte sie auf, mit ihm zu ziehen. Zwanzigtausend von ihnen wurden gläubig; aber zehntausend weigerten sich, und die wurden getötet. Nun traten el-Dschamrakân und seine Mannen vor und küßten den Boden vor ihm; er verlieh ihnen prächtige Ehren gewänder und machte den Häuptling zum Heerführer, indem er sprach: ,Dschamrakân, sitz auf mit den Vornehmen deiner Sippe und mit zwanzigtausend Rittern und zieh mit ihnen als Vortrab des Heeres hin zu dem Lande von el-Dschaland ibn Karkar, dem Herrn der Stadt 'Omân.' ,Ich höre und gehorche!' antwortete el-Dschamrakân und machte sich mit seinen Leuten auf den Weg, nachdem sie ihre Frauen und Kinder in Kufa zurückgelassen hatten. Dann musterte Gharîb den Harem des Mirdâs, und als sein Auge auf Mahdîja fiel, die sich unter den Frauen befand, sank er ohnmächtig zu Boden. Man besprengte sein Gesicht mit Rosenwasser: und als er wieder zu sich kam, umarmte er Mahdîja und führte sie in ein Wohngemach. Dort setzte er sich zu ihr, und sie ruhten beieinander ohne Unkeuschheit. Als es wieder Morgen ward, ging er hinaus, ließ sich auf den Thron seiner Herrschaft nieder, verlieh seinem Oheim ed-Dâmigh ein Ehrengewand und machte ihn zum Statthalter über ganz Irak, indem er zugleich Mahdîja seiner Obhut anvertraute, bis er von dem Feldzuge wider seinen Bruder zurückkehren werde. Nachdem jener den Befehl gehorsam entgegengenommnen hatte, brach der König auf mit zwanzigtausend Reitern und zehntausend Mann zu Fuß und zog nach dem Gebiete von 'Omân und dem Lande Jemen.

Als nun 'Adschîb mit seinem Heere auf der Flucht nach der Stadt 'Omân gekommen war, da war der Staub, den sie aufwirbelten,



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dem Volke der Stadt sichtbar geworden. Auch el-Dschaland ibn Karkar hatte die Staubwolke gesehen und sofort seinen Läufern befohlen, ihm darüber Kunde zu bringen. Die blieben eine Weile fort, und als sie dann zurückkehrten. meldeten sie ihm, daß diese Staubwolke vom Heere eines Königs herrühre, der 'Adschîb heiße und im Irak herrsche; el-Dschaland war erstaunt, daß 'Adschîb in sein Land kam, aber als er dessen gewiß war, sprach er zu seinen Leuten: ,Ziehet aus, ihm entgegen!' Da zogen sie 'Adschîb entgegen und schlugen die Zelte für ihn vor dem Stadttore auf. 'Adschîb selbst aber ging weinend und bekümmerten Herzens zu el-Dschaland hinauf. Nun hatte 'Adschibs Base, die Tochter seines Oheims väterlicherseits, sich mit el-Dschaland vermählt, und er hatte auch Kinder von ihr; und wie er seinen Schwäher in solchem Zustande sah, sprach er zu ihm: ,Tu mir kund, was dir widerfahren ist!' Da erzählte jener ihm alles, was er mit seinem Bruder erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende; und er schloß mit den Worten: ,O König, er befiehlt auch den Menschen, den Herrn des Himmels anzubeten, und verbietet ihnen den Dienst der Götzen und der anderen Götter.' Als el Dschaland diese Worte vernommen hatte, raste er in sündiger Wut und Glut und rief: ,Bei der Sonne, die uns das Licht gegeben, ich lasse von deines Bruders Volk nicht eine Seele am Leben! Wo hast du sie verlassen? Und wie viele sind ihrer?' 'Adschîb erwiderte: ,Ich habe sie in Kufa verlassen, und es sind ihrer fünfzigtausend Ritter.' Da rief el-Dschaland seine Krieger und seinen Wesir Dschuwamard und sprach zu ihm: ,Nimm mit dir siebenzigtausend Ritter und zieh mit ihnen gen Kufa zu den Muslimen, bringe sie mir lebendig, auf daß ich sie mit vielerlei Foltern bestrafen kann.' So brach denn Dschuwamard mit dem Heere auf in der Richtung von Kufa und zog



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dahin den ersten Tag und den zweiten Tag bis zum siebenten Tage. Dann kamen sie auf ihrer Fahrt in ein Tal mit Bäumen, fruchtbehangen, unter denen die Bächlein sprangen. Und dort befahl Dschuwamard seinem Heere, Haltzumachen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 644. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschuwamard, als el-Dschaland ihn mit dem Heere gegen Kufa gesandt hatte, zu einem Tale kam mit Bäumen, fruchtbehangen, unter denen die Bächlein sprangen; und dort befahl er seinem Heere, Halt zu machen, und alle ruhten bis zur Mitte der Nacht. Dann gab er ihnen das Zeichen zum Aufbruch, schwang sich auf seinen Renner und ritt den anderen vorauf bis zur Zeit kurz vor Tagesanbruch. Und sie zogen in ein Tal hinab, in dem sich viele Bäume befanden und duftende Blumen standen, und wo auf schwankenden Zweigen die Vöglein sangen in munterem Reigen. Da blies der Satan ihn auf, so daß ihm die Brust schwoll, und er sang diese Verse:

Ich wate mit dem Heer durch jedes Meer von Staub
Und treibe die Gefangnen kühn und stark dahin.
Des Landes Ritter wissen, daß ich bei dem Feind
Gefürchtet, doch dem Stamme ein Beschützer bin.
Gharîb auch schlepp ich fort in Eisenfesseln schwer
Und kehre freudig heim in lauter Fröhlichkeit.
Ich trag das Panzerhemd und greif zu meinem Schwert
Und zieh nach allen Seiten immer kampfbereit.

Kaum aber hatte Dschuwamard sein Lied gesungen, da trat ihm aus den Bäumen entgegen ein Ritter, die Nasestolz emporgereckt und ganz von Eisen bedeckt. Der schrie ihn an mit den Worten: ,Bleib stehen, du Araberstrolch, leg deine Kleider und deine Waffen ab, steige von deinem Rosse, daß du mit



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dem Leben davon kommst!' Als Dschuwamard diese Worte vernahm, da wurde das helle Tageslicht finster vor seinem Angesicht; und er zückte sein Schwert, stürmte auf el-Dschamrakân los und rief ihm zu: ,O du Araberstrolch. willst du mir den Weg verlegene Ich bin der Hauptmann der Schar el-Dschalands ibn Karkar! Ich will Gharîb und seine Schar gefesselt vor ihn bringen!' Wie el-Dschamrakân das hörte, rief er: ,Wie kühlt dies mir das Herz!' Und er ritt zum Angriff auf Dschuwamard, indem er diese Verse sang:

Ich bin der Rittersmann, bekannt im Schlachtgefild;
Es fürchtet jeder Feind mein Schwert und meinen Speer.
Ich bin el-Dschamrakân, auf den man hofft im Krieg;
Es kennen meinen Stich die Ritter ringsumher.
Gharîb ist mein Emir, ja, mein Imam, mein Herr,
Ein Löwe in der Schlacht, wenn Heer auf Heer sich stürzt,
Ein frommer Glaubensheld voll wildem Kampfesmut,
Der auf dem Blachgefild dem Feind das Leben kürzt!
Des Gottesfreundes Glauben bietet er uns dar
Durch Gottes Wort, zum Trotz der falschen Götzenschar.

El-Dschamrakân war nämlich, nachdem er mit seinen Kriegern die Stadt Kufa verlassen hatte, zehn Tagelang auf dem Marsche gewesen, und am elften hatten sie Halt gemacht und sich bis zur Mitternacht ausgeruht. Dann hatte er das Zeichen zum Aufbruch gegeben und war dem Heere vorangeritten; so kam er denn in jenes Tal und hörte Dschuwamard die Verse singen, die wir schon berichtet haben. Und nun drang er auf ihn ein wie ein reißender Löwe, hieb mit dem Schwerte nach ihm und spaltete ihn in zwei Hälften; dann wartete er, bis die Hauptleute kamen, und tat ihnen kund, was geschehen war. Und weiter sprach er zu ihnen: ,Verteilt euch so, daß je fünf von euch fünftausend Mann nehmen und das Tal umzingeln. Ich will mit den Banû 'Âmir, wenn der Vortrab der Feinde



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ankommt, über sie herfallen und rufen: ,Allah ist der Größte!' Wenn ihr meinen Schlachtruf hört, so greift an, erhebt das gleiche Feldgeschrei und schlagt auf sie mit dem Schwerte!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie, kehrten zu ihren Helden zurück und meldeten ihnen den Befehl. Darauf verteilten sie sich rings um das Tal beim Anbruch der Morgenröte. Plötzlich erschien das feindliche Heer, gleichwie eine Herde von Schafen, und füllte Berg und Tal. Da fielen el-Dschamrakân und die Banû 'Âmir über sie her mit dem Rufe ,Allah ist der Größte', sodaß alle Gläubigen und Heiden es hörten. Und nun riefen die Muslime von allen Seiten: ,Allah ist der Größte! Sieg und Heil! Den Heiden werde Schmach zuteil!' Und von Bergen und Hügeln kam der Widerhall, Wüsten und Wiesen riefen ,Gott ist der Größte' mit lautem Schall. Darob gerieten die Heiden in wirren Schrecken, und sie begannen einander mit dem schneidenden Schwerte niederzustrecken, während der Muslime fromme Schar im Angriff gleichwie ein Feuerbrand war. Und da sah man nichts als Köpfe sausen, Blutströme brausen und Feiglinge voll Grausen. Als man die Gesichter wieder erkennen konnte, da waren zwei Drittel der Heiden tot, und Allah jagte ihre Seelen alsbald ins Höllenfeuer, an die Stätte der Not. Die übrigen flüchteten und zerstreuten sich in der Wüste weit und breit; doch die Muslime verfolgten sie, hieben nieder und machten Gefangene bis zur Mittagszeit. Da kehrten sie mit siebentausend Gefangenen um; und nur sechsundzwanzigtausend von den Ungläubigen kamen heim, und auch von ihnen waren die meisten verwundet. Nachdem so die Muslime siegreich und im Triumphe aus dem Kampfe hervorgegangen waren, sammelten sie die Pferde und die Waffen. die Lasten und die Zelte und sandten die Beute unter dem Schutze von tausend Rittern nach Kufa. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 645. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Dschamrakân, nachdem zwischen ihm und Dschuwamard der Kampf entbrannt war, diesen erschlug; und er richtete auch unter dessen Leuten ein Blutbad an, nahm viel Volks von ihnen gefangen, erbeutete ihr Gut, ihre Pferde und ihre Lasten und sandte sie unter dem Schutze von tausend Rittern nach Kufa. Dann saß er mit dem Heere des Islams ab, und sie boten den Gefangenen den rechten Glauben dar. Nachdem jene darauf mit Herz und Zunge das Bekenntnis abgelegt hatten, nahmen sie ihnen die Fesseln ab, umarmten sie und freuten sich ihrer. Nun waren die Truppen el-Dschamrakâns auf eine große Heeresmasse herangewachsen, und nachdem er sie einen Tag und eine Nacht hatte ruhen lassen, brach er mit ihnen in der Frühe auf nach der Richtung des Landes von el-Dschaland ibn Karkar; die tausend Ritter mit der Beute aber zogen nach Kufa zurück. Dort berichteten sie dem König Gharîb, was geschehen war, und er freute sich über die frohe Botschaft. Dann wandte er sich zu dem Bergghûl und sprach zu ihm: ,Sitz auf und nimm zwanzigtausend Ritter mit dir und folge el-Dschamrakân!' Da saß der Ghûl Sa'dân auf, zusammen mit seinen Söhnen und mit zwanzigtausend Rittern, und sie machten sich auf den Weg nach der Stadt 'Omân.

Inzwischen hatten die flüchtigen Heiden auch die Stadt erreicht; doch sie weinten und erhoben laute Klagerufe. Dadurch ward el-Dschaland ihn Karkar erschreckt, und er rief ihnen zu: ,Welch Unheil hat euch betroffene' Und nachdem sie ihm berichtet hatten, was ihnen widerfahren war, fuhr er fort: ,Wehe euch! Wie viele waren ihrer?' ,O König,' antworteten



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sie, ,es waren zwanzig Fähnlein, und unter jedem Fähnlein waren tausend Ritter.' Als er das hörte, rief er: ,Die Sonne sende keinen Segen auf euch hernieder! Weh euch! Wie können zwanzigtausend euch schlagen, da ihr siebenzigtausend waret und Dschuwamard es mit dreitausend auf dem Schlachtfelde aufnehmen konnte!' Und im Übermaße seines Schmerzes zog er sein Schwert und schrie sie an und rief denen, die zugegen waren, die Worte zu: ,Los auf sie!' Da zogen die Mannen ihre Schwerter gegen die Flüchtlinge, vernichteten sie bis zum letzten Mann und warfen die Leichen den Hunden vor. Dann rief el-Dschaland seinen Sohn herbei und sprach zu ihm: ,Sitz auf mit hunderttausend Rittern! Zieh nach Irak mit dieser Schar und verwüste das Land ganz und gar!' Jener Prinz war el-Kuradschân geheißen, und es gab im Heere seines Vaters keinen mutigeren Ritter als ihn; denn er konnte es allein mit dreitausend Rittern aufnehmen. Der ließ also seine Zelte holen, die Helden kamen zuhauf, die Mannen machten sich auf; alle begannen die Hände zu regen und die Rüstungen anzulegen. Dann zogen sie dahin, Reihe hinter Reihe, und el-Kuradschân an ihrer Spitze brüstete sich und sang dies Lied:

Ich bin el-Kuradschân! Meine Name ist bekannt!
Ich zwang die Menschen all in Stadt und Wüstenland.
Wie mancher Reitersmann ward meines Schwertes Raub:
Der brüllte wie ein Stier und wälzte sich im Staub!
Wie manches große Heer zerstreut ich übers Feld;
Die Schädel habe ich gleich Bällen hingeschnellt.
Jetzt zieh ich gen Irak, bekämpfe dort den Feind,
Daß seines Blutes Strom dem Regen gleich erscheint.
Gharîb und seine Schar nehm ich gefangen dann;
Die seien eine Warnung jedem klugen Mann!

Zwölf Tage lang ritten sie dahin; da plötzlich, während sie auf dem Marsche waren, wirbelte eine Staubwolke empor, die



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legte dem Horizont und aller Welt einen Schleier vor. Alsbald rief el-Kuradschân die Späher und sprach zu ihnen: ,Bringt mir Kunde über diese Wolke da!' Die eilten dahin, bis sie unter den Fahnen des Feindes vorbeigehen konnten, und kehrten dann zu el-Kuradschân zurück. Ihm berichteten sie: ,O König, diese Staubwolke rührt von den Muslimen her.' Erfreut fragte er sie: ,Habt ihr sie gezählt?' Und sie antworteten: ,Wir zählten ihrer zwanzig Fähnlein.' Er aber rief: ,Bei meinem Glauben, ich will nicht einen einzigen Mann wider sie ausschicken, sondern ich will allein gegen sie zu Felde ziehen und ihre Köpfe unter die Hufe der Rosse streuen!' In jener Staubwolke aber befand sich das Heer el-Dschamrakâns; und als er die Heerhaufen der Heiden erblickte und sah, daß sie dem brandenden Meere gleich waren, befahl er seinen Kriegern, abzusitzen und die Zelte aufzuschlagen. Da stiegen sie von ihren Rossen, ließen die Banner wehen und begannen den Namen des allwissenden Königs anzuflehen, durch dessen Macht Licht und Finsternis entstehen, des Herrn aller Dinge, der da sieht, doch Er wird nicht gesehen; Er ist das höchste Wesen, gepriesen und erhaben, es gibt keinen Gott außer Ihm! Auch die Heiden saßen ab und schlugen ihre Zelte auf; und ihr Führer sprach zu ihnen: ,Behaltet eure Wehr und Waffen und legt euch in voller Rüstung zum Schlafen nieder! Doch wenn das letzte Drittel der Nacht anhebt, so sitzet auf und zerstampft diese Handvoll Leute da!' Aber der Späher von el-Dschamrakân hatte dort gestanden und gehört, welchen Plan die Ungläubigen ausgeheckt hatten; und so kehrte er zu seinem Herrn zurück und brachte ihm die Nachricht. Der sprach zu seinen Helden: ,Wappnet euch, und sowie es Nacht geworden ist, bringt mir alle Maultiere und Kamele und alle Schellen und Glocken und bindet sie den Tieren um den Hals.' Es waren aber mehr



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als zwanzigtausend Kamele und Maultiere im Lager. Das Heer der Gläubigen wartete nun, bis die Heiden in Schlaf versunken waren. Dann befahl el-Dschamrakân seinen Leuten. aufzusitzen; und sie stiegen zu Rosse, indem sie auf Allah ihr Vertrauen setzten und von dem Herrn der Welten den Sieg erflehten. Der Führer sprach: ,Treibt die Kamele und Maultiere in das Lager der Ungläubigen und stachelt sie an mit den Lanzenspitzen!' Sie taten, was er ihnen befahl, und nun stürmten Maultiere und Kamele auf das Lager der Ungläubigen, während die Glocken und Schellen rasselten und läuteten; die Muslime aber ritten hinter ihnen her und riefen laut: Allah ist der Größte!' Da hallte von Bergen und Hügeln weit und breit der Name des erhabenen Königs, des Herrn der Allmacht und Herrlichkeit. Doch wie die Pferde diesen gewaltigen Lärm hörten, brachen sie aus und zerstampften die Zelte all und die Schläfer zumal. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 646. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Männer der Vielgötterei, als el-Dschamrakân mit seinen Kriegern, seinen Rossen und Kamelen bei Nacht über die Schläfer kam, erschreckt aufführen und zu den Waffen griffen; und nun fielen sie mit den Schwertern übereinander her, bis die Mehrzahl von ihnen erschlagen war. Wie sie dann aber einander ansahen, entdeckten sie, daß keiner von den Muslimen getötet war, sondern. daß die in Wehr und Waffen hoch zu Rosse saßen. Da wußten sie, daß sie einer List zum Opfer gefallen waren, und el-Kuradschân rief dem Reste seiner Mannen zu: ,Ihr Bastarde, was wir ihnen antun wollten, das haben sie uns angetan! Ihre List hat über unsere Schlauheit den Sieg davongetragen.' Schon



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wollten sie angreifen, da wirbelte eine Staubwolke empor, die legte der Welt einen Schleier vor. Doch wie die Winde sie trafen, stieg sie auf und zog wie ein Baldachin hoch oben durch die Lüfte dahin. Unter der Wolke aber begann ein Lichtertanz von leuchtenden Helmen und Panzern von blitzendem Glanz. Und da waren lauter Helden verwegen, gegürtet mit indischen Degen, und man sah sie die biegsamen Lanzen einlegen. Kaum hatten die Ungläubigen jene Staubwolke erblickt, so standen sie vom Kampfe ab; und beide Seiten schickten Späher aus, die unter die Staubwolke eilten; und nachdem sie sich umgeschaut hatten, kehrten sie heim und berichteten, es seien Muslime. Es war aber das herannahende Heer, das Gharîb ausgesandt hatte, das Heer des Bergghûls; er selbst ritt an der Spitze seiner Schar und vereinigte sich nun mit dem Heere der frommen Muslime. Alsbald griff el-Dschamrakân mit seinem Kriegsvolke an, und sie stürzten sich auf der Ungläubigen Schar, so daß ihr Angriff wie ein Feuerbrand war. Sie ließen das scharfe Schwert unter den Feinden tanzen und die starken, zitternden Lanzen; da verfinsterte sich das Tageslicht, ein Schleier legte sich vor jedes Gesicht, denn der Staub war so dicht. Der stürmische Held hielt stand, der Feigling wich, zur Flucht gewandt, und eilte in Wüsten und Steppenland, und das Blut, das auf den Boden floß, war wie ein Sturzbach, der sich ergoß. Unaufhörlich tobte der Kampf, bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing. Dann trennten sich die Muslime von den Heiden, und sie ließen sich in ihren Zelten nieder, aßen und hielten Nachtruhe, bis das Dunkel sich neigte und der lächelnde Tag sich zeigte. Dann beteten die Muslime das Frühgebet und saßen wieder auf zum Kampfe. El-Kuradschân aber hatte, als seine Leute aus der Schlacht heimkehrten, fast alle verwundet, nachdem zwei



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Drittel ihrer Scharen durch Schwerter und Lanzen gefallen waren, zu den Überlebenden gesagt: ,Ihr Mannen, morgen trete ich aufs Blachgefild, die Stätte, da Schwertschlag und Lanzenstich gilt, und dann will ich die Recken im Kampf niederstrecken!' Und wie sich der Morgen einstellte und alles mit seinem Licht und Glanz erhellte, saßen beide Heere auf und begannen laut zu schrein; sie zückten die Schwerter und legten die braunen Lanzen ein und ordneten sich zu Kampf und Streit in Reihn. Der erste, der das Tor der Schlacht auftat, war el-Kuradschân ibn el-Dschaland ibn Karkar: der rief: ,Kein Feiger, kein schwächlicher Mann trete heute wider mich heran!' Dies geschah, während el-Dschamrakân und Sa'dân der Ghûl unter den Feldzeichen hielten. Da stürmte plötzlich ein Häuptling von den Banû 'Amir zum Kampfe mit el-Kuradschân auf den Plan, und die beiden griffen wie zwei stoßende Widder einander an, bis eine lange Weile verrann. Dar auf aber fiel el-Kuradschân über den Häuptling her, packte um an seinem Panzerhernd, zog und zerrte ihn aus dem Sattel und warf ihn zu Boden. Dort ließ er ihn liegen; und die Ungläubigen kamen, fesselten ihn und schleppten ihn in ihr Lager. Und von neuem tummelte el-Kuradschân sich weit und breit und rief die Kämpfer zum Streit. Da ritt ein zweiter Häuptling hervor; auch den nahm er gefangen. So brachte er einen Häuptling nach dem andern zu Fall, bis er noch vor der Mittagszeit sieben von ihnen erbeutet hatte. Da stieß el-Dschamrakân einen Schrei aus, von dem das Schlachtfeld widerhallte und der in die Ohren aller Krieger auf beiden Seiten schallte. Und er stürmte gegen el-Kuradschân mit zornentbranntem Herzen heran, indem er sang:

Ich bin el-Dscharnrakân, der Mann des starken Herzens,
Die Reitersiente alle fürchten meinen Hieb.



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Ich riß die Burgen nieder, ließ die Mauern klagen
Und weinen, weil kein Ritter mehr in ihnen blieb.
Doch du, o Kuradschân, der Weg der rechten Leitung
Liegt da vor dir, verlasse du des Irrtums Pfad!
Bekenn den Einen Gott, der hoch im Himmel thronet,
Der Meere schuf und Berge festgegründet hat.
Wenn sich der Mensch bekehrt, so ist der Himmel sein
Dereinst, und er entgeht der bittren Höllenpein.

Als el-Kuradschân diese Worte hörte, begann er zu hauchen und zu fauchen und Schmähworte gegen Sonne und Mond zu gebrauchen; und er sprengte wider el-Dschamrakân, indem er sang:

Ich bin el-Kuradschân, der größte Held der Zeit,
Der Wildnis Löwen fürchten gar mein Schattenbild.
Die Burgen stürme ich; die Leuen jage ich;
Und jeder Ritter fürchtet üch im Kampfgefild.
Und wenn du meinem Wort nicht glaubst, o Dschamrakân,
Komm her, miß dich mit mir im Streit hier auf dem Plan.

Und als el-Dschamrakân seine Worte vernommen hatte, griff er ihn festen Herzens an; und die beiden hieben die Schwerter, die aufeinanderprallten, daß die Schlachtreihen davon widerhallten; sie stachen mit den Lanzen aufeinander los, und das Getümmel zwischen ihnen war groß. Unaufhörlich tobte Kampf und Gefecht zwischen den beiden, bis die Zeit des Nachmittagsgebetes vorüber war und der Tag sich neigte. Da zuletzt stürmte el-Dschamrakân wider el-Kuradschân und traf ihn mit der Keule auf die Brust, so daß er ihn fällte wie einen Palmenstamm. Die Muslime fesselten ihn und schleppten ihn wie ein Kamel am Seile davon. Doch als die Ungläubigen sahen, daß ihr Anführer gefangen war, packte sie die Wut des Heidentums, und sie griffen die Muslime an, um ihren Herrn zu befreien. Aber die Helden der Gläubigen zogen dawider



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und streckten die meisten von ihnen zur Erde nieder, so daß die übrigen sich wandten und flüchtig um ihr Leben rannten, während die klirrenden Schwerter ihnen noch im Nacken brannten. Und die Muslime ließen nicht eher von der Verfolgung ab, als bis sie die Feinde über Berg und Steppe zerstreut hatten. Darauf kehrten sie von ihnen zu der Beute zurück, und das war eine ungeheure Menge von Pferden, Zelten und anderen Dingen. Ja, sie machten eine Beute, wie sie nicht gewaltiger sein konnte! Dann begaben sie sich in ihre Zelte, und el-Dschamrakân bot el-Kuradschân den Islam an: doch ob er ihm gleich drohte und Furcht einzuflößen suchte, bekehrte jener sich nicht. Da schlugen die Gläubigen ihm den Nacken durch und steckten sein Haupt auf eine Lanze. Und dann brachen sie auf in der Richtung der Stadt 'Omân. Sehen wir nun, was die Ungläubigen taten! Sie brachten ihrem König die Kunde von dem Tode seines Sohnes und dem Untergange des Heeres. Und als el-Dschaland solche Kunde vernahm, warf er seine Krone zu Boden und schlug sein Gesicht, bis das Blut ihm aus der Nase drang und er ohnmächtig niedersank. Man sprengte ihm Rosenwasser ins Gesicht, und als er wieder zu sich kam, rief er sogleich seinen Wesir und sprach zu ihm: ,Schreibe Briefe an alle Statthalter und befiehl ihnen, sie sollen keinen, der mit dem Schwerte zu schlagen, mit der Lanze zu stoßen, den Bogen zu führen weiß, zurücklassen, sondern allesamt hierherbringen.' Nachdem die Briefe geschrieben waren, sandte er sie mit Eilboten aus; und die Statthalter rüsteten sich und kamen mit einem gewaltigen Heer, das hundertundachtzigtausend Mann zählte. Nun wurden auch die Zelte, die Kamele und die edlen Rosse bereitgehalten. Und gerade wollten sie aufbrechen, da kamen el-Dschamrakân und der Ghûl Sa'dân mit siebenzigtausend Rittern



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an, gleich einer trutzigen Löwenschar, und alle mit Eisen bedeckt ganz und gar. Und als el-Dschaland die Muslime daherziehen sah, freute er sich und rief: .Bei der Sonne, die uns das Licht gegeben, ich lasse von den Feinden keine Seele am Leben, noch auch einen einzigen Mann, der Kunde zurückbringen kann. Ich will Irak verwüsten und die Rache vollstrecken für meinen Sohn, den kriegerischen Recken; und mein Feuer erkalte nie!' Darauf wandte er sich zu 'Adschîb und sprach zu ihm: ,Du Hund aus dem Irak, dies Unheil hast du über uns gebracht. Aber bei dem, was ich anbete, wenn ich mich nicht an meinem Feinde rächen kann, so lasse ich dich des schimpflichsten Todes sterben.' Wie 'Adschîb diese Worte hörte, ward er von tiefem Gram ergriffen, und er schalt sich selber. Dann wartete er, bis die Muslime Halt gemacht und ihre Zelte aufgeschlagen hatten; und sobald die Nacht angebrochen war, sprach er zu den Leuten aus seinem Stamme, die sich noch bei ihm befanden und die wie er aus dem königlichen Lager ausgewiesen waren: ,Söhne meines Oheims, seit die Muslime angekommen sind, bin ich in große Furcht geraten, und wie ich, so auch el-Dschaland. Und ich weiß, daß er mich nicht vor meinem Bruder noch vor irgendeinem anderen schützen kann. So geht denn mein Rat dahin, daß wir uns aufmachen, wenn aller Augen schlafen, und uns zu König Ja'rub ibn Kahtân begeben. Der hat ein größeres Heer und ist stärker an Macht.' Als seine Leute diese Worte vernahmen, sagten sie: ,Dies ist das Rechte!' Darauf befahl er ihnen, das Feuer an den Türen der Zelte anzuzünden und im Dunkel der Nacht zu verschwinden. Sie taten, was er ihnen befohlen hatte, und brachen auf, und bei Tagesanbruch hatten sie schon ein weites Land durchmessen. Am Morgen nun standen el-Dschaland und die zweihundertundsechzigtausend Mann gerüstet da,



