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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES CHRISTLICHEN MAKLERS

O mächtigster König unserer Zeit, als ich dies Land betrat, kam ich in Handelsgeschäften; aber das Schicksal hielt mich hier bei euch fest. Ich stamme aus Ägypten, und ich gehöre zu den Kopten; dort bin ich aufgewachsen, und dort war auch mein Vater schon ein Makler. Als ich zum Mann herangewachsen war, schied mein Vater aus diesem Leben, und ich wurde Makler an seiner Statt. Eines Tages nun, als ich so dasaß, siehe, da kam ein Jüngling, herrlich schön, der trug prächtige Kleider und ritt auf einem Esel. Als er mich sah, begrüßte er mich, und ich stand auf, ihm zu Ehren; da zog er ein Tuch hervor, in dem eine Sesamprobe war, und fragte: ,Wieviel gilt davon der Ardebb'?' Ich erwiderte: ,Hundert Dirhems.' Er darauf: ,Nimm Verlader und Wäger und komme in den Chân el-Dschawâli beim Tor des Sieges; dort wirst du mich finden.' Er verließ mich und ging fort, nachdem er mir die Sesamprobe in dem Tuch gegeben hatte. Ich aber machte bei meinen Kunden die Runde, und ich erzielte für jeden Ardebb einen Preis von hundertundzwanzig Dirhems. Dann nahm ich vier Verlader und ging mit ihnen zudem Chân, wo ich den jüngling auf mich wartend vorfand. Sowie er mich sah, ging er zum Magazin und öffnete



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es, und wir maßen das Korn, bis der Boden leer war; und es waren fünfzig Ardebb, das machte fünftausend Dirhems. Der Jüngling sprach: ,Als Maklerlohn gebühren dir für jedes Ardebb zehn Dirhems; also nimm den Preis und heb mir viertausendundfünfhundert Dirhems auf; wenn ich die andern Waren aus meinen Lagerhäusern verkauft habe, will ich zu dir kommen und das Geld abholen.' Ich war gern damit einverstanden, küßte ihm die Hand und ging davon; und so hatte ich an diesem einen Tage über tausend Dirhems verdient. Er aber blieb einen Monat lang aus; dann kam er und fragte mich: ,Wo sind die Dirhems?' Ich stand auf, grüßte ihn und fragte: ,Willst du nicht etwas in meinem Hause essen?' Doch er lehnte es ab und sagte: ,Halte mir das Geld bereit, ich komme gleich wieder und hole es bei dir ab'; dann ritt er davon. Ich holte also die Dirhems für ihn herbei, setzte mich hin und wartete auf ihn; doch er blieb wiederum einen Monat lang aus; schließlich kam er und fragte mich: ,Wo sind die Dirhems?' Ich stand auf, grüßte ihn und fragte: ,Willst du nicht etwas in meinem Hause essen?' Aber wiederum lehnte er es ab und fügte hinzu: ,Halte mir das Geld bereit, ich komme gleich wieder und hole es von dir ab'; dann ritt er davon. Ich holte also die Dirhems für ihn herbei, setzte mich hin und wartete auf ihn; doch er blieb wieder einen dritten Monat lang aus, und ich sagte: ,Dieser Jüngling ist ja die vollendete Freigebigkeit.' Und nach Ende des Monats kam er auf einer Mauleselin geritten, angetan mit prächtigen Kleidern; und er war wie der Mond, wenn er in der Nacht seiner Fülle am Himmel thront; als komme er frisch aus dem Bade, — so war sein Antlitz dem Monde gleich, seine Wange rosig und weich, seine Stirn hellglänzend anzuschaun; und er hatte ein Mal wie ein Amberkörnchen braun; so wie von seinesgleichen der Dichter sagt:



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Mond und Sonne vereinte im selben Sternbild ihr Lauf;
In höchster Vollendung der Schönheit und Anmut gingen sie auf.
Und heule Liebe erfüllte den, der ihre Schönheit sah.
Und o, wie mancher Beter stand Freude erflehend da!
Von Schönheit und Lieblichkeit erstrahlte ihr Ebenbild;
Und Klugheit verschönte es noch, und Züchtigkeit leuchtete mild.
Gepriesen sei Allah, der solch ein Wunder vollbracht,
Der Herr der Höhe, der seine Geschöpfe, wie er will, macht!

