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Kapitel 

Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



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Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}

3.

Lanbek irrte, als er die Freunde verlassen hatte, in den Sälen umher; seine Blicke gleiteten unruhig über die Menge hin, sein Gesicht glühte unter der Larve, und mühsam mußte er oft nach Atem suchen, so drückend war die Luft in dem Saale, und so schwer lag Erwartung, Sehnsucht und Angst auf seinem Herzen. Dichter und stürmischer drängte sich die Menge, als er in die Mitte des zweiten Saales kam; mit Mühe schob er sich noch eine Zeitlang durch; aber endlich riß ihn unwillkürlich der Strom fort, der sich nach einer Seite hindrängte, und ehe er sich dessen versah, stand er an einem Spieltisch, wo Süß mit einigen seiner Finanzräte Karten spielte. Große Haufen Goldes lagen auf dem Tische, und die neugierige Menge beobachtete den berühmtesten Mann ihres Landes und teilte sich flüsternd und murmelnd Bemerkungen mit über die ungeheuren Summen, die er, ohne eine Miene zu verändern, hingab oder gewann.

Gustav hatte den Gewaltigen noch nie so in der Nähe beobachtet wie jetzt, da er, festgehalten durch die Menge, die wie eine Mauer um ihn stand, zum unwillkürlichen Beobachter wurde. Er gestand sich, daß das Gesicht dieses Mannes von Natur schön und edel geformt sei, daß sogar seine Stirne, sein Auge, durch Gewohnheit zu herrschen, etwas Imponierendes bekommen haben; aber feindliche, abstoßende Falten lagen zwischen den Augenbrauen da, wo sich die freie Stirne an die schön geformte Nase anschließen wollte, das Bärtchen auf der Oberlippe konnte einen hämischen Zug um den Mund nicht verbergen, und wahrhaft greulich schien dem jungen Mann ein heiseres, gezwungenes Lachen, womit der jüdische Minister Gewinn oder Verlust begleitete.



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Während die Herren, von der Menge umlagert, spielten und auf irgend etwas zu warten schienen, trat ein Mann in der Kleidung eines Bauern aus der Steinlach aus den Reihen der Neugierigen; ein alter Hut auf dem Kopf, eine grobe blaue Jacke, eine rote Weste mit großen Knöpfen von Zinn, Beinkleider von gelbem Leder und schwarze Strumpfe machten sein unscheinbares Kostüm ans; aber er trug eine sehr feine, gut gemalte Larve. Er stützte sich nach Art der Landleute mit der Hand auf den fünf Fuß hohen Knotenstock, legte sein Kinn auf die Hand und sprach in gut nachgeahmtem Dialekt des Steinlachtals'

"Viel Geld habt Ihr da liegen, Herr! Und habt alles selbst verdient?"

Der Minister sah sich um und bemühte sich, über diese Maskenfreiheit zu lächeln. Vielleicht mochte ihm diese Gelegenheit erwünscht kommen, um sich ein populäres Ansehen zu geben; denn er antwortete sehr freundlich: "Guten Abend, Landsmann."

"Euer Landsmann bin ich gerade nicht," erwiderte der Bauer mit großer Ruhe; "so wie ich tragen sich gewöhnlich die Mausche nicht." unterdrücktes Lachen flog durch die Reihen der Zuschauer. Der Minister schien es aber nicht zu bemerken; denn er fuhr ganz leutselig fort:

"Du bist witzig, mein Freund."

"Gott bewahre mich, dah ich Euer Freund sei, Herr Süß!" entgegenete der Bauer. "Wär' ich Euer Freund, so ging ich wohl nicht in dem schlechten Rock und durchlöcherten Hut; Ihr macht ja Eure Freunde reich."

Nun, dann muß ganz Württemberg mein Freund sein; denn ich mache es reich," sagte Süß und begleitete seine Rede mit heiserem, unangenehmem Lachen.

"Ihr seid ein Allerweltsgoldmacher," entgegnete der Bauer. "Wie schön diese Dukaten sind! Wie viel Schweißtropfen armer Leute gehen wohl auf ein solches Goldstück:

"Du bist ein kapitaler Kerl!" rief Süss, ganz ruhig weiter spielend.