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ganz mit Eisen bedeckt und in dichtmaschigen Panzern versteckt. Man schlug die Trommeln zum Streit, und die Schlachtreihen stellten sich auf, zu Hieb und Stich bereit. Und el-Dschamrakân und Sa'dân saßen auf mit vierzigtausend Rittern, tapferen Helden, unter jedem Fähnlein tausend starke, treffliche Degen, im Kampfe verwegen. Die beiden Heere renten sich, begierig auf Schwerthieb und Lanzenstich, und sie begannen die Klingen zu ziehen und die geschmeidigen Lanzen zu heben, um den Todesbecher zu trinken zu geben. Und der erste, der das Tor der Schlacht auftat, war Sa'dân, einem Berge aus Feuerstein gleich oder einem der Mârids aus dem Geisterreich. Ihm entgegen sprengte ein Held von den Ungläubigen; den tötete er und warf ihn aufs Blachfeld. Dann tiefer seine Söhne und Sklaven und sprach: ,Zündet das Feuer an und röstet mir den Toten da!' Sie führten seinen Befehl aus und brachten ihm den gerösteten Feind; da fraß er ihn auf und zerkaute auch die Knochen, während die Ungläubigen dastanden und ihm von fern zuschauten; die riefen: ,O Sonne, Spenderin des Lichtes!' und fürchteten sich davor, mit Sa'dân zu kämpfen. Doch el-Dschaland schrie seinen Kriegern zu: ,Haut das Ekel danieder!' Da zog ein anderer Hauptmann der Ungläubigen ins Feld; aber Sa'dân erschlug ihn, ja, er streckte einen Ritter nachdem anderen nieder, bis er ihrer dreißig gefällt hatte. Nun begannen die elenden Heiden den Kampf mit Sa'dân zu meiden; und sie riefen: ,Wer kann denn mit Geistern und Dämonen kämpfen?' Aber wieder schrie el-Dschaland: ,Hundert Ritter sollen ihn angreifen und ihn vor mich bringen, gefesselt oder tot!' Es ritten also hundert Ritter vor und stürmten wider Sa'dân einher und griffen ihn an mit Schwert und Speer. Er aber empfing sie mit einem Herzen, härter als Feuerstein, indem er die Einheit des allvergeltenden Königs bekannte, den noch nie



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eine Sache von einer anderen abwandte. Und indem er rief: .Allah ist der Größte!' hieb er mit dem Schwert auf sie ein und mähte ihre Köpfe ab; in einem einzigen Ansturm erschlug er ihrer vierundsiebenzig. Als die übrigen die Flucht ergriffen, rief el-Dschaland zehn Hauptleute herbei, von denen ein jeder über tausend Helden gebot, und sprach zu ihnen: ,Schießet mit Pfeilen auf sein Roß, bis daß es unter ihm zusammenbricht; und dann legt Hand an ihn!' Nun stürmten zehntausend Ritter auf Sa'dân ein; doch er sah ihnen festen Herzens entgegen. Als el-Dschamrakân und die Muslime erkannten, daß die Ungläubigen den Angriff auf Sa'dân machten, erhoben sie das Feldgeschrei und warfen sich ihnen entgegen. Aber ehe sie noch den Ghûl erreichen konnten, hatten die Feinde schon sein Pferd getötet und ihn gefangen genommen. Und sie hörten nicht eher mit dem Kampfe gegen die Heiden auf; als bis der Tag entwich bei des Dunkels Nahen und aller Augen nichts mehr sahen. Da schwirrte das Schwert mit dem schneidenden Rand, da hielt jeder tapfere Ritter stand, während den Feigen der Atem schwand. Die Muslime aber waren unter den Ungläubigen wie ein weißes Mal auf einem schwarzen Stier. — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 667. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kampf wütete zwischen den Gläubigen und den Heiden, bis die Muslime unter den Ungläubigen wie ein weißes Mal auf einem schwarzen Stier waren. Ohn Unterlaß tobte Kampf und Streit bis zum Anbruche der Dunkelheit; da trennten die Heere sich voneinander. Von den Heiden war eine zahllose Menge gefallen; und el-Dschamrakân und seine Leute kehrten in tiefer Trauer um Sa'dân zurück, Speise und Schlummer raubte ihnen



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der Kummer, und als sie ihre Scharen musterten, fanden sie, daß weniger als tausend auf ihrer Seite gefallen waren. Da sprach el-Dschamrakân: ,Ihr Leute, ich will hinausreiten aufs Schlachtgefild, die Stätte, da Schwertschlag und Lanzenstich gilt; ich will ihre Helden niederhauen, ich will ihre Kinder und Frauen erbeuten und gefangen nehmen und mit ihnen Sa'dân loskaufen, wenn der allvergeltende König mir die Erlaubnis schenkt, Er, den nie eine Sache von einer anderen ablenkt.' So beruhigten sich ihre Herzen, und froh begaben sie sich in ihre Zelte.

Derweilen war auch el-Dschaland in sein Prunkzelt getreten und hatte sich auf den Thron seiner Herrschaft gesetzt, und seine Mannen scharten sich um ihn. Da rief er nach Sa'dân, und als der vor ihn gebracht war, fuhr er ihn an: ,Du Hund voll toller Wut. du Gemeinster der Araberbrut, du, nur zum Holzschleppen gut, wer konnte es wagen, meinen Sohn el-Kuradschân zu erschlagen, den tapfersten Mann der Zeit, der die Gegner tötete im Streit und die Helden niederstreckte weit und breit?' Sa'dân antwortete ihm: ,El-Dschamrakân erschlug ihn, der Feldhauptmann des Königs Gharîb, aller Ritter Herr; und ich hab ihn geröstet und aufgegessen, denn mich hungerte sehr.' Als el-Dschaland diese Worte von Sa'dân hörte, sanken ihm die Augen vor Wut in den Schädel, und er befahl, dem Ghûl den Hals abzuschlagen. Alsbald kam der Schwertmeister, um seines Amtes zu walten, und trat an Sa'dân heran; der aber reckte sich in seinen Fesseln und zerbrach sie, stürzte sich auf den Schwertmeister, riß ihm das Schwert aus der Hand und schlug ihm den Kopf ab. Dann eilte er auf el-Dschaland zu; doch der warf sich von seinem Throne herab und flüchtete. Nun fiel Sa'dân über die anderen her, die zugegen waren, und tötete zwanzig von den Würdenträgern des Königs, während



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die übrigen Hauptleute flohen. Da erhob sich ein Geschrei im Lager der Ungläubigen; und Sa'dân stürzte sich auf alle Heiden, die ihm entgegenkamen, und hieb sie nieder rechts und links, so daß sie nach beiden Seiten vor ihm flohen und ihm eine Gasse frei ließen. Er aber eilte weiter, indem er mit dem Schwerte auf die Feinde einhieb, bis er das Lager der Ungläubigen hinter sich hatte und auf die Zelte der Muslime zuschreiten konnte. Inzwischen hatten die Gläubigen das Getöse im Lager der Heiden gehört und gesagt: ,Vielleicht ist ein Unglück über sie gekommen.' Doch während sie noch ganz verwundert dastanden, erschien plötzlich Sa'dân vor ihnen; und alle waren über seine Heimkehr hocherfreut. Am meisten freute sich el-Dschamrakân, und er begrüßte ihn herzlich; auch die anderen Muslime begrüßten ihn und wünschten ihm Glück zu seiner Rettung. So stand es um die Gläubigen. Was aber die Heiden angeht, so kehrten sie mit ihrem König in das Prunkzelt zurück, nachdem Sa'dân entkommen war. Da sprach el-Dschaland zu ihnen: ,Ihr Leute, bei der Sonne, die uns das Licht gebracht, und bei der Finsternis der Nacht, bei des Tages heller Pracht und der Wandelsterne Macht, heute glaubte ich nicht, daß ich dem Tode entrinnen würde. Denn wäre ich jenem Ghûl in die Hände gefallen, so hätte er mich aufgefressen, und ich wäre bei ihm nicht einmal so viel wert gewesen wie ein Korn des Weizens oder der Gerste oder irgendein anderes Korn.' Die Krieger antworteten: ,O König, wir haben nie jemanden gesehen, der solches tun kann wie dieser Ghûl.' Doch der König fuhr fort: ,Ihr Leute, legt morgen alle die Waffen an, sitzt auf und stampfet sie nieder unter die Hufe eurer Rosse!'

Inzwischen hatten die Muslime sich versammelt, erfreut über den Sieg und über die Befreiung des Ghûls Sa'dân. Da rief el-Dschamrakân:



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,Morgen will ich euch auf dem Schlachtfelde vor Augen führen, was ich vermag, und welche Taten sich für einen Held wie mich gebühren! Bei Abraham, dem Gottesfreunde, ich will sie aufs schmählichste zu Tode bringen, ja, ich lasse das Schwert unter ihnen schwirren, bis sich jedem Verständigen die Sinne verwirren. Ich habe aber beschlossen, beide Flügel, den rechten und den linken, anzugreifen; und wenn ihr seht, daß ich mich auf den König stürze dort, wo die Fahnen stehn, so greift hinter mir an in mutigem Vorwärtsgehn; und Allah beschließe, was geschehen soll.' Hierauf hielten die beiden Heere Nachtwache, bis der Tag sich einstellte und die Sonne alles den Blicken erhellte. Da saßen die beiden Scharen auf, schneller als im Augenblick; der Trennungsrabe begann zu schrein, und die Gegner sahen einander grimmig ins Auge hinein. Dann stellten die Schlachtreihen sich auf zu Kampf und Streit; und der erste, der das Tor des Kriegs auftat. war el-Dschamrakân. der tummelte sich hin und her und rief: ,Wer ist zum Zweikampf bereite' Schon wollte el-Dschaland mit seinen Leuten ihn angreifen, da wirbelte plötzlich eine Staubwolke empor, die legte der Welt einen Schleier vor, so daß der Tag sein Licht verlor. Doch die vier Winde stießen darauf, da ward sie zerrissen und tat sich auf. Und unter ihr erschienen lauter gepanzerte ritterliche Degen, Helden verwegen; Schwerter mit schneidenden Klingen, Lanzen, die alles durchdringen, und Männer gleich Leuen, die sich nicht fürchten noch scheuen. Als die beiden Heere jene Staubwolke erblickten, enthielten sie sich des Kampfes und sandten Späher, die ihnen Kunde darüber bringen sollten, von welchem Volke jene Ritter waren, die da heranzogen und solchen Staub aufwirbelten. Die Eilboten machten sich auf den Weg, bis sie sich unter der Wolke befanden und den Augen entschwanden;



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dann kehrten sie zurück nach einem Augenblick. Der Bote der Ungläubigen meldete den Seinen, daß jene, die da anrückten, ein Heer der Muslime seien unter ihrem König Gharîb. Und als der Kundschafter der Muslime heimkehrte und ihnen die Ankunft des Königs Gharîb und seiner Schar meldete, freuten sie sich darüber. Alsbald trieben sie ihre Rosse an und ritten ihrem König entgegen; dann saßen sie ab und küßten den Boden vor ihm und sprachen den Friedensgruß. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 648. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die muslimischen Krieger, als König Gharîb bei ihnen eintraf, hoch erfreut waren und den Boden vor ihm küßten und den Friedensgruß sprachen und ihn umringten, während er sie willkommen hieß und sich freute, daß sie wohlbehalten waren. Dann zogen sie alle ins Lager, errichteten Prunkzelte für ihn und pflanzten die Fahnen auf; und König Gharîb setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft, umgeben von den Großen seines Reiches. Und nun erzählte man ihm alles, was Sa'dân gerade erlebt hatte.

Inzwischen hatten die Ungläubigen sich zusammengetan, um nach 'Adschîb zu suchen, und als sie ihn weder bei sich noch in seinem Zeltlager fanden, meldeten sie el-Dschaland ibn Karkar, daß er geflohen war. Der machte einen Höllenlärm und biß sich in die Finger. Und er rief: ,Bei der Sonne, des Lichtes Quell, er ist ein Hund, ein treuloser Gesell; er ist geflohen mit seiner elenden Bande in die Steppen und Wüstenlande. Um diese Feinde abzuwehren, bleibt uns nur der harte Kampf übrig. Drum nehmt euren Mut zusammen, festigt eure Herzen und hütet euch vor den Muslimen!' König Gharîb aber sprach zu den Seinen: ,Nehmt euren Mut zusammen und



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festigt eure Herzen, fleht um Hilfe zu eurem Herrn und bittet ihn, daß Er euch den Sieg über eure Feinde verleihe!' Und sie erwiderten: ,O König, du wirst sehen, was wir vermögen auf dem Blachgefild, der Stätte, da Schwertschlag und Lanzenstich gilt!' Dann hielten die beiden Heere Nachtruhe, bis der Morgen kam mit seinem hellen Strahl und die Sonne sich erhob über Berg und Tal. Da betete Gharîb zwei Rak'as nach der Weise Abrahams, des Gottesfreundes -Friede sei über ihm! —. und schrieb dann einen Brief und sandte ihn durch seinen Bruder Sahîm an die Ungläubigen. Als der dort ankam, fragten sie ihn, was er wolle, und er antwortete ihnen: ,Ich suche euren Herrscher.' Sie aber sprachen: ,Warte, bis wir ihn über dich befragt haben!' So blieb er stehen, während sie el-Dschaland über ihn befragten, nachdem sie ihm gemeldet hatten, daß er ein Bote sei. Der König rief: ,Her mit ihm!' und nachdem man ihn herbeigeführt hatte, fragte er: ,Wer hat dich geschickte' Sahîm gab zur Antwort: ,Der König Gharîb, den Allah zum Herrscher über die Araber und die Perser gemacht hat. Nimm das Schreiben auf, und gib deine Antwort darauf!' Da nahm el-Dschaland den Brief entgegen, öffnete ilm und las ihn. Und darinnen fand er geschrieben: ,Im Namen Allahs, des barmherzigen Erbarmers, des Herrn von Anbeginn der Zeit, des Einen, der da thront in Herrlichkeit, der alle Dinge kennt in Ewigkeit, des Herrn von Noah, Sâlih, Hûd und Abraham, des Herrn aller Dinge! Friede sei mit dem, so der rechten Leitung nachstrebt und in Furcht vor den Folgen der Sünde lebt; der in Gehorsam gegen den höchsten König handelt, der auf dem Wege der rechten Leitung wandelt, und der die jenseitige Welt höher als die diesseitige stellt. Des ferneren: O Dschaland, wisse, keiner ist der Anbetung wert als der einige Gott der Macht, der erschaffen hat den Tag und die Nacht und der kreisenden Sphären



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Pracht! Er entsandte die reinen Propheten und ließ die Bäche fließen, er wölbte den Himmel und breitete die Erde aus und ließ die Bäume sprießen; er speist in den Nestern die Vogelwelt, er speist die wilden Tiere auf dem Feld. Er ist Allah, der Allmächtige, der Vergebende, der Allgütige, mit Schutz Umwebende, den die Blicke nicht erreichen; er läßt die Nacht dem Tage weichen; er entsandte der Propheten Schar und machte die heiligen Schriften offenbar. Vernimm, o Dschaland, es gibt keinen Glauben als den Glauben Abrahams, des Gottesfreundes; drum werde Muslim, so wirst Du gerettet sein vor dem schneidenden Schwert und im Jenseits vor des Feuers Pein. Wenn Du aber den Islam nicht annimmst, so freue Dich dieser Botschaft: Vernichtung kommt über Dich auf Erden, Deine Länder sollen verwüstet und Deine Spur soll ausgetilgt werden. Schicke mir auch den Hund 'Adschîb, auf daß ich Rache an ihm nehme für meinem Vater und meine Mutter!' Als el-Dschaland diesen Brief gelesen hatte, sprach er zu Sahîm: ,Melde deinem Herrn, daß 'Adschîb entflohen ist, samt seinem Volke, und daß wir nicht wissen, wohin er gegangen ist. Was aber el-Dschaland angeht, so wird er von seinem Glauben nicht ablassen. Morgen soll der Kampf zwischen uns beginnen, und die Sonne wird uns den Sieg geben.' Darauf kehrte Sahîm zu seinem Bruder zurück und brachte ihm diese Meldung. Nachdem die Krieger bis zum Morgen geruht hatten, griffen die Muslime zu Waffen und Wehr und ritten auf den stattlichen Rossen einher; und dem allsiegenden König galt ihr Ruf, Ihm, der die Leiber und die Seelen erschuf. Und sie erhoben das Feldgeschrei ,Allah ist der Größte'; die Trommeln des Angriffs wurden geschlagen, bis die Erde widerhallte, und es zog ins Feld jeder fürstliche Ritter und verwegene Held. Ja, sie zogen zur Schlacht, so daß die Erde dröhnte. Und der



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erste, der das Tor des Kampfes auftat, war el-Dschamrakân; der spornte seinen Renner dahin auf den Plan, spielte mit Schwert und Spieß, daß sie schwirrten und sich den Verständigen die Sinne verwirrten. Dann rief er: ,Tritt einer vor zum Streit? Ist einer zum Zweikampf bereit? Doch kein feiger, kein schwächlicher Mann trete heute wider mich heran! Ich habe el-Kuradschân ibn el-Dschaland getötet; wer kommt, um Blutrache zu nehmen?' Wie el-Dschaland den Namen seines Sohnes nennen hörte, schrie er seine Leute an: ,Ihr Bastarde, bringt mir jenen Reiter, der meinen Sohn getötet hat; ich will sein Fleisch essen und sein Blut trinken!' Da griffen hundert Helden ihn an: doch er streckte die meisten von ihnen nieder und jagte ihren Führer in die Flucht. Wie aber el-Dschaland sah, was el-Dschamrakân tat, rief er seinen Kriegern zu: ,Greifet ihn alle auf einmal an!' Da schwangen sie das furchterregende Banner, und Heer türmte sich auf Heer. Gharîb stürmte an der Spitze seiner Krieger heran, und el-Dschamrakân tat desgleichen; und es trafen sich die beiden Heere wie zwei zusemmenprallende Meere. Da wüteten das jemenische Schwert und der Speer, bis sie Brüste und Leiber zerstückelt hatten ringsumher. Beide Seiten sahen mit eigenen Augen den Todesengel vor sich stehen: und der Staub der Schlacht erhob sich bis zu Wolkenhöhen. Taub waren die Ohren, die Zungen hatten die Sprache verloren: der Tod trat von allen Seiten an sie heran, der Tapfere hielt stand, doch es floh der feige Mann. Unaufhörlich wüteten Kampf und Streit bis zum Anbruch der Dunkelheit. Nun wurden die Trommeln zum Rückzug geschlagen, die Heere trennten sich voneinander und kehrten ein jedes zu seinen Zelten zurück. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 649.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König Gharîb, als die Schlacht beendet war und die beiden Heere sich voneinander getrennt hatten und ein jedes zu seinen Zelten zurückgekehrt war, sich auf den Thron seiner Herrschaft, die Stätte seiner Macht, niedersetzte, während sich seine Gefährten rings um ihn aufreihten. Und er sprach zu ihnen: ,Ich kann den Zorn kaum ertragen über die Flucht dieses Hundes 'Adschîb, zumal ich nicht weiß, wohin er gegangen ist. Wenn ich ihn nicht fasse und meine Rache an ihm nehme, so sterbe ich vor Zorn.' Da trat sein Bruder Sahîm el-Lail vor, küßte den Boden vor ihm und sprach: ,O König, ich will in das Lager der Heiden gehen und nachforschen, was aus dem verräterischen Hund 'Adschîb geworden ist.' Gharîb erwiderte: ,Geh und erkunde die Wahrheit über dies Schwein!' Da nahm Sahîm die Gestalt der Heiden an, indem er sich in ihre Gewandung kleidete und ganz wie einer von ihnen ward; dann machte er sich auf nach dem Lager der Feinde. Die fand er schlafen, trunken von Kampf und Schlacht; und keiner von dem ganzen Heere war wach außer den Wächtern. Unbemerkt ging er an ihnen vorüber und eilte zu dem Prunkzelte, wo er den König schlafend fand, ohne daß jemand bei ihm war. Er schlich sich hinein und ließ ihn an zerstoßenem Bendsch riechen; da ward er wie ein Toter. Nun ging Sahîm hinaus, holte ein Maultier, hüllte den König in die Decke des Bettes und legte ihn auf den Rücken des Tieres; nachdem er darüber noch die Zeltmatte gelegt hatte, zog er mit dem Tiere dahin, bis er zum Zelte Gharîbs kam. Dort trat er zum König ein; doch alle, die dort zugegen waren, kannten ihn nicht und riefen ihn an: ,Wer bist du?' Lächelnd enthüllte er sein Gesicht, und da erkannten sie ihn. Und Gharîb fragte: ,Was trägst du da, Sahîm?' ,O König,' antwortete er,



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,dies ist el-Dschaland ibn Karkar!' Dann deckte er ihn auf, und Gharîb erkannte ihn und fuhr fort: ,Sahîm, wecke ihn auf!' Der also gab ihm Essig und Weihrauch zu riechen; da stieß el-Dschaland den Bendsch aus der Nase, schlug die Augen auf und sah sich unter den Muslimen. ,Was ist das für ein gemeiner Traum!' sprach er, machte die Augen wieder zu und schlief weiter. Aber Sahîm stieß ihn an und rief: ,Mach deine Augen auf, du Verfluchter!' Nun öffnete er von neuem die Augen und fragte: ,Wo bin ich?' Sahîm sprach: ,Du bist in Gegenwart des Königs Gharîb ibn Kundamir, des Herrschers von Irak!' Als el-Dschaland diese Worte hörte, rief er: ,O König, ich stehe unter deinem Schutze! Wisse, mich trifft keine Schuld; sondern er, der uns verführte, wider dich zu kämpfen, war dein Bruder, er hat Feindschaft gesät zwischen uns und dir und ist dann entflohen.' Gharîb fragte sogleich: ,Weißt du, welchen Weg er genommen hat?' ,Nein,' erwiderte el-Dschaland, ,bei der Sonne und ihrem Licht, ich kenne seine Fährte nicht!' Da befahl Gharîb, ihn in Fesseln zu legen und zu bewachen, und alle Hauptleute kehrten in ihre eigenen Zelte zurück. Auch el-Dschamrakân ging dahin mit seinen Leuten und sprach zu ihnen: ,Ihr Söhne meines Oheims, ich will heute nacht eine Tat tun, durch die ich mein Gesicht vor König Gharîb weiß machen werde!' ,Tu, was du willst!' antworteten sie, ,wir hören und gehorchen deinem Befehle.' Und er fuhr fort: ,Wappnet euch, ich tue das gleiche, und zieht in leisem Schritte dahin, so daß nicht einmal die Ameisen euer gewahr werden; dann verteilt euch rings um die Zelte der Ungläubigen. Wenn ihr aber mein Feldgeschrei hört, so antwortet mir mit dem gleichen Rufe ,Allah ist der Größte!' und weichet zurück und zieht auf das Stadttor zu; und wir erbitten den Sieg von Allah dem Erhabenen.' Darauf rüsteten sich die Leute vom Kopfe bis zum



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Fuße und warteten bis zur Mitte der Nacht; dann verteilten sie sich rings um die Heiden und harrten noch eine kleine Weile. Plötzlich aber schlug el-Dschamrakân mit seinem Schwerte auf den Schild und rief: ,Allah ist der Größte!' daß es im Tale widerhallte. Und alle seine Leute taten desgleichen und riefen: ,Allah ist der Größte!' bis daß von Berg und Tal, Dünen und Hügeln zumal, ja, von jedem Trümmerhang der Widerhall erklang. Die Ungläubigen wachten erschrocken auf und fielen übereinander her, und das Schwert machte unter ihnen die Runde. Die Muslime aber wichen zurück, eilten zum Stadttore, erschlugen die Wächter und drangen in die Stadt ein. Und sie nahmen die Stadt in Besitz samt allem, was darinnen war an Schätzen und Frauen. So stand es nun um el-Dschamrakân.

König Gharîb hatte inzwischen das muslimische Feldgeschrei gehört und hatte sich sofort aufs Roß geschwungen, und sein ganzes Heer bis zum letzten Manne saß auf. Sahîm jedoch eilte voraus, und als er dem Schlachtfelde nahe war, erkannte er, daß die Banû 'Âmir unter el-Dschamrakân über die Ungläubigen hergefallen waren und sie den Becher des Todesgeschickes trinken ließen. Und er kehrte zurück und berichtete seinem Bruder, was geschehen war; der flehte um Segen für el-Dschamrakân. Derweilen fielen die Ungläubigen immer noch übereinander her mit dem schneidenden Schwerte, indem sie ihre Kraft vergeudeten, bis der Tag sich einstellte und die Lande mit seinem Lichte erhellte. Da rief Gharîb seinen Mannen zu: ,Greifet an, ihr edlen Herrn, euer Tun sehe der allwissende König gern!' Und nun stürzten die Reinen auf die Gemeinen; des Schwertes Schneide begann zu tanzen, und es sausten die zitternden Lanzen den Heiden voll Lust in die heuchlerische Brust. Die wollten nun in ihre Stadt eilen; aber



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da trat ihnen el-Dschamrakân mit seinen Vettern entgegen, und sie trieben die Fliehenden zwischen zwei Bergzüge in die Enge und töteten von ihnen eine zahllose Menge; die Übriggebliebenen zerstreuten sich dann in die Steppen und Wüsten. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 650. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die muslimischen Streiter, als sie gegen die Heiden ausrückten, jene mit dem schneidenden Schwerte zerstückten: da flohen die letzten Heiden in Steppen und Wüstenland, aber die Muslime verfolgten sie mit dem Schwerte in der Hand. bis die Schar in der weiten Ebene und in zerklüfteten Gebirgen verschwand. Dann kehrten sie zu der Stadt 'Omân zurück, und König Gharîb zog in das Schloß el-Dschalands ein und setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft. Nachdem seine Mannen sich zur Rechten und zur Linken von ihm aufgereiht hatten, rief er nach el-Dschaland. Da eilten die Leute hin und brachten ihn vor König Gharîb. Der bot ihm den Islam dar, aber jener wies ihn zurück; und nun befahl Gharîb, ihn am Tore der Stadt zu kreuzigen, und die Krieger schossen mit Pfeilen auf ihn, bis er wie ein Stachelschwein aussah. Gharîb verlieh darauf el-Dschamrakân ein Ehrengewand und sprach zu ihm: ,Du bist jetzt Herr und Gebieter dieser Stadt, mit der Macht zu binden und zu lösen; denn du hast sie mit deinem Schwerte und mit deinen Mannen erobert.' Da küßte el-Dschamrakân den Fuß des Königs Gharîb, dankte ihm und wünschte ihm dauernden Sieg und Ruhm und Segen. Und ferner öffnete Gharîb die Schatzkammern el-Dschalands. und nachdem er all die Schätze, die darinnen waren, gesehen hatte, verteilte er sie an die Hauptleute und die



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Mannen, so die Fahnen trugen und die Schlacht gewannen, ja, auch an die Mädchen und Knaben, und er spendete von den Schätzen zehn Tage lang. Darauf eines Nachts, als er schlief, sah er im Traume ein furchtbares Gesicht. so daß er mit Furcht und Zittern erwachte. Er weckte sogleich seinen Bruder Sahîm und sprach zu ihm: ,Ich habe im Traume gesehen, daß wir beide in einem Tale waren, und jenes Tal war ein weites Land. Da stießen plötzlich zwei Raubvögel auf uns herab, so groß, wie ich sie noch nie in meinem Leben gesehen habe, und ihre Beine waren wie Lanzen; sie stürzten sich auf uns, und wir waren in großer Furcht vor ihnen. Das ist, was ich gesehen habe.' Als Sahîm diese Worte vernommen hatte, sprach er: ,O König, dies ist irgendein gefährlicher Feind; drum sei auf deiner Hut vor ihm!' Die ganze Nacht hindurch konnte der König keinen Schlaf mehr finden; und als es Morgen ward, rief er nach seinem Renner und bestieg ihn. Da fragte Sahîm ihn: ,Wohin willst du reiten, mein Bruder?' Und jener erwiderte ihm: ,Mir ist heute früh die Brust beengt, und darum will ich zehn Tage lang fortreiten, auf daß mir wieder leicht ums Herz wird.' ,So nimm tausend Helden mit dir!' sagte Sahîm; aber er gab ihm zur Antwort: ,Ich will nur mit Dir allein ausreiten.' Nun saßen Gharîb und Sahîm auf und ritten zu den Tälern und Wiesen; sie zogen immer weiter dahin, von Tal zu Tal und von Wiese zu Wiese, bis sie zu einem Tale kamen, in dem viele fruchtbeladene Bäume standen und Bächlein sich zwischen duftenden Blumen wanden. Dort hörte man die Vöglein ihre Weisen auf den Zweigen singen; der Sprosser ließ seine lieblichen Lieder erklingen. Die Holztaube erfüllte die Stätte mit ihrem Schall; und die Nachtigall erweckte mit ihrer Stimme die Schläfer all. Der Amsel Flöten klang wie eines Menschen Gesang; der Turteltaube und Ringeltaube



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Lieder gab der Papagei mit reiner Stimme wieder. Und bei den Fruchtbäumen waren die schönsten eßbaren Früchte in Paaren. Jenes Tal gefiel ihnen, und nachdem sie von den Früchten dort gegessen und den Bächlein dort getrunken hatten, setzten sie sich nieder in der Bäume Schatten; da wurden sie von Müdigkeit überwältigt und schliefen -Preis sei Ihm, der nimmer schläft! Und während sie so im Schlafe dalagen, schossen plötzlich zwei gewaltige Mârids auf sie herab; ein jeder von ihnen nahm einen der beiden Schläfer auf den Rücken, und dann stiegen sie wieder in die Luft empor, bis sie über den Wolken waren. Da erwachten Sahîm und Gharîb und sahen sich zwischen Himmel und Erde. Und sie schauten auf die beiden, die sie trugen, und entdeckten, daß es zwei Mârids waren; der eine hatte einen Hundekopf, der andere den eines Affen und war so lang wie ein Palnienbaum. Sie hatten Haare wie Pferdeschwänze und Krallen wie die Klauen der Löwen. Wie Gharîb und Sahîm das sahen, riefen sie: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah!'

