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Kapitel 

Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



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Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}

12.

Am Morgen nach dieser Nacht fuhr ein hübscher Stadtwagen vor dem Hotel de Portugal vor; es stiegen drei Personen, eine verschleierte Dame und zwei ältliche Herren, heraus und stiegen die Treppe hinan. "Ist der Herr Oberjustizreferendarius Pfälle schon oben?" fragte der eine dieser Herren den Kellner, der sie hinaufführte. Dieser bejahte, und der Herr fuhr fort, indem er sich zu seinem Begleiter wandte: "Und doch ist es eine sonderbare Fügung des Schicksals , daß er die Treppe hinabstürzt und sich selbst den Dolch in die Brust stößt, daß er sich selbst verhindert zu entfliehen, daß gerade Sie, Lange, zu ihm beschieden werden!"



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"Gewiß," sagte die verschleierte Dame; "finden Sie aber nicht auch ein eigentümliches Verhängnis in diesen Schnupftüchern? Das eine mußte er bei mir liegen lassen, welcher Zufall! das andere muß er gerade in dem Augenblick verlangen, wo der Doktor noch bei ihm ist."

"Es mußte so gehen," erwiderte der zweite Herr, " man kann nichts sagen als. es mußte so kommen. Aber in diesem Strudel hätte ich beinahe etwas vergessen; sagen Sie, was ist es mit dem Pascha von Janina? Signora mußte sich offenbar getäuscht haben. Sie haben ihn wieder auf freien Fuß gesetzt? Wer war denn der arme Teufel?"

"Mitnichten und im Gegenteil," sprach der erstere, "ich habe mich überzeugt, daß es ein Mitschuldiger des Chevaliers ist, dem ich schon lange auf der Spur bin. Ich habe ihn hierher bringen lassen, er wird mit dem Mörder konfrontiert werden."

"Nicht möglich!" rief die Dame. "Ein Mitschuldiger?"

"Ja ja!" sagte der Herr mit schlauem Lächeln, "ich weiß allerlei, wenn man mir es auch nicht angibt. Aber, gottlob, wir sind oben, hier ist ja gleich Nr. 53. Mademoiselle, haben Sie die Güte, einstweilen hier auf 54 einzutreten; der Kapellmeister hat es erlaubt und wird Sie nicht hinauswerfen; dafür wollte ich stehen. Wann das Verhör an Sie kommt, werde ich Sie rufen."

Wir brauchen nicht erst zu sagen, daß diese drei Personen die Sängerin, der Doktor und der Direktor waren; sie kamen, um den Chevalier de Planto eines Mordversuchs anzuklagen. Der Direktor und der Medizinalrat traten ein; der Kranke saß noch ebenso im Bette, wie ihn der Doktor in der Nacht gesehen; nur schienen beim Tageslicht seine Züge noch grasser, der Ausdruck seiner Augen, die schon zu erstarren anfingen, noch schauerlicher. Ersah bald den Doktor, bald den Direktor mit seelenlosen Blicken an; dann schien er nachzusinnen, was hier in seinem Zimmer vorgehe; denn der Referendarius Pfälle, ein kurzer, junger Mann mit roten Wangen und kleinen Äuglein, hatte sich einen Tisch zurechtgestellt, einen Stoß Papier vor sich hingelegt und hielt eine lange Schwanenfeder in der Rechten, um zu protokollieren.

"Bête, was wollen diese Herren?" rief der Kranke mit schwacher Stimme dem Lakaien zu. "Du weißt ja, ich nehme keine Besuche an."

Der Direktor trat dicht vor ihn hin, sah ihn fest an und sagte mit Nachdruck: "Chevalier de Planto!"

"Qui vive ?" schrie der Kranke und fuhr mit der Rechten an die Schlafmütze, als wolle er militärisch salutieren,

"Mein Herr, Sie sind der Chevalier de Planto?" fuhr jener fort.

Die grauen Augen fingen an zu glänzen; er warf stechende Blicke



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auf den Direktor und den Referendar, schüttelte mit höhnischer Miene den Kopf und antwortete: "Der Chevalier ist längst tot."

"So? Wer sind Sie denn? Antworten Sie! Ich frage im Namen des Königs."

Der Kranke lachte: "Ich nenne mich Lorier; Bete, gib dem Herrn meine Pässe!"