Als der Bauer zu einer neuen Rede ansetzen wollte, zog eine neue Gestalt die Aufmerksamkeit auf sich. Es war ein Mann, dessen Kostüm beinahe ebenso war wie des Bauers, nur hatte er einen langen, spitzen Bart am Kinn und trug einen Tressenrock. Der Bauer sah ihn eine Zeitlang verwundert an, schüttelte ihm dann die Hand und rief: "Ei Hans! Wo kommst du her, und so schmuck und stattlich! Gar nicht mehr wie unsereiner!

"Das macht," erwiderte Hans, indem er aus einer silbernen Jose schnupfte, "ich bin bei einem fürnehmen Herrn in Dienst getreten."



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"Wer ist denn dein Herr: fragte der Bauer.

"Ein Schinder. aber ein fürnehmer. Meinst du, er schindet gemeines Vieh, Pferde, Hunde und dergleichen? Nein, ein Leuteschinder ist er, und noch überdies ein Kartenfabrikant."

Ein Kartenfabrikant:" rief der Bauer.

"Jawohl, denn alle Karten im Lande muß man von ihm kaufen; er stempelt sie. Er ist aber auch ein Gerber."

"Wie das?"

Nun. alle Gerber im Lande müssen die Häute gegerbt von ihm kaufen. Er ist aber auch ein Prägestock.

Wie! ein Prägestock ?

"Ja, er macht alles Geld, was im Lande ist."

"Das ist erlogen," sagte der Bauer, "Du willst sagen, er macht alles zu Geld. was im Lande ist; aber darum ist er noch kein Prägestock. gibt nur einen Prägestock in Württemberg, der dem Land seinen Namenszug aufgedrückt hat.

Die Menge hatte bisher nur ihren Beifall gemurmelt; aber bei der letzten Anspielung auf die Münze brach sie in lautes Gelächter aus; die Stirne des Gewaltigen verfinsterte sich etwa:: ; aber noch immer spielte er ruhig weiter.

"Aber warum hast du dir den Bart so spildig wachsen lassen?" fragte der Bauer weiter. "Das sieht ja ganz indisch aus."

Es ist halt so Mode," erwiderte Hans, "seit die Juden Meister im Lande sind; bald will ich vollends ganz indisch werden."

Als Hans diese lesten Worte sprach, rief eine vernehmliche Stimme aus dem dicksten Haufen "Warte noch ein paar Wochen, Hans, Daun kannst du gut katholisch werden."

Wem je der schreckliche Anblick wurde. wie in einer volkreichen Straße, durch Unvorsichtigkeit oder Bedacht entzündet, eine Tonne Pulvers aufspringt, dem bot sich kaum eine so seltsame Szene dar als die, welche diese wenigen geheimnisvollen Worte hervorbrachten. Der Minister, bleich wie eine Leiche, springt vom Sessel auf, er wirft die Karten mit wütendem Blick auf den Tisch: "Wer sagt dies? Greift ihn im Namen des Herzogs!" ruft er und stürzt, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, auf die Menge; seine Genossen, nicht weniger bestürzt, aber besonnener, ergreifen seinen Arm und ziehen ihn zurück, suchen ihn zu beschwichtigen —sein dunkles Auge will sich durch die Menge bohren, um den Gegenstand seiner Wut zu fassen; die Masken murmeln unwillig und drängen sich; doch als der gefürchtete Mann seine Hand nach dem Bauer ausstreckt und ruft: "So sollst du mir für ihn haften!" da ist er plötzlich von einer drohenden )Senge umringt. "Mastenfreiheit, Jude!" hört man in dumpfen, gefährlichen Tönen; der Bauer und sein Geselle sind in einem Augenblick



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von ihm getrennt, verschwunden, und so schnell, als er vorhin umringt war, ist er wieder verlassen; denn die Menge zerstiebt, von geheimer Furcht gejagt, nach allen Seiten.

Das Gedränge riß Gustav Lanbek mit sich hinweg; seine Gedanken verwirrten sich; es war ihm noch nicht möglich, sich klar vorzustellen , was diesen seltsamen Auftritt verursacht haben könnte. So stand er einige Augenblicke in seinen Gedanken verloren, als er plötzlich seine Hand von einer andern ergriffen fühlte; er sah sich um; die Orientalin stand vor ihm,


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