Als ich ilm erblickte, stand ich auf vor ihm, küßte seine Hände, flehte Segen auf ihn herab und fragte: ,O mein Herr, willst du dein Geld nicht nehmen?' ,Wozu die Eile?' erwiderte er. ,Warte doch, bis ich meine Geschäfte beendet habe, dann will ich es bei dir abholen.' Darauf ritt er wieder davon; ich aber sagte zu mir selber: ,Bei Gott, wenn er das nächste Mal kommt, so muß er mein Gast sein; denn ich habe mit seinen Dirhems Handel getrieben und viel Geld dabei verdient.' Am Ende des Jahres kam er wieder, noch prächtiger gekleidet als zuvor; und als ich ihn beschwor, in meinem Hause abzusteigen und als mein Gast bei mir zu essen, sagte er: ,Nur unter der Bedingung, daß du das, was du für mich ausgibst, von meinem Gelde nimmst, das bei dir ist.' Ich erwiderte: ,So sei es'; und ich bat ihn, sich zu setzen, und machte bereit, was nötig war an Speise und Trank und allem sonst. Dann setzte ich alles vor ihn hin und lud ihn ein mit den Worten: ,Im Namen Gottes!' Er rückte zum Tisch, streckte seine linke Hand aus und aß mit mir; darüber war ich verwundert. Als wir fertig waren, goß ich ihm Wasser über die Hand und gab ihm ein Tuch zum Abtrocknen. Dann setzten wir uns, um uns zu unterhalten, nachdem ich Süßigkeiten vor ihn hingestellt hatte, und ich sagte: ,O mein Herr, befreie mich von einem Kummer und sage mir, weshalb damit der Linken gegessen hast! Hast du an deiner anderen Hand vielleicht Schmerzen?' Doch als er meine Worte hörte, sprach er die Verse:



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Mein Freund, o frage mich nicht nach dem, was in meinem Herzen
An brennenden Leiden wohnt; offenbare nicht meine Schmerzen.
Nicht freiwillig wählte ich die ungeliebte Maid
Statt der geliebten - und doch, die Not hat den Entscheid.

Und er streckte den rechten Arm aus seinem Ärmel hervor, und siehe, die Hand war abgeschlagen, und es war ein Stumpf ohne Faust. Als ich darüber erschrak, sagte er: ,Erschrick nicht und glaube also nicht, daß ich bei dir aus Hochmütigkeit mit meiner linken Hand gegessen habe; den Verlust meiner rechten Hand brachte ein seltsam Ding zustand.' Da fragte ich ihn: ,Wie war das e', under erwiderte: ,Wisse, ich bin ein Baghdader Kind, und mein Vater gehörte zu den Vornehmen der Stadt. Als ich zum Manne herangewachsen war, hörte ich die Pilger und Wanderer und reisenden Kaufleute vom Lande Ägypten reden, und das behielt ich im Sinne, bis mein Vater starb. Dann aber nahm ich eine große Summe Geldes, ließ Waren einpacken, Stoffe aus Baghdad und Mosul, kaufte alles Nötige ein und brach von Baghdad auf; und Allah gewährte mir Sicherheit, bis ich in diese, eure Stadt einzog.' Dann weinte er und sprach die Verse:

Der Blinde geht an der Grube vorüber ohne Gefahr;
Wer Augenlicht hat ,fällt hinein, sieht er noch so klar.
Der Tor entgeht seinen Worten, ist er auch noch so dumm,
Die Klugen und Weisen aber kommen durch sie um.
Und der Gläubige leidet bittere Hungersnot,
Doch der ungläubige Sünder findet reichliches Brot.
Was soll der arme Mensch beginnen? Was soll er tun?
Das Schicksal hat es beschlossen, und so ist es nun.

Als er die Verse gesprochen hatte, fuhr er fort: ,So zog ich denn in Kairo ein, und ich entlud meine Lasten und lagerte meine Waren im Chân Masrûr. Und ich gab dem Diener ein paar Dirhems, damit er uns etwas zu essen kaufe, und legte



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mich ein wenig nieder, um zu schlafen. Als ich erwachte, ging ich in die Straße, die da heißt Bain el-Kasrain; doch ich kehrte alsbald zurück und blieb die Nacht über dort. Und als der Morgen kam, machte ich einen Ballen Stoff auf und sagte zu mir selber: ,Ich will hinausgehen durch einige Basare und sehen, wie der Markt hier steht.' Ich nahm also etwas Stoff heraus, belud ein paar meiner Sklaven damit und zog aus, bis ich zu der Warenbörse des Dschaharkas kam; und die Makler, die schon von meiner Ankunft wußten, kamen mir dort entgegen. Sie nahmen die Stoffe von mir hin und riefen sie aus zum Verkauf; doch sie konnten nicht einmal den Einkaufspreis erzielen. Das machte mir Sorgen; da sprach der Scheich der Ausrufer zu mir: ,O mein Herr, ich will dir etwas sagen, wovon du Nutzen haben kannst. Du solltest tun, was die Händler tun, und deine Ware für eine bestimmte Anzahl von Monaten auf Kredit verkaufen unter Zuhilfenahme eines Schreibers, eines Zeugen und eines Wechslers; so wirst du an jedem Montag und jedem Donnerstag dein Geld erhalten und an jedem Dirhem zwei und mehr verdienen; und dabei hast du Zeit, dir Kairo und den Nil anzusehen.' Ich sprach: ,Das ist ein guter Rat', und nahm die Makler mit mir in den Chân. Die nahmen meine Stoffe und gingen damit auf die Börse, und ich verkaufte sie', indem ich mir Verträge geben ließ. Diese Verträge hinterlegte ich bei einem Wechsler, der mir eine Quittung gab; und schließlich kehrte ich in den Chân zurück. Hier blieb ich eine ganze Weile: jeden Tag trank ich zum Frühstück einen Becher Weins und aß Lammfleisch und Süßigkeiten, bis die Zeit kam, da die Zahlungen fällig waren. Dann aber ging ich jeden Montag und Donnerstag zur Börse und setzte mich in den Laden dieses oder jenes Händlers, während der Schreiber und der Wechsler bis zur Zeit des Nachmittagsgebetes die Runde machten,