Der Grund von alledem war dieser: Einer von den Königen der Geister, des Namens Mar'asch, hatte einen Sohn, Sâ'ik geheißen; und der liebte eine junge Dämonin, die Nadschma hieß. Und Sâ'ik und Nadschma pflegten sich in jenem Tale zu treffen unter der Gestalt von zwei Vögeln. Nun hatten Gharîb und Sahîm die beiden, Sâ'ik und Nadschma, gesehen und sie für wirkliche Vögel gehalten. Darum schossen sie mit Pfeilen nach ihnen; aber nur Sâ'ik ward getroffen, und sein Blut floß herab. Nadschma trauerte um ihn und hob ihn auf und flog davon, aus Furcht, sie könne von demselben Unglück betroffen werden wie Sâ'ik. Dann flog sie mit ihm weiter, bis zum Palaste seines Vaters, und dort warf sie ihn am Tore nieder. Die Torwächter trugen ihn hinein und legten ihn vor seinem Vater



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hin. Als Mar'asch seinen Sohn erblickte und den Pfeil in seinen Rippen stecken sah, rief er: ,Wehe, mein Sohn, wehe! Wer hat dir dies getan? Ich will sein Land ins Verderben stürzen und ihm eiligst das Leben kürzen, auch wenn er der größte von den Geisterkönigen wäre!' Da schlug der Prinz die Augen auf und sprach: ,Lieber Vater, kein anderer hat mir den Tod gebracht als ein sterblicher Mann im Quellental.' Und kaum hatte er diese Worte beendet, da verließ ihn das Leben. Sein Vater aber schlug sich ins Gesicht, bis ihm das Blut aus dem Munde strömte. Dann rief er zwei Mârids und sprach zu ihnen: ,Eilt zum Tal der Quellen und bringt mir jeden, der dort ist!' Die beiden Mârids flogen nun dahin, bis sie zum Quellental kamen; als sie dort Gharîb und Sahîm schlafend fanden, ergriffen sie die beiden und flogen mit ihnen empor, um sie zu Mar'asch zu bringen. Und wie dann Sahîm und Gharîb aus ihrem Schlafe erwachten und sich zwischen Himmel und Erde sahen, riefen sie: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 651. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die beiden Mârids, nachdem sie Gharîb und Sahîm ergriffen hatten, sie zu Marasch, dem König der Geister, brachten. Und als sie sich vor dem König befanden, sahen sie ihn auf dem Thron seiner Herrschaft sitzen; er war aber wie ein gewaltiger Berg, und auf seinem Leibe saßen vier Köpfe, ein Löwenkopf, ein Elefantenkopf, ein Leopardenkopf und ein Pantherkopf. Nun stellten die beiden Mârids den Gharîb und Sahîm vor Mar'asch hin und sprachen: ,O König, diese beiden sind es, die wir im Tal der Quellen gefunden haben. Der blickte sie mit dem Auge



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des Zornes an, und er hauchte und fauchte, bis Funken ihm aus den Nüstern sprühten und alle, die zugegen waren, in Furcht vor ihm gerieten. Und er schrie: ,Ihr Menschenhunde, ihr habt meinem Sohne den Tod gebracht und Feuer in meinem Herzen entfacht.' Gharîb aber fragte: ,Wer ist denn dein Sohn, den wir getötet haben sollen? Wer hat denn deinen Sohn gesehen?' Jener antwortete: ,Waret ihr nicht im Tal der Quellen und sahet ihr nicht meinen Sohn in der Gestalt eines Vogels? Und habt ihr nicht mit dem Holzpfeile nach ihm geschossen, so daß er starb?' Da sagte Gharîb: ,Ich weiß nicht, wer ihn getötet hat. Bei dem Herrn der Herrlichkeit, des Einen von Anbeginn der Zeit, in dem sich das Wissen von allen Dingen vereint, und bei Abraham, dem Gottesfreund, wir haben keinen Vogel gesehen, wir haben kein Tier des Feldes und keinen Vogel getötet!' Wie Mar'asch aus den Worten Gharîbs hörte, daß er bei Allah und seiner Allmacht schwor und bei seinem Propheten, dem Gottesfreunde Abraham, erkannte er ihn als einen Muslim. Nun stand jener Dämon in des Feuers Bann und betete nicht den allgewaltigen König an, und so rief er seinen Leuten zu: ,Bringt mir meine Herrin!' Da brachten sie ihm einen goldenen Ofen und stellten ihn vor ihm auf; dann entzündeten sie darin ein Feuer und warfen Spezereien hinein. Da stiegen grüne und blaue und gelbe Flammen auf, und der König und alle, die zugegen waren, warfen sich anbetend davor nieder, während Gharîb und Sahîm die Einheit Allahs des Erhabenen bekannten und riefen: ,Allah ist der Größte!' und bezeugten, daß Allah über alle Dinge mächtig ist. Als darauf der König sein Haupt erhob und sah, daß Gharîb und Sahîm aufrecht standen und sich nicht niederwarfen, rief er: ,Ihr Hunde. warum werft ihr euch nicht nieder?' Gharîb aber hub an: ,Weh euch, ihr Verfluchten! Niederwerfung gebührt nur dem



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König, der würdig der Anbetung ist, und der die Kreatur aus dem Nichts in die Wesenheit ruft zu jeglicher Frist; der das Wasser aus dem harten Felsen rinnen läßt und das Herz des Vaters Liebe zum Kinde gewinnen läßt; den niemand als stehend oder sitzend schildern kann, ihm, dem Herren von Noah und Sâlih und Hûd und Abraham, dem Gottesmann; dem Schöpfer von Hölle und Paradies, der die Bäume und Früchte wachsen ließ; und Er ist Allah, der Eine, der Allmächtige.' Als Mar'asch diese Worte vernahm, sanken ihm die Augen umgewandt in den Schädel, und er rief seinen Leuten zu: ,Fesselt diese beiden Hunde und opfert sie meiner Herrin!' Da banden sie die beiden und wollten sie ins Feuer werfen. Aber plötzlich fiel eine von den Zinnen des Palastes auf den Ofen. so daß er zerbrach und das Feuer ausgelöscht ward und als Asche in der Luft umherflog. Gharîb frohlockte: ,Allah ist der Größte! Sieg und Heil! Schmach werde den Ungläubigen zuteil! ,Allah ist der Größte' heißt es wider die, so das Feuer anbeten und nicht in den Dienst des allmächtigen Königs treten!' Doch der König sprach: ,Du bist ein Zauberer, und du hast meine Herrin verzaubert, so daß ihr solches widerfahren ist.' .O du Betörter,' erwiderte Gharîb, ,wenn das Feuer Seele und Verstand besäße, so hätte es das von sich abgewehrt, was ihm Schaden brachte!' Als Mar'asch diese Worte hörte, begann er zu toben und zu brüllen und das Feuer zu schmähen, und er rief: ,Bei meinem Glauben, ich will euch nur durch das Feuer zu Tode bringen!' Und er befahl, die beiden ins Gefängnis zu werfen; dann rief er hundert Mârids und hieß sie viel Brennholz bringen und es anzünden. Sie taten es, und nun stieg eine mächtige Flamme auf, die unaufhörlich bis zum Morgen brannte. Dann stieg Mar'asch auf einen Elefanten, in eine goldene Sänfte, die mit Edelsteinen besetzt war, und rings um ihn



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versammelten sich die Stämme der Dämonen in all ihren verschiedenen Arten. Darauf brachte man Gharîb und Sahîm herbei, und als die beiden die Feuerflamme sahen, flehten sie um Hilfe zu dem Einen, dem Herren der Macht, dem Schöpfer von Tag und Nacht; dem Hochherrlichen, den die Blicke nicht erreichen, der aber selbst die Blicke erreicht, da er der Allgütige ist und über alles wacht. So flehten sie zu ihm ohne Unterlaß. bis sich plötzlich von Westen nach Osten eine Wolke erhob und einen Regen gleich dem brandenden Meer herabsandte und das Feuer auslöschte. Da erschraken der König und alle seine Krieger, und sie kehrten in das Schloß zurück. Dann wandte der König sich zum Wesir und zu den Großen des Reiches und sprach zu ihnen: ,Was sagt ihr von diesen beiden Männern?' Sie antworteten: ,O König, wenn sie nicht im Rechte wären, so wäre dem Feuer dies nicht widerfahren. Wir sagen deshalb, daß sie mit vollem Rechte die Wahrheit reden.' Nun sprach der König: ,Jetzt sind mir die Wahrheit und der offenbare Weg klar geworden; die Anbetung des Feuers ist ein eitel Ding. Denn wenn die Feuerflamme eine Göttin wäre, so hätte sie den Regen, der sie auslöschte, und den Stein, der ihren Ofen zerbrach, so daß sie zu Asche wurde, von sich abgewehrt. Deshalb glaube ich an Den, dessen Schöpfertat Feuer und Licht, Schatten und Wärme erschaffen hat. Und ihr, was sagt ihr?' Sie erwiderten: ,O König, wir tun desgleichen, wir folgen und hören und gehorchen!' Dann rief er nach Gharîb, und als der vor ihm stand, erhob er sich vor ihm, umarmte ihn und küßte ihn auf die Stirn: und ebenso küßte er Sahîm. Und danach drängten sich alle Krieger um Gharîb und Sahîm und küßten ihnen Hände und Haupt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 652.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Mar'asch, der Geisterkönig, als er und sein Volk den rechten Weg zum Islam gefunden hatten, Gharîb und seinen Bruder Sahîm kommen ließ und sie auf die Stirn küßte, und daß die Großen seines Reiches sich dazu drängten, ihnen Hände und Haupt zu küssen. Danach setzte Mar'asch sich auf den Thron seiner Herrschaft und ließ Gharîb zu seiner Rechten, Sahîm zu seiner Linken sitzen und sprach: ,Du Menschenkind, was müssen wir sagen, auf daß wir Muslime werden?' Gharîb gab zur Antwort: ,Sprechet: Es gibt keinen Gott außer Allah; Abraham ist der Freund Allahs!' Nun bekannten der König und sein Volk sich zum Islam mit Herz und Zunge. Und Gharîb blieb bei ihnen und lehrte sie beten. Dann aber gedachte er seines Volkes und seufzte; da sprach der Geisterkönig zu ihm: ,Jetzt ist doch die Sorge vergangen und entschwunden, und gekommen sind die frohen und fröhlichen Stunden!' ,O König,' erwiderte Gharîb, ,ich habe viele Feinde, und ich bin ihretwegen um mein Volk besorgt.' Und dann erzählte er ihm, was ihm von seinem Bruder 'Adschîb widerfahren war, von Anfang bis zu Ende. Da sagte der Geisterkönig zu ihm: ,O du König der Menschen, ich will dir jemanden aussenden, der Kunde über dein Volk bringt; denn ich kann dich nicht eher fortziehen lassen, als bis ich mich an deinem Antlitz satt gesehen habe.' Und alsbald rief er zwei starke Mârids, von denen der eine el-Kailadschân. der andere aber el-Kuradschân hieß. Als die beiden vor ihm erschienen, küßten sie den Boden vor ihm, und er sprach zu ihnen: ,Begebt euch nach Jemen und bringet Kunde über die Heere und die Streiter dieser beiden Menschen!' ,Wir hören und gehorchen!' antworteten sie, machten sich auf den Weg und flogen gen Jemen.



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Wenden wir uns nun von Gharîb und Sahîm zu dem Heere der Muslime! Die waren am Morgen aufgesessen, Mannen und Führer, und hatten sich zum Palaste des Königs Gharîb begeben, um ihm aufzuwarten. Doch die Diener sagten ihnen, daß der König und sein Bruder kurz vor Tagesanbruch ausgeritten seien. Da saßen die Hauptleute auf und zogen über Berg und Tal, indem sie immerfort der Spur folgten, bis sie ins Tal der Quellen gelangten. Dort fanden sie die Waffen von Gharîb und Sahîm am Boden liegen und die beiden Renner auf der Wiese grasen. Die Hauptleute sprachen: ,Der König muß von dieser Stätte verschwunden sein, beim Rühme des Gottesfreundes Abraham!' Da verteilten sie sich und suchten im Tale und im Gebirge drei Tagelang, aber es zeigte sich ihnen keine Spur. Nun begannen sie die Trauerfeiern; aber sie ließen doch noch die Eilboten kommen und sprachen zu ihnen: ,Verteilt euch auf die Städte und Burgen und Festen und forschet nach Kunde von unserem König!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie; und sie verteilten sich nach allen Seiten, indem ein jeder von ihnen eine andere Gegend aufsuchte. Zu 'Adschîb aber gelangte durch seine Späher die Nachricht, daß sein Bruder verschwunden sei, und daß man keine Spur von ihm gefunden habe. Nun war er froh, daß sein Bruder Gharîb nicht mehr da war, und er freute sich sehr. Und er begab sich zum König Ja'rub ihn Kahtân und bat ihn um seine Hilfe, und der gewährte sie ihm; denn er gab ihm zweihunderttausend Riesen. Da machte 'Adschîb sich mit seinem Heere auf und lagerte sich vorder Stadt 'Omân. Doch el-Dschamrakân und Sa'dân machten einen Ausfall gegen sie und kämpften mit ihnen; als aber viel Volks von den Muslimen gefallen war, zogen sie sich in die Stadt zurück, verschlossen die Tore und befestigten die Mauern. Da erschienen plötzlich die beiden Mârids el-Kailadschân



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und el-Kuradschân und sahen, wie die Muslime eingeschlossen waren. Sie warteten, bis die Nacht kam; dann aber ließen sie unter den Ungläubigen zwei schneidende Schwerter ihres Amtes walten; das waren Geisterschwerter, ein jedes zwölf Ellen lang, mit denen man einen Felsen hätte spalten können. Die beiden Geister fielen über die Feinde her mit dem Rufe: ,Allah ist der Größte! Sieg und Heil! Schmach werde den Ungläubigen zuteil, denen, so den Glauben des Gottesfreundes Abraham leugnen!' Und sie stürzten sich auf die Heiden und richteten ein großes Blutbad unter ihnen an; dabei sprühten sie Feuer aus ihren Mäulern und ihren Nüstern. Als die Ungläubigen, die aus ihren Zelten wider sie ins Feld rückten, das grausige Schauspiel sahen, erschauerte ihnen die Haut auf den Leibern, sie wurden verwirrt und wie von Sinnen. Und so griffen sie nach den Waffen und machten sich übereinander her, während die beiden Mârids die Häupter der. Heiden mähten und riefen: ,Allah ist der Größte! Wir sind die Diener des Königs Gharîb, des Freundes des Königs Mar'asch, des Herrschers der Geister!' Unaufhörlich kreiste das Schwert unter ihnen, bis es Mitternacht wurde. Die Heiden glaubten, die Berge seien ganz voll von Dämonen; und so luden sie ihre Zelte und Schätze und Lasten auf die Kamele und eilten davon. Der erste aber, der sich flüchtete, war 'Adschîb. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 650. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Ungläubigen davoneilten und daß 'Adschîb der erste war, der sich flüchtete. Inzwischen aber waren die Muslime zusammengekommen, und sie wunderten sich über das, was mit den Heiden geschah; aber sie fürchteten sich auch vor den Stämmen der Geister.



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Die beiden Mârids nun verfolgten die Heiden unverwandt, bis sie ihre Scharen zerstreut hatten über Steppen und Wüstenland; und von all den zweihunderttausend Riesen, die gewesen waren, blieben nur fünfzigtausend am Leben; die kehrten geschlagen und verwundet in ihr Land zurück. Die beiden Dämonen aber sprachen: ,Ihr Mannen, König Gharîb, euer Herr, und sein Bruder lassen euch grüßen; sie sind jetzt zu Gaste bei König Mar'asch, dem Herrscher der Geister, und sie werden bald wieder bei euch sein.' Als die Krieger die Kunde von Gharîb vernahmen und nun wußten, daß er wohlbehalten am Leben sei, freuten sie sich gar sehr und sprachen zu den beiden: ,Allah erfreue euch beide durch gute Botschaft, ihr edlen Geister!' Dann kehrten el-Kailadschân und el-Kuradschân heim und traten vor König Gharîb und König Mar'asch, die sie im Palaste sitzen sahen; und sie berichteten ihnen, was geschehen war und was sie getan hatten. Da wünschten die beiden Könige ihnen reichen Gotteslohn: und Gharîbs Herz fühlte sich beruhigt. Doch nun hub König Mar'asch an: ,Mein Bruder, ich möchte dir unser Land zeigen und dich die Stadt Japhets, des Sohnes Noahs -Friede sei über ihm! —sehen lassen.' ,O König,' antwortete Gharîb, ,tu, was dir gut scheint! Jener ließ nun für Gharîb und Sahîm zwei Prachtrosse kommen und ritt mit ihnen aus, begleitet von tausend Mârids, und sie flogen dahin, als wären sie ein Stück von einem Berge, das sich der Länge nach abspaltete. Auf ihrer Fahrt erfreuten sie sich des Anblickes der Täler und der Berge, bis sie zu der Stadt Japhets kamen, des Sohnes Noahs -Friede sei über ihm! Und das Volk der Stadt, groß und klein, kam heraus, dem König Mar'asch entgegen. Der ritt in großem Prachtzuge in die Stadt ein und hinauf zum Schlosse Japhets, des Sohnes Noahs; dort setzte er sich auf den Thron seiner Herrschaft, einen Marmorsessel,



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zehn Stufen hoch, mit goldenen Stäben vergittert und mit allerlei farbiger Seide bedeckt. Und als das Volk der Stadt vor ihm stand, sprach er zu ihnen: ,Ihr Sprossen Japhets, des Sohnes Noahs, was pflegten eure Väter und Großväter anzubeten?' Sie gaben zur Antwort: ,Wir haben gesehen, daß unsere Vorfahren das Feuer anbeteten, und wir sind ihrem Beispiele gefolgt; doch du weißt es am besten.' ,Ihr Leute,' fuhr er fort, ,wir haben gesehen, daß das Feuer nur eines der Geschöpfe Allahs des Erhabenen ist, der alle Dinge geschaffen hat. Als ich das erfuhr, da bekannte ich mich zu Allah, dem Einen, dem Herrn der Macht, dem Schöpfer von Tag und Nacht und der kreisenden Sphären Pracht, den die Blicke nicht erreichen, der aber selbst die Blicke erreicht, da er der Allgütige ist und über alles wacht. Drum nehmt den rettenden Glauben des Islams an, so werdet ihr gerettet sein vor dem Zorn des Allmächtigen und im Jenseits vor des Feuers Pein!' Da bekannten sich alle zum Islam mit Herz und Zunge. Nun ergriff Mar'asch die Hand Gharîbs und zeigte ihm das Schloß Japhets und seinen Bau und all die Wunder, die es enthielt. Dann traten sie auch in die Rüstkammer ein, und wie jener ihm die Waffen Japhets zeigte, erblickte Gharîb ein Schwert, das an einem goldenen Pflocke hing. Und er fragte: ,O König, wem gehört dies?' Der König antwortete: ,Dies ist das Schwert Japhets, des Sohnes Noahs, mit dem er die Menschen und die Geister zu bekämpfen pflegte. Dschardûm, der Weise, hat es geschmiedet, und er hat auf seiner Rückseite gewaltige Zaubernamen eingegraben. Wenn es einen Berg träfe, so würde es ihn zerschlagen. Und es heißt el-Mâhik', dieweil es nie auf einen Menschen niedersaust, ohne ihn zu vernichten, noch auf einen Dämon, ohne ihn zu zerschmettern. Als Gharîb diese Worte von ihm vernahm und ihn die Kräfte



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dieses Schwertes rühmen hörte, sprach er: ,Ich möchte mir dies Schwert ansehen!' ,Tu, was du willst!' sagte Mar'asch; und nun reckte Gharîb seine Hand aus, packte das Schwert und zog es aus der Scheide; und es glitzerte und blitzte, und der Tod kroch über seine Schneide. Es war zwölf Spannen lang und drei Spannen breit. Als Gharîb es behalten wollte, sagte König Mar'asch: ,Wenn du damit schlagen kannst, so behalt es!' ,Gut!' sagte Gharîb und hob es, und es war in seiner Hand wie ein Stab. Da wunderten sich alle, die zugegen waren, Menschen und Geister. und riefen: .Vortrefffich. du Herr der Ritter!' Mar'asch aber sprach zu ihm: ,Leg deine Hand auf dies Kleinod, nach dem die Könige der Erde vergeblich seufzen; und nun sitz auf, damit ich dir noch mehr zeige!' Und so ritt er mit Mar'asch weiter, und die Menschen und Geister geleiteten sie zu Fuß. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 654. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Gharîb und König Mar'asch, als sie aus der Stadt Japhets hinausritten, begleitet von den Menschen und Geistern, vorbeizogen an Schlössern und an Häusern. die keine Bewohner mehr besaßen, und an vergoldeten Toren in den Straßen. Und als sie dann durch das Stadttor geritten waren, erblickten sie Gärten, in denen Fruchtbäume sprossen und Bächlein flossen. Dort waren singende Vögel, die Ihn priesen, den Herrn der Allmacht und Ewigkeit; und dort hatten die beiden ihre Freude bis zur Abendzeit. Dann kehrten sie heim, um die Nacht im Schlosse japhets, des Sohnes Noahs, zu verbringen. Und als sie dort ankamen, wurden ihnen die Tische aufgetragen; und während sie aßen, wandte sich Gharîb zu dem König der Geister



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und sprach: ,O König, ich möchte zu meinem Volke und zu meinem Heere zurückkehren; denn ich weiß nicht, was aus ihnen wird, wenn ich fern bin.' Auf diese seine Worte erwiderte Mar'asch: ,Mein Bruder, bei Allah, ich will mich nicht eher von dir trennen und dich nicht eher fortziehen lassen, als bis ein voller Monat verstrichen ist, auf daß ich mich an deinem Antlitz satt sehen kann!' Da konnte Gharîb ihm nicht widersprechen, und so blieb er einen ganzen Monat in der Stadt Japhets. Er aß und trank, und König Mar'asch gab ihm viele kostbare Geschenke, Edelmetalle und Juwelen, Smaragde, Ballasrubinen' und Diamanten, Barren von Gold und von Silber; ferner auch Moschus, Ambra und golddurchwirkte Seidenstoffe. Auch ließ er für Gharîb und Sahîm zwei Ehrengewänder herstellen aus bunter, goldbestickter Seide und für Gharîb eine Krone, die mit Perlen und Edelsteinen von unschätzbarem Werte besetzt war. All dies ließ er für ihn in gleiche Lasten verteilen, und dann rief er fünfhundert Mârids und sprach zu ihnen: ,Rüstet euch zur Reise für morgen, damit wir den König Gharîb und Sahîm in ihr Land geleiten.' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie. Und sie legten sich alle zum Schlafe nieder in der Absicht, aufzubrechen, bis die Zeit des Auf bruchs kam. Doch da erschien plötzlich eine Reiterschar mit Trommelgewirbel und Trompetenklang, die das ganze Land erfüllte; das waren siebenzigtausend Mârids, Flieger und Taucher, unter einem König, Barkân geheißen. Es hatte aber einen ungewöhnlichen und seltsamen Grund, daß dies Heer gekommen war; ja, die Geschichte ist unterhaltend und wunderbar, und wir stellen sie jetzt der Reihe nach dar. Jener Barkân war der Herr der Karneolstadt und des Goldenen Schlosses, und er herrschte über fünf Festen, von denen eine jede fünfhunderttausend



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Mârids barg; sein und seines Volkes Dienst war dem Feuer geweiht statt dem König der Herrlichkeit. Dieser König war ein Vetter von Mar'asch; und unter dem Volke des Marasch war ein ungläubiger Mârid, der heuchlerisch den Islam angenommen hatte, dann aber aus seinem Stamm verschwunden war. Er war dahingezogen, bis er zum Karneoltal kam, und dort war er zum Schlosse des Königs Barkân gegangen, hatte den Boden vor ihm geküßt und ihm dauernden Ruhm und Wohlstand gewünscht. Dann berichtete er ihm, daß Mar'asch den Islam angenommen habe. Barkân fragte: ,Wie kam er dazu, seinen Glauben aufzugeben' Und jener erzählte ihm alles, was geschehen war. Wie Barkân das hörte, begann er zu hauchen und zu fauchen und Schmähworte gegen Sonne und Mond zu gebrauchen, und auch gegen das Feuer, aus dem die Funken auftauchen. Und er rief: ,Bei meinem Glauben, ich will den Sohn meines Oheims und sein Volk und diesen Sterblichen umbringen und keinen von ihnen am Leben lassen.' Dann berief er die Scharen der Geister und wählte aus ihnen siebenzigtausend Mârids aus; mit denen zog er dahin, bis er bei der Stadt Dschabarsa' ankam. Dort umzingelten sie die Stadt, wie wir schon erzählt haben; und König Barkân machte vor dem Stadttore Halt und ließ dort seine Zelte aufschlagen. Mar'asch aber rief einen Mârid und sprach zu ihm: ,Geh zu diesem Heere, schau, was sie wollen, und komm eilends zu mir zurück!' Der Mârid eilte dahin, und wie er zum Lager Barkâns kam, stürzten die Mârids auf ihn los und fragten ihn: ,Wer bist du?' ,Ein Bote von Mar'asch', erwiderte er, und sie nahmen ihn und brachten ihn vor Barkân. Dort warf er sich nieder und sprach dann: ,Mein Gebieter, wisse, mein Herr hat mich zu euch geschickt, um ihm über euch Kunde zu



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bringen.' Der König antwortete ihm: ,Geh zu deinem Herrn und sage ihm: Dies ist dein Vetter Barkân; er ist gekommen, um dich zu begrüßen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann und sie, hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 645. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Barkân, als der Mârid, der Bote von Mar'asch, vor ihn kam und sprach: ,Mein Herr hat mich zu dir gesandt, um ihm Kunde über euch zu bringen', ihm antwortete: ,Geh zu deinem Herrn und sage ihm: Dies ist dein Vetter Barkân; er ist gekommen, um dich zu begrüßen.' Der Mârid ging zurück und brachte seinem Herrn die Kunde; und der sagte darauf zu Gharîb: ,Setze du dich auf deinen Thron, solange, bis ich meinen Bruder begrüßt habe und zu dir zurückgekehrt bin.' Dann saß er auf und ritt auf das Zeltlager zu. Barkân aber hatte dies nur als eine List ersonnen, auf daß Mar'asch herauskäme und er ihn ergreifen könnte; er hatte auch Mârids rings um sich aufgestellt und zu ihnen gesagt: ,Wenn ihr seht, daß ich ihn umarme, so ergreift ihn und fesselt ihn!' ,Wir hören und gehorchen!' hatten sie gesagt. Als darauf König Mar'asch in das Zelt seines Vetters kam, erhob der sich vor ihm und umarmte ihn. Da stürzten auch schon die Geister auf ihn los und fesselten ihn an Händen und Füßen. Mar'asch blickte auf Barkân und fragte ihn: ,Was bedeutet diese' Aber der fuhr ihn an: .O du Hund unter den Geistern, willst du deinen Glauben und den Glauben deiner Väter und Vorväter verlassen und einen Glauben annehmen, den du nicht kennst?' Mar'asch erwiderte ihm: ,Sohn meines Oheims, ich habe erkannt, daß der Glaube Abrahams. des Gottesfreundes, der wahre ist, und daß jeder andere eitel ist.' ,Und wer hat euch das gesagt?' fragte Barkân ;jener antwortete:



