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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM SANDELHOLZHÄNDLER UND DEN SPITZBUBEN

Einst lebte ein Kaufmann, der sehr begütert war und auf seinen vielen Reisen in alle Städte kam. Als er wieder einmal in eine fremde Stadt reisen wollte, fragte er die Leute, die von dort kamen, und sprach zu ihnen: ,Welche Art von Waren bringt dort hohen Gewinn?' Man antwortete ihm: ,Sandelholz; denn es wird dort teuer verkauft.' Nun legte der Kaufmann all sein Geld in Sandelholz an und reiste nach jener Stadt. Als er aber vor ihr ankam, war es gerade Abend geworden; und da begegnete ihm eine Alte, die ihre Schafe trieb. Bei seinem Anblick fragte sie ihn: ,Wer bist du, Manne' ,Ich hinein fremder Kaufmann', gab er ihr zur Antwort; und sie fuhr fort: ,Hüte dich vor den Bewohnern der Stadt! Denn sie sind ein trügerisch und diebisch Volk, und sie betrügen den Fremdling, um ihn zu übertölpeln und sein Hab und Gut zu verzehren.



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Ich gebe dir guten Rat.' Damit verließ sie ihn. Als es Morgen ward, begegnete ihm einer von den Einwohnern der Stadt, begrüßte ihn und fragte ihn: ,O Herr, woher kommst du?' ,Aus derundder Stadt'. erwiderte der Kaufmann; und der andere fragte weiter: ,Was für Waren bringst du mit dir?' ,Sandelholz,' erwiderte er, ,denn ich habe gehört, daß es bei euch großen Wert hat.' Aber der Mann entgegnete ihm: ,Wer dir den Rat gegeben hat, ist im Irrtum. Denn wir brennen unter unseren Kochtöpfen nur jenes Sandelholz, und es hat bei uns denselben Wert wie gewöhnliches Brennholz.' Als der Kaufmann diese Worte aus dem Munde des Städters vernahm, war er betrübt und bereute sein Tun; aber er schwankte noch zwischen Glauben und Unglauben. Dann stieg er in einer der Herbergen jener Stadt ab und begann Sandelholz unter seinem Kochtopf zu brennen. Als jener Mann das bemerkte, sprach er zu dem Kaufmann: ,Willst du mir dies Sandelholz verkaufen und für jedes Maß nehmen, was deine Seele nur verlangt?' ,Ich verkaufe es dir', erwiderte der Kaufmann; und der Käufer schaffte alles Sandelholz in seine Wohnung, der Verkäufer aber glaubte, ein gleiches Maß Gold dafür zu nehmen. Am nächsten Morgen wanderte der Kaufmann in der Stadt umher und begegnete einem blauäugigen Manne, der zu ihren Einwohnern gehörte und nur ein Auge hatte.' Der hängte sich an den Kaufmann und schrie ihn an: ,Du bist es, der mir mein Auge verdorben hat; nun lasse ich dich nicht mehr los!' Der Kaufmann leugnete es indem er sprach: ,Das ist nicht wahr!' Doch nun versammelten sich die Leute um die beiden und baten den Einäugigen, ihm bis zum nächsten Tage Frist zu geben, damit er



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ihm den Preis des Auges zahlen könnte. Und nachdem der Kaufmann sich einen Bürgen verschafft hatte, ließen die Leute ihn los. Dann ging er weiter; aber seine Sandalen waren zerrissen, weil der Einäugige so heftig mit ihm gerungen hatte. Nun blieb er vor dem Laden eines Schuhflickers stehen, gab ihm die Sandalen und sprach zu ihm: ,Bessere mir die aus, und ich will dir so viel geben, daß du zufrieden bist!' Auf seinem weiteren 'Wege sah er Leute, die beim Spiele waren, und setzte sich in seinem Harm und Gram zu ihnen. Sie luden ihn ein mitzuspielen. Doch sie brachten ihn dahin, daß er verlor; und nachdem sie gewonnen hatten, stellten sie ihn vor die Wahl, entweder das Meer auszutrinken oder all sein Geld herzugeben. ,Gebt mir bis morgen Frist!' sagte der Kaufmann und ging davon, betrübt über das, was geschehen war, und ohne zu wissen was aus ihm werden sollte. An einer einsamen Stätte setzte er sich nieder, indem er über seinen Kummer und Gram nachdachte. Da kam die Alte wieder an ihm vorbei, schaute ihn an und sprach zu ihm: ,Haben die Leute der Stadt dich vielleicht geprellt? Ich sehe dich in Sorgen über Dinge, die dir widerfahren sind.' Da erzählte er ihr alles, was ihm geschehen war, von Anfang bis zu Ende; doch sie fuhr fort: ,Was den betrifft, der dich mit dem Sandelholz betrogen hat, so wisse, daß ein Pfund davon bei uns zehn Dinare wert ist. Ich will dir aber einen Plan mitteilen, durch den du dich, wie ich hoffe, wieder befreien kannst, und der ist so: Geh zu demunddem Tore! Denn dort wohnt ein blinder, krüppeliger Greis, der ist klug und weise, reich an Jahren und erfahren. Alle Leute kommen zu ihm und tragen ihm ihre Fragen vor; dann rät er ihnen, was ihnen zum Vorteil dient. Er ist erfahren in Trug und Zauberei und Gaunerei; er ist ein Spitzbube, bei dem sich alle Spitzbuben des Nachts zu versammeln pflegen. Zu dem also gehe