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um von den Kaufleuten das Geld einzuziehen; dann zählte ich das Geld, versiegelte die Beutel und kehrte mit ihnen in den Chân zurück. Eines Tages aber, es war ein Montag, ging ich ins Badehaus und von dort in meinen Chân zurück; und ich trat in mein Zimmer ein, trank zum Frühstück einen Becher Weins und schlief darauf ein wenig. Und als ich erwachte, aß ich ein Huhn, besprengte mich mit Wohlgerüchen und ging in den Laden eines Kaufmanns, der Bedr ed-Dîn el-Bustâni hieß; wie der mich erblickte, hieß er mich willkommen, und wir unterhielten uns eine Weile, bis der Basar eröffnet wurde. Und siehe, da trat eine Dame von stattlicher Figur herbei mit anmutig wiegendem Gang; die trug ein wunderschönes Kopftuch und duftete nach den süßesten Wohlgerüchen. Sie hob den Schleier, so daß ich ihre herrlichen schwarzen Augen erblickte; dann grüßte sie Bedr ed-Dîn, und er gab ihren Gruß zurück, stand auf und sprach mit ihr, und sowie ich ihre Stimme hörte, faßte die Liebe zu ihr mein Herz. Sie sprach zu Bedr ed-Dîn: ,Hast du in deinem Laden ein Stück Seidenstoff, durchwoben mit Fäden reinen Goldes?' Da trug er ihr ein Stück herbei von denen, die er von mir gekauft hatte; und er verkaufte es ihr für tausendundzweihundert Dirhems. Sie sprach aber zu dem Kaufmann: ,Ich werde das Stück mit nach Hause nehmen und dir die Summe senden.' ,Das ist nicht möglich, meine Herrin,' erwiderte der Händler; ,denn dies ist der Eigentümer des Stoffes, und ich schulde ihm einen Anteil am Gewinn.' ,Pfui!' rief sie aus, ,nehme ich nicht immer große Stücke kostbarer Stoffe von dir für viele Dirhems und lasse dich mehr daran verdienen, als du erwartest, und sende dir das Geld?' ,Ja,' sagte er, ,aber ich brauche das Geld gerade heute sofort.' Da nahm sie das Stück und warf es ihm gegen seine Brust und rief: ,Eure Gilde schätzt niemanden nach seinem Werte ein' und



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wandte sich zum Gehen. Doch mir war, als ginge meine Seele mit ihr; und so stand ich auf, hielt sie zurück und sprach zu ihr: ,O meine Herrin, erweise mir das Almosen deiner Güte und wende deine geehrten Schritte um zu mir.' Da wandte sie sich lächelnd um zu mir und sagte: ,üm deinetwillen komme ich zurück', und setzte sich mir gegenüber in den Laden. Nun sprach ich zu Bedr ed-Dîn: ,Für wieviel hat man dir dies Stück verkauft?' Er darauf: ,Elf hundert Dirhems.' Ich fuhr fort: ,Du sollst noch hundert Dirhems daran verdienen; bringe mir ein Stück Papier, so will ich dir darauf den Preis aufschreiben.' Dann nahm ich den Stoff von ihm, schrieb ihm mit eigener Hand eine Urkunde, gab der Dame den Stoff und sagte: ,Nimm es mit, und wenn du willst, so bringe mir den Preis am nächsten Tage des Basars; oder wenn du es anzunehmen geruhst, so möge der Stoff ein Gastgeschenk von mir für dich sein!' Sie antwortete: ,Allah vergelte dir mit Segen, er beschenke dich mit meinem Gut und mache dich zu meinem Gatten und Gebieter!' Und Allah erhörte ihr Gebet. Darauf sprach ich zu ihr: ,O meine Herrin, laß dies Stück Stoff dein eigen sein; und noch ein zweites, gleiches liegt für dich bereit, nur laß mich einmal dein Gesicht betrachten!' Als ich nur mit einem Blick ihr Antlitz sah, kamen mir tausend Seufzer der Sehnsucht, und mein Herz wurde so von der Liebe zu ihr gefangengenommen, daß ich nicht mehr Herr meines Verstandes war. Darauf ließ sie den Schleier wieder fallen, nahm den Stoff und sagte: ,O mein Herr, laß mich deinen Anblick nicht zu lange entbehren!', und da war sie mir schon aus den Augen verschwunden. Ich aber blieb in der Börse, bis die Stunde des Nachmittagsgebetes vorüber war, wie geistesabwesend, da mich die Liebe so beherrschte; und die Gewalt meiner Leidenschaft trieb mich, den Kaufmann nach ihr auszuforschen, und er sagte mir: ,Sie ist eine