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,Gharîb, der König von Irak; und der steht bei mir in hohen Ehren.' Da rief Barkân: ,Bei dem Feuer im Lichtgewand, bei dem Schatten und bei der Hitze Brand, ich werde euch wahrlich allesamt mit ihm töten.' Dann warf er ihn ins Gefängnis. Als aber der Diener des Königs Mar'asch sah, was mit seinem Herrn geschah, floh er eiligst in die Stadt und meldete den Scharen der Geister, wie es seinem Herrn ergangen war. Die erhoben ein lautes Geschrei und schwangen sich auf ihre Rosse. ,Was gibt es?' fragte Gharîb; und als man ihm kundgetan hatte, was geschehen war, rief er nach Sahîm und sprach zu ihm: ,Sattle mir einen der Renner, die König Mar'asch mir geschenkt hat!' Und als jener ihn fragte: ,Mein Bruder, willst du mit den Geistern kämpfen?' antwortete er: ,Ja, ich will sie bekämpfen mit dem Schwerte Japhets, des Sohnes Noahs. Und ich will um Hilfe flehen zu dem Herrn Abrahams. des Gottesfreundes -Friede sei über ihm! —. zu Ihm, dein Herrn und Schöpfer aller Dinge.' Da sattelte Sahîm für ihn einen braunen Renner von den Pferden der Geister: der war hoch wie eine Burg. Und Gharîb legte die Kriegsrüstung an, schritt hinaus und stieg aufs Roß, und die Scharen der Geister zogen aus, mit Panzern bekleidet. Da saßen auch Barkân und seine Mannen auf; die beiden Heere ordneten sich zum Streit, beide Schlachtreihen waren kampfbereit. Und der erste, der das Tor des Kampfes auftat, war König Gharîb; der spornte seinen Renner auf das Schlachtfeld und zückte das Schwert Japhets, des Sohnes Noahs -Friede sei über ihm! Von dem ging ein blitzendes Licht aus, durch das die Augen aller Geister geblendet wurden, so daß Grausen sich in ihre Herzen senkte. Gharîb aber schwang das Schwert hin und her, bis die Sinne der feindlichen Dämonen sich verwirrten. Dann rief er: ,Allah ist der Größte! Ich bin König Gharîb, der König von Irak, es gibt keinen anderen



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Glauben als den Glauben Abrahams, des Gottesfreundes!' Als Barkân diese Worte aus dem Munde Gharîbs vernommen hatte, rief er: ,Der ist es, der den Glauben meines Vetters verändert und ihn abtrünnig gemacht hat. Aber, bei meinem Glauben. ich will mich nicht eher wieder auf meinen Thron setzen. als bis ich Gharîb den Kopf abgeschlagen und ihm den Odem erstickt und meinen Vetter und sein Volk zu ihrem Glauben zurückgeführt habe. Und wer sich mir widersetzt, den bringe ich um!' Dann bestieg er einen Elefanten, der war so weiß wie Papier und glich einem geweißten Turme; und er schrie ihn an und stach ihn mit einem stählernen Stachel, der ihm tief ins Fleisch drang. Da brüllte das Tier auf und eilte zum Blachgefild, der Stätte, da Schwertschlag und Lanzenstich gilt; und als er nahe bei Gharîb war, rief er: ,Du Menschenhund, was trieb dich in unser Land, so daß du meinen Vetter und sein Volk verdorben und sie von Glauben zu Glauben geführt hast? Wisse, heute ist der letzte deiner Tage in dieser Welt!' Als Gharîb das hörte, schrie er: ,Hinweg, du gemeinster aller Dämonen!' Nun zog Barkân einen Speer, schüttelte ihn und warf ihn auf Gharîb; doch er verfehlte ihn. Dann schleuderte er einen zweiten Speer; doch den fing Gharîb mitten in der Luft auf, schüttelte ihn und schleuderte ihn auf den Elefanten. Und er drang dem Tiere in die Flanke und fuhr zur anderen Seite wieder heraus; da sank der Elefant tot zu Boden, und Barken fiel nieder gleich einer langstämmigen Palme. Aber ehe er sich noch von der Stelle rühren konnte, traf Gharîb ihn mit dem Schwerte japhets, des Sohnes Noahs, flach auf den Nacken, so daß ihm die Sinne schwanden. Da stürzten die Mârids auf ilm und fesselten ihm die Hände auf dem Rücken. Doch als Barkâns Leute ihren König so erblickten, stürmten sie hervor und wollten ihn befreien. Nun wandten Gharîb und mit ihm die



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gläubigen Geister sich wider jene. Wie herrlich focht da Gharîb! Wie gefiel er dem Herrn, der die Gebete erhört, und stillte die Rache mit dem Talismanschwert! Jeden, den er traf, spaltete er; und ehe dessen Seele noch entweichen konnte, ward er im Feuer zu einem Häuflein Asche. Die Gläubigen warfen sich auf die ungläubigen Geister, und sie schleuderten feurige Meteore widereinander, bis alle in Rauch eingehüllt waren. Und immerfort hieb Gharîb auf die Feinde ein, nach rechts und nach links, so daß die Reihen sich vor ihm spalteten, bis er durchdrang zum Prunkzelte des Königs Barkân, begleitet von el-Kailadschân und el-Kuradschân. Dort rief er den beiden zu: ,Befreit euren Herrn!' Und sie lösten ihn und zerbrachen seine Fesseln. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 656. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Kailadschân und el-Kuradschân, als König Gharîb ihnen zurief: ,Befreit euren Herrn!' ihn lösten und seine Fesseln zerbrachen. Da sprach König Mar'asch zu ihnen: ,Bringt mir meine Waffen und mein Flügelroß!' Jener König hatte nämlich zwei Rosse, die durch die Luft fliegen konnten; von denen hatte er eines Gharîb gegeben, während das andere sein Eigentum geblieben war; dies ward ihm gebracht, nachdem er seine Schlachtrüstung angelegt hatte. Dann fiel er mit Gharîb über den Feind her; beide sausten auf ihren Rossen durch die Luft dahin, ihre Mannen eilten hinter ihnen her, und beide riefen: ,Allah ist der Größte! Allah ist der Größte!' Und ihr Ruf erdröhnte, bis er von Tiefland und Bergen, Tälern und Hügeln wieder ertönte. Und erst, nachdem sie eine Menge der Feinde, mehr als dreißigtausend Mârids und Satane, getötet hatten, ließen sie von der Verfolgung



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ab. Dann zogen sie in die Stadt Japhets ein; und die beiden Könige setzten sich auf die Throne ihrer Macht und riefen nach Barkân. Der aber ward nicht gefunden; denn nachdem sie ihn gefangengenommen hatten, waren sie durch den Kampf von ihm abgelenkt worden, und da war ein Dämon, einer seiner Diener, zu ihm geeilt, hatte ihn befreit und zu seinem Volke gebracht. Dort fand er, wie ein Teil erschlagen war und der andere flüchtete; deshalb flog er mit ihm zum Himmel empor und ließ ihn in der Karneolstadt im Goldenen Schlosse nieder. Dort setzte König Barkân sich auf den Thron seiner Herrschaft; und nun kamen die von seinem Volke, die aus der Schlacht übriggeblieben waren, traten zu ihm ein und wünschten ihm Glück zu seiner Rettung. Er aber sprach: ,Ihr Leute, wo ist die Rettungs Mein Heer ist erschlagen, die Feinde hatten mich gefangen genommen und meine Ehre unter den Stämmen der Geister in Stücke gerissen.' Sie antworteten: ,O König, immer doch ist es so, daß die Könige Unheil bringen oder vom Unheil getroffen werden.' Doch er entgegnete ihnen: ,Ich muß die Rache vollstrecken und meine Schande zudecken: sonst bleibe ich für immer ein Schandfleck unter den Stämmen der Geister.' Dann schrieb er Briefe und sandte sie an die Stämme in den Burgen, und die kamen zu ihm, willig und gehorsam. Als er sie musterte, fand er, daß es dreihundertundzwanzigtausend trotzige Mârids und Satane waren; die sprachen zu ihm: ,Was ist dein Begehre' Er antwortete: ,Macht euch bereit, in drei Tagen aufzubrechen!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie.

Wenden wir uns nun von König Barkân wieder zu König Mar'asch zurück! Als der heimgekehrt war und nach Barkân rief und ihn nicht fand, ward es ihm schwer ums Herz. und er sprach: ,Wenn wir ihn durch hundert Mârids hätten bewachen lassen, so wäre er nicht entkommen. Aber wohin sollte er von



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uns aus gehen?' Dann fuhr er fort und sprach zu Gharîb: ,Wisse, mein Bruder, Barkân ist ein verräterischer Mann, und er wird nicht ruhen, bis er Rache nehmen kann. Sicher wird er seine Scharen versammeln und wider uns zu Felde ziehen. Darum will ich ihn jetzt einholen, solange er noch durch die Niederlage geschwächt ist.' Gharîb erwiderte: ,Dies ist der rechte Rat, ein Wort, das keinen Tadel zu fürchten hat.' Und weiter sprach Mar'asch zu Gharîb: ,Mein Bruder, laß die Mârids euch wieder in euer Land bringen, und lasset mich den Glaubenskrieg führen gegen die Heidenherde, auf daß mir meine Sündenlast erleichtert werde!' Aber Gharîb entgegnete: ,Nein, bei dem gütigen Schützer, dem Gnadenreichen, ich will nicht eher von dieser Stätte weichen, als bis ich der ungläubigen Geister Schar vernichtet habe ganz und gar. Dann lasse Allah ihre Seelen in das Höllenfeuer sausen, an die Stätte voller Grausen! Und keiner wird gerettet werden, außer denen, die Allah anbeten, den Einen, den allmächtigen Herrn des Himmels und der Erden. Doch schicke Sahîm nach der Stadt 'Omân. auf daß er von seiner Krankheit genese!' Sahîm war nämlich erkrankt. So rief denn Mar'asch die Mârids und sprach zu ihnen: ,Tragt Sahîm und diese Schätze und Ehrengeschenke nach der Stadt 'Omân!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie, nahmen Sahîm und all die Güter und machten sich auf nach dem Lande der Menschen. Dann schrieb Mar'asch Briefe an die Hauptleute seiner Burgen und an alle seine Statthalter; die waren einhundertundsechzigtausend an der Zahl. Sie rüsteten sich und brachen auf nach der Karneolstadt und dem Goldenen Schlosse; und sie legten an einem Tage den Weg eines Jahres zurück. Und als sie in ein Tal kamen, machten sie Halt, um auszuruhen, und verbrachten dort die Nacht, bis es wieder Morgen ward. Als sie dann aufbrechen wollten, erschien plötzlich der Vortrab



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der feindlichen Geister. Da erhoben alle die Dämonen ein lautes Geschrei, und die beiden Heere prallten in jenem Tale zusammen. Sie griffen einander an, und das Morden unter ihnen begann; es tobte die Schlacht, als bebte die Erde mit Macht, und alle Wildheit ward entfacht; der Ernst kam, und der Scherz zog fort, es verstummte zwischen den Reihen das Wort; manch langes Leben ward gekürzt, und die Heiden wurden in Schimpf und Schande gestürzt. Denn Gharîb griff sie an, indem er die Einheit dessen verkündete, der allein anbetenswert und erhaben ist, und indem er sein Schwert durch die Nacken stieß und die Köpfe im Staube rollen ließ. Ehe noch der Abend kam, hatte er schon an die siebenzigtausend von den Ungläubigen dahingestreckt. Und es wurden die Trommeln des Rückzugs geschlagen, und die Heere trennten sich voneinander. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 657. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Mar'asch und Gharîb, als die beiden Heere voneinander sich trennten, sich in ihre Zelte begaben, nachdem sie ihre Waffen abgewischt hatten. Dann ward ihnen das Nachtmahl gebracht, und sie aßen und wünschten einander Glück, daß sie wohlbehalten heimgekehrt und daß auf ihrer Seite weniger als zehntausend Mârids gefallen waren. Barkân aber begab sich in sein Lager, das Herz voller Wunden, weil so viele seiner Kämpen den Tod gefunden. Und er sprach: ,Ihr Leute, wenn wir mit diesen Feinden noch drei Tage lang weiterkämpfen, so werden sie uns bis zum letzten Manne vernichten.' ,Und was sollen wir tun?' fragten die Leute. Er antwortete: ,Wir wollen im Dunkel über sie herfallen, während sie im Schlafe liegen; dann wird keiner von ihnen übrigbleiben, der Kunde davon heimbringt. Also ergreift eure



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Waffen und fallet über eure Feinde her und stürzt euch auf sie alle wie ein Mann!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie und hielten sich zum Angriff bereit. Nun war aber unter ihnen ein Mârid, des Namens Dschandal, dessen Herz sich dem Islam zuneigte; und als der erfuhr, was die Ungläubigen beschlossen hatten, stahl er sich von ihnen weg und begab sich zu Mar'asch und König Gharîb und tat ihnen die Pläne der Heiden kund. Da wandte Mar'asch sich zu Gharîb und sprach zu ihm: ,Bruder, was wollen wir tun?' Der antwortete ihm: ,Wir wollen die Heiden angreifen heute nacht, und wir wollen sie in die Steppen und Wüsten zerstreuen durch des allgewaltigen Königs Macht!' Dann berief er die Hauptleute der Geister und sprach zu ihnen: ,Legt eure Kriegsrüstungen an, ihr und eure Streiter; und sobald die Dunkelheit ihren Schleier tief herabhängen läßt, schleichet heimlich davon, Hundertschaft auf Hundertschaft; laßt die Zelte leer und legt euch zwischen den Bergen in den Hinterhalt! Und wenn ihr dann sehet, daß die Feinde im Lager sind, so fallet von allen Seiten über sie her! Seid fest entschlossen und vertraut auf euren Herrn, so werdet ihr siegen, und siehe, ich bin bei euch!' Als nun die Nacht kam, fielen die Ungläubigen über das Lager her, indem sie zu Feuer und Licht um Hilfe flehten. Und als sie sich zwischen den Zelten befanden, stürzten die Gläubigen sich auf die Heiden, indem sie den Herrn der Welten zu Hilfe riefen mit den Worten: ,O du. der du von allen Erbarmern der Gnadenreichste bist und der Schöpfer alles dessen, was erschaffen ist!' bis sie die Feinde niedergemäht und zu Boden gestreckt hatten. Als es aber Morgen geworden war, da lag die Heidenschar am Boden als ein Haufe lebloser Schatten, während die Überlebenden sich in die Wüsten und Täler geflüchtet hatten. Mar'asch und Gharîb kehrten siegreich und im Triumphe heim, nachdem sie das Gut der



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Ungläubigen erbeutet hatten; und sie ruhten bis zum folgenden Tage. Dann brachen sie auf nach der Karneolstadt und dem Goldenen Schlosse. Barkân aber war, als die Schlacht sich gegen ihn entschieden hatte und die meisten seiner Krieger im Dunkel der Nacht gefallen waren, mit den Überlebenden seines Volkes geflüchtet; und wie er seine Hauptstadt wieder erreichte, begab er sich in sein Schloß und versammelte seine Scharen um sich. Zu denen sprach er: ,Ihr Mannen, wer noch etwas besitzt, der nehme es und folge mir zum Berge Kâf, zum Blauen König, dem Herrn des Scheckigen Schlosses; er ist es, der uns rächen wird!' Da nahmen sie ihre Frauen und Kinder und ihre Habe und machten sich auf zum Berge Kâf. Bald darauf kamen Mar'asch und Gharîb bei der Karneolstadt und dem Goldenen Schlosse an: doch sie fanden die Tore offen, und niemand war dort, der ihnen Nachricht hätte geben können. Mar'asch führte nun Gharîb umher und zeigte ihm die Karneolstadt und das Goldene Schloß. Die Stadtmauern waren aus Smaragd gebaut und ihre Tore aus rotem Karneol mit silbernen Nägeln; die Dächer der Häuser und Paläste bestanden aus Aloeholz und Sandelholz. Sie wanderten ringsumher in den Straßen und Gassen, bis sie zum Goldenen Schloß gelangten. Dort schritten sie von Vorhalle zu Vorhalle und kamen schließlich zu einem Bau aus königlichem Ballasrubin, dessen Boden aus Smaragd und Hyazinth bestand. Als Mar'asch und Gharîb in das Schloß eingetreten waren, wurden sie von seiner Schönheit geblendet; sie gingen darinnen immer weiter, bis sie sieben Vorhallen durchschritten hatten. Erst dann kamen sie in das Innere des Schlosses, und da sahen sie vier Estraden. von denen keine der anderen gleich war; und in der Mitte war ein Springbrunnen aus rotem Golde, umgeben von goldenen Löwengestalten, aus deren Mäulern das Wasser floß. So sahen sie Dinge,



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die der Menschen Sinne verwirren konnten. Die Estrade am oberen Ende war belegt mit Teppichen, die aus bunter Seide gewirkt waren; und auf ihr standen zwei Throne aus rotem Golde, eingelegt mit Perlen und Edelsteinen. Mar'asch und Gharîb setzten sich nun auf die beiden Throne Barkâns und hielten prunkvoll Hof im Goldenen Schlosse. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 658. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Mar'asch und Gharîb sich auf die Throne Barkâns setzten und prunkvoll Hof hielten. Darauf sagte Gharîb zu Mar'asch: ,Was für einen Plan hast du gefaßt? 'Jener antwortete ihm: ,O König der Menschen, ich habe hundert Reiter ausgeschickt, die mir Kunde darüber bringen sollen, an welchem Orte Barkân sich befindet, damit wir ihn verfolgen können.' Darauf blieben sie drei Tage lang im Goldenen Schlosse. bis die Mârids wieder zurückkehrten und die Kunde brachten, daß Barkân zum Berge Kâf geflüchtet sei und bei dem Blauen König Schutz gesucht und gefunden habe. Da sprach Mar'asch zu Gharîb: ,Was sagst du, mein Bruder?' Der antwortete: ,Wenn wir sie nicht angreifen, so werden sie uns angreifen.' So befahlen denn Mar'asch und Gharîb dem Heere, sich zum Auf bruche nach drei Tagen bereitzuhalten. Als sie alles vorbereitet hatten und gerade aufbrechen wollten, da kamen plötzlich die Mârids an, die Sahîm mit den Geschenken fortgebracht hatten; sie traten auf Gharîb zu und küßten den Boden vor ihm, und er befragte sie nach seinem Volke. Sie antworteten ihm: ,Wisse, dein Bruder 'Adschîb hatte sich, nachdem er aus der Schlacht geflohen war, zu Ja'— mb ibn Kahtân begeben; dann aber machte er sich auf nach Indien, trat vor den König des Landes, erzählte ihm, was ihm



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von seinem Bruder widerfahren war, und suchte und fand Schutz bei ihm. Der König schickte Briefe an alle seine Statthalter, und da versammelte sich ein Heer gleich dem brandenden Meer, ohne Anfang und Ende ringsumher; jetzt hat er beschlossen, Irak zu verwüsten.' Als Gharîb das hörte, rief er: .Verderben über die Heiden! Allah der Erhabene wird dem Islam den Sieg verleihen, und ich will ihnen Hieb und Stich zeigen!' Mar'asch aber sagte: ,O König der Menschen, bei dem größten Namen', ich muß mit dir in dein Reich ziehen, deinen Feinden den Untergang bereiten und dich ans Ziel deiner Wünsche geleiten!' Gharîb dankte ihm, und sie legten sich nieder mit dem Entschlusse, aufzubrechen, wenn der Morgen käme. Dann machten sie sich auf und zogen in der Richtung des Berges Kâf dahin und waren manchen Tag auf dem Marsche; dann zogen sie auf das Scheckige Schloß und die Marmorstadt zu. Diese Stadt war aus Marmor und anderem Gestein erbaut, und ihr Baumeister war Bârik ibn Fâki', der Geister vater, er, der auch das Scheckige Schloß erbaut hatte. Dies war so benannt, weil in seinem Bau immer ein Ziegel aus Gold mit einem Ziegel aus Silber abwechselte; und in aller Welt gab es kein Gebäude, das ihm gleich gewesen wäre. Als sie nur noch eine halbe Tagesreise von der Marmorstadt entfernt waren, machten sie Halt, um auszuruhen. Und Mar'asch schickte einen Späher auf Kundschaft aus; der Bote blieb eine Weile fort, und als er zurückkehrte, sprach er: ,O König, in der Marmorstadt sind Legionen von Dämonen, zahllos gleichwie der Bäume Blätter und die Tropfen im Regenwetter.' König Mar'asch fragte: ,Was sollen wir tun, o König der Menschen?'



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,O König,' erwiderte Gharîb, ,teile dein Heer in vier Teile und laß sie das feindliche Lager umzingeln. Dann sollen sie rufen ,Allah ist der Größte', und wenn sie das getan haben, sollen sie sich zurückziehen. Dies soll um Mitternacht geschehen; dann wirst du sehen, was sich unter den Stämmen der Geister begeben wird.' Darauf ließ Mar'asch seine Truppen kommen und verteilte sie, wie Gharîb ihm geraten hatte; die legten ihre Waffen an und warteten, bis es Mitternacht war. Dann machten sie sich auf, umringten das Lager der Feinde und riefen: ,Allah ist der Größte! Hie der Glaube Abrahams, des Gottesfreundes - Friede sei über ihm!' Die Ungläubigen wachten auf, erschreckt durch diesen Ruf, griffen zu den Waffen und fielen übereinander her, bis der Morgen dämmerte. Da war der größte Teil von ihnen vernichtet; nur noch ein kleiner Teil war übrig. Gharîb aber rief den gläubigen Geistern zu: ,Los auf die Heiden, die noch am Leben sind! Siehe, ich bin bei euch, und Allah ist euer Helfer!' Und Mar'asch griff an, zusammen mit Gharîb, und der zückte sein Schwert el-Mâhik, das Geisterschwert. Er hieb die Nasen ab und ließ die Schädel durch die Lüfte fahren, und die feindlichen Scharen trieb er zu Paaren. Und schließlich bekam er auch Barkân zu fassen, hieb auf ihn ein und raubte ihm das Leben, so daß er von seinem Blute rot zu Boden sank. Das gleiche tat er mit dem Blauen König; und als es Morgen geworden war, blieb von der Ungläubigen Schar keine Seele mehr am Leben, nicht einer, um Kunde davon zu geben. Darauf begaben Mar'asch und Gharîb sich in das Scheckige Schloß und sahen, wie dort in den Wänden immer ein Ziegel aus Gold mit einem Ziegel aus Silber abwechselte: die Schwellen waren aus Kristall, und es war mit Bogen aus grünem Smaragd überwölbt. Darinnen war ein Springbrunnen und ein Brunnenhaus, ausgelegt mit Teppichen



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aus Seide, die mit Goldfäden durch wirkt und mit Edelsteinen besetzt war. Und sie fanden dort Schätze, die man nicht zählen und beschreiben konnte. Dann begaben sie sich in den Haremssaal und fanden dort zierliche und liebliche Frauen; und wie Gharîb den Harem des Blauen Königs betrachtete, fand er unter seinen Töchtern eine so schöne, wie er sie noch nie gesehen hatte. Die trug ein Gewand, das tausend Dinare wert war, und war von hundert Sklavinnen umgeben, die ihre Säume mit goldenen Häkchen hoben; sie glich dem Monde unter den Sternen. Kaum hatte Gharîb sie erblickt, so ward ihm der Verstand berückt, und er war ganz verwirrt. Und er sprach zu einer jener Sklavinnen: ,Wer mag die Maid dort sein?' Da ward ihm gesagt: ,Das ist Kaukab es-Sabâh', die Tochter des Blauen Königs.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 659. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß dem König Gharîb, als er eine der Dienerinnen fragte: ,Wer mag die Maid dort sein?' gesagt ward: ,Das ist Kaukab es-Sabâh, die Tochter des Blauen Königs.' Nun wandte er sich zu Mar'asch und sprach zu ihm: ,O König der Geister, ich möchte mich mit dieser Maid vermählen.' König Mar'asch erwiderte ihm: ,Den Palast und alles, was darinnen ist an Gütern und Menschen, hat deine Hand gewonnen. Wenn du nicht die List ersonnen hättest, um Barkân und den Blauen König und ihr Heer zu vernichten, so hätten sie uns bis zum letzten Mann erschlagen. So ist denn das Gut hier dein Gut, und die Menschen sind deine Sklaven.' Für diese schönen Worte sprach Gharîb ihm seinen Dank aus; dann trat er an die Maid heran, schaute auf sie mit



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festem Blicke und entbrannte in heißer Liebe zu ihr. Er vergaß Fachr Tâdsch, die Tochter des Königs Sabûr, des Herrschers der Perser, Türken und Dailamiten; ja, er vergaß auch Mahdîja. Nun war die Mutter dieser Maid die Tochter des Königs von China, die der Blaue König aus ihrem Palast geraubt hatte; er hatte ihr das Mädchentum genommen, und sie hatte von ihm empfangen und diese Maid zur Welt gebracht. Wegen ihrer Schönheit und Anmut hatte er sie Kaukab es-Sabâh genannt, und sie war als die Herrin der Schönen bekannt. Ihre Mutter war gestorben, als die Tochter ein Kind von vierzig Tagen war; dann hatten die Ammen und Eunuchen sie erzogen, und nun war sie siebenzehn Jahre alt, als all dies geschah und ihr Vater getötet ward. Gharîb gewann sie sehr lieb, und er legte seine Hand in die ihre und ging in derselben Nacht zu ihr ein und fand in ihr eine unberührte Jungfrau; sie aber hatte ihren Vater immer gehaßt, und sie freute sich über seinen Tod. Dann befahl Gharîb, das Scheckige Schloß niederzureißen, und als das geschehen war, verteilte er die Beute an die Geister; ihm selbst aber fielen zu einundzwanzigtausend Ziegel aus Gold und aus Silber, ferner an Geld und edlen Metallen eine Menge, die man nicht zählen noch berechnen konnte. Dann führte König Mar'asch den König Gharîb und zeigte ihm den Berg Kâf und seine Wunder. Darauf begaben sie sich wieder zu dem Schlosse Barkâns, und als sie dort angekommen waren, zerstörten sie es, verteilten die Beute und kehrten heim zur Burg des Königs Mar'asch. Dort blieben sie fünf Tage lang; doch dann verlangte Gharîb in sein Land zurückzuziehen. Da hub Mar'asch an: ,O Menschenkönig, ich will an deinem Steigbügel reiten und dich in deine Heimat geleiten!' Gharîb entgegnete: ,Nein, bei Abraham, dem Gottesfreunde, ich will nicht dulden, daß du dich so mühst, und ich will von deinem



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ganzen Volke nur allein el-Kailadschân und el-Kuradschân mitnehmen.' ,O König', bat Mar'asch, ,nimm zehntausend Ritter von den Geistern mit, auf daß sie bei dir in deinen Diensten bleiben.' Aber Gharîb bestand darauf: ,Ich will keine anderen nehmen, als die ich dir genannt habe.' Darauf befahl Mar'asch, tausend Mârids sollten die Beute, die Gharîb zugefallen war, tragen und ihn in sein Reich geleiten. Den beiden Mârids el-Kailadschân und el-Kuradschân aber befahl er, sie sollten bei Gharîb bleiben und ihm gehorsam dienen. ,Wir hören, und gehorchen!' sagten die beiden; und Gharîb sprach zu den Mârids: ,Ihr sollt das Gut und Kaukab es-Sabâh tragen'; denn er gedachte auf seinem Flügelroß fortzureiten. Aber Mar'asch sagte: ,Dies Roß kann nur in unserem Lande leben; wenn es in das Land der Menschen kommt, so muß es sterben. Ich habe aber ein Seeroß; seinesgleichen ist nicht im irakischen Land noch in der ganzen Welt bekannt.' Dann befahl er, diesen Renner zubringen; und als sie ihn gebracht hatten und Gharîb ilm sah, verwirrte er ihm die Sinne. Nun wurden dem Tiere die Füße gefesselt, und el-Kailadschân lud es auf den Rücken, während el-Kuradschân trug, so viel er vermochte. Mar'asch aber umarmte Gharîb und weinte ob der Trennung von ihm und sprach: ,Lieber Bruder, wenn dir irgend etwas zustößt, darin du machtlos bist, so schicke nach mir, und ich will mit einem Heere zu dir kommen, das die Erde samt allem, was darauf ist, verwüsten kann.' Gharîb dankte ihm für seine Güte und seinen schönen Glaubenseifer. Dann zogen die beiden Mârids mit Gharîb und dem Renner zwei Tage und eine Nacht dahin; da hatten sie eine Strecke von fünfzig Jahren zurückgelegt und waren schon nahe beider Stadt 'Omân. Dort machten sie Halt, um zu rasten; und Gharîb sprach, zu el-Kailadschân gewendet: ,Geh, bring mir Kunde über mein Volk!'