"Ist nicht nötig; kennen Sie dies Tuch, mein Herr?"

"Was werde ich es nicht kennen, Sie haben es da von meinem Stuhl weggenommen; wozu diese Fragen, wozu diese Szenen? Sie genieren mich, mein Herr!"

"Belieben Sie auf Ihre linke Hand zu schauen," sagte der Direktor; "dort halten Sie ja Ihr Tuch; dieses hier fand sich im Hause einer gewissen Giuseppa Fiametti,"

Der Kranke warf einen wütenden Blick auf die Männer; er ballte seine Faust und knirschte mit den Zähnen; er schwieg hartnäckig, obgleich der Direktor seine Fragen wiederholte. Dieser gab jetzt dem Doktor einen Wink; er ging hinaus und erschien bald darauf mit der Sängerin, dem Kapellmeister Bolani und dem . . . schen Gesandten in dem Zimmer.

"Herr Baron von Martenow," wandte sich der Direktor zu diesem, "erkennen Sie diesen Mann für denselben, den Sie in Paris als Chevalier de Planto kannten?"

"Ich erkenne ihn für denselben," antwortete der Baron, "und wiederhole meine Aussagen über ihn, die ich früher zu Protokoll gab."

"Giuseppa Fiametti, erkennen Sie ihn für denselben, der Sie aus dem Hause Ihres Stiefvaters führte, in sein Haus nach Paris brachte, für denselben, den Sie eines Mordversuches beschuldigen?"

Die Sängerin bebte bei dem Anblicke des fürchterlichen Mannes; sie wollte antworten, aber er selbst ersparte ihr jedes Geständnis. Er richtete sich höher auf, seine wollene Mütze schien spitziger aufzustehen, seine Arme waren steif, er schien sie mit Mühe zu bewegen, aber seine Finger krallten sich krampfhaft auf und zu; seine Stimme schlich sich nur noch leise und heiser aus der Brust herauf, selbst sein Lachen und seine Flüche wurden beinahe zum Geflüster. "Kommst du, mich zu besuchen, Schepperl?" sagte er. "Das ist schön von dir. Nicht wahr, du weidest dich recht an meinem Anblick? Es ist mir wahrhaftig leid, daß ich dich nicht besser getroffen; ich hätte dir dadurch den Schmerz erspart, deinen Oheim vor seiner Abreise von diesen deutschen Tieren verhöhnt zu sehen."

"Was brauchen wir weiter Zeugnis?" unterbrach ihn der Direktor , "Herr Referendarius Pfälle, schreiben Sie einen Verhaftungsbefehl gegen —"

"Was tun Sie?" rief der Doktor, "sehen Sie denn nicht, daß



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ihm der Tod schon am Herzen ist? Er treibt es keine Viertelstunde mehr. Eilen Sie, wenn Sie noch etwas zu fragen haben."

Der Direktor befahl dem Lakai, die Gerichtsdiener zu rufen: sie sollen den Gefangenen heraufbringen. Der Kranke sank mehr und mehr zusammen, sein Auge schien still zu stehen, es hatte nur noch eine Richtung, nach der Sängerin; aber auch jetzt noch schien Wut und Ingrimm daraus hervorzublitzen. "Schepperl," sprach er wieder, "du hast mich unglücklich gemacht, zugrunde gerichtet, darum verdientest du den Tod; du hast deinen Vater zugrunde gerichtet: sie haben ihn auf die Galeere geschickt, weil er dich mir um Geld verkauft hat; er hat mich beschworen, dich umzubringen; es tut mir leid, daß ich gezittert habe. Verflucht seien diese Hände, die nicht einmal mehr sicher stoßen konnten!" Seine greulichen Verwünschungen, die er über sich und Giuseppa ausstieß, wurden durch eine neue Erscheinung unterbrochen. Zwei Gerichtsdiener brachten einen Mann in türkischer Kleidung; es war der unglückliche Ali Pascha von Janina — der Turban bedeckte das jammervolle Haupt des Kommerzienrats Bolnau. Alle erstaunten über diesen Anblick; besonders schien der Kapellmeister sehr betreten; er erblaßte und errötete und wandte sein Gesicht ab. "Monsieur de Planta," sprach der Direktor, "kennen Sie diesen Mann?" Der Kranke hatte die Augen geschlossen; er riß sie mühsam auf und sagte: "Gehet zu allen Teufeln, ich kenne ihn nicht."

Der Türke sah die Umstehenden mit kummervoller Miene an. Ich wußte wohl, daß es so kommen werde, sprach er mit weinerlichem Tone, "es hat mir schon lange geahnet. Aber, Mademoiselle Fiametti, wie konnten Sie doch einen unschuldigen Mann so ins Unglück bringen?"

"Was ist es denn mit diesem Herrn ? fragte die Sängerin. "Ich kenne ihn nicht, Herr Direktor; was hat Daun dieser getane"

"Signora," sprach der Direktor mit tiefem Ernst, " vor den Gerichten gilt keine Nachsicht oder irgend eine Schonung. Sie müssen diesen Herrn kennen; es ist der Kommerzienrat Bolnau. Ihr eigenes Kammermädchen hat eingestanden, daß Sie bei dem Mord seinen Namen ausgerufen haben."

"Freilich," nagte der Pascha, " meinen Namen genannt unter so verfänglichen Umständen!"

Die Sängerin erstaunte; eine tiefe Nöte flog über ihr schönes Gesicht; sie ergriff in großer Bewegung den Kapellmeister bei der Hand. "Carlo," rief sie. "jetzt gilt es zu sprechen, ich kann es nicht verschweigen; ja, Herr Direktor, ich werde diesen teuren Namen genannt haben; aber ich meinte nicht jenen Herrn, sondern —



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"Mich!" rief der Kapellmeister und trat hervor. "Ich heiße, wenn es mein lieber Vater dort erlaubt, Karl Bolnau!"

"Karl! Musikant! Amerikaner!" rief der Türke und umarmte ihn. "Das ist das erste gescheite Wort in deinem Leben, du hast mich aus einem großen Jammer befreit."

"Wenn sich die Sache so verhält," sagte der Direktor, "so sind Sie frei, und wir haben in dieser Sache nur mit gegenwärtigem Herrn Chevalier de Planta zu tun." Er wandte sich um zu dem Bette; dort stand der Arzt und hielt die Hand des Mörders in der seinigen; er legte sie ernst und ruhig auf die Decke und drückte ihm die starren Augen zu. "Direktor," sagte er, "der macht es jetzt mit einem höheren Richter aus."

Man verstand ihn; sie gingen aus dem Gemach des furchtbaren Toten und traten drüben bei dem Kapellmeister, dem glücklichen, wiedergefundenen Sohne des Pascha, ein; die Sängerin verbarg ihr Gesicht an der Brust des Geliebten; ihre Tränen strömten heftig, aber es waren die letzten, die sie ihrem unglücklichen Schicksal weinte; denn der Pascha ging lächelnd um das schöne Paar, er schien an einem großen Entschluß zu arbeiten; er besprach sich heimlich mit dem Medizinalrat und trat von diesem zu seinem Sohn und der Sängerin. "Liebste Mademoiselle," sprach er, "ich habe Ihretwegen vieles ausgestanden; Sie haben meinen Namen so verfänglich genannt, daß ich Sie bitte. ihn mit dem Ihrigen zu vertauschen. Sie haben gestern meinen Teller mit Punsch verschmäht; werden Sie mich wieder zurückstoßen, wenn ich Ihnen gegenwärtigen Herrn Karl Bolnau, meinen musikalischen Sohn, präsentiere mit der Bitte, ihn zu ehelichen?

Sie sagte nicht nein; sie küßte mit Freudentränen seine Hand; der Kapellmeister schloß sie mit Entzücken in seine Arme und schien diesmal sein erhabenes Pathos ganz Vergessen zu haben. Der Kommerzienrat aber faßte des Doktors Hand: "Lange, sage Er, hätte ich denken können, daß es so kommen würde. als Er mir den Schrecken in alle Glieder jagte, als ich die Scheiben des Palais zählte und Er mir sagte: .Ihr letztes Wort war Bolnau!

"Nun, was will Er weiter!" antwortete der Medizinalrat lächelnd. "Es war doch gut, daß ich es Ihm damals sagte; wer weiß, ob alles so gekommen Wäre ohne das letzte Wort der Sängerin."


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