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reiche Dame und die Tochter eines Emirs; ihr Vater ist gestorben und hat ihr ein großes Vermögen hinterlassen. 'Dannnahm ich Abschied von ihm und kehrte in den Chân zurück; dort setzte man mir mein Nachtmahl vor, aber ich konnte nicht essen, weil ich immer an sie denken mußte. Und ich legte mich nieder; doch mir nahte kein Schlaf, sondern ich wachte bis zum Morgen. Da erhob ich mich, zog mir ein anderes Gewand an, trank einen Becher Weins und nahm einen kleinen Morgenimbiß, ging darauf in den Laden des Kaufmanns, grüßte ihn und setzte mich zu ihm. Und wie gewöhnlich kam die Dame, aber in einem noch prächtigeren Gewande als am Tage zuvor, und ihr folgte eine Sklavin; sie grüßte mich, ohne Bedr ed-Dîn zu beachten, und sagte in gewählten Worten und mit einer so süßen und lieblichen Stimme, wie ich sie noch nie gehört hatte: ,Sende jemanden mit mir, daß er die tausendundzweihundert Dirhems, den Preis des Stoffes, in Empfang nehme.' ,Wozu die Eile?' fragte ich; doch sie antwortete: ,Mögen wir dich nie verlieren!' und ließ mir das Geld reichen. Nun saß ich und sprach mit ihr; dann gab ich ihr stumme Zeichen, und sie verstand, daß ich mich sehnte, mit ihr vereint zu sein. Aber sie stand eilig auf, als ob sie es mir übelgenommen hätte. Da mein Herz an ihr hing, verließ ich den Basar und ging ihrer Spur nach. Plötzlich kam eine Sklavin zu mir und sagte: ,O mein Herr, komm und sprich mit meiner Gebieterin.' Ich war überrascht und sprach: ,Mich kennt hier doch niemand'; doch die Sklavin erwiderte: ,O mein Herr, wie schnell hast du sie vergessen! Meine Herrin ist dieselbe, die heute im Laden des Kaufmanns Soundso war.' So folgte ich ihr zum Wechsler; als die Dame mich dort erblickte, zog sie mich an ihre Seite und sagte: ,O mein Geliebter, du erfüllst meinen Sinn, und die Liebe zu dir hat mein Herz erfaßt; seit der Stunde, da ich dich sah, hat mir we



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der Schlaf, noch Speise, noch Trank behagt.' Ich erwiderte ihr: ,Mein Leiden ist das deine verdoppelt, und mein Zustand spottet jeder Klage.' Da flüsterte sie: ,O mein Geliebter, in deinem Hause oder in meinem? ,Ich bin fremd hier, und ich habe keinen Ort, der mir Obdach bietet, als den Chân; so soll es, wenn du es gewährst, bei dir sein.' Sie sagte zu; aber sie sagte auch: ,Heute ist die Nacht auf Freitag, und so kann nichts geschehen vor morgen nach dem Gebet. Wenn du also gebetet hast, besteige deinen Esel und frage nach dem Quartier el-Habbanîja; und wenn du dort bist, so frage nach dem Hause des Oberaufsehers Barakat, der bekannt ist unter dem Namen Abu Schâma, denn dort wohne ich; doch komm nicht zu spät, ich werde deiner warten.' Da war meine Freude noch größer; ich trennte mich von ihr und kehrte in meinen Chân zurück, wo ich eine schlaflose Nacht verbrachte. Kaum aber war ich gewiß, daß der Morgen erschienen war, so stand ich auf und wechselte mein Kleid, besprengte mich mit süßen Wohlgerüchen, nahm fünfzig Dinare in einem Tuch mit mir und ging vom Chân Masrûr zum Tore der Zuwaila, wo ich einen Esel bestieg; zu dem Treiber sagte ich: ,Bringe mich ins Quartier el-Habbanîja.' Er lief mit mir und brachte mich im Augenblick in eine Straße, die bekannt ist unter dem Namen Darb el-Munkari; dort sagte ich zu ihm: ,Geh hinein und frage nach dem Hause des Aufsehers!' Und nachdem er ganz kurz fortgeblieben war, sagte er: ,Steig ab!' Ich aber sprach zu ihm: ,Geh du voraus!' und fügte hinzu: ,Komm morgen früh wieder hierher, um mich nach Hause zu bringen!' Der Treiber antwortete: ,Im Namen Allahs'; da gab ich ihm einen Viertelgolddinar, er nahm ihn und ging seiner Wege. Ich aber klopfte an die Tür, und da traten zu mir heraus zwei junge Mädchen mit jungfräulichen Busen, Monden gleich; und sie sagten zu mir: ,Tritt