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Der Mârid blieb eine Weile fort, und als er zurückkam, sprach er: ,O König, vor der Stadt liegt ein heidnisches Heer gleich dem brandenden Meer; und dein Volk ist im Kampfe mit ihm. Die Trommeln des Angriffs haben geschlagen, und el-Dschamrakân trat wider die Feinde auf den Plan.' Als Gharîb das hörte. schrie er laut: ,Allah ist der Größte!' Dann rief er: .O Kailadschân, sattle mir den Hengst und bringe mir Rüstung und Speer heran! Heute scheidet sich der echte Ritter von dem feigen Mann, dort im Gefild, wo Schwertschlag und Lanzenstich gilt.' Nachdem el-Kailadschân ihm alles gebracht hatte, was er wünschte, legte Gharîb die Kriegsrüstung an, gürtete sich mit dem Schwerte Japhets, des Sohnes Noahs, schwang sich auf das Seeroß und ritt auf die feindlichen Heerscharen zu. Doch el-Kailadschân und el-Kuradschân sprachen: ,Beruhige dein Herz, und laß uns ausziehen wider die Heidenbande, auf daß wir sie zerstreuen in Steppen und Wüstenlande, bis durch die Hilfe Allahs, des Erhabenen und Allgewaltigen, niemand von ihnen am Leben bleibt, kein einziger Mann, nicht einer, der Feuer anblasen kann!' Gharîb aber entgegnete ihnen: ,Bei Abraham, dem Gottesfreunde, ich lasse euch nicht streiten, es sei denn, daß auch ich auf dem Rücken meines Rosses sitze.' Mit dem Kommen jenes Heeres hatte es nun eine sonderbare Bewandtnis. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 660. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Kailadschân, nachdem Gharîb ihm befohlen hatte: ,Geh, bring mir Kunde über mein Volk', zurückkehrte und sagte: ,Vor deiner Stadt liegt ein zahlreiches Heer.' Nun war der Grund, weshalb dieses gekommen war, folgender. Damals, als 'Adschîb mit dem Heere von



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Ja'rub ibn Kahtân ausgezogen war und die Muslime belagerte, waren el-Dschamrakân und Sa'dân ins Feld gerückt, und el-Kailadschân und el-Kuradschân waren ihnen zu Hilfe gekommen und hatten die Heere der Ungläubigen vernichtet, und 'Adschîb war geflohen. Da sagte er: ,Ihr Leute, wenn ihr zu Ja'rub ibn Kahtân zurückkehrt, nachdem sein Volk und sein Sohn gefallen sind, so wird er sagen: ,Ihr Leute, wäret ihr nicht gewesen, so wären mein Volk und mein Sohn nicht erschlagen', und er wird uns bis zum letzten Mann töten. Deswegen geht mein Rat dahin, daß wir nach dem Lande Indien ziehen und uns unter den Schutz des Königs Tarkanân stellen, auf daß er uns rächt.' Seine Leute erwiderten ihm: ,Wohlan denn, laß uns dahinziehen; der Segen des Feuers ruhe auf dir!' So zogen sie denn Tage und Nächte dahin, bis sie zur Hauptstadt von Indien kamen. Dort baten sie um Einlaß zu König Tarkanân, und 'Adschîb erhielt die Erlaubnis, einzutreten. Er ging hinein, küßte den Boden, sprach die Wünsche, die sich für Könige geziemen, und hub an: ,O König, gewähre mir Schutz! Dich beschütze das Feuer in seiner Funkenpracht, und dich schirme mit ihrem dichten Dunkel die Nacht!' Der König von Indien sah 'Adschîb an und sprach zu ihm: ,Wer bist du, und was willst du?' Da gab jener ihm zur Antwort: ,Ich bin 'Adschîb, der König von Irak. Mein Bruder hat mir Unrecht zugefügt; auch hat er den islamischen Glauben angenommen. Und die Menschen haben sich ihm zugewandt, er ist König im Land, und nun verfolgt er mich von Ort zu Ort. Siehe, ich bin zu dir gekommen, um von dir und deiner Hochherzigkeit Schutz zu erflehen.' Als der König von Indien die Worte 'Adschîbs vernommen hatte, erhob er sich und setzte sich wieder, und er rief: ,Beim Feuer, ich will dich wahrlich rächen und will niemanden etwas anderes als meine Herrin, die Feuerflamme. anbeten



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lassen!' Dann rief er seinen Sohn und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, rüste dich und ziehe zum Lande Irak und verwüste es ganz und gar; alle, die nicht dem Feuer dienen, binde und foltere und mache sie zum warnenden Beispiel; doch töte sie nicht, sondern bringe sie zu mir, damit ich ihnen allerlei Foltern auferlegen kann und sie die Schmach kosten lasse, so daß sie eine Warnung werden für alle, die sich jetzt warnen lassen auf Erden.' Dann wählte er ihm ein Geleit aus von achtzigtausend Streitern zu Pferde und achtzigtausend Streitern auf Giraffen; auch sandte er mit ihm zehntausend Elefanten mit Sänften aus Sandelholz auf dem Rücken, die mit Stäben aus Gold vergittert und mit Platten und Nägeln aus Gold und Silber beschlagen waren, und in jeder Sänfte war ein Thron aus Gold und Smaragd. Er gab ihnen aber auch Kriegssänften mit, von denen jede acht Krieger mit allen Waffen fassen konnte. Der Sohn des Königs war der größte Held seiner Zeit, dem niemand an Tapferkeit gleichkam; und er hieß Ra'd Schâh. Der rüstete sich nun in zehn Tagen aus, und dann zogen die Truppen dahin, einer Wolkenbank gleich, eine Zeit von zwei Monaten. Als sie dann die Stadt 'Omân erreichten, lagerten sie sich rings um sie; und 'Adschîb war froh und siegesgewiß. Da zogen el-Dschamrakân und Sa'dân und alle die anderen Helden auf den Plan; die Trommeln wirbelten, und die Rosse wieherten -das sah el-Kailadschân, und da kehrte er heim und brachte dem König Gharîb die Kunde. Der saß auf, wie wir schon erzählt haben, spornte seinen Renner an, ritt zwischen die Ungläubigen und wartete, wer gegen ihn auf den Plan treten und das Tor des Kampfes auftun würde. Inzwischen war Sa'dân, der Ghûl, vorgeritten und hatte zum Zweikampfe herausgefordert. Einer der indischen Helden kam ihm entgegen;



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doch ehe er noch vor ihm hielt, hatte Sa'dân schon die Keule gegen ihn gereckt, ihm die Knochen zerschmettert und ihn zu Boden gestreckt. Dann trat ein zweiter gegen ihn vor, den tötete er wieder; und ein dritter, auch den schlug er nieder. Und so machte er es mit allen, bis er dreißig Helden erschlagen hatte. Da aber stürmte wider ihn ein Held von den Indern, Battâsch el-Akrân genannt, als der größte Ritter seiner Zeit bekannt, der gleich fünftausend Rittern gerechnet wurde im Blachgefild, wo Schwertschlag und Lanzenstich gilt. Er war der Oheim des Königs Tarkanân. Als er nun gegen Sa'dân vorritt. rief er ihm zu: ,Du Araberschuft, ist deine Vermessenheit so groß geworden, daß du Indiens Fürsten und Helden erschlägst und ihre Ritter gefangen nimmst? Aber heute ist der letzte deiner Tage in dieser Welt!' Wie Sa'dân diese Worte hörte, wurden ihm die Augen blutrot, und er stürzte sich auf Battâsch und hieb nach ihm mit der Keule; doch der Schlag ging fehl, Sa'dân wurde von der Keule mit fortgerissen und fiel zu Boden. Und ehe er sich noch erholen konnte, war er schon an Händen und Füßen gefesselt, und die Inder schleppten ihn zu ihren Zelten. Als aber el-Dschamrakân seinen Freund gefesselt sah, tiefer: ,Hie der Glaube des Gottes freundes Abraham!' und er drückte seinem Rosse die Steigbügel in die Flanken und sprengte auf Battâsch el-Akrân los. Eine Weile schwenkten sie umeinander herum; dann aber stürzte sich Büttâsch auf el-Dschamrakân, packte ihn an seinem Panzerhemd, riß ihn aus dem Sattel und warf ihn zu Boden. Da fesselten die Feinde ihn und schleppten ihn zu ihren Zelten. Nun ritt ein Hauptmann nach dem anderen zum Zweikampfe vor, aber Battâsch nahm alle gefangen, bis es ihrer vierundzwanzig muslimische Hauptleute waren. Als die Gläubigen das sehen mußten,



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waren sie tief bekümmert. Doch kaum hatte Gharîb geschaut, was mit seinen Helden geschah, so zog er unter seinem Knie eine goldene Keule hervor, die einhundertundzwanzig Pfund wog; das war die Keule Barkâns, des Geisterkönigs. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 661. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Gharîb, als er schaute, was mit seinen Helden geschah, eine goldene Keule hervorzog, die einst Barkân, dem Geisterkönig, gehört hatte. Dann spornte er sein Seeroß an, und es rannte unter ihm gleich einer Windsbraut und stürmte dahin, bis es mitten auf dem Plane war. Da rief Gharîb: ,Allah ist der Größte! Sieg und Heil! Doch Schmach werde denen zuteil, die den Glauben des Gottesfreundes Abraham leugnen!' Dann versetzte er Battâsch einen Schlag mit der Keule, so daß der zu Boden fiel. Als Gharîb sich nun nach den Muslimen umwandte, fiel sein Blick auf seinen Bruder Sahîm el-Lail, und da rief er ihm zu: ,Fessele diesen Hund!' Kaum hatte Sahîm die Worte Gharîbs vernommen, so stürzte er sich auf Battâsch, band ihn mit starken Fesseln und schleppte ihn fort. Die Helden der Muslime aber wunderten sich, wer dieser Ritter sein mochte, und die Ungläubigen redeten untereinander: ,Wer ist dieser Ritter, der aus ihrer Mitte hervorgekommen ist und unseren Führer gefangen genommen hat?' Derweilen forderte Gharîb wieder zum Kampfe heraus; und kaum war ein Hauptmann von den Indern gegen ihn hervorgesprengt, so hatte Gharîb schon die Keule wider ihn gereckt und ihn zu Boden gestreckt. Und el-Kailadschân und el-Kuradschân fesselten ihn und übergaben ihn Sahîm. Einen Helden nach dem anderen nahm Gharîb gefangen, bis er gegen Abend zweiundfünfzig tapfere und vornehme



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Hauptleute in seine Gewalt gebracht hatte. Dann schlugen die Trommeln zum Rückzug; und Gharîb verließ das Schlachtfeld und ritt in das Lager der Muslime. Der erste, der ihm entgegenkam, war Sahîm; der küßte ihm den Fuß im Steigbügel und sprach: ,Mögen deine Hände nie verdorren, o größter Held unserer Zeit! Sag an, wer bist du unter den Männern der Tapferkeit?' Da hob Gharîb das Panzervisier von seinem Gesicht, und Sahîm erkannte ihn und rief: ,Ihr Leute, das ist euer König und Herr, Gharîb, der aus dem Lande der Geister zurückgekehrt ist!' Als die Muslime den Namen ihres Königs hörten, warfen sie sich von den Rücken ihrer Rosse, traten an ihn heran, küßten ihm die Füße in den Steigbügeln und begrüßten ihn; und erfreut über seine glückliche Heimkehr geleiteten sie ihn in die Stadt 'Omân. Dort setzte er sich auf den Thron seiner Herrschaft, und sein Volk umdrängte ihn in höchster Freude. Die Speisen wurden aufgetragen, und es ward gegessen; danach erzählte er ihnen alles, was er auf dem Berge Kâf bei den Geisterstämmen erlebt hatte. Darob waren die Hörer aufs höchste erstaunt, und sie priesen Allah für seine Rettung. Die Mârids el-Kailadschân und el-Kuradschân trennten sich nicht von Gharîb; und als er dann seinem Volke das Zeichen gab, sich an die Ruhestätten zu begeben, und alle sich in ihre Wohnungen zerstreut hatten, blieben nur die beiden Mârids bei ihm. Zu ihnen sprach er: ,Könnt ihr mich nach Kufa tragen, auf daß ich mich meiner Frauen erfreuen kann, und mich dann am Ende der Nacht hierher zurückbringen?' ,Unser Gebieter,' antworteten die beiden, was du verlangst, ist leicht.' Nun beträgt die Entfernung zwischen Kufa und 'Omân sechzig Tage für einen schnellen Reiter! Da sagte el-Kailadschân zu el-Kuradschân: ,Ich will ilm auf dem Hinwege tragen, trag du ihn dann auf dem Rückwege', und er hob den König auf



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den Rücken, während sein Gefährte ihm zur Seite blieb; und kaum war eine Stunde verstrichen, da waren sie schon in Kufa und setzten ihn am Tore seines Palastes nieder. Er trat zu seinem Oheim ed-Dâmigh ein, und als der ihn sah, erhob er sich vor ihm und begrüßte ihn. Gharîb fragte: ,Wie steht es um meine Gemahlinnen Kaukab es-Sabâh' und Mahdîja?' Jener erwiderte: ,Sie sind beide wohl und in bester Gesundheit.' Darauf ging der Eunuch zu den Frauen hinein und meldete ihnen die Ankunft Gharîbs; die ließen vor Freuden Jubelrufe erschallen und gaben dem Eunuchen den Lohn für die frohe Botschaft. Dann kam König Gharîb selbst; alle standen auf vor ihm und begrüßten ihn, und man begann zu plaudern, bis ed-Dâmigh eintrat. Und nun erzählte Gharîb, was er bei den Geistern erlebt hatte; voll Staunen hörten ed-Dâmigh und die Frauen ihm zu. Den übrigen Teil der Nacht ruhte er bei Kaukab es-Sabâh', bis das Frührot nahte. Da ging er zu den beiden Mârids hinaus, nahm Abschied von den Seinen, von seinen Frauen und seinem Oheim ed-Dâmigh und stieg auf den Rücken el-Kuradschâns, dem el-Kailadschân zur Seite flog. Und noch ehe die Dunkelheit gewichen war, befand er sich schon in der Stadt 'Omân. Alsbald legte er die Kriegsrüstung an, und seine Mannen taten desgleichen. Und als er gerade Befehl gegeben hatte, die Tore zu öffnen, kam plötzlich ein Ritter daher aus dem Lager der Ungläubigen mit el-Dschamrakân und dem Ghûl Sa'dân und den gefangenen Hauptleuten, die er befreit hatte, und übergab sie Gharîb, dem König der Muslime. Über deren Rettung waren die Gläubigen hoch erfreut; doch sie stiegen unverzüglich in ihren Panzern zu Pferde. Nun wirbelten die Trommeln zum Streit, und man war zu Hieb und



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Stich bereit. Auch die Ungläubigen saßen auf und ordneten sich in Reihen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sic hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 662. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Scharen der Gläubigen hinab ritten ins Blachgefild, wo Schwertschlag und Lanzenstich gilt. Und der erste, der das Tor der Schlacht auftat, war König Gharîb; er zog sein Schwert el-Mâhik, das Schwert Japhets, des Sohnes Noahs -Friede sei über ihm! —, und spornte seinen Renner zwischen den Reihen dahin. Und er rief: ,Wer mich kennt, der hat genug an dem Unheil aus meiner Hand; und wer mich nicht kennt, dem sei mein Name genannt: Ich bin der König Gharîb, der Herrscher von Irak und Jemen, ich bin Gharîb, ddr Bruder von 'Adschîb!' Als Ra'd Schâh, der Sohn des Königs von Indien, die Worte Gharîbs vernahm, rief er den Hauptleuten zu: ,Bringt mir 'Adschîb!' Und nachdem die ihn gebracht hatten, sprach Ra'd Schâh zu ihm: ,Du weißt, daß dieser Streit dein Streit ist, und daß du die Ursache von allem bist. Da ist nun dein Bruder auf dem Blachgefild, an der Stätte, wo Schwertschlag und Lanzenstich gilt. Zieh hinaus wider ihn und bringe ihn mir gefangen, damit ich ihn verkehrt auf ein Kamel setze und zu einer Warnung für viele mache, bis ich ihn nach dem Lande Indien bringe.' Doch 'Adschîb antwortete ihm: ,O König, sende einen anderen wider ihn aus, nicht mich; denn ich bin heute krank.' Wie Ra'd Schâh das hörte, begann er zu hauchen und zu fauchen, und er rief: ,Bei dem funkensprühenden Feuer im Lichtgewand, beim Schatten und bei der Hitze Brand, wenn du nicht eilends wider deinen Bruder ausreitest und ihn mir bringst, so will ich dir den Kopf abschlagen und deinen Lebensodem verjagen!'



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Da zog denn 'Adschîb hinaus, spornte sein Roß an, und indem er sich selber Mut zusprach, ritt er nahe an seinen Bruder heran mitten auf dem Felde. Und er rief: ,Du Hund aus Araberblut, du Gemeinster von der Pflockschläger Brut, willst du dich mit Königen messen? Nimm, was dir zukommt, und empfange die Botschaft deines Todes!' Auf diese Worte erwiderte Gharîb: ,Wer bist du unter den Königen?' ,Ich bin dein Bruder,' rief jener, ,heute ist der letzte deiner Tage in dieser Welt!' Wie Gharîb aber sicher wußte, daß dies sein Bruder 'Adschîb war, schrie er: ,Auf zur Rache für meinen Vater und meine Mutter!' Dann gab er sein Schwert an el-Kailadschân', griff an und versetzte seinem Bruder mit der Keule den Schlag eines trotzigen Recken, so daß er ihm fast die Rippen heraushieb; dann packte er ihn am Kragen, riß ihn aus dem Sattel und warf ihn zu Boden. Da stürzten sich die beiden Mârids auf ihn, banden ihn mit starken Fesseln und führten ihn mit Schimpf und Schanden ab, während Gharîb sich freute, daß sein Feind gefangen war, und diese Dichterworte sang:

Erreicht ist das Ziel. und die Müh ist beendet,
Doch dir, unser Herr, gilt das Lob und der Dank!
Ich lebte in Elend und Armut verachtet:
Und Allah, gewährte, daß alles gelang.
Die Länder und Völker bezwang ich für mich;
Doch ich, unser Herr. wäre nichts ohne dich!

Als aber Ra'd Schâh erkannte, wie es 'Adschîb bei seinem Bruder Gharîb erging, rief er nach seinem Renner, legte Rüstung und Panzer an und sprengte ins Feld. Er spornte sein Roß an, bis er sich König Gharîb näherte an der Stätte, da Schwertschlag und Lanzenstich gilt. Dann rief er: ,Du Gemeinster der



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Araberbrut, du, nur zum Holzschleppen gut, bist du so vermessen geworden, daß du Könige und Helden gefangennehmen willst? Herab von deinem Rosse, halte deine Arme auf den Rücken', küsse meinen Fuß und gib meine Helden frei. Dann kannst du mit mir in mein Reich ziehen, in Fesseln und Ketten, dort will ich dir verzeihen und dich zu einem Scheich in unserem Lande machen, so daß du einen Bissen Brot zu essen hast.' Über diese Worte lachte Gharîb, so daß er fast auf den Rücken fiel; dann rief er: ,Du toller Hund, du räudiger Wolf, bald sollst du sehen, gegen wen die Räder des Schicksals sich drehen!' Und er rief Sahîm zu: ,Bring mir die Gefangenen her!' Als der sie gebracht hatte, schlug Gharîb ihnen die Köpfe ab. Da sprengte Ra'd Schâh gegen Gharîb herbei wie ein tapferer Reitersmann und griff ihn mit dem Ungestüm eines trotzigen Recken an. Unverdrossen kämpften sie, indem sie bald wichen, bald wieder aufeinander lossprengten und zusammenprallten, bis die Schleier der Dunkelheit wallten. Nun wurden die Trommeln des Rückzuges geschlagen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 663. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die beiden Könige, als die Trommeln des Rückzuges geschlagen wurden, sich voneinander trennten und ein jeder an seine Stätte zurückkehrte; dort wünschte man ihnen Glück zu ihrer wohlbehaltenen Heimkehr. Die Muslime aber sprachen zu König Gharîb: ,Es ist sonst nicht deine Gewohnheit, o König, den Kampf in die Länge zu ziehen.' Er antwortete ihnen: ,Ihr Mannen, ich kämpfte schon mit manchem Held und Fürsten der Welt, doch



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einen tüchtigeren Haudegen als diesen hab ich noch nie gesehen. Ich wollte das Schwert Japhets ziehen und ihn treffen, daß ihm die Knochen krachen, und seinem Leben ein Ende machen. Aber ich zögerte mit ihm, denn ich dachte ihn gefangen zu nehmen, auf daß er am Islam teilhaben könnte.' So sprach Gharîb.

Wenden wir uns nun zu Ra'd Schâh! Der begab sich in sein Zelt und setzte sich auf seinen Thron: da traten die Großen seines Volkes zu ihm ein und fragten ihn nach seinem Gegner. Er antwortete ihnen: ,Bei dem funkensprühenden Feuer, in meinem ganzen Leben hab ich noch keinen Helden wie diesen gesehen. Aber morgen will ich ihn gefangen nehmen und ihn mit Schimpf und Schande davonschleppen.' Dann ruhten alle bis zum Morgen. Da schlugen die Trommeln zum Streit, und alle waren zu Hieb und Stich bereit; die Schwerter wurden umgeschnallt, das Kriegsgeschrei ertönte bald; und die Streiter ritten auf glatthaarigen, kräftigen Rossen, die kamen aus dem Lager gerannt und erfüllten Hügel und Täler und das ganze weite Land. Der erste, der das Tor zu Hieb und Stich auftat, war der stürmische Reiter und löwengleiche Streiter, König Gharîb. Er tummelte sich hin und her, indem er rief: ,Wer tritt hervor zum Streit? Wer ist zum Zweikampfe bereit? Kein feiger, kein schwächlicher Mann trete heute wider mich heran!' Kaum hatte er diese Worte beendet, so trat Ra'd Schâh wider ihn ins Feld, hoch oben auf einem Elefanten, der einem gewaltigen Turme glich; auf dem Rücken des Elefanten war eine Kriegssänfte mit seidenen Gurten festgeschnallt, und der Führer saß zwischen den Ohren des Tieres, in der Hand einen Haken, mit dem er es anstachelte und nach rechts und links lenkte. Als nun der Elefant sich dem Renner Gharîbs näherte und das Pferd etwas sah, was es noch nie gesehen hatte, scheute es davor.



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Da sprang Gharîb ab, übergab das Roß el-Kailadschân, zog sein Schwert el-Mâhik und ging zu Fuß auf Ra'd Schâh los, bis er vor dem Elefanten stand. Nun pflegte Ra'd Schâh, sooft er bemerkte, daß ihm ein Held überlegen war, in die Sänfte des Elefanten zu steigen und ein Ding mitzunehmen, das man Lasso nennt; es war wie ein Netz, unten breit und oben eng, und am Rande waren Ringe, durch die eine seidene Schnur lief. Damit pflegte er Roß und Reiter zu jagen, indem er das Netz über sie warf und die Fangschnur zog; und er riß dann den Reiter vom Roß und nahm ihn gefangen; und so hatte er schon manchen Reiter bezwungen. Als nun Gharîb vor ihm stand, hob er seine Hand mit dem Fangnetz, warf es über ihn, so daß es ihn umstrickte, und zog es, bis der König bei ihm auf dem Rücken des Elefanten war; dann rief er dem Tiere zu, in sein Lager zurückzukehren. Doch el-Kailadschân und el-Kuradschân hatten ihren Herrn nicht verlassen; und als sie sahen, was mit ihm geschah, hielten sie den Elefanten fest, während Gharîb am Netze zerrte, bis er es zerrissen hatte; dann fielen die beiden Mârids über Ra'd Schâh her, fesselten ihn und führten ihn fort an einem Strick aus Palmenfaser. Die Krieger aber griffen einander an wie zwei Meere, die zusammenprallen, oder zwei Berge, die aufeinanderfallen. Der Staub stieg bis zu den Wolken des Himmels empor; die beiden Heere lernten die Blindheit kennen, der Kampf tobte wild, und das Blut rann in Strömen hervor. Unablässig wütete grimmer Streit zwischen den Heeren, es war ein mächtiges Stechen mit Speeren, und die Schwerterschläge konnte man nicht mehren, bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing. Da erklangen die Trommeln zum Rückzug, und die beiden Heere trennten sich. Und nun zeigte es sich, daß von den Muslimen, die an jenem Schlachttage teilnahmen,



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viele getötet und die meisten verwundet waren. Das kam von den Reitern der Elefanten und Giraffen. Darüber grämte sich Gharîb, und er befahl, die Verwundeten zu pflegen; dann wandte er sich zu den Großen seiner Schar und fragte sie: ,Was ratet ihr zu tun?' ,O König,' erwiderten sie, ,nur die Elefanten und die Giraffen haben das Unheil bei uns angerichtet; wären wir vor denen sicher, so würden wir die Feinde überwinden.' Da riefen el-Kailadschân und el-Kuradschân: ,Wir beide wollen unsere Schwerter ziehen und über sie herfallen und den größten Teil von ihnen erschlagen.' Doch es trat ein Mann aus dem Volke von 'Omân vor; der war ein Ratgeber bei el-Dschaland gewesen, und der sprach: ,O König, ich will für dies Heer bürgen, wenn du mir folgst und auf mich hörest!' Darauf sagte Gharîb, zu den Hauptleuten gewandt: ,Was nur immer dieser Meister euch sagt, das befolget!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 664. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Hauptleute, als König Gharîb zu ihnen sprach: ,Was nur immer dieser Meister euch sagt, das befolget!', erwiderten: ,Wir hören und gehorchen!' Da wählte jener Mann zehn Hauptleute aus und fragte sie: ,Wie viele Helden stehen unter eurem Befehle?' Sie antworteten: ,Zehntausend Helden.' Darauf nahm er sie mit und führte sie in die Rüstkammer und bewaffnete fünftausend von ihnen mit Gewehren und lehrte sie, wie man damit schießt. Als das Frührot aufleuchtete, rüsteten die Ungläubigen sich zum Kampfe und rückten mit den Elefanten und Giraffen vor, deren Reiter in voller Rüstung waren; diese wilden Tiere mit ihren Streitern zogen vor dem Heere dahin. Da stiegen auch



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Gharîb und seine Helden zu Pferde, und die Heere stellten sich in Schlachtreihen auf. Der Trommeln Klang wirbelte empor die edlen Herren rückten vor; auch die Giraffen und Elefanten zogen vorwärts. Da rief jener Mann aus 'Omân den Schützen zu, und sie begannen die Wurfmaschinen und die Gewehre zu handhaben. Pfeile und Bleikugeln flogen aus ihnen hervor und drangen den Tieren in die Flanken, so daß sie laut auf brüllten und sich gegen die Helden und Mannen der Heiden kehrten und sie mit ihren Füßen niedertraten. Und alsbald fielen die Muslime über die Ungläubigen her und überflügelten sie auf der rechten und linken Seite, während die Elefanten sie niederstampften, und jagten sie in die Steppen und Wüsten und verfolgten sie mit ihren scharfen Schwertern. Von den Elefanten und Giraffen entkamen nur ganz wenige. Und schließlich kehrte Gharîb mit seinem Heere siegesfroh zurück; und am nächsten Tage teilten sie die Beute, und dann rasteten sie noch fünf Tagelang. Darauf setzte Gharîb sich auf den Thron seiner Herrschaft und ließ seinen Bruder 'Adschîb herbeiholen: zu dem sprach er: ,Du Hund, warum hetzest du die Könige wider uns, wo mir doch Er, der über alle Dinge mächtig ist, immer den Sieg über dich verleiht? Tritt über zum rettenden Glauben des Islams, und du wirst gerettet werden. Dann will ich dir die Rache für meinen Vater und meine Mutter erlassen, um des Glaubens willen; und ich werde dich zum König machen, wie du es gewesen bist, und selber gar unter deiner Hand stehen.' Auf diese Worte Gharîbs antwortete 'Adschîb: ,Ich will meinen Glauben nicht verlassen.' Da legte Gharîb ihn in Fesseln von Stahl und übergab ihn der Hut von hundert Sklaven, starken Männern allzumal. Dann wandte er sich an Ra'd Schâh und fragte ihn: ,Was sagst du zu dem Glauben des Islams?' ,Mein Gebieter,' erwiderte jener, ,ich will zu eurem Glauben



