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Kapitel 

Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



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Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}


Die Sängerin.

1.

"Das ist ein sonderbarer Vorfall," sagte der Kommerzienrat Bolnau zu einem Bekannten, den er auf der Breiten Straße in B. traf; "gesteht selbst, wir leben in einer argen Zeit."

"Ihr meint die Geschichte im Norden?" entgegnete der Bekannte. "Habt Ihr Handelsnachrichten, Kommerzienrat? Hat Euch der Minister des Auswärtigen aus alter Freundschaft etwas Näheres gesagt?"

"Ach, geht mir mit Politik und Staatspapieren! Meinetwegen mag geschehen, was da will. Nein, ich meine die Geschichte mit der Fiametti."

"Mit der Sängerin? Wie? Ist sie noch einmal engagiert? Man sagte ja, der Kapellmeister habe sich mit ihr überworfen —"

"Aber um Gottes willen!" rief der Kommerzienrat und blieb staunend stehen; " in welchen Spelunken treibet Ihr Euch umher, daß Ihr nicht wisset, was sich in der Stadt zuträgt? So wisset Ihr nicht, was der Fiametti arrivierte?"

"Kein Wort, auf Ehre! Was ist es denn mit ihr:"

"Nun, es ist weiter nichts mit ihr, als daß sie heute nacht totgestochen worden ist."

Der Kommerzienrat galt unter seinen Bekannten für einen Spaßvogel, der, wenn er morgens von elf bis mittag seine Promenaden in der Breiten Straße machte, die Leute gerne aufhielt und ihnen irgend etwas aus dem Stegreife aufband. Der Bekannte war daher nicht sehr gerührt von dieser Schreckensnachricht, sondern antwortete: "Weiter wisset Ihr also heute nichts, Bolnau? Ihr müht doch nachgerade mit Eurem Witz zu Rande sein, weil Ihr die Farben so stark auftraget. Wenn Ihr mich übrigens ein andermal wieder stellet in der Breiten Straße, so besinnt Euch auf etwas Vernünftigeres , sonst bin ich genötigt, einen Umweg zu machen, wenn ich von der Kanzlei nach Hause gehe.



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"Er glaubt's wieder nicht!" rief der Spaziergänger. "Seht nur, er glaubt's wieder nicht! Wenn ich gesagt hätte, der Kaiser von Marokko sei erstochen worden, so hättet Ihr die Nachricht mit Dank eingesteckt und weitergetragen, weil sich dort schon ähnliches zugetragen hat. Aber wenn eine Sängerin hier in B. totgestochen wird, da will keiner glauben, bis man den Leichenzug sieht. Aber, Freundchen, diesmal ist's wahr, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin!"

"Mensch! Bedenket, was Ihr sagt!" rief der Freund mit Entsetzen. "Die Sängerin erstochen? Tot saget Ihr? Die Fiametti totgestochen?"

"Tot war sie vor einer Stunde noch nicht; aber sie liegt in den letzten Zügen, so viel ist gewiß."

"Aber sprechet doch ums Himmels willen! Wie kann man denn eine Sängerin totstechen? Leben wir denn in Italien? Für was ist denn eine wohllöbliche Polizei da? Wie ging es denn zu? Totgestochen !"

"Schreiet doch nicht so mörderlich," erwiderte Bolnau besänftigend ; "die Leute fahren schon mit den Köpfen aus allen Fenstern und schauen nach dem Straßenlärm. Ihr könnet ja sotta voco jammern, so viel Ihr wollt. Wie es zuging? Ja sehet, da liegt es eben; das weiß bis jetzt kein Mensch. Gestern nacht war das schöne Kind noch auf der Redoute, so liebenswürdig, so bezaubernd wie immer, und heute nacht um zwölf Uhr wird der Medizinalrat Lange aus dem Bette geholt, Signora Fiametti liege im Sterben; sie habe eine Stichwunde im Herzen. Die ganze Stadt spricht schon davon, aber natürlich das tollste Zeug. Es sind allerdings fatale Umstände dabei, daß man nicht ins reine kommen kann; so darf z. B. niemand ins Haus als der Arzt und die Leute, die sie bedienen. Auch bei Hof weiß man es schon, und es kam ein Befehl, daß die Wache nicht am Haus vorbeiziehen dürfe; das ganze Bataillon mußte den Umweg über den Markt nehmen."

"Was Ihr sagt! Aber weiß man denn gar nicht, wie es zuginge Hat man denn gar keine Spur?"

"Es ist schwer, sich aus den verschiedenen Gerüchten auf das Wahre durchzuarbeiten. Die Fiametti, das muß man ihr lassen, ist eine sehr anständige Person, der man auch nicht das geringste nachsagen kann. Nun, wie aber die Leute sind, besonders die Frauen, wenn man da von dem ordentlichen Lebenswandel des annen Mädchens spricht, zuckt man die Achsel und will von ihrem früheren Leben allerlei wissen. Von ihrem frühern Leben! Sie hat kaum siebzehn Jahre und ist schon anderthalb Jahre hier! Was ist das für ein früheres Leben?"

"Haltet Euch nicht so lange beim Eingang auf," unterbrach ihn



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der Bekannte, "sondern kommt auf das Thema! Weiß man nicht, wer sie erstochen hats"

"Nun, das sage ich ja eben; da soll es nun wieder ein abgewiesener, aber eifersüchtiger Liebhaber sein, der sie umbrachte. Sonderbar sind allerdings die Umstände. Sie soll gestern auf der Redoute mit einer Maske, die niemand kannte, ziemlich lange allein gesprochen haben. Sie ging bald nachher weg, und einige Leute wollen gesehen haben, daß dieselbe Maske zu ihr in den Wagen stieg. Weiter weiß niemand etwas Gewisse:,; aber ich werde bald erfahren, was an der Sache ist."

"Ich weiß, Ihr habt so Eure eigenen Kanäle, und gewiß habt Ihr auch bei der Fiametti einen dienstbaren Geist. Es gibt Leute, die Euch die Stadtchronik nennen."

"Zu viel Ehre, zu viel Ehre," lachte der Kommerzienrat und schien sich ein wenig geschmeichelt zu fühlen. "Diesmal habe ich aber keinen andern Spion als den Medizinalrat selbst. Ihr müßt bemerkt haben, daß ich, ganz gegen meine Gewohnheit, nicht die ganze Straße hinauf und hinab wandle, sondern mich immer zwischen der Karls- und der Friedrichsstraße halte."

"Wohl habe ich dies bemerkt; aber ich dachte, Ihr machtet Fensterparade vor der Staatsräson Baruch."

"Geht mir mit der Baruch! Wir haben seit drei Tagen gebrochen ; meine Frau sah das Verhältnis nicht gerne, weil jene so hoch spielt. Nein, der Medizinalrat Lange kommt alle Tage um zwölf Uhr durch die Breite Straße, um ins Schloß zu gehen, und ich stehe hier auf dem Anstand, um ihn sogleich aufs Korn zu nehmen, wenn er um die Ecke kommt.

"Da bleibe ich bei Euch," sprach der Freund; "die Geschichte der Fiametti muß ich genauer hören. Ihr erlaubt es doch, Bolnau?"

"Wertester, geniert Euch ganz und gar nicht," entgegnete jener; ich weiß, Ihr speiset um zwölf Uhr —lasset doch die Suppe nicht kalt werden! Ueberdies könnte Lange vor Euch nicht recht mit der Sprache heraus wollen; kommt lieber nach Tisch ins Kaffeehaus, dort sollt Ihr alles hören. —Machet übrigens, daß Ihr fortkommt! Dort biegt er schon um die Ecke


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