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ein, unsere Herrin erwartet dich, und sie hat die Nacht nicht geschlafen, da sie sich so sehr auf dich freute.' Nun trat ich in eine Halle mit sieben Türen; ringsum waren Fenster, die führten auf einen Garten mit Früchten von mancherlei Arten, in dem die Bächlein sprangen und die Vögel sangen. Die Halle selbst aber war mit Sultanistuck so glänzend geweißt, daß ein Mensch sein Antlitz darin sehen konnte; die Decke war mit Goldornamenten verziert, und ringsum lief ein Inschriftenband aus Lasurstein von mannigfaltiger Schönheit, das den Beschauer blendete; der Boden war bedeckt mit weißem Marmor, in den buntes Mosaik eingelegt war. In der Mitte befand sich ein Springbrunnen; und an den Ecken des Brunnens waren Vögel, die mit Perlen und Edelsteinen besetzt waren. Die Halle war belegt mit Teppichen und bunten Seidendecken, und an den Wänden waren Polsterbänke. Und als ich eintrat und mich setzte' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 26. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der junge Kaufmann zu dem Christen sagte: ,Als ich eintrat und mich setzte, da trat auch sogleich die Dame ein, gekrönt mit einem Diadem, das mit Perlen und Juwelen besetzt war; ihre Hände waren mit rotem Henna geschmückt, ihre Augenbrauen und Wimpern mit schwarzem Bleiglanz gefärbt. Als sie mich sah, da lächelte sie mich an, nahm mich in die Arme und drückte mich an die Brust; und sie legte ihren Mund auf meinen Mund und sog an meiner Zunge, wie ich an der ihren, und sagte: ,Bist du wirklich zu mir gekommen?' Ich rief: ,Dahin ich, dein Sklave.' Sie hieß mich herzlich willkommen und sprach: ,Bei Allah, seit dem Tage, da ich dich sah, ist mir der Schlaf nicht mehr still gewesen, noch hat die



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Speise mir gemündet.' Ich sagte: ,So ging es auch mir.' Dann setzten wir uns nieder und unterhielten uns, indem ich den Kopf voll Scham zu Boden geneigt hielt; sie aber setzte mir alsbald einen Tisch vor, voll der köstlichsten Speisen: Rosinenfleisch, geröstete Pasteten, die mit Bienenhonig angemacht waren, und gefüllte Küken; und ich aß zusammen mit ihr, bis wir gesättigt waren. Dann brachte man mir Becken und Kanne, und ich wusch meine Hände. Dann besprengten wir uns mit Rosenwasser und Moschus und setzten uns wieder, um uns zu unterhalten. Sie aber begann diese Verse zu sprechen:

Hätten wir dein Kommen geahnt, wir hätten das Blut des Herzens
Und das Schwarze der Augen freudig hingebreitet;
Wir hätten auch unsere Wangen für deinen Empfang gerüstet,
Damit dein Weg dich über die Augenlider geleitet.

Dann klagten wir uns gegenseitig all unser Leid; und die Liebe zu ihr faßte also Wurzel in meinem Herzen, daß mir mein ganzer Reichtum im Vergleich zu ihr nichts mehr wert war. Darauf begannen wir zu scherzen und zu kosen und uns zu küssen, bis die Nacht hereinsank. Nun setzten die Sklavinnen Speisen und Wein vor uns hin, ein vollkommenes Festmahl, und wir tranken bis zur Mitte der Nacht; dann legten wir uns nieder, und ich schlief bei ihr bis zum Morgen, und nie in meinem Leben habe ich eine Nacht wie jene Nacht erlebt. Doch als der Morgen kam, da stand ich auf, warf das Tuch, in dem die Dinare waren, unter die Polster und nahm Abschied von ihr. Als ich hinausging, weinte sie und sagte: ,Mein Gebieter, wann soll ich wieder auf dies liebliche Antlitz schauen?' Ich erwiderte ihr: ,Am Abend werde ich bei dir sein.' Als ich draußen war, traf ich den Eseltreiber, der mich am Tage vorherhergebracht hatte, vor der Tür auf mich wartend. So bestieg ich seinen Esel und ritt in den Chân Masrûr; dort stieg ich ab, gab dem Treiber



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einen halben Dinar und sagte zu ihm: ,Sei mit Sonnenuntergang wieder da.' Das versprach er. Ich frühstückte und ging aus, um das Geld für die Stoffe einzuziehen; danach kehrte ich zurück. Nun hatte ich für sie ein geröstetes Lamm besorgt, und ich kaufte einige Süßigkeiten, rief einen Träger herbei, tat ihm die Vorräte in den Korb und gab ihm seinen Lohn. Bis Sonnenuntergang ging ich wieder meinen Geschäften nach; dann aber holte der Eseltreiber mich ab. Ich nahm wieder fünfzig Dinare, tat sie in ein Tuch und ritt zu ihrem Hause; dort fand ich den Marmorboden gescheuert, das Messing geputzt, die Lampen zurechtgemacht, die Kerzen brennend, die Speisen aufgetragen und den Wein geklärt. Als sie mich sah, warf sie mir die Arme um den Hals und rief: ,Du hast mich mit Sehnsucht nach dir erfüllt.' Dann setzte sie die Tische vor mich hin, und wir aßen, bis wir gesättigt waren; da nahmen die Sklavinnen den Speisetisch fort und brachten den Wein. Nun tranken wir ohne Unterlaß bis Mitternacht; und darauf gingen wir in das Schlafgemach und lagen dort bis zum Morgen. Dann stand ich auf und ließ ihr die fünfzig Dinare da wie zuvor; ich ging hinaus und fand den Eseltreiber, ritt zum Chân und schlief eine Weile. Danach ging ich aus und kaufte das Nachtmahl ein; ich nahm ein paar Gänse, dazu gepfefferten Reis, geröstete Kolokasien, Früchte, Naschwerk und Blumen und schickte ihr alles zu. Und ich kehrte nach Hause zurück, nahm fünfzig Dinare in einem Tuch und ritt wie immer mit dem Eseltreiber zu dem Hause. Dort trat ich ein, und wir aßen und tranken und lagen bis zum Morgen zusammen. Dann erhob ich mich, warf ihr das Tuch zu und ritt nach meiner Gewohnheit in den Chân zurück.