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übertreten; denn wenn er nicht der rechte, echte Glaube wäre, so hättet ihr uns nicht besiegt. Strecke deine Hand aus, und ich will bezeugen, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und daß Abraham, der Gottesfreund, sein Prophet ist!' Gharîb freute sich über seine Bekehrung und fragte: ,Ist die Süße des Glaubens fest gegründet in deinem Herzen?' ,Ja, mein Gebieter', antwortete jener; und Gharîb fragte weiter: ,Ra'd Schâh, willst du in deine Heimat und in dein Königreich zurückkehren?' Der gab zur Antwort: ,O König, mein Vater wird mich töten, weil ich seinen Glauben verlassen habe!' Doch Gharîb sagte darauf: ,Ich will mit dir ziehen und dich zum König des Landes machen; dann gehorche dir Volk und Land, durch Allahs, des Allgütigen, Allgebenden, hilfreiche Hand!' Und Ra'd Schâh küßte ihm Hand und Fuß. Dann belohnte er den Ratgeber, der die Flucht des Feindes veranlaßt hatte, und gab ihm großen Reichtum; und schließlich wandte er sich zu el-Kailadschân und el-Kuradschân und sprach zu ihnen: ,Höret, ihr vom Geistervolk!' ,Zu deinen Diensten!' erwiderten sie; und er fuhr fort: ,Ich wünsche, daß ihr mich nach dem Lande der Inder traget!' ,Wir hören und gehorchen!' war ihre Antwort. Er nahm aber auch el-Dschamrakân und Sa'dân mit, und nun lud el-Kuradschân die beiden auf den Rücken, während el-Kailadschân den König Gharîb und Ra'd Schâh trug; und sie machten sich auf nach dem Lande Indien. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 665. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die beiden Mârids, nachdem sie den König Gharîb und el-Dschamrakân, den Ghûl Sa'dân und Ra'd Schâh auf sich geladen hatten, sich mit ihnen nach dem Lande Indien aufmachten. Als sie auf brachen,



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war es die Zeit des Sonnenunterganges; aber die Nacht war noch nicht zu Ende, da trafen sie schon in Kaschmir ein und setzten sie dort auf dem Schlosse nieder, und alle stiegen die Treppen des Palastes hinunter. Nun hatte Tarkanân inzwischen von den Flüchtlingen die Kunde über das erhalten, was seinem Sohn und seinem Heer widerfahren war, daß sie in großer Sorge seien, und daß sein Sohn nicht schlafe und an nichts mehr Gefallen habe. So dachte er denn immer an ihn und an sein Schicksal. Doch da traten plötzlich die Ankömmlinge zu ihm ein. Als der König seinen Sohn und dessen Begleiter erblickte, erschrak er heftig, und Grausen vor den Mârids ergriff ihn. Sein Sohn Ra'd Schâh wandte sich zu ihm und sprach: ,Wie lange noch, du Verräter, du Feueranbeter? Weh dir, laß den Dienst des Feuers fahren, bete zum mächtigen König der himmlischen Scharen, dem Schöpfer von Nacht und Tag, den kein Blick erreichen mag!' Wie sein Vater diese Worte vernahm, griff er zu einer eisernen Keule, die er bei sich hatte, und warf sie nach ihm; aber sie verfehlte ihn und sauste gegen einen Pfeiler des Palastes und schlug drei Steine heraus. Dann rief der König: ,Du Hund, du hast das Heer vernichtet und hast deinen Glauben verloren, und jetzt kommst du und willst mir meinen Glauben nehmen?' Doch da trat Gharîb auf ihn zu, schlug ihn mit der Faust in den Nacken und warf ihn zu Boden; und el-Kailadschân und el-Kuradschân banden ihn mit starken Fesseln. Nun flohen alle die Frauen des Harems. Darauf setzte Gharîb sich auf den Herrscherthron und sprach zu Ra'd Schâh: ,Sprich Recht über deinen Vater!' Der also wandte sich zu ihm mit den Worten: ,Du irrender alter Mann, nimm den rettenden Glauben des Islams an, so wirst du vor des Höllenfeuers Pein und vor des Allmächtigen Zorn gerettet sein.' Aber Tarkanân rief: ,Ich will nur in meinem Glauben



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sterben!' Da zog Gharîb sein Schwert el-Mâhik und versetzte ihm damit einen Hieb, so daß er in zwei Stücken zu Boden fiel; und Allah ließ seine Seele ins Höllenfeuer sausen. an die Stätte voller Grausen. Dann befahl Gharîb, ihn am Tore des Schlosses aufzuhängen; das geschah, und zwar so, daß je eine Hälfte von ihm rechts und links vom Tore hing. Nachdem sie dann bis zum hellen Tage gewartet hatten, befahl Gharîb Ra'd Schâh, das Königsgewand anzulegen und sich auf den Thron seines Vaters zu setzen. Gharîb setzte sich zu seiner Rechten. und el-Kailadschân und el-Kuradschân, el-Dschamrakân und der Ghûl Sa'dân stellten sich rechts und links von ihm auf. Und weiter befahl der König Gharîb: ,Jeden Fürsten, der jetzt eintritt, legt in Fesseln, lasset auch nicht einen einzigen Hauptmann euren Händen entrinnen!' ,Wir hören und gehorchen!' sprachen sie. Und alsbald kamen die Würdenträger zum Schlosse des Königs, um ihre Aufwartung zu machen. Und der erste, der kam, war der oberste Heeresführer: als der den König Tarkanân in Stücken aufgehängt sah, erschrak er und verlor den Verstand und ward vom Grausen übermannt. Und schon stürzte el-Kailadschân auf ihn, packte ihn am Kragen, warf ihn nieder und fesselte ihm die Hände auf dem Rücken; dann schleppte er ihn in den Palast hinein. Und weiter band und schleppte er, bis er noch, ehe die Sonne hoch am Himmel stand, dreihundertundfünfzig Hauptleute gefesselt und vor Gharîb gebracht hatte. Der sprach zu ihnen: ,Ihr Leute, habt ihr euren König am Schloßtore hängen sehen?' Sie fragten: ,Wer hat eine solche Tat an ihm vollbringen können?' Und Gharîb fuhr fort: ,Ich habe diese Tat an ihm vollbracht, mit der Hilfe Allahs des Erhabenen. Und wer sich mir widersetzt, mit dem tue ich das gleiche!' Sie fragten: ,Was willst du von uns?' Und er antwortete: ,Ich bin Gharîb, der König von Irak.



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Ich bin es, der euren Helden den Tod gebracht hat. Nun seht, Ra'd Schah hat den islamischen Glauben angenommen und ist ein mächtiger König geworden, der über euch gebietet. So tretet denn über zum rettenden Glauben des Islams, und ihr werdet gerettet werden! Wenn ihr euch aber widersetzet, so werdet ihr es bereuen.' Da sprachen sie das Bekenntnis der Rechtgläubigkeit und zählten zum Volke der Glückseligkeit. Gharîb fragte sie: ,Ist die Süße des Glaubens fest in euren Herzen gegründet?' Und sie antworteten: ,Ja!' Nun befahl er, sie loszulassen, kleidete sie in Ehrengewänder und sprach zu ihnen: ,Gehet zu den Euren und bietet ihnen den Islam dar. Wer ihn annimmt, den lasset leben; doch wer sich weigert, den tötet!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 646. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Hauptleute Ra'd Schahs, als König Gharîb zu ihnen sprach: ,Gehet zu den Euren, bietet ihnen den Islam dar. Wer ihn annimmt, den lasset leben, doch wer sich weigert, den tötet!' alsbald hingingen', ihre Mannen, die unter ihrer Hand und ihrem Befehle standen, versammelten und ihnen berichteten, was geschehen war. Dann boten sie ihnen den Islam dar, und alle nahmen ihn an, mit Ausnahme von wenigen, und die wurden getötet. Darauf brachten sie Gharîb die Meldung, und der lobte und pries Allah den Erhabenen, indem er sprach: ,Preis sei Allah, der uns dies ohne Kampf leicht gemacht hat!' Vierzig Tage lang blieb Gharîb im indischen Kaschmir, bis er das Land geordnet, alle Häuser und Stätten des Feuers zerstört und an ihrer Stelle Bethäuser und Moscheen errichtet hatte. Inzwischen hatte Ra'd Schâh eine unbeschreibliche Menge von Geschenken und



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Kostbarkeiten für ihn bereit gemacht und sandte sie in Schiffen fort. Dann stieg Gharîb auf den Rücken el-Kailadschâns, während Sa'dân und el-Dschamrakân sich auf den Rücken el-Kuradsehâns setzten, nachdem alle voneinander Abschied genommen hatten; und sie flogen durch die Nacht dahin, bis sie ihrem Ende nahe war, und noch ehe das Frührot leuchtete. waren sie schon in der Stadt 'Omân. Ihre Truppen kamen ihnen entgegen, begrüßten sie und freuten sich ihrer. Und als Gharîb dann weiter zum Tore von Kufa gekommen war, befahl er alsbald, seinen Bruder 'Adschîb zu bringen. Das geschah; darauf befahl er, ihn zuhängen, und Sahîm holte eiserne Haken und schlug sie ihm durch die Flechsen. Nun wurde er am Tore von Kufa aufgehängt, und Gharîb befahl, mit Pfeilen auf ihn zu schießen: und sie beschossen ihn, bis er wie ein Stachelschwein aussah. Darauf zog Gharîb in Kufa ein, begab sich in seinen Palast. setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft und waltete seines Herrscheramtes, bis sein Tagewerk vollendet war. Dann ging er in seinen Harem; Kaukab es-Sabâh erhob sich vor ihm und umarmte ihn; auch alle anderen Frauen wünschten ihm Glück zu seiner wohlbehaltenen Heimkehr. Den Rest jenes Tages und die Nacht über verbrachte er bei Kaukab es-Sabâh; und als es wieder Morgen ward, erhob er sich, vollzog die religiöse Waschung, sprach das Frühgebet und setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft. Nun begann er, seine Hochzeit mit Mahdîja zu rüsten; dreitausend Schafe wurden geschlachtet, zweitausend Rinder, tausend Ziegen, fünfhundert Kamele, viertausend Hühner, viele Gänse und fünfhundert Pferde. Eine solche Hochzeit war im Islam bis zu jener Zeit noch nicht gefeiert. Darauf ging Gharîb zu Mahdîja ein und nahm ihr das Mädchentum; und er blieb zehn Tage in Kufa. Dann empfahl er die Untertanen der Gerechtigkeit seines



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Oheims und zog mit seinen Frauen und Helden fort, bis sie zu den Schiffen mit den Geschenken und Kostbarkeiten kamen. Alles, was darauf war, verteilte er an das Heer, und mancher Held ward reich an Gütern der Welt. Und wieder zogen sie weiter, bis sie zur Stadt Babel gelangten; dort verlieh er seinem Bruder Sahîm el-Lail ein Ehrengewand und machte ihn zum Sultan. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 647. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Gharîb, nachdem er seinem Bruder Sahîm ein Ehrengewand verliehen und ihn zum Sultan gemacht hatte, zehn Tage lang bei ihm blieb. Darauf brach er von neuem auf, und seine Scharen zogen ohne Aufenthalt dahin, bis sie zur Burg des Ghûls Sa'dân gelangten; dort rasteten sie fünf Tage. Nun sprach Gharîb zu el-Kailadschân und el-Kuradschân: ,Gehet nach Isbanîr el-Madâïn zum Palaste des Perserkönigs und bringt mir Kunde über Fachr Tâdsch! Bringt mir auch einen Mann aus der Sippe des Königs, der mir kundtun kann, was inzwischen geschehen ist!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten die beiden und machten sich auf den Weg nach Isbanîr el-Madâïn. Während sie nun zwischen Himmel und Erde dahinschwebten. erblickten sie plötzlich ein gewaltiges Heer gleich dem brandenden Meer. Da sprach el-Kailadschân zu seinem Gefährten: ,Laß uns hinabsteigen und nachforschen, was es mit diesem Heere auf sich hat!' So schwebten sie denn hinab, und als sie zwischen den Truppen einhergingen, entdeckten sie, daß es Perser waren; und sie fragten einige Leute, was das für ein Heer sei und wohin es ziehe. Jene antworteten ihnen: ,Wir ziehen wider Gharîb, um ihn und alle, die bei ihm sind, zu erschlagen.' Als



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die beiden das hörten, begaben sie sich zum Zelte des Fürsten, der ihr Anführer war und der Rustem hieß. Dort warteten sie, bis die Perser an ihren Ruhestätten schliefen und auch Rustem auf seinem Lager schlummerte. Alsbald hoben sie ihn mit seinem Lager und flogen zur Burg zurück; und ehe es Mitternacht war, kamen sie schon im Lager des Königs Gharîb an. Sie begaben sich nun zur Tür des königlichen Zeltes und baten um Einlaß. Wie Gharîb sie sprechen hörte, richtete er sich auf und rief: ,Tretet ein!' So traten sie denn ein mit jenem Ruhelager, auf dem Rustem schlief. Gharîb fragte sie: ,Wer ist das?' und sie antworteten: ,Dies ist einer von den Perserfürsten, und er führt ein großes Heer. Er will dich und die Deinen erschlagen; und wir haben ihn zu dir gebracht, damit er dir berichte, was du wünschest.' Da rief Gharîb: ,Bringt mir hundert Recken!' Als die gekommen waren, sprach er: ,Zückt eure Schwerter und stellt euch zu Häupten dieses Persers auf!' Sie taten, wie er ihnen befohlen hatte. Dann wurde Rustem geweckt; er schlug die Augen auf, und als er über sich ein Dach von Schwertern sah, machte er sie wieder zu, indem er sprach: ,Was ist das für ein häßlicher Traum!' Doch el-Kailadschân stieß ihn mit der Schwertspitze, so daß er sich aufrichtete und fragte: ,Wo bin ich?' Jener sprach: ,Du bist in Gegenwart des Königs Gharîb, des Eidams des Königs der Perser! Wie heißest du, und wohin ziehst du?' Als Rustem den Namen Gharîbs hörte, dachte er nach und sprach bei sich selber: ,Schlafe ich oder wache ich?' Aber Sahîm versetzte ihm einen Schlag und fuhr ihn an: ,Warum antwortest du nicht?' Da hob er den Kopf und fragte: ,Wer hat mich aus meinem Zelte mitten unter meinen Leuten hierher gebracht?' Gharîb erwiderte: ,Diese beiden Mârids haben dich gebracht.' Wie er el-Kailadschân und el-Kuradschân erblickte, beschmutzte er sich die Hosen.



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Und die Mârids fielen über ihn her, indem sie ihre Hauer fletschten und ihre Schwerter zückten, und riefen: ,Weshalb trittst du nicht heran, um den Boden vor König Gharîb zu küssen?' Da begann er vor den Dämonen zu zittern und war sicher, daß er nicht schlief; so stand er denn auf und küßte den Boden und sprach: ,Der Segen des Feuers ruhe auf dir! Lang sei dein Leben, o König!' Doch Gharîb rief: ,Du Perserhund, das Feuer ist nicht anbetungswürdig; denn es ist schädlich und nützt nur zum Kochen der Speisen.' ,Und wer ist denn anbetungswürdig?' fragte Rustem; und Gharîb antwortete: ,Der Anbetungswürdige ist Allah, der dich geschaffen und gestaltet hat, der Himmel und Erde geschaffen hat!' Der Perser fragte weiter: ,Was muß ich sagen, auf daß ich zum Volke dieses Herren gehöre und in euren Glauben eintrete?' Gharîb gab zur Antwort: ,Sprich: Es gibt keinen Gott außer Allah; Abraham ist der Freund Allahs!' Da sprach jener das Bekenntnis der Rechtgläubigkeit und zählte zum Volke der Glückseligkeit; dann sagte er: ,Wisse, mein Gebieter, dein Schwäher, der König Sabûr, sucht dich zu töten; er hat mich mit hunderttausend Mann entsandt und mir geboten, keinen von euch zu verschonen.' Als Gharîb diese Worte von ihm vernahm, rief er: ,Ist dies mein Lohn von ihm, dieweil ich seine Tochter aus Not und Unheil errettete? Allah möge ihm sein Vorhaben lohnen! Doch wie heißest du?' Jener antwortete: ,Ich bin Rustem, der Feldhauptmann Sabûrs.' Gharîb fuhr fort: ,So sollst du auch der Hauptmann meines Heeres sein'; und er fügte hinzu: ,Sag, Rustem, wie ergeht es der Prinzessin Fachr Tâdsch?' Da rief der Perser: ,Möge dein Haupt am Leben bleiben, o größter König unserer Zeit!' ,Was war die Ursache ihres Todes?' fragte Gharîb; und Rustem erwiderte: ,Mein Gebieter, als du wider deinen Bruder zogst, kam eine Sklavin zu König Sabûr, deinem



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Schwäher, und sprach zu ihm: ,Hoher Herr, hast du Gharîb geheißen, bei meiner Herrin Fachr Tâdsch zu ruhens' Er rief: ,Nein, beim Feuer!' zog sein Schwert und eilte zu seiner Tochter und schrie sie an: ,Du Verworfene, wie konntest du diesen Beduinen bei dir schlafen lassen, ohne daß er dir die Morgengabe brachte, ohne daß er eine Hochzeit machte!' ,Mein lieber Vater,' antwortete sie, ,du selbst hast ihm ja erlaubt, bei mir zu ruhen.' Doch er forschte weiter: ,Ist er dir genaht?' Da schwieg sie und senkte den Kopf zu Boden. Er aber rief die Ammen und Sklavinnen und sprach zu ihnen: ,Fesselt dieser Metze die Hände auf dem Rücken und untersucht ihre Scham!' Jene taten, wie ihnen befohlen war; dann sprachen sie: ,O König, ihr Mädchentum ist dahin!' Nun stürzte er sich auf sie und wollte sie töten; doch ihre Mutter sprang auf und hielt ihn von ihr zurück, indem sie rief: ,O König, töte sie nicht! Sonst wirst du ein Schandfleck. Sperre sie bis zu ihrem Tode in eine Zelle ein!' Da sperrte er sie ein, bis die Nacht anbrach: dann aber sandte er sie mit zweien seiner Vertrauten fort, denen er gesagt hatte: ,Entfernt euch mit ihr und werft sie in den Dschaihûn', und sagt niemandem etwas davon!' Die beiden führten seinen Befehl aus; nun ist ihr Andenken vergessen, und ihre Zeit ist dahin.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der vertatteten Rede an. Doch als die 668. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: ,Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Rustem, als Gharîb ihn nach Fachr Tâdsch befragte, ihm ihre Geschichte kundtat und ihm berichtete, daß ihr Vater sie im Flusse habe ertränken lassen. Als Gharîb das hören mußte, ward ihm die Welt schwarz vor den Augen, und von wilder Wut erfüllt



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rief er: ,Beim Gottesfreunde, ich will wahrhaftig wider diesen Hund ziehen und ihn umbringen und sein Land verwüsten!' Darauf entsandte er Briefe an el-Dschamrakân und an die Statthalter von Maijafarikîn' und Mosul. Zu Rustem gewendet aber sprach er: ,Wieviel Krieger hast du bei dir?' ,Ich habe hunderttausend persische Reiter', antwortete jener; und Gharîb fuhr fort: ,Zieh mit zehntausend Mann von hier gegen deine Leute und halte sie durch Gefechte fest; ich folge dir auf dem Fuße.' Da saß Rustem mit zehntausend Rittern aus dem Lager Gharîbs auf und zog zu seinem Volke, indem er bei sich sprach: ,Heute will ich eine Tat vollbringen, die mein Gesicht vor König Gharîb weiß machen soll.' Sieben Tage lang war er auf dem Marsche, da war er dem Lager der Perser so nahe, daß zwischen ihm und jenen nur noch ein halber Tagemarsch lag. Und nun teilte er sein Heer in vier Scharen und sprach zu ihnen: ,Umringt das Lager der Perser und fallt dann mit dem Schwerte über sie her!' ,Wir hören und gehorchen!' antworteten sie. Dann ritten sie weiter vom Abend bis zur Mitternacht und umzingelten das Lager. Die Perser hatten, seitdem Rustem verschwunden war, in Ruhe und Sicherheit gelagert; doch als die Muslime mit dem Feldgeschrei ,Allah ist der Größte' über sie herfielen, fuhren sie aus ihrem Schlaf empor, und schon kreiste das Schwert in ihrer Mitten, so daß ihre Füße beim Aufspringen glitten. Der allwissende König war erzürnt wider sie, und Rustem fuhr unter ihnen einher wie das Feuer in dürrem Reisig. Und als die Nacht zu Ende ging, war das ganze Perserheer erschlagen oder verwundet oder flüchtig. Die Muslime aber machten große Beute an Gepäck und Zelten, Geldtruhen, Rossen und Kamelen. Sie ließen sich im Lager der Perser nieder und rasteten dort, bis König Gharib kam



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und sah, was Rustem getan hatte, wie er den klugen Plan ersonnen, die Perser getötet und ihr Heer aufgerieben hatte. Da verlieh er ihm ein Ehrengewand, indem er zu ihm sprach: ,Rustem, du bist es, der die Perser vernichtet hat; drum ist die ganze Beute dein!' Rustem küßte die Hand des Königs und dankte ihm. Nachdem sie jenen Tag über noch geruht hatten, brachen sie wieder auf, um den König der Perser zu suchen. Inzwischen waren die Flüchtlinge heimgekehrt und waren zu König Sabûr geeilt; und sie klagten mit lautem Wehgeschrei über das große Unheil, das geschehen sei. Sabûr fragte sie: ,Was ist es, das euch betroffen hat? Wer hat euch getroffen mit böser Tüte' Und sie berichteten ihm, was geschehen war und wie sie im Dunkel der Nacht überfallen wurden. ,Wer hat euch denn überfallene' fragte Sabûr weiter; und sie erwiderten: ,Niemand anders als dein eigener Heerführer; denn er ist Muslim geworden. Gharîb ist uns noch nicht nahe gekommen.' Wie Sabûr das hörte, warf er seine Krone zu Boden und rief: ,Wir haben allen Wert verloren!' Dann wandte er sich zu seinem Sohne Ward Schâh und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, für diese Aufgabe gibt es niemanden als dich.' ,Bei deinem Leben, mein Vater.' antwortete Ward Schâh, ,ich will sicherlich Gharîb und die Großen seines Volkes in Fesseln hierher bringen und alle, die bei ihm sind, vernichten.' Darauf musterte er seine Krieger und zählte ihrer zweihundertundzwanzigtausend. Die alle verbrachten die Nacht mit der Absicht, ins Feld zu ziehen; doch als es Morgen ward und sie aufbrechen wollten, wirbelte plötzlich eine Staubwolke empor, die legte der Welt einen Schleier vor, daß jedes Auge den Blick verlor. König Sabûr saß schon zu Rosse, um seinem Sohne das Abschiedsgeleit zu geben; doch als er diese gewaltige Staubmasse sah, rief er einen Eilboten und befahl ihm: ,Bring uns Kunde über diese Staubwolke!'



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Der Bote ging, und als er heimkehrte, berichtete er: .Mein Gebieter. Gharîb und seine Helden sind da!' Und sofort wurden die Lasten wieder abgeladen, und die Mannen ordneten sich bereit zu Kampf und Streit. Wie nun Gharîb vor Isbanîr el-Madâïn ankam und sah, daß die Perser zu Schlacht und Gefecht gerüstet waren, feuerte er seine Krieger an mit den Worten: ,Greifet an, Allahs Segen ruhe auf euch!' Und als sie dann die Fahnen schwangen und Araber und Perser aufeinanderdrangen und Völker auf Völker stießen, da begann das Blut in Strömen zu fließen. Die Seelen erkannten des Todes Bann; der Tapfere rückte vor und griff an, doch es wich und floh der feige Mann. Und sie kämpften unermüdlich und rangen, bis der Tag sich neigte und die Trommeln zum Rückzug erklangen. Da trennten sie sich voneinander. König Sabûr befahl, das Lager vor dem Stadttore aufzuschlagen; und Gharîb seinerseits ließ seine Zelte gegenüber denen der Perser aufschlagen. Und nun begaben sich alle in ihre Zelte. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 669. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die beiden Heere, das des Königs Gharîb und das des Königs Sabûr, nachdem sie voneinander abgelassen hatten, sich zurückzogen, ein jedes in sein Lager, bis es wieder Morgen ward. Dann bestiegen sie die glatten, starken Rosse und erhoben das Kriegsgeschrei; mit eingelegten Lanzen und zum Streite gewappnet, eilten sie herbei; und nun rückten sie vor, all die Helden verwegen und löwengleichen Degen. Der erste, der das Tor des Kampfes auftat, war Rustem; er sprengte auf seinem Renner mitten in das Blachfeld und rief: ,Allah ist der Größte! Ich bin Rustem. der Vorkämpfer der Helden von Arabern und Persern! Ist einer



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Zweikampf bereit? Tritt einer hervor zum Streit? Doch kein träger, kein schwächlicher Mann trete heute wider mich heran!' Da ritt Tumân von den Persern hervor und griff Rustem an; und Rustem stürzte auf ihn los, und es entspann sich zwischen ihnen ein wilder Kampf, bis Rustem auf seinen Widersacher einsprang und ihn mit einer Keule traf, die er trug und die siebenzig Pfund wog, und er ihm das Haupt auf der Brust zerschmetterte; da fiel der Perser tot zu Boden. ertrunken in seinem Blute. Das war für König Sabûr ein harter Schlag, und darum befahl er seinen Kriegern, anzugreifen. Und die stürmten auf die Muslime los, indem sie Hilfe erflehten von der Sonne, der Herrin der leuchtenden Strahlen, während die Gläubigen sich dem Schutze des allmächtigen Königs empfahlen. Doch da die Zahl der Perser größer als die der Araber war, reichten sie ihnen den Becher der Todesgefahr. Nun aber erhob Gharîb den Schlachtruf, stürzte in seinem Heldenmut hervor und schwang sein Schwert el-Mâhik, das Schwert Japhets; und er stürmte, mit el-Kailadschân und el-Kuradschân an seinem Steigbügel, auf die Perser ein. Unablässig hieb er mit dem Schwerte hin und her, bis er sich einen Weg zu dem Bannerträger gebahnt hatte; den traf er mit der flachen Klinge auf das Haupt, so daß er ohnmächtig zu Boden sank; und die beiden Mârids trugen ihn in ihr Lager. Als die Perser sahen, daß ihr Banner gefallen war, wandten sie sich, um eilends zu weichen, und suchten die Tore der Stadt zu erreichen. Doch die Muslime folgten ihnen mit der Klinge, bis sie an die Tore gelangten; dort drängten sich die Feinde zuhauf, viel Volks von ihnen kam um, und die Tore konnten nicht geschlossen werden. Und nun sausten sie alle einher, Rustem, el-Dschamrakân, Sa'dân, Sahîm, ed-Dâmigh, el-Kailadschân, el-Kuradschân, die ganzen gläubigen Heldenscharen und die Ritter, die dem