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hin und verstecke dich so, daß du die Worte deiner Gegner hören kannst, ohne daß sie dich sehen! Denn er wird ihnen erklären, wie man prellt und wie man geprellt wird; und vielleicht wirst du von den Leuten etwas hören, das dir ein Mittel bietet, um dich von deinen Gegnern zu befreien.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 604. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte zu dem Kaufmanne sprach: ,Geh bei Nacht zudem Weisen, bei dem sich die Städter versammeln, und verbirg dich; vielleicht wirst du von ihm etwas hören, das dir ein Mittel bietet, um dich von deinen Gegnern zu befreien.' Da begab sich der Kaufmann von ihr zudem Orte, den sie ihm angegeben hatte, und verbarg sich dort, nachdem er den Scheich erblickt hatte, in dessen Nähe. Es währte nicht lange, da kam auch schon die Gesellschaft, die sich bei ihm Rat zu holen pflegte. Als sie vor ihm standen, begrüßten sie den Alten und einander und setzten sich rings um ihn nieder. Der Kaufmann sah sie sich näher an, und siehe da. er entdeckte unter denen, die gekommen waren, auch seine vier Gegner. Der Scheich setzte den Gästen etwas Speise vor, und nachdem sie gegessen hatten, begann ein jeder ihm zu erzählen, was ihm an jenem Tage begegnet war. Zuerst trat der Mann des Sandelholzes hervor und berichtete dem Scheich sein Tageserlebnis, wie er von einem Manne Sandelholz ohne festen Preis gekauft habe und wie der Handel zwischen ihnen so abgeschlossen sei, daß der Verkäufer nur ein Maß von dem erhalten solle, was er sich wünsche. ,Dein Gegner hat dich geprellt', sagte der Scheich; und der Schelm fragte: ,Wie kann er das tun?' Der Alte fuhr fort: ,Wenn er nun zu dir sagt: ,Ich will das Maß voller Gold oder Silber', wirst du ihm das geben?'



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,Jawohl,' erwiderte der andere, ,das gebe ich ihm gern; dabei gewinne ich.' ,'Wenn er aber', sprach der Scheich weiter, ,zu dir sagt: ,Ich will ein Maß voller Flöhe, zur Hälfte Männchen, zur Hälfte Weibchen'. was willst du dann tun?' Da erkannte der Spitzbube, daß er der Geprellte war. Dann trat der Einäugige vor und hub an: ,Ich habe heute einen blauäugigen Mann' gesehen, einen Fremdling; mit dein begann ich zu streiten, hängte mich an ihn und rief: ,Du bist es, der mir mein Auge geraubt hat!' Und ich ließ ihn nicht eher wieder los, als bis Leute sich für ihn verbürgten, daß er wieder zu mir kommen und mich für mein Auge gebührend entschädigen würde.' ,Wenn er dich prellen 'will, so kann er es tun!' erwiderte der Scheich; doch der Schelm fragte: ,Wie ist das möglich?' Da fuhr der Alte fort: ,Er kann zu dir sagen: ,Reiß dein Auge heraus, und ich will mir eines von meinen herausreißen; dann wollen wir die beiden wägen, jedes für sich, und wenn mein Auge das gleiche Gewicht hat wie deines, so hast du recht mit deiner Behauptung!' Dann wird er dir die gesetzliche Buße für dein Auge schulden, und du wirst ganz blind sein, während er immer noch mit seinem anderen Auge sehen kann.' Nun wußte der Spitzbube, daß der Kaufmann durch diesen Vorwand über ihn den Sieg davontragen könnte. Als dritter trat der Schuhmacher vor und sprach: ,Alterchen, ich habe heute mit einem Manne zu tun gehabt, der mir seine Sandalen zum Ausbessern brachte. Ich sagte zu ihm: ,Willst du mir meinen Lohn geben?' Er antwortete: ,Bessere sie aus, ich will dir so viel zahlen, daß du zufrieden bist !' Nun werde ich aber nur mit all seinem Gelde zufrieden sein!' Der Scheich erwiderte: ,Wenn er seine Sandalen von dir erhalten will, ohne dir etwas zu zahlen, so kann er es tun.' ,Wieso?' fragte der Schuhflicker; und der Alte fuhr