So lebte ich eine Weile weiter, bis ich eines Morgens nach einer solchen Nacht sah, daß ich keinen Dinar und keinen Dirhem



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mehr besaß. Da sagte ich zu mir: ,All dies ist Satans Werk', und sprach die Verse:

Wird arm der Reiche, so geht sein Glanz von hinnen
So wie beim Untergang der Sonne Licht.
Ist er in der Ferne, wird er von den Menschen vergessen;
Doch ist er nahe, blüht ihr Glück ihm nicht.
Verstohlen schleicht er sich durch die Basare;
Und bittre Tränen weint er, ist er allein.
Bei Gott, der Mensch kann unter dem eignen Volke,
Drückt ihn die Armut, nur ein Fremdling sein.

Dann verließ ich den Chân und ging durch die Straße Bain ei-Kasrain hin, immer weiter, bis ich zum Tor der Zuwaila kam; dort traf ich auf ein großes Gedränge, und das Tor war versperrt von vielem Volk. Nun wollte es das Schicksal, daß ich dort einen reitenden Söldner sah und ohne meinen Willen gegen ihn stieß. Da berührte meine Hand seine Tasche; ich fühlte hin und merkte, daß ein Beutel in der Tasche war, auf der meine Hand lag, und war mir bewußt, daß meine Hand jenem Beutel nahe war. Rasch nahm ich ihn aus der Tasche. Aber der Söldner merkte, daß seine Tasche leicht geworden war, steckte seine Hand in die Tasche und fand sie leer; da wandte er sich um nach mir, erhob seine Hand mit der Keule und schlug mich aufs Haupt. Ich stürzte zu Boden, und das Volk schloß einen Kreis um uns, griff dem Tier des Söldners in die Zügel und rief: ,Gibst du diesem Jüngling einen solchen Schlag, einzig, weil er dich anstieß?' Doch der Söldner schrie ihnen zu: ,Das ist ein verdammter Dieb!' Darauf kam ich wieder zu mir und hörte, wie das Volk sagte: ,Das ist ein schöner Jüngling, der hat nichts gestohlen.' Die einen glaubten es, die anderen nicht; und es gab ein großes Gerede hin und her. Das Volk zerrte an mir und wollte mich von ihm befreien; doch da das Schicksal es so bestimmt hatte, kam der Wali mit dem Aufseher und den Polizisten



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durchs Tor herein; und als er das Volk um mich und den Soldaten sah, da fragte er: ,Was gibt es hier?' ,Bei Allah, Senor,' rief der Söldner, ,das ist ein Dieb! Ich hatte einen blauen Beutel mit zwanzig Dinaren in der Tasche, den hat er gestohlen, als ich im Gedränge war.' Als der Wali fragte: ,War jemand bei dir?', antwortete der Söldner: ,Nein.' Da rief der Wall dem Aufseher zu, mich zu ergreifen; und nun mußte alles an den Tag kommen. Weiter befahl der Wali, mich zu entkleiden; und als sie es taten, fanden sie den Beutel in meinen Kleidern. Als sie nun den Beutel gefunden hatten, nahm der Wall ihn, öffnete ihn und zählte; und er fand zwanzig Dinare darin, wie der Söldner angegeben hatte. Da ward er zornig und befahl der Wache, mich vor ihn zu führen. Dann sagte er zu mir: ,O Jüngling, sprich die Wahrheit: hast du diesen Beutel gestohlen?' Ich neigte den Kopf zu Boden und sprach zu mir selber: ,'Wenn ich sage, ich hätte ihn nicht gestohlen, so kann ich doch nicht leugnen, daß man ihn bei mir gefunden hat; wenn ich sage, ich habe ihn gestohlen, so ergeht es mir schlecht.' Dann hob ich den Kopf und sagte: ,Ja, ich habe ilm genommen.' Als aber der Wali diese Worte von mir hörte, da war er erstaunt und ließ Zeugen herbeitreten, um mein Geständnis anzuhören. All das geschah am Tor der Zuwaila. Dann befahl der Wali dem Henker, mir die rechte Hand abzuschlagen, und er tat es; und er hätte mir auch noch den linken Fuß genommen 1 aber des Söldners Herz wurde weich, und er legte Fürbitte für mich ein. So ließ der Wali von mir ab und zog davon; das Volk aber umringte mich und gab mir einen Becher Wein zu trinken. Ja, der Söldner gab mir gar den Beutel und sagte:



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,Du bist ein schöner jüngling, und es ziemt sich nicht für dich, ein Räuber zu sein.' Da sprach ich die Verse:

O der du Vertrauen mir schenktest, bei Allah, ich bin kein Räuber,
O du bester der Menschen, ich bin keiner von den Dieben!
Nein, Wechselfälle des Schicksals haben mich rasch getroffen;
Sorge, Versuchung und Armut waren es, die mich trieben.
Nicht aus meiner Hand, von Gott ist der Pfeil gekommen,
Der mir des Reichtums Krone von meinem Haupte genommen.