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Einheits glauben ergeben waren, und sie trieben die ungläubigen Perser zu Paaren -dort bei den Toren. Und das Blut der Ketzer begann zu fließen und sich wie ein Sturzbach in die Straßen zu ergießen. Da riefen sie: ,Gnade! Gnade!' Die Gläubigen hielten ihre Schwerter von ihnen zurück; und nachdem die Perser ihre Waffen und Rüstungen niedergeworfen hatten, trieben die Sieger sie wie eine Schafherde in ihr Lager. Derweilen kehrte Gharîb in sein Prunkzelt zurück, legte seine Rüstung ab und kleidete sich in die Gewänder der Herrscherherrlichkeit, nachdem er zuvor das Blut der Ungläubigen von sich abgewaschen hatte. Dann setzte er sich auf seinen Königsthron und rief nach dem König der Perser. Als der herbeigeführt war und vor ihm stand, schrie er ihn an: ,Du Perserhund. was trieb dich, also an deiner Tochter zu handeln? Wie kannst du mich als unwürdig ansehen, ihr Gemahl zu sein?' ,O König,' erwiderte jener, ,zürne mir nicht ob meiner Tat! Denn siehe, ich bereue; ich trat auch nur aus Angst vor dir im Kampf dir entgegen!' Als Gharîb diese Worte vernommen hatte, gab er Befehl, ihn niederzuwerfen und zu geißeln; der Befehl ward ausgeführt, so lange, bis sein Gewinsel zu Ende war; dann warf man ilm unter die Gefangenenschar. Darauf berief Gharîb die Perser zu sich und legte ihnen den Islam dar; einhundertundzwanzigtausend von ihnen nahmen den rechten Glauben an, die anderen fielen dem Schwerte anheim. Alle die Perser aber. die in der Stadt waren, bekannten sich zum Islam; und nun ritt Gharîb in großem Prunkzuge weiter und zog in die Stadt Isbanîr el-Madâïn ein. Dort setzte er sich auf den Thron Sabûrs, des Königs der Perser, verlieh Ehrengewänder und Gaben, verteilte die Beute und das Gold und ließ auch die Perser daran teilnehmen, so daß ihn alle liebgewannen und um Sieg und Macht und langes Leben für ihn beteten. Doch die Mutter



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der Prinzessin Fachr Tâdsch gedachte ihrer Tochter und erhob den Klageruf, so daß sich der Palast mit lautem Geschrei erfüllte. Als Gharîb das hörte, begab er sich zu den Frauen und fragte sie: ,Was ist es mit euch?' Da trat die Mutter der Prinzessin vor und sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, wisse, als du kamst, gedachte ich meiner Tochter, und ich sagte mir: Wenn sie noch am Leben wäre, so hätte sie sich über dein Nahen gefreut!' Gharîb weinte um sie, und nachdem er sich wieder auf seinen Thron gesetzt hatte, rief er: ,Bringt mir Sabûr!' Und wie der König, in seinen Fußfesseln stolpernd, vor ihn kam, fuhr er ihn an: ,Du Perserhund, was hast du mit deiner Tochter getan?' Jener antwortete: ,Ich gab sie zwei Männern, soundso geheißen, und sprach zu ihnen: Ertränkt sie im Flusse Dschaihûn!' Da ließ Gharîb die beiden Männer kommen und fragte sie: ,Was dieser da gesagt hat, ist das wahr?' ,Jawohl,' erwiderten sie, ,doch, o König, wir haben sie nicht ins Wasser geworfen, sondern wir hatten Mitleid mit ihr und ließen sie am Ufer des Dschaihûn, indem wir zu ihr sprachen: ,Suche dich zu retten! Kehre aber nicht in die Hauptstadt zurück, damit er nicht dich und uns mit dir tötet! Das ist, was wir zu sagen haben.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 670. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die beiden Männer dem König Gharîb erzählten, was mit Fachr Tâdsch geschehen war, und mit den Worten schlossen: ,Wir haben sie am Ufer des Dschaihûn gelassen.' Als Gharîb diese Kunde von ihnen vernahm, berief er die Sterndeuter; und nachdem die gekommen waren, sprach er zu ihnen: ,Entwerfet mir eine Figur des Sandzaubers und forschet nach Fachr Tâdsch, ob sie noch in den



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Banden des Lebens weilt oder schon gestorben ist!' Da warfen sie die Sandfigur und sprachen: ,O größter König unserer Zeit, es ist uns kund geworden, daß die Prinzessin noch in den Banden des Lebens weilt und ein Knäblein geboren hat; und beide sind jetzt bei einem Stamme der Geister. Doch sie wird zwanzig Jahre lang von dir getrennt sein; nun berechne, wie viel Jahre du auf Reisen gewesen bist!' Der König rechnete die Zeit der Trennung von ihr nach; und siehe, es waren acht Jahre. Da rief er: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann sandte er Boten nach all den Burgen und Festen, die zur Herrschaft Sabûrs gehörten, und deren Herren kamen, um ihm zu huldigen. Während er nun aber eines Tages in seinem Schlosse saß, erblickte er plötzlich eine Staubwolke; die wirbelte empor und legte der ganzen Welt ringsum einen dichten Schleier vor. Alsbald berief er el-Kailadschân und el-Kuradschân und befahl ihnen: ,Bringt mir Kunde über diese Wolke!' Die beiden Mârids eilten davon, bis sie sich unter der Staubwolke befanden, ergriffen einen von den nahenden Rittern, brachten ihn zu Gharîb und stellten ihn vor ihn hin, indem sie sprachen: ,Frage diesen da; denn er gehört zu dem Heere!' Nun fragte Gharîb: ,Wem gehört jenes Heere' Der Mann gab zur Antwort: ,O König, das ist der König Chirad' Schâh, der Herr von Schiras; er kommt, um wider dich zu streiten.'

Der Grund von alledem aber war dieser: Als der Kampf zwischen Sabûr, dem König der Perser, und Gharîb stattgefunden hatte und dann all das andere geschehen war, da hatte sich der Sohn des Königs Sabûr mit einer Handvoll Leute von seines Vaters Heere geflüchtet. Und er war immer weiter geeilt, bis er zur Stadt Schiras gekommen und vor den König



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Chirad Schâh getreten war. Er küßte den Boden vor ihm, während ihm die Tränen auf die Wangen niederrannen. Der König aber sprach zu ihm: ,Hebe dein Haupt, o Jüngling, und sage mir, warum du weinst!' Jener antwortete: ,O König, ein König der Araber, Gharîb geheißen, ist bei uns erschienen und hat das Reich meines Vaters erobert, durch ihn mußten die Perser niedersinken und den Becher des Todes trinken!' Und er erzählte ihm alles, was durch Gharîb geschehen war, von Anfang bis zu Ende. Als Chirad Schâh diese Worte von dem Sohne Sabûrs vernommen hatte, fragte er: ,Ist meine Gemahlin' wohl?' Der Prinz erwiderte: ,Gharîb hat sie genommen.' Da rief der König: ,Bei meinem Haupte, ich will keinen Beduinen und keinen Muslim auf dem Angesichte der Erde am Leben lassen!' Dann ließ er Briefe schreiben und entsandte sie an seine Statthalter. Die kamen mit ihren Truppen zu ihm; und als er sie musterte, fand er, daß es fünfundachtzigtausend Mann waren. Darauf ließ er die Rüstkammern auftun und verteilte Panzer und Waffen unter die Leute. Und er zog mit ihnen zu Felde, bis sie bei Isbanîr el-Madâïn ankamen; dort lagerten sie sich alle vor dem Tore der Stadt. Nun traten el-Kailadschân und el-Kuradschân zu Gharîb, küßten seine Kniee und sprachen: ,Unser Gebieter, gewähre uns die Herzensfreude. daß du dies Heer uns überlässest!' Er antwortete ihnen: ,Da habt ihr sie! Vorwärts, auf sie!' Alsbald schwebten die beiden Mârids davon, bis sie sich beim Prunkzelt des Königs Chirad Schâh niederließen. Dort fanden sie ihn auf dem Throne seiner Macht; der Sohn des Königs Sabûr saß neben ihm, und die Hauptleute standen um ihn in zwei Reihen, und alle berieten, wie sie die Muslime vernichten könnten. Da eilte el-Kailadschân vor und griff den Prinzen, während el-Kuradschân



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den König Chirad Schâh ergriff; und beide flogen mit ihnen zu Gharîb zurück, und der gab Befehl, sie zu geißeln, bis sie die Besinnung verloren. Die beiden Mârids aber kehrten wieder um, schwangen ihre Schwerter, ein jedes so groß, daß kein anderer es hätte heben können, und fielen über die Heiden her; und Allah ließ ihre Seelen ins Höllenfeuer sausen, an die Stätte voller Grausen. Die Ungläubigen aber sahen nichts als zwei blitzende Schwerter, wie sie die Männer gleich dem Korne mähten; eine Gestalt erblickten sie nicht. Da liefen sie aus dem Lager fort und flüchteten auf den ungesattelten Pferden. Die beiden Mârids verfolgten sie zwei Tage lang und erschlugen viel Volks von ihnen; dann kehrten sie zurück und küßten Gharîb die Hand. Er dankte ihnen für das, was sie getan hatten, und sprach: ,Die Beute der Ungläubigen soll euch allein gehören; niemand soll sie mit euch teilen.' Da wünschten sie ihm Glück und Segen und gingen hinaus; und nachdem sie die Beute gesammelt hatten, lebten sie friedlich an ihrer Wohnstatt. So erging es Gharîb und seinem Volke. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 671. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, als das Heer des Königs Chirad Schah in die Flucht geschlagen war, den Mârids el-Kailadschân und el-Kuradschân befahl, die Habe des Feindes als Beute zu nehmen und mit niemandem zu teilen, und daß die beiden, nachdem sie die Beute gesammelt hatten, ruhig an ihrer Wohnstatt blieben. Die Ungläubigen aber flohen immer weiter, bis sie Schiras erreichten; und dort erhoben sie die Totenklage um die Gefallenen. Nun hatte König Chirad Schâh einen Bruder, Sinn der Zauberer geheißen; der war der größte Zauberer seiner Zeit, und er lebte fern von



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seinem Bruder in einer Feste, in der Bäume sprossen und Bäche flossen, reich an Vögelein und Blümelein. Diese Burg war einen halben Tag weit von der Stadt Schiras gelegen; und zu ihr eilten nun die geschlagenen Mannen und traten bei Sinn dem Zauberer ein, weinend und klagend. Er fragte sie: ,Was ist der Grund eurer Tränen, ihr Leute?' Und sie berichteten ihm, was geschehen war, zumal auch, daß die beiden Mârids seinen Bruder Chirad Schâh und den Sohn Sabûrs geraubt hatten. Wie Sirân diese Kunde vernahm, ward das helle Tageslicht finster vor seinem Angesicht, und er rief: ,Bei meinem Glauben, ich will wahrlich Gharîb und seine Leute umbringen! Keinen will ich von ihnen übriglassen, nicht einen einzigen Mann, nicht einen, der die Kunde heimbringen kann!' Dann murmelte er Zauberworte und beschwor den Roten König; als der vor ihm erschien, sprach er zu ihm: ,Eile nach Isbanîr el-Madâïn und stürze dich auf Gharîb, so wie er auf seinem Throne sitzt!' ,Ich höre und gehorche!' sprach jener, und zog mit seinem Heere dahin, bis er vor König Gharîb stand. Als der ihn erblickte, zog er sein Schwert el-Mâhik und griff ihn an; und ebenso stürzten el-Kailadschân und el-Kuradschân auf die Streiter des Roten Königs und töteten von ihnen fünfhundertunddreißig und brachten ihm selbst eine schwere Wunde bei. Da wandte er sich zur Flucht, und seine verwundeten Streiter flohen mit ihm, und sie eilten ohne Aufenthalt weiter, bis sie zur Burg der Früchte kamen; dort traten sie zu Sirân dem Zauberer ein und begannen zu klagen und zu schrein. Und sie sprachen zu ihm: ,O Weiser, Gharîb hat das Zauberschwert Japhets, des Sohnes Noahs, und wen er damit trifft, den spaltet er; auch hat er zwei Mârids vom Berge Kâf, die ihm König Mar'asch gegeben hat. Er ist es, der Barkân erschlagen hat, als er zum Berge Kâf kam, und auch den Blauen



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König, und der vielen vom Stamme der Geister den Tod gebracht hat.' Als der Zauberer diese Worte von dem Roten König gehört hatte, sprach er zu ihm: ,Geh!' Und nachdem der seiner Wege gegangen war, murmelte Sirân Zauberformeln und beschwor einen Mârid namens Zu'âzi"; dem gab er ein Quentchen von zerstoßenem Bendsch, indem er zu ihm sprach: ,Geh nach Isbanîr el-Madâïn und dringe in den Palast Gharîbs ein, indem du die Gestalt eines Sperlings annimmst; lauere ihm auf, bis er schläft und niemand bei ihm ist. Darauf nimm das Bendsch, tu es in seine Nase und bring ihn mir!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Mârid, und er eilte nach Isbanîr el-Madâïn, drang in den Palast Gharîbs ein, in der Gestalt eines Sperlings, setzte sich in eines der Fenster des Schlosses und wartete, bis es Nacht ward. Nachdem aber alle die Fürsten sich an ihre Ruhestätten begeben hatten und Gharîb eingeschlafen war, flog er hinunter, nahm das zerstoßene Bendsch heraus und streute es dem Schlafenden in die Nase, so daß seine Lebensgeister erloschen. Dann hüllte er ihn in die Decke des Bettes, hob ihn auf und flog mit ihm davon wie die Windsbraut: und noch ehe die Mitternacht kam, war er schon in der Burg der Früchte und brachte seinen Raub zu Sirân dem Zauberer. Der dankte ihm fur seine Tat und wollte sogleich den betäubten Gharîb töten; doch einer seiner Leute hielt ihn davon zurück, indem er zu ihm sprach: ,O Weiser, wenn du ihn tötest, so werden die Geister unser Land verwüsten; denn König Mar'asch, sein Freund, wird mit allen Dämonen, die er hat, über uns herfallen.' ,Was sollen wir denn mit ihm tun?' fragte Sinn; und jener Mann erwiderte: ,Wirf ihn in den Dschaihûn, solange er noch betäubt ist und nicht ahnt, wer ihn hineinwirft; und er wird ertrinken, ohne daß



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jemand um ihn weiß.' Nun befahl Sirân dem Mârid, Gharîb zu nehmen und in den Dschaihûn zu werfen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 672. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mârid Gharîb nahm und zum Dschaihûn brachte. Und schon wollte er ihn in den Strom werfen, da konnte er es nicht übers Herz bringen, und so machte er ein hölzernes Floß und band ihn mit Stricken daran fest: dann stieß er das Floß mit Gharîb in die Strömung, und die trieb ihn von dannen. So erging es Gharîb.

Wenden wir uns nun wieder zu seinem Volke! Als die Leute am Morgen dem König ihre Aufwartung machen wollten, fanden sie ihn nicht; nur seinen Rosenkranz entdeckten sie auf seinem Throne. Da warteten sie, daß er herauskäme; aber er kam nicht. Schließlich suchten sie den Kammerherrn auf und sprachen zu ihm: ,Geh in das Frauenhaus und schau nach dem König! Denn es ist nicht seine Gewohnheit, bis zu dieser Zeit auszubleiben.' Da ging der Kammerherr hinein und fragte die im Frauenhause; und alle antworteten ihm: ,Seit gestern haben wir ihn nicht mehr gesehen.' Darauf kehrte er zu den Leuten zurück und brachte ihnen diese Kunde; die waren bestürzt, und einer sprach zum andern: ,Laßt uns sehen, ob er sich in den Garten begeben hat, um sich zu ergehen.' Und sie fragten die Gärtner, ob der König ihnen begegnet sei; doch die antworteten: ,Wir haben ihn nicht gesehen.' Da waren die Leute sehr betrübt, und sic suchten in allen Gärten umher; erst als der Tag zur Rüste ging, kehrten sie weinend zurück. Dann zogen el-Kailadschân und el-Kuradschân in der Stadt umher, auf der Suche nach ihm; aber sie fanden keine Spur von ihm und kehrten nach drei Tagen wieder heim. Darauf kleidete



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sich das Volk in schwarze Gewänder und klagte sein Leid dem Herrn der Welt, der da tut, was Ihm gefällt. So stand es um jene.

Sehen wir nun, wie es Gharîb des weiteren erging! Er lag auf dem Floße und ward von der Strömung fünf Tagelang dahingetragen; dann trieb ihn der Strom in das Salzmeer, und dort begannen die Wogen mit ihm zu spielen, bis daß sein Inneres in Aufruhr geriet und das Bendsch wieder aus ihm herauskam. Er schlug die Augen auf, und als er sich mitten im Meere sah, ein Spielzeug der Wellen, rief er: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Wer mag mir dies angetan haben?' Während er so dalag, ratlos in seiner Not, sah er plötzlich ein Schiff, das vorübersegelte. Da winkte er den Seefahrern mit seinem Ärmel; und sie kamen zu ihm und nahmen ihn auf und fragten ihn: ,Wer bist du? Aus welchem Lande kommst du?' Doch er sprach zu ihnen: ,Speiset mich und tränket mich, auf daß meine Kraft zurückkehre! Dann will ich euch sagen, wer ich bin.' Sie brachten ihm Wasser und Zehrung, und nachdem er gegessen und getrunken hatte, gab Allah ihm seinen vollen Verstand zurück. Nun fragte er sie: ,Ihr Leute, von welchem Volke seid ihr, und welches ist euer Glaube?' Sie gaben zur Antwort: ,Wir sind aus el-Karadsch', und wir beten ein Götterbild an, das Minkâsch heißt.' Da rief er: ,Verderben euch und dem, was ihr anbetet, ihr Hunde! Niemand ist der Anbetung würdig als allein Allah, der alle Dinge geschaffen hat und der zum Dinge spricht: ,Werde!', und es wird.' Aber sie erhoben sich wider ihn in wilder Wut und wollten Hand anilin legen. Doch wiewohl er ohne Waffen war, warf er einen jeden, den er mit der Faust traf, zu Boden und beraubte ihn des Lebens, bis er



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vierzig Mann niedergestreckt hatte. Schließlich aber überwanden sie ihn durch ihre Überzahl und banden ihn fest und sprachen: ,Wir wollen ihn erst in unserem Lande töten, damit wir ihn zuvor dem König zeigen können!' Dann segelten sie weiter, bis sie die Stadt el-Karadsch erreichten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 673. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Schiffsleute, nachdem sie Gharîb ergriffen und gefesselt hatten, sprachen: ,Wir wollen ihn erst in unserer Stadt töten', und darauf weitersegelten, bis sie die Stadt el-Karadsch erreichten. Der Erbauer jener Stadt war ein gewaltiger Riese gewesen, und er hatte an jedem ihrer Tore eine kunstvolle Gestalt aus Messing aufgestellt, die in ein Horn blies, sooft ein Fremder die Stadt betrat; dann hörten es alle, die in der Stadt waren, und hielten ihn fest und töteten ihn, es sei denn, daß er ihren Glauben annahm. Und als Gharîb eintrat, blies jene Gestalt mit so lautem und gewaltigem Schall, daß der König in seinem Herzen erschrak und aufsprang und zu seinem Götzen hineinging; da sah er. daß Feuer und Rauch dem Bilde aus Mund und Nase und Augen quollen. Satan aber war in den Bauch des Götzenbildes gekrochen und redete wie mit dessen Zunge, indem er sprach: ,O König, zu dir ist einer gekommen, des Namens Gharîb, der ist der König von Irak; und der befiehlt den Menschen, ihren Glauben zu verleugnen und seinem Herrn zu dienen. Wenn man ihn zu dir hereinbringt, so schone seiner nicht!' Nun ging der König wieder hinaus und setzte sich auf seinen Thron; da brachten auch schon die Leute den König Gharîb herein und führten ihn vor ihren König und sprachen: ,O König, wir fanden diesen Burschen, der nicht an unsere Götter



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glaubt, schiffbrüchig auf See'; dann erzählten sie ihm alles von Gharîb. Er befahl: ,Bringt ihn in das Haus des großen Gottesbildes und schlachtet ihn vor ihm, auf daß unser Gott Gefallen an uns habe!' Doch da hub der Wesir an: ,O König, ihn zu schlachten wäre nicht gut; dann wäre er ja im Augenblick tot!' Und er fuhr fort: ,Wir wollen ihn gefangen letzen und für ihn einen Scheiterhaufen bauen und den anzünden.' Darauf sammelten die Leute das Holz für den Scheiterhaufen und ließen den bis zum Morgen brennen. Und nun ging der König hinaus, begleitet von dem Volke der Stadt, und er befahl, Gharîb zu bringen. Die Leute gingen hin, um ihn zu holen; aber sie fanden ihn nicht, und so kehrten sie zurück und meldeten dem König, daß Gharîb entflohen sei. Als der König nun fragte: ,Wie konnte er denn fliehen?' antworteten sie: ,Wir fanden die Ketten und Fußfesseln am Boden liegen und die Türen verschlossen.' Erstaunt fragte der König: ,Ist dieser Kerl denn gen Himmel geflogen, oder hat ihn die Erde eingesogen?' ,Wir wissen es nicht', erwiderten sie; und er sagte: ,Ich will zu meinem Gotte gehen und ihn befragen; er wird mir kundtun, wohin der Mann entflohen ist.' Und alsbald begab er sich zu seinem Götzen und wollte sich vor ihm niederwerfen; doch er fand ihn nicht, und da rieb er sich die Augen und fragte sich: ,Schläfst du oder wachst du?' Dann wandte er sich zu seinem Wesir und sprach: ,Wo ist mein Gott? Und wo ist der Gefangene? Bei meinem Glauben, du Hund von einem Wesir, hättest du mir nicht geraten, ihn zu verbrennen, so hätte ich ihn geschlachtet. Jetzt aber hat er meinen Gott gestohlen und ist entflohen; dafür muß ich Rache nehmen!' Und er zog sein Schwert und hieb mit einem Schlage dem Wesir den Kopf ab.

Mit dem Verschwinden Gharîbs und des Götzen hatte es aber eine seltsame Bewandtnis. Als nämlich Gharîb in die Kerkerzelle



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gebracht war, befand er sich neben dem Kuppelbau, in dem das Götzenbild stand. Nun begann er Allah den Erhabenen anzurufen und Ihn, den Allgewaltigen und Glorreichen, um Rettung zu bitten. Das hörte der Mârid, in dessen Obhut der Götze stand und der in seinem Namen redete. und sein Herz erbebte, und er rief: ,O Schmach! Wer ist es. der mich sieht, und den ich nicht sehe?' Darauf trat er zu Gharîb, beugte sich bis auf die Füße nieder und sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, was muß ich sagen, auf daß ich zu deiner Gemeinde gehöre und in deinen Glauben eintrete?' Gharîb antwortete: ,Sprich: Es gibt keinen Gott außer Allah; Abraham ist der Freund Allahs!' Da sprach der Mârid das Bekenntnis der Rechtgläubigkeit und zählte zum Volke der Glückseligkeit. Der Name des Mârids aber war Zaizâl ibn el-Muzalzil, und sein Vater war einer der großen Geisterkönige. Er löste nun Gharîb von seinen Fesseln, lud ihn samt dem Götzenbilde auf seinen Rücken und flog mit ihm hoch in die Lüfte empor. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 674. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mârid, nachdem er Gharîb und mit ihm das Götzenbild auf den Rücken geladen hatte, hoch indie Lüfte emporflog. So nun erging es ihm. Vom König aber wissen wir, daß er, als er in das Zimmer getreten war, um den Götzen nach Gharîb zu fragen, ihn nicht fand, und daß er sich wider den Wesir wandte und ihn tötete. Als aber die Krieger des Königs sahen, was geschehen war, ließen sie von dem Dienste des Götzen ab, zogen ihre Schwerter und erschlugen den König; dann fielen sie übereinander her, und das Schwert kreiste unter ihnen drei Tage lang, bis sie



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einander vernichtet hatten und nur noch zwei Männer am Leben waren; von denen überwand der eine den anderen und tötete ihn. Nun erhoben sich die Jünglinge gegen den Überlebenden und erschlugen ihn; dann kämpften auch sie miteinander, bis sie alle umgekommen waren. Die Frauen und Mädchen aber eilten von dannen und flüchteten in die Dörfer und Burgen. So ward die Stadt verödet, und es hausten dort nur noch die Eulen.

Wenden wir uns von ihnen wieder zu Gharîb! Den trug Zaizâl ibn el-Muzalzil dahin und brachte ihn in sein Land; das war als die Kampferinsel bekannt, wo das Kristallschloß stand und das verzauberte Kalb sich fand. Der König el-Muzalzil nämlich hatte ein scheckiges Kalb; das hatte er mit allerlei Schmuck und Gewändern, die von rotem Gold durchwirkt waren, bekleidet und zum Gotte gemacht. Eines Tages nun ging el-Muzalzil mit seinen Mannen zudem Kalbe hinein und sah, daß es vor Unruhe zitterte. Da fragte er: ,O mein Gott, was hat dich erregt?' Der Satan aber im Bauche des Kalbes rief: ,O Muzalzil, dein Sohn ist zum Glauben des Gottesfreundes Abraham übergegangen durch Gharîb, den Herrn von Irak.' Dann erzählte er ihm alles, was geschehen war, von Anfang bis zu Ende. Als der König die Worte des Kalbes vernommen hatte, ging er bestürzt hinaus, setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft und berief die Großen seines Reiches. Nachdem sie erschienen waren, erzählte er ihnen, was er von dem Götzenbilde gehört hatte; sie verwunderten sich darüber und sprachen: ,Was sollen wir tun, o Könige' Er antwortete: ,Wenn mein Sohn kommt und ihr seht, wie ich ihn umarme, so legt Hand an ilm!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie. Dann, nach zwei Tagen, trat Zalzâl mit Gharîb und dem Götzenbilde des Königs von el-Karadsch zu seinem Vater ein.