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fort: ,Er braucht dir nur zu sagen: ,Des Sultans Feinde sind in die Flucht geschlagen, und seine Gegner sind schwach geworden, seiner Söhne und Siege aber sind viele geworden! Bist du zufrieden oder nichte' Sagst du: ,Ich bin zufrieden', so nimmt er seine Sandalen von dir und geht davon. Sagst du aber: ,Ich bin nicht zufrieden', so wird er seine Sandalen nehmen und dir damit auf Gesicht und Nacken schlagen.' Damerkte der Schuhflicker, daß er verlieren könne. Schließlich trat der Mann vor, der mit ihm um die Wette gespielt hatte, und begann: ,Alterchen, ich habe einen Mann getroffen und im Spiele besiegt; dann sagte ich zu ihm: ,Wenn du dies Meer austrinkst, so trete ich dir all mein Hab und Gut ab; wenn du es aber nicht tust, so mußt du mir deine Habe abtreten.' Der Scheich erwiderte: ,Wenn er dich prellen will, so kann er es tun!' ,Wieso? fragte der Mann; und der Alte fahr fort: ,Er braucht dir nur zu sagen: ,Halte die Mündung des Meeres mit der Hand fest und reiche sie mir, dann will ich es austrinken.' Das wirst du nicht tun können, und so kann er durch diesen Vorwand deiner Herr werden.' Nachdem der Kaufmann all das gehört hatte, wußte er, wie er sich seiner Gegner entledigen konnte. Nun verließen die Leute den Alten, und der Kaufmann begab sich in seine Wohnung. Am andern Morgen kam der Mann zu ihm, der mit ihm ausgemacht hatte, das Meer zu trinken; der Kaufmann sprach zu ihm: ,Reiche mir die Mündung des Meeres, dann will ich es austrinken!' Das konnte der Mann nicht tun. So blieb der Kaufmann Sieger; und nachdem der Spieler sich durch hundert Dinare losgekauft hatte, eilte er davon. Dann kam der Schuhflicker und forderte von dem Kaufmanne das. womit er zufrieden wäre. Jener erwiderte ihm: ,Der Sultan hat seine Feinde besiegt und seine Gegner vernichtet, und seiner Söhne sind viele geworden. Bist du zufrieden oder nichte' ,Jawohl,



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ich bin zufrieden', antwortete der Schuhflicker, ließ ihm seine Schuhe ohne Lohn und ging fort. Darauf erschien der Einäugige bei ihm und forderte von ihm das Sühnegeld für sein Auge. Der Kaufmann aber sprach zu ihm: ,Reiß dir dein Auge aus, und ich will meines herausreißen. Dann wollen wir sie wägen, und wenn die beiden im Gewichte gleich sind, so hast du recht; dann nimm das Sühnegeld für dein Auge!' Da sagte der Einäugige: ,Gib mir eine Frist!' Doch dann schloß er einen Vergleich mit dem Kaufmann, zahlte hundert Dinare und machte sich davon. Zuletzt kam der zu ihm, der das Sandelholz gekauft hatte, und sprach: ,Nimm den Preis für dein Sandelholz!' ,Was willst du mir denn gebend' fragte der Kaufmann; und jener antwortete: ,Wir sind doch übereingekommen, daß es für jedes Maß Sandelholz ein Maß von etwas anderem sein solle. Wenn du willst, so nimm alles in Gold und Silber.' Aber der Kaufmann rief: ,Ich will alles nur in Flöhen, zur Hälfte Männchen und zur Hälfte Weibchen.' ,Dergleichen vermag ich nicht zu tun', erwiderte der Spitzbube; und so prellte der Kaufmann auch ihn. Denn der Käufer mußte sich durch hundert Dinare loskaufen und obendrein noch das Sandelholz zurückbringen. Nun