Auch der Söldner verließ mich und ging davon, nachdem er mir den Beutel gegeben hatte; ich aber ging meiner Wege, wickelte meine Hand in ein Stück Zeug und tat sie in meinen Busen. Mein ganzes Ansehen hatte sich verändert, meine Farbe war bleich geworden wegen dessen, was mit mir vorgegangen war. Langsam schritt ich weiter zum Hause meiner Geliebten, und dort warf ich mich verstört auf das Teppichlager. Als sie mich aber so verändert und bleich sah, fragte sie mich: ,Was bedrängt dich, und weshalb muß ich dich in so verändertem Zustand sehent' Ich antwortete: ,Mich schmerzt der Kopf, und mir ist nicht wohl.' Da ward sie traurig und machte sich Sorge um mich und sagte: ,Verbrenne mir nicht das Herz, mein Gebieter, sondern setze dich auf und hebe den Kopf und erzähle mir, was dir heute widerfahren ist; denn dein Gesicht redet zu mir eine eigene Sprache.' ,Laß mich mit dem Gerede!' sagte ich; doch sie weinte und sprach: ,Mir scheint, du bist meiner überdrüssig; denn ich sehe dich anders als sonst.' Ich aber schwieg; und sie redete auf mich ein, obgleich ich ihr keine Antwort gab, bis über uns die Nacht hereinbrach. Da setzte sie Speisen vor mich hin; doch ich rührte sie nicht an, weil ich besorgte, sie würde sehen, daß ich mit der linken Hand äße; und ich sagte: ,Ich habe jetzt kein Verlangen zu essen.' Aber sie bat: ,Erzähle mir, was dir heute widerfahren ist und warum



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du so traurig bist, gebrochen an Herz und Seele.' Ich erwiderte ,Gleich werde ich dir alles in Muße erzählen.' Dann brachte sie mir Wein und sagte: ,Trink, das wird dir die Sorgen nehmen; ja, du mußt trinken und mir erzählen, was mit dir ist.' Ich fragte: ,Muß ich dir wirklich erzählen?', und sie antwortete: ,Jawohl.' Darauf sagte ich: ,Wenn es denn sein muß, so gib mir mit deiner eigenen Hand zu trinken.' Sie füllte den Becher und trank ihn aus, füllte ihn wieder und reichte ihn mir. Ich nahm ihn mit der linken Hand entgegen, und während die Tränen aus meinen Augen rannen, sprach ich:

Hat Allah einmal dem Menschen ein Unglück zuerkannt,
Und besitzt dieser auch Gehör, Gesicht und Verstand,
So macht er die Ohren ihm taub und macht das Herz ihm blind,
Und zieht gleich wie ein Haar den Verstand aus ihm geschwind,
Bis daß, wenn er an ihm seinen Willen vollendet hat,
Er ihm den Verstand wiedergibt; dann geht jener mit sich zu Rat.

Als ich die Verse beendet hatte, weinte ich, den Becher in meiner linken Hand haltend; sie aber schrie laut auf und sprach: ,Was ist der Anlaß deiner Tränen? Du verbrennst mir das Herz! Und weshalb nimmst du den Becher mit der linken Hand?' Ich antwortete ihr: ,Ich habe auf der Rechten ein Geschwür.' Sie rief: ,Zeig her, ich will es dir öffnen.' ,Es ist noch zu früh, es zu öffnen,' erwiderte ich, ,drum quäle mich nicht, ich kann die Hand jetzt noch nicht herausnehmen.' Darauf trank ich den Becher, und sie gab mir immer mehr zu trinken, bis die Trunkenheit mich überwältigte und ich einschlief, wo ich saß; da erblickte sie meinen Arm ohne Hand. Dann durchsuchte sie mich und fand bei mir den Beutel mit dem Golde. Da erfaßte sie ein solcher Schmerz, wie er sonst nie einen Menschen erfaßt, und bis zum Morgen klagte sie unaufhörlich um mich. Als ich aber erwachte, sah ich, daß sie mir eine Brühe bereitet



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hatte; die reichte sie mir, und siehe, es waren vier Küken darin; und sie gab mir auch einen Becher Wein zu trinken. Ich aß und trank und legte ihr den Beutel hin und wollte gehen; sie aber fragte: ,Wohin willst du gehen?', und ich erwiderte: ,Wohin mich mein Weg führt'; doch sie bat: ,Geh doch nicht fort, setze dich!' Da setzte ich mich nieder, und sie begann: ,Hat dich die Liebe zu mir dahin gebracht, daß du um meinetwillen all dein Geld ausgegeben und deine Hand verloren hast? Ich rufe dich an zum Zeugen wider mich -doch Allah ist der allwissende Zeuge -, daß ich mich nie von dir trennen will; und du sollst sehen, daß meine Worte wahr sind.' Alsbald schickte sie nach den Zeugen; die kamen, und sie sagte zu ihnen: ,Schreibt meinen Ehevertrag mit diesem Jüngling und bezeugt, daß ich die Morgengabe erhalten habe!' Nachdem sie meinen Ehevertrag mit ihr ausgestellt hatten, sprach sie: ,Seid meine Zeugen, daß all mein Geld, das hier in der Truhe ist, und alle Sklaven und Sklavinnen, die ich besitze, diesem Jüngling gehören!' Sie nahmen auch das urkundlich auf, und ich nahm die Schenkung an. Dann gingen sie fort, nachdem sie die Gebühren erhalten hatten.