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Aber kaum war er zur Tür des Schlosses hereingekommen, da stürzten sie sich auf ihn und auf Gharîb, legten Hand an die beiden und schleppten sie vor den König el-Muzalzil. Der sah seinen Sohn mit dem Auge des Zornes an und rief ihm zu: ,Du Hund unter den Geistern, hast du deinem Glauben, dem Glauben deiner Väter und Vorväter, entsagt?' Zaizâl gab ihm zur Antwort: ,Ich bin in den wahren Glauben eingetreten; und du - wehe dir! — nimm den rettenden Glauben an. so wirst du gerettet werden vor dem Grimme des Königs der allgewaltigen Macht, des Schöpfers von Tag und Nacht!' Voll Zorn über seinen Sohn schrie der König ihn an: ,Du Bastard, wagst du mir mit solchen Worten zu nahen?' Dann befahl er, ihn in den Kerker zu werfen; und es geschah. Darauf wandte er sich zu Gharîb und sprach zu ihm: ,Du Menschen wicht, wie konntest du mit dem Verstande meines Sohnes dein Spiel treiben und ihn von seinem Glauben fortlocken?' Gharîb erwiderte: ,Ich habe ihn aus dem Irrtum auf den rechten Weg geführt, aus der Hölle in den Himmel, vom Unglauben zum Glauben.' Da rief der König einen Mârid des Namens Saijâr und sprach zu ihm: ,Nimm diesen Hund und wirf ihn in das Feuertal, auf daß er verderbe!' Jenes Tal war so heiß und voller Glut, daß jeder, der es betrat, umkam und nicht eine einzige Stunde darin leben konnte; und es war von hohen, glatten Bergen umgeben, durch die kein Ausgang führte. Der verruchte Saijâr trat vor, nahm Gharîb auf den Rücken und flog mit ihm nach dem wüsten Viertel der Welt. bis zwischen ihm und dem Feuertale nur noch eine Wegstunde lag. Da ward der Dämon von seiner Last müde, und er stieg mit Gharîb in ein Tal hinab, in dem es Bäume und Flüsse und Früchte gab. Nachdem er sich dort ermattet niedergelassen hatte, kletterte Gharîb, gefesselt wie er war, von seinem Rücken herunter und wartete, bis



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der Mârid vor Müdigkeit fest eingeschlafen war und schnarchte; dann rang er mit seinen Fesseln, bis er sich von ihnen frei gemacht hatte. Darauf nahm er einen schweren Stein und schleuderte ihn dem Mârid auf den Kopf, so daß er ihm den Schädel zermalmte und jener auf der Stelle tot war. Nun ging Gharîb in jenem Tal weiter. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 675. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, nachdem er den Mârid getötet hatte, in jenem Tal weiterging; und er entdeckte, daß er auf einer Insel mitten im Meere war. Jene Insel aber war groß, und auf ihr gab es alle Arten von Früchten, wie sie sich Lippe und Zunge nur wünschen konnten. Gharîb begann von den Früchten dort zu essen und aus den Bächen zu trinken, und Tage und Jahre gingen über ihn dahin; auch fing er sich Fische und aß sie und lebte so weiter in seiner verlassenen Einsamkeit, sieben Jahre lang. Während er nun eines Tages dasaß, flogen plötzlich aus der Höhe zwei Mârids auf ihn herunter, von denen ein jeder einen Menschen trug. Als sie Gharîb erblickten, fragten sie ihn: ,Du da, was bist du? Und zu welchem der Stämme gehörst du?' Da nämlich das Haar Gharîbs lang gewachsen war, hielten sie ihn für einen von den Dämonen und fragten ihn, wie es um ihn stehe. Er aber antwortete ihnen: ,Ich gehöre nicht zu den Geistern', und erzählte ihnen alles, was er erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende. Sie hatten Mitleid mit ihm, und einer von den beiden Dämonen sprach zu ihm: ,Bleib hier, wo du bist, so lange bis wir diese beiden Lämmer unserem König gebracht haben, damit er das eine zum Mittagsmahl und das andere zum Nachtmahl verspeise. Dann wollen wir zu dir zurückkehren und dich



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in dein Land bringen.' Gharîb dankte ihnen; dann fragte er sie: ,Wo sind die beiden Lämmer, die ihr bei euch habt?' ,Das sind diese beiden Menschen', erwiderten sie; doch Gharîb rief: ,Ich nehme meine Zuflucht zum Gotte Abrahams, des Gottesfreundes, dem Herrn aller Dinge, der über alle Dinge mächtig ist.' Alsbald flogen die beiden davon, und Gharîb wartete auf den Mârid; nach zwei Tagen kam der Dämon zu ihm zurück mit einem Gewande. Das legte er ihm an; dann hob er ihn auf seinen Rücken und flog mit ihm hoch in die Lüfte empor, bis er die Welt aus den Augen verlor; da hörte Gharîb im Himmel der lobsingenden Engel Chor. Plötzlich aber schoß von dort auf den Mârid ein Feuerpfeil; und da floh der Dämon nach der Erde zu. Als zwischen ihm und der Erde nur noch die Weite eines Speerwurfes lag und der Pfeil schon ganz nahe war und ihn fast erreichte, richtete Gharîb sich auf und warf sich von den Schultern des Mârids hinab; den aber erreichte der Pfeil. und er ward zu einem Häuflein Asche. Gharîb jedoch fiel ins Meer und versank in ihm zwei Klafter tief: dann tauchte er wieder auf und schwamm weiter, den Tag und die Nacht über und auch am nächsten Tage, bis seine Kraft versagte und der sichere Tod ihm vor Augen stand. Am dritten Tage aber, als er schon ganz am Leben verzweifelte, erblickte er plötzlich ein hohes Gebirge. Auf das schwamm er zu, und als er dort gelandet war, schritt er auf ihm weiter, um Kräuter der Erde für seine Nahrung zu suchen. Einen Tag und eine Nacht ruhte er aus; dann klomm er auf die Höhe des Gebirges und stieg auf der anderen Seite wieder hinab. Darauf zog er noch zwei Tage lang weiter und kam zu einer Stadt mit Mauern und Bollwerken, wo Bäume sprossen und Bäche flossen. Als er das Stadttor erreicht hatte, sprangen die Torwächter auf ihn zu, nahmen ihn fest und führten ihn zu ihrer Königin. Die hieß



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Dschanschâh, und sie war fünfhundert Jahre alt. Sie pflegte jeden Mann, der in ihre Stadt kam, vor sich bringen zu lassen und ihn zu sich zunehmen, um mit ihm zu schlafen; und wenn er sein Werk verrichtet hatte, so pflegte sie ihn zu töten. In dieser Weise hatte sie schon viele Männer zu Tode gebracht. Als nun Gharîb vor sie geführt wurde, gefiel er ihr; und sie sprach zu ihm: ,Wie heißest du? Welchen Glauben bekennst du? Und aus welchem Lande bist du?' Er antwortete: ,Ich heiße Gharîb, König von Irak, und mein Glaube ist der Islam.' Da fuhr sie fort: ,Gib deinen Glauben auf und tritt zu meinem Glauben über, so will ich mich dir vermählen und dich zum König machen!' Gharîb aber sah sie mit dem Auge des Zornes an und rief ihr zu: ,Verderben über dich und deinen Glauben!' Nun schrie sie ihn an: ,Wagst du es, meinen Gott zu schmähen, der aus rotem Karneol ist, besetzt mit Perlen und Edelsteinen?' Und sie gab Befehl: ,Ihr Leute, sperrt ihn in den Tempel des Gottes ein, auf daß der ihm das Herz erweiche!' Man brachte ihn also in den Dom des Götzen und schloß die Türen hinter ihm.--«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 676. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, nachdem die Leute ihn ergriffen und in den Götzentempel eingesperrt, die Tore hinter ihm verschlossen und sich wieder auf den Weg gemacht hatten, nunmehr den Götzen anschaute, der aus rotem Karneol war und Schnüre von Perlen und Edelsteinen um den Hals trug. Und alsbald trat er an ihn heran, hob ihn empor und schleuderte ihn zu Boden. so daß er in Stücke zerbrach. Dann legte er sich schlafen, bis der Tag anbrach. Und als es 1 Wohl verkürzt aus Dschehân-schâh: ,Königin der Welt'.



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Morgen geworden war, setzte sich die Königin auf ihren Thron und rief: ,Ihr Leute, bringt mir den Gefangenen!' Die gingen hin zu Gharîb; doch als sie die Tür des Domes geöffnet hatten und eingetreten waren, fanden sie den Götzen zerbrochen; da schlugen sie sich ins Gesicht, bis ihnen das Blut aus den Augenwinkeln rann. Dann eilten sie auf Gharîb zu, um ihn zu ergreifen. Aber er schlug einen von ihnen mit der Faust, so daß er tot niedersank; dann traf er einen zweiten, den er ebenfalls tötete, und so weiter, bis er fünfundzwanzig von ihnen erschlagen hatte; da flohen die übrigen. Und als diese mit lautem Geschrei zur Königin Dschanschâh kamen, rief sie ihnen zu: ,Was gibt est' Sie erwiderten: ,Der Gefangene hat deinen Gott zerschlagen und deine Leute getötet!' Und sie erzählten ihr alles, was geschehen war. Da warf sie ihre Krone zu Boden und rief: ,Die Götter haben keinen Wert mehr!' Dann saß sie inmitten von tausend Helden auf und ritt zum Hause des Götzen. Dort sah sie Gharîb vor dem Dome stehen: er hatte sich aber ein Schwert geholt, und nun begann er die tödliche Waffe zu schwingen wider die Recken und die Mannen zu Boden zu strecken. Und wie sie ihn und seine tapferen Taten anschaute, ward sie von tiefer Liebe zu ihm ergriffen, und sie sagte sich: ,Des Gottes bedarf ich nun nicht mehr; mein einziger Wunsch ist, daß dieser Fremdling an meinem Busen liege, solange ich noch lebe.' Und sie rief ihren Leuten zu: ,Haltet euch fern von ihm und geht beiseit!' Dann trat sie vor und murmelte Zauberworte; da erstarrte der Arm Gharîbs, seine Gelenke wurden schlaff, und das Schwert entfiel seiner Hand. Sofort ergriffen ihn die Leute und fesselten ihn, wie er so schwach und elend und verwirrt dastand. Darauf kehrte Dschanschâh zurück, setzte sich auf den Thron ihrer Herrschaft und befahl ihren Mannen, sich zurückzuziehen. Als sie



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nun dort mit Gharîb allein war, sprach sie zu ihm: ,Du Araberhund, wagst du es, meinen Gott zu zerschlagen und meine Leute zu töten?' ,O du Verfluchte,' erwiderte er ihr, ,wenn er ein Gott wäre, so hätte er sich verteidigt!' Sie aber fuhr fort: ,Ruhe bei mir, so will ich dir vergeben, was du getan hast!' Darauf antwortete er: ,Ich tue nichts von dem.' Nun rief sie: ,Bei meinem Glauben, ich will dich wahrlich mit grimmigen Qualen foltern!' Und sie nahm Wasser, sprach Beschwörungen darüber und sprengte es auf ihn; da wurde er zu einem Affen, und sie gab ihm zu essen und zu trinken; dann sperrte sie ihn in eine Kammer ein und setzte einen Wärter über ihn. der ihn zwei Jahre lang bewachte. Darauf ließ sie ihn eines Tages zu sich kommen und sprach zu ihm: ,Willst du nun auf mich hören?' Und er winkte ihr mit dem Kopfe ein Ja. Erfreut löste sie ihn von dem Zauber und brachte ihm Speise; und er aß mit ihr und scherzte mit ihr und küßte sie, so daß sie ihm traute. Als es Nacht ward, legte sie sich nieder und sprach zu ihm: ,Wohlan, tu dein Werk!' ,Jawohl!' erwiderte er, stieg ihr auf die Brust, packte sie am Genick und zerbrach es; und er ließ nicht eher ab von ihr, als bis sie den Geist aufgegeben hatte. Da erblickte er eine offene Schatzkammer, ging hinein und fand in ihr ein damasziertes Schwert und einen Schild aus chinesischem Eisen. Er wappnete sich von Kopf bis zu Fuß und harrte bis zum Morgen. Dann ging er hinaus und stellte sich am Tore des Palastes auf; und als die Emire kamen und zur Dienstleistung hineingehen wollten, fanden sie Gharîb in Kriegsrüstung dort stehen. Er rief ihnen zu: ,Ihr Leute, der Götzendienst sei abgetan, betet den allwissenden König an, den Schöpfer von Tag und Nacht, den Herrn der Menschen, der die toten Gebeine lebendig macht, den Schöpfer aller Dinge, der über alle Dinge mächtig ist!' Als die Ungläubigen das hörten,



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stürmten sie auf ihn ein; doch er stürzte sich auf sie gleich einem reißenden Löwen und wütete unter ihnen und erschlug von ihnen viel Volks. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 677. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Gharîb, als er sich auf die Ungläubigen stürzte, viel Volks von ihnen erschlug; doch wie es Abend ward, drangen sie alle in ihrer Überzahl auf ihn ein und wollten ihn schon ergreifen, da erschienen plötzlich tausend Mârids und fielen mit tausend Schwertern über die Ungläubigen her. Ihr Anführer war aber Zaizâl ibn el-Muzalzil, der an ihrer Spitze kämpfte. Und sie wirkten unter den Heiden mit dem Schwerte. dem scharfen und blanken, bis daß jene den Becher des Verderbens tranken; und Allah der Erhabene sandte ihre Seelen alsbald ins Höllenfeuer hinab, keiner blieb übrig von den Kriegern Dschanschâhs, der Kunde davon gab. Da begann unter den anderen allen der Ruf ,Gnade, Gnade!' zu erschallen, und sie glaubten an den König, der die Vergeltung schenkt, und den nie ein Ding von einem anderen ablenkt, der die Perserkönige sterben hieß, der die alten Riesen verderben ließ, den Herren auf Erden und im Paradies. Darauf begrüßte Zaizâl den König Gharîb und wünschte ihm. Glück zu seiner Errettung. Gharîb aber fragte: ,Wer hat dir Kunde von meiner Not gebrachte' ,Mein Gebieter,' gab jener zur Antwort, ,nachdem mein Vater mich in den Kerker geworfen und dich in das Feuertal gesandt hatte, blieb ich zwei Jahre lang im Gefängnis; dann ließ er mich frei, und ich weilte noch ein Jahr bei ihm, bis ich wieder in der früheren Gunst stand. Darauf erschlug ich meinen Vater, und die Truppen leisteten mir Gehorsam; und ich herrschte ein Jahr lang



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über sie. Eines Abends jedoch, als ich mich niederlegte und deiner gedachte, sah ich dich im Traume, wie du mit den Kriegern Dschanschâhs kämpftest; da nahm ich alsbald diese tausend Mârids und eilte zu dir.' Gharîb war über dies Zusammentreffen erstaunt; dann ergriff er Besitz von den Schätzen Dschanschâhs und von dem Gute ihrer Krieger und ernannte einen Herrscher über die Stadt. Darauf luden die Mârids den König Gharîb und die Schätze auf den Rücken, und alle waren noch in derselben Nacht in der Stadt Zaizâls. Sechs Monate lang blieb Gharîb bei seinem Freunde zu Gaste; dann wünschte er aufzubrechen. Nun brachte Zaizâl ihm Geschenke und entsandte dreitausend Mârids, die aus der Stadt el-Karadsch die Beute herbeiholten und sie zu den Schätzen Dschanschâhs legten. Alsdann gab er Befehl, die Geschenke und die Schätze aufzuladen, er selber nahm Gharîb auf den Rücken, und sie machten sich auf den Weg nach der Stadt Isbanîr el-Madâïn. Noch ehe es Mitternacht war, kamen sie dort an; da schaute Gharîb sich um und sah, wie die Stadt eingeschlossen war, umgeben von einem gewaltigen Heer gleich dem brandenden Meer; und er sprach zu Zalzâl: ,Bruder, warum mag diese Belagerung sein? Woher kommt dies Heer?' Dann landete er auf der Dachterrasse des Schlosses und rief: .O Kaukab es-Sabâh! O Mahdîja!' Erschrocken fuhren die beiden aus ihrem Schlafe auf und sprachen: ,Wer ruft uns um diese Stunde?' Und er antwortete: ,Ich bin es, euer Herr, Gharîb genannt, als Mann der Wundertaten bekannt.' Als die beiden Fürstinnen die Stimme ihres Herren vernahmen, freuten sie sich, und mit ihnen die Sklavinnen und die Eunuchen. Und wie Gharîb dann herabkam, warfen sie sich an seine Brust. und die Frauen erhoben die Freudenrufe, so daß der Palast davon widerhallte. Da sprangen die Hauptleute von ihren Lagern auf und fragten:



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,Was gibt es'' Und dann eilten sie zum Palast und fragten die Eunuchen: ,Hat eine von den Odalisken einen Knaben geboren?" Jene erwiderten: ,Nein; doch freuet euch, daß König Gharîb zu euch zurückgekehrt ist!' Des freuten sich die Emire. Gharîb aber trat, nachdem er die Frauen begrüßt hatte, zu seinen Gefährten hinaus; und die warfen sich auf ilm, küßten ihm Hände und Füße und lobten und priesen Allah den Erhabenen. Dann setzte er sich auf seinen Thron und rief alle seine Gefährten; als die gekommen waren und sich um ihn gesetzt hatten, fragte er sie nach dem Heere, das sie belagerte. Und sie antworteten ihm: ,O König, diese Truppen belagern uns seit drei Tagen; bei ihnen sind Dämonen und Menschen. Wir wissen aber nicht, was sie wollen; denn wir haben bisher weder Waffen noch Worte mit ihnen gewechselt.' Da sagte Gharîb: ,Wir wollen morgen früh ein Schreiben an sie schicken und sehen, was sie wollen.' Die Leute fügten noch hinzu: ,Ihr König heißt Murâd Schâh, und unter seinem Befehl stehn hunderttausend Reiter und dreitausend Mann zu Fuß. dazu noch zweihundert aus den Stämmen der Geister.' Mit dem Kommen dieses Heeres aber hatte es eine sonderbare Bewandtnis. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 678. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß es mit dem Kommen jenes Heeres und mit ihrem Lagern vor der Stadt Isbanîr eine sonderbare Bewandtnis hatte. Damals nämlich, als der König Sabûr seine Tochter mit zweien von seinen Leuten fortgeschickt und den beiden befohlen hatte, sie im Dschaihûn zu ertränken, und diese Männer mit ihr fortgegangen waren und



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zu ihr gesagt hatten: ,Geh deines Wegs und laß dich nicht mehr vor deinem Vater sehen, auf daß er nicht uns und dich mit uns töte!' da war Fachr Tâdsch verstört weitergegangen, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollte. Und sie sprach: ,Wo ist dein Auge, o Gharîb, daß es meine Not und mein Elend schaue?' Und sie wanderte immer weiter, von Land zu Land, von Tal zu Tal, bis sie zu einem Tale kam, in dem viele Bäume sprossen und Bäche flossen. Und in seiner Mitte stand ein hohes, festgefügtes Schloß, ein ragender Bau, schön wie in einer Paradiesesau. Fachr Tâdsch begab sich zu diesem Schlosse, trat ein und fand es mit seidenen Teppichen ausgestattet und mit vielen Geräten aus Gold und Silber; auch erblickte sie dort hundert schöne Mädchen. Als diese Mädchen Fachr Tâdsch kommen sahen, erhoben sie sich vor ihr und begrüßten sie; denn sie hielten sie für eine von den Geisterjungfrauen. Und sie fragten sie, wer sie sei. Da gab sie ihnen zur Antwort: ,Ich bin die Tochter des Königs der Perser'; und dann erzählte sie ihnen alles, was ihr widerfahren war. Als die Mädchen das hörten, hatten sie Mitleid mit ihr; und sie trösteten ihr das Herz, indem sie sprachen: ,Hab Zuversicht und quäl dich nicht! Du sollst Speise und Trank und Kleidung erhalten, und wir alle stehen zu deinen Diensten.' Da rief sie Segen auf ihre Häupter herab, und jene brachten ihr Speise, und sie aß, bis sie gesättigt war. Dann sprach sie zu ihnen: ,Wer ist denn der Herr dieser Burg und euer Gebieter?' Sie antworteten: ,Unser Herr ist der König Salsâl ibn Dâl. Er kommt in jedem Monat auf eine Nacht hierher und am Morgen bricht er wieder auf, um über die Stämme der Geister zu herrschen.' Nachdem nun Fachr Tâdsch fünf Tage bei ihnen geweilt hatte, gebar sie ein Knäblein, dem Monde gleich; die Frauen durchschnitten ihm die Nabelschnur, salbten ihm die Augen und nannten ihn



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Murâd Schâh, und er wuchs auf in seiner Mutter Schoß. Nach einiger Zeit aber kam König Salsâl, reitend auf einem Elefanten, weiß wie Papier, gleich einem hochragenden Turme, und umgeben von den Stämmen der Geister. Als er in das Schloß kam, zogen ihm die hundert Mädchen entgegen und küßten den Boden vor ihm; auch Fachr Tâdsch war unter ihnen. Der König erblickte sie und fragte die Mädchen: ,Wer ist das Mädchen dort?' Und sie antworteten ihm: ,Das ist die Tochter Sabûrs, des Königs der Perser und Türken und Dailamiten.' ,Wer hat sie hierhergebracht?' fragte er weiter; und sie erzählten ihm ihre Geschichte. Da hatte er Mitleid mit ihr und sprach: ,Betrübe dich nicht, sondern gedulde dich, bis dein Sohn heranwächst und groß wird; dann will ich ins Land der Perser ziehen und deinem Vater den Kopf von den Schultern schlagen und dir deinen Sohn auf den Thron der Perser und Türken und Dailamiten setzen.' Da küßte Fachr Tâdsch seine Hände und rief den Segen des Himmels auf ihn herab. Und sie blieb dort und erzog ihren Sohn mit den Kindern des Königs. Die Knaben pflegten die Rosse zu besteigen und zu Jagd und Hatz auszureiten; und so lernte er die Tiere des Feldes und die reißenden Raubtiere erlegen, und er aß von ihrem Fleische, bis sein Herz härter wurde als Stein. Als er fünfzehn Jahre alt war, ward seine Seele stark in ihm, und er sprach zu seiner Mutter. wer ist denn mein Vater?' Sie antwortete ihm: ,Mein Sohn, dein Vater ist König Gharîb, der Herrscher von Irak, und ich bin die Tochter des Königs der Perser.' Und dann erzählte sie ihm alles, was geschehen war. Wie er ihre Worte vernommen hatte, sprach er: ,Hat wirklich mein Großvater den Befehl gegeben, dich umzubringen und meinen Vater zu töten?' ,Jawohl', erwiderte sie; und er fuhr fort: ,Bei dem Rechte der Erziehung, das du an mich hast, ich will wahrlich



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in deines Vaters Stadt ziehen und ihm das Haupt abschlagen und es vor dich bringen.' Sie freute sich über seine Worte. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 679. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Murâd Schâh, der Sohn von Fachr Tâdsch, mit zweihundert Mârids auszureiten sich gewöhnte, bis er erwachsen war; und sie begannen, das Räuberhandwerk zu pflegen und die Straßen zu verlegen. Und sie dehnten ihre Raubzüge so weit aus, daß sie bis in das Land von Schiras gelangten. Sie fielen über das Land her, und Murâd Schâh stürmte in das Schloß des Königs, schlug ihm das Haupt ab. während er auf dem Throne saß, und tötete von seinen Kriegern viel Volks. Bei den übrigen allen begann der laute Ruf ,Gnade! Gnade!' zu erschallen. Dann küßten sie die Kniee Murâd Schahs: er aber ließ sie zählen, und siehe, es waren zehntausend Reiter, und die ritten mit ihm in seinem Dienste. Dann zog er mit seiner Schar nach Balch, und sie töteten den König der Stadt, neben die Truppen auf und raubten die Güter des Volkes. Und weiter zogen sie, nachdem die Schar Murâd Schâhs auf dreißigtausend Ritter angewachsen war, gegen Nurain; und der Herr von Nurain kam ihnen entgegen, huldigte und brachte ihnen Schätze und Kostbarkeiten. Dann ritt er mit seinen dreißigtausend Rittern weiter nach der Stadt Samarkand im Perserland und nahm sie ein; desgleichen auch nach Achlât' und nahm es ein. Und so ging es immer weiter; und jede Stadt, zu der sie kamen, eroberten sie. Nun war Murâd



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Schâh zum Herrn eines gewaltigen Heeres geworden, und all die Schätze und Kostbarkeiten. die er aus den Städten erbeutete, verteilte er an seine Mannen, so daß sie ihn liebten wegen seiner Tapferkeit und seiner Freigebigkeit. Schließlich kam er auch nach Isbanîr el-Madâïn; dort sprach er: ,Wartet, bis ich den Rest meines Heeres geholt habe; dann will ich meinen Großvater gefangen nehmen und ihn vor meine Mutter führen und ihr Herz trösten, indem ich ihm den Hals durchschlage.' So schickte er denn alsbald Leute aus, um sie zu holen. Und aus diesem Grunde fand drei Tagelang keine Schlacht statt. Nun kamen gerade Gharîb und Zalzâl mit den vierzigtausend Mârids, die mit den Schätzen und Geschenken beladen waren; sie fragten nach dem Heere der Belagerer, aber man sagte ihnen: ,Wir wissen nicht, woher sie sind; seit drei Tagen sind sie hier, ohne daß sie mit uns noch wir mit ihnen gekämpft haben.' Inzwischen kam Fachr Tâdsch an. und nachdem sie ihren Sohn Murâd Schâh umarmt hatte, sprach er zu ihr: ,Bleib in deinem Zelte, bis ich dir deinen Vater bringe!' Da fichte sie um Sieg für ihn zu dem Herrn der Welten, dem Herrn der Himmel und der Erden. Und als es wieder Morgen ward, ritt Murâd Schâh ins Feld, die zweihundert Mârids zu seiner Rechten und die Fürsten der Menschen zu seiner Linken; und die Trommeln des Krieges wurden geschlagen. Als Gharîb das hörte, stieg auch er zu Pferde und ritt hinaus, indem er seine Mannen zum Kampfe rief; und die Geister reihten sich auf zu seiner Rechten, die Menschen aber zu seiner Linken. Da sprengte auch schon Murâd Schâh hervor, bewaffnet von Kopf bis zu Fuß, und er tummelte seinen Renner nach rechts und nach links und rief: ,Ihr Leute, kein anderer als euer König trete wider mich auf den Plan! Wenn er mich besiegt, so soll er Herr sein über beide Heere; doch wenn ich ihn



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besiege, so will ich ihn töten wie die anderen!' Als Gharîb diese Worte hörte, rief er: ,Hinweg, du Araberhund!' Und alsbald griffen die beiden einander an; sie stießen mit den Lanzen, bis sie zerbrachen, und schlugen mit den Schwertern, bis sie schartig wurden. So stritten sie unablässig miteinander sprengten vor und wichen zurück, schwenkten hin und her, bis der halbe Tag verstrichen war. Da brachen die Rosse unter ihnen zusammen; und beide saßen ab und suchten einander zu packen. Murâd Schâh stürzte sich auf Gharîb, griff ihn, hob ihn und wollte ihn zu Boden schleudern; aber da packte Gharîb ihn an den Ohren und zerrte sie so heftig, daß Murâd Schâh vermeinte, der Himmel wäre auf die Erde gestürzt; und er schrie aus vollem Munde: ,Ich ergebe mich dir, du größter Ritter unserer Zeit!' Gharîb aber fesselte ihn. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 680. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Murâd Schâh, als Gharîb seine Ohren packte und sie zerrte, ausrief: ,Ich ergebe mich dir, du größter Ritter unserer Zeit', und daß Gharîb ihn fesselte. Nun wollten die Mârids, die Gefährten Murâd Schahs. losstürmen, um ihn zu befreien. Aber Gharîb fiel mit tausend Mârids über sie her, und sie standen im Begriffe, die feindlichen Dämonen niederzustrecken; da riefen jene: ,Gnade! Gnade!' und warfen ihre Waffen fort. Nun setzte sich Gharîb in sein Prunkzelt; das war aus grüner Seide, mit rotem Golde bestickt und mit Perlen und Edelsteinen geschmückt. Er ließ Murâd Schâh rufen; und man brachte ihn, wie er in seinen Fußfesseln und Ketten dahinstolperte, vor den König. Als der Gefangene nun den Herrscher erblickte, senkte er vor Scham das Haupt zu Boden. Gharîb aber fuhr ihn an: ,Du Araberhund,



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was bist du, daß du ausreitest, um dich mit Königen zu messen?' ,Mein Gebieter,' erwiderte er, ,zürne mir nicht; denn ich habe eine Entschuldigung!' Und als Gharîb ihn dann fragte: ,Welcher Art ist deine Entschuldigung?' fuhr er fort: ,Mein Gebieter, wisse, ich bin ausgezogen, um Blutrache zu nehmen für meinen Vater und für meine Mutter an Sabûr, dem König der Perser. Denn er wollte beide töten; meine Mutter entkam, aber ich weiß nicht, ob er meinen Vater umgebracht hat oder nicht.' Als Gharîb diese Worte von ihm vernahm, rief er: ,Bei Allah, du bist wirklich entschuldigt. Aber sag, wer war dein Vater, wer ist deine Mutter? Wie hieß dein Vater? Wie heißt deine Mutter?' Murâd Schâh erwiderte: ,Mein Vater hieß Gharîb, der König von Irak; und meine Mutter heißt Fachr Tâdsch, die Tochter Sabûrs, des Königs der Perser!' Als Gharîb das hörte, stieß er einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig zu Boden. Man besprengte ihn mit Rosenwasser, und als er wieder zu sich gekommen war, fragte er Murâd Schah: ,Bist du wirklich der Sohn Gharîbs von Fachr Tâdsch?' ,Jawohl', erwiderte der Jüngling; und da rief Gharîb: ,Du bist ein Held, der Sohn eines Helden! Nehmt meinem Sohne die Fesseln ab!' Da traten Sahîm und el-Kailadschân heran und befreiten Murâd Schâh. Gharîb aber umarmte seinen Sohn, ließ ihn an seiner Seite sitzen und fragte ihn: ,Wo ist deine Mutter?' ,Sie ist bei mir, in meinem Zelt', antwortete Murâd Schâh; und Gharîb sprach: ,Bring sie mir!' Da saß Murâd Schah auf und begab sich in sein Lager; dort kamen ihm seine Gefährten entgegen und freuten sich seiner Rettung. Doch als sie ihn fragten, wie es ihm ergangen sei, sagte er: ,Dies ist nicht die Zeit zum Fragen!' Dann trat er zu seiner Mutter ein und erzählte ihr, was sich zugetragen hatte; und große Freude kam über sie. Und nun führte er sie zu seinem Vater; da umarmten



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die beiden sich und freuten sich aneinander. Alsbald nahmen auch Fachr Tâdsch und Murâd Schâh den Islam an und boten ihn ihren Kriegern dar; und alle wurden Muslime mit Herz und Zunge. Gharîb aber freute sich, daß sie den rechten Glauben annahmen. Und er ließ den König Sabûr und seinen Sohn kommen und schalt sie ob ihres bösen Tuns, und er bot ihnen den Islam dar; aber sie wiesen ihn zurück, und so ließ er beide am Stadttore kreuzigen. Das Volk aber schmückte die Stadt und war hocherfreut. Dann ward Murâd Schâh mit der Krone der Perserkönige gekrönt und zum König der Perser, Türken und Dailamiten gemacht; und König Gharîb schickte seinen Oheim, den König ed-Dâmigh, als Herrscher in den Irak. Und vor Gharîbs Herrscherstab legten alle Länder und Völker den Eid des Gehorsams ab. Er blieb nun in seinem Königreiche und herrschte in Gerechtigkeit über die Untertanen, und alle Menschen liebten ihn. So führten sie ein herrliches Leben, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt. Preis aber sei Ihm, dessen Ruhm und Bestand ewig währt, und der allen Seinen Geschöpfen Seine Gnaden gewährt!

Das ist alles, was uns von der Geschichte von Gharîb und 'Adschîb überliefert ist.

Ferner wird erzählt


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