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Kapitel 

Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



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Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}

9.

Die Aussöhnung mit dem Geliebten schien beinahe noch von größerer Wirkung auf die Sängerin zu sein als die kunstreichsten Tränklein ihres Arztes. Ihre Gesundheit besserte sich in den nächsten Tagen zusehends, und bald war sie so weit hergestellt, daß sie die Besuche ihrer teilnehmenden Freunde außer dem Bette empfangen konnte. Diese Wendung ihres Zustandes mochte der Direktor der Polizei abgewartet haben, um die Sache weiter zu verfolgen. Er war ein umsichtiger Mann, und der Ruf sagte von ihm, daß ihm nicht leicht einer entgangen, auf den er einmal sein Auge geworfen, sollte er auch hundert und mehrere Meilen von ihm entfernt sein. Von dem Medizinalrat war ihm die Geschichte der Sängerin mitgeteilt worden; er hatte sodann mit dem Baron Martenow noch weitere Rücksprache genommen und einiges erfahren, was ihm von großem Interesse schien. Der Gesandte hatte ihm nämlich gestanden, daß er damals von dem Vorfall mit der jungen Fiametti Gelegenheit nommen, das ruchlose Leben des Chevalier de Planto höheren Ortes zu berühren. Er hatte nicht versäumt, hauptsächlich den Umstand, daß jenes arme Sind eigentlich verkauft wurde, ins rechte Licht zu setzen. Jenes berüchtigte Haus wurde kurze Zeit darauf von der Polizei aufgehoben, und der Baron schien dies hauptsächlich den Schritten , die er in der Sache getan, zuzuschreiben. Auch hatte er von dem Tode des Chevaliers gehört, glaubte aber mit dem Polizeidirektor, daß dies nur ein kunstgriff gewesen sei, um sein Gewerbe sicherer



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fortzusetzen; denn beide hegten keinen Zweifel, jener Mordversuch an der Sängerin könne nur von diesem schrecklichen Menschen herrühren. Wie schwer war es aber, der Spur dieses Mörders zu folgen; die Fremden, die sich damals in B. aufhielten, waren, wie der Direktor versicherte, alle unverdächtig; nur zwei Umstände konnten zu Gewisserem führen; das Schnupftuch, welches sich im Zimmer der Fiametti gefunden hatte, konnte, wenn man irgendwo ein ähnliches sah, zur Entdeckung leiten; es war daher die genaueste Beschreibung davon in den Händen aller jener Näherinnen und Waschfrauen, welche die Garderobe der Fremden in B. zu besorgen pflegten. Sodann glaubte der Direktor aus psychologischen Gründen annehmen zu können, daß ein zweiter Versuch auf das Leben der Sängerin bald folgen würde, im Falle sich der Mörder noch in der Nähe aufhalte.

Sobald daher die Sängerin wieder bei Kräften war, begleitete der Direktor der Polizei den Doktor Lange, so oft er sie besuchte; wurden dort manche Maßregeln besprochen; manche schien gut, aber nicht wohl auszuführen, manche wurde geradehin verworfen. Giuseppa selbst kam endlich auf einen Gedanken, der den beiden Männern sehr einleuchtete. "Der Doktor," sagte sie, "hat mir erlaubt, in der nächsten Woche wieder auszugehen; wenn er nichts dagegen hat, würde ich auf der letzten Redoute des Karnevals zuerst wieder unter den Leuten erscheinen; es hat etwas Anziehendes für mich, mich dort, wo mein Unglück eigentlich anfing, zum erstenmal zu zeigen. Wenn wir dafür sorgen, daß dies in B. hinlänglich bekannt wird, und wenn der Chevalier noch hier ist, so bin ich wie von meinem Leben überzeugt, daß er unter irgendeiner Maske sich wieder in meine Nähe drängt. Er wird sich zwar hüten zu sprechen, er wird durch nichts sich verraten, , aber seine Anschläge auf mein Leben wird er nicht ruhen lassen, und ich will ihn aus Tausenden erkennen. Seine Größe, seine Gestalt , vor allem seine Augen werden mir ihn kenntlich machen. Was meinen Sie, meine Herren?"

Der Plan schien nicht übel. "Ich wollte wetten," sagte der Direktor, " wenn er erfährt, Sie kommen auf diesen Ball, so bleibt er nicht aus; sei es auch nur, um den Gegenstand seiner Rache wiederzusehen und seiner Wut neue Nahrung zu geben. Ich denke übrigens, Sie sollten keine Larve vors Gesicht nehmen; er wird Sie dann um so leichter erkennen, um so eher in Ihre Nähe, in seine Falle gehen; ich werde ein paar tüchtige Bursche in Dominos stecken und sie Ihnen zur Eskorte geben; auf ein Zeichen von Ihnen soll der alte Fuchs gefangen sein.

Babette, das Kammermädchen der Sängerin, war während dieses Gespräches ab- und zugegangen; sie hatte gehört, wie ihre Dame entschlossen sei, den Mörder oder seine Gehilfen ausfindig zu



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machen; sie glaubte, es sich selbst schuldig zu sein, nach Kräften zu dieser Entdeckung beizutragen. Sie paßte daher den Direktor ab, faßte sich ein Herz und sagte, sie habe schon neulich den Doktor auf einen Umstand aufmerksam gemacht, der zur Entdeckung führen könnte, er scheine aber nicht darauf zu achten,

"Kein Umstand ist bei solchen Vorfällen gering, meine liebe Kleine," antwortete ihr der Mann der Polizei; " wenn Sie irgend etwas wissen —"

"Ich glaube fast, Signora ist zu diskret oder will nicht recht mit der Sprache heraus; als sie den Stich bekam und in meinen Armen ohnmächtig wurde, war ihr letzter Seufzer — Bolnau."

"Wie?" rief der Direktor entrüstet, "und das verschwieg man mir bis jetzt? Einen so wichtigen Umstand! Haben Sie auch recht gehört? Bolnau?"

"Auf meine Ehre," sagte die Kleine und legte die Hand beteuernd auf das Herz. "Bolnau sagte sie, und so schmerzlich, daß ich nicht anders glaube, als so heißt der Mörder; aber bitte, verraten Sie mich nicht!"

Der Direktor hatte den Grundsatz, daß kein Mensch, er sehe so ehrlich aus, als er wolle, zu gut zu einem Verbrechen sei. Der Kommerzienrat Bolnau, und einen anderen wußte er nicht in dieser Stadt, war ihm zwar als ein geordneter Mann bekannt, aber —hatte man nicht Beispiele, daß gerade solche Leute, denen man vor der Welt nichts nachsagen konnte, der Justiz am meisten zu schaffen machten? Konnte er nicht mit diesem Chevalier de Planto unter einer Decke spielen? Ersetzte unter diesen Betrachtungen seinen Weg weiter fort, er näherte sich der Breiten Straße, es fiel ihm bei, daß um diese Zeit der Kommerzienrat sich dort zu ergehen pflegte; er beschloß, ihm ein wenig scharf auf den Zahn zu fühlen. Richtig, dort kam er die Straße herab; er grüsste rechts, er grüsste links, er sprach alle Augenblicke mit einem Bekannten, er lächelte, wenn er weiterging, vor sich hin, er schien munter und guter Dinge zu sein. Er mochte etwa noch fünfzig Schritte vom Direktor entfernt sein, als er diesen ansichtig wurde; er erbleichte, er wandte um und wollte in eine Seitenstraße einbiegen. "Ein verdächtiger, sehr verdächtiger Umstand!" dachte der Direktor, lief ihm nach, rief seinen Namen und brachte ihn zum Stehen. Der Kommerzienrat war ein Bild des Jammers; er brachte in hohlen Tönen ein " Sori jour, Sori jour!" hervor, er schien lächeln zu wollen, aber die Augen gingen ihm über, und sein Gesicht verzog sich krampfhaft; seine Knie zitterten, seine Zähne schlugen hörbar aneinander.

"Ei, ei, Sie machen sich recht rar. Habe Sie schon ein paar Tage nicht an meinem Fenster vorbeigehen sehen Sie scheinen nicht ganz



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wohl zu sein" , setzte der Direktor mit einem stechenden Blicke hinzu, "Sie sind so blaß; fehlt Ihnen etwas :

"Nein — es ist nur so ein kleines Frösteln — ich war wirklich einige Tage nicht wohl, aber gottlob, es geht besser."

"So? Sie waren nicht wohl?" fragte jener weiter. "Das hätte ich kaum gedacht; ich glaubte Sie doch noch vor wenigen Tagen aus der Redoute recht munter zu sehen.

"Ja freilich; aber gleich den folgenden Tag mußte ich mich legen; ich bekam meine Zufälle wieder; aber ich bin jetzt ganz wiederhergestellt

"Nun, da werden Sie nicht versäumen, die nächste Redoute zu besuchen; es ist die letzte und soll sehr brillant werden; ich hoffe, Sie dort zu sehen; bis dahin adieu, Herr Kommerzienrat!"


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