Meine Herrin aber faßte mich bei der Hand und führte mich in eine Kammer, öffnete eine große Truhe und sprach zu mir: ,Schau, was in der Truhe ist'; ich schaute hin, und siehe, sie war voller Tücher. Da sagte sie: ,Dies ist dein Geld, das ich von dir erhalten habe. Jedesmal, wenn du mir ein Tuch mit fünfzig Dinaren gabst, rollte ich es zusammen und legte es in diese Truhe hinein; so nimm, was dir gehört, denn es kehrt nur zu dir zurück, und heute bist du ein reicher Mann geworden. Das Schicksal hat dich um meinetwillen verfolgt, bis daß du deine rechte Hand verloren hast; nie kann ich dir genug vergelten; ja, gäbe ich mein Leben für dich hin, es wäre nur wenig, und



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ich bliebe noch immer in deiner Schuld.' Dann wiederholte sie: ,Nimm hin, was nur dir gehört!' Ich tat also den Inhalt ihrer Truhe in meine Truhe, und so wurden mein Vermögen und ihr Vermögen, das ich ihr gegeben hatte, eins; nun freute sich mein Herz, und es entschwand mein Schmerz. Dann stand ich auf, küßte sie und dankte ihr; sie aber sagte: ,Du hast aus Liebe zu mir deine Hand gegeben, und wie könnte ich dir vergelten? Bei Allah, wenn ich mein Leben opferte aus Liebe zu dir, es wäre nur wenig und würde meine Schuld gegen dich nicht abtragen.' Darauf vermachte sie mir urkundlich alles, was sie besaß an Kleidern, Schmuck und anderem Besitz. Und erst nachdem ich ihr alles, was mir widerfahren war, genau berichtet hatte, legte sie sich, betrübt über meine Trauer, nieder; und ich verbrachte die Nacht bei ihr. Aber noch ehe wir einen Monat zusammen gelebt hatten, wurde sie sehr krank, und ihre Krankheit nahm immer noch zu. Schon nach fünfzig Tagen zählte sie zum Volke des Jenseits. Da bahrte ich sie auf, begrub ihren Leib in der Erde, ordnete Koranvorlesungen für sie an und gab den Armen viel Geld um ihretwillen; dann verließ ich die Grabstätte. Darauf stellte ich fest, daß sie viel hinterlassen hatte, Geld, Landgüter und Grundbesitz; unter ihren Vorratshäusern befand sich auch das Haus voll Sesam, aus dem ich dir verkauft habe. Daß ich mich aber so lange nicht um dich kümmern konnte, lag nur daran, daß ich den Rest der Vorräte und alles, was sich in den Magazinen befand, zuerst verkaufen mußte; und ich habe noch nicht all mein Geld eingezogen. Nun widersprich mir nicht in dem, was ich dir sagen werde: ich habe von deinem Brot gegessen, und so möchte ich dir das Geld für den Sesam, das noch bei dir ist, zum Geschenk machen. Dies also ist der Grund, weshalb ich mit der Linken esse, da mir die Rechte abgeschlagen wurde.' ,Wahrlich,' sprach ich,



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,du erweisest mir verschwenderische Güte.' Dann fragte er mich: ,Willst du nicht mit mir reisen in mein Heimatland? Ich habe Waren aus Kairo und Alexandrien eingekauft. Sag, willst du mit mir ziehen?' Ich willigte ein und beredete mich mit ihm, zu Ende des Monats aufzubrechen. Dann verkaufte ich alles, was ich hatte, und kaufte dafür andere Waren, und wir reisten zusammen, ich und der Jüngling, in dieses euer Land; dort verkaufte er seine Waren, kaufte dafür anderes aus eurem Lande ein und zog wieder nach dem Lande Ägypten. Mein Los hat es gewollt, daß ich hier blieb und daß es mir gestern nacht hier in der Fremde so erging, wie es mir ergangen ist. Ist dies, o größter König unserer Zeit, nicht noch wunderbarer als die Geschichte des Buckligen?' Der König rief aber: ,Ihr müßt doch allesamt hängen.'

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 27. Nacht anbrach, fuhr sie fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß, als der König von China erklärte: ,Ihr müßt doch hängen', der Verwalter der Küche des Königs vortrat und sagte: ,Wenn du es mir erlaubst, so will ich dir eine Geschichte erzählen, die mir zu der Zeit widerfahren ist, kurz ehe ich diesen Buckligen fand; und wenn sie wunderbarer ist als seine Geschichte, willst du uns dann unser Leben schenken?' Der König erwiderte: ,Jawohl.'

Und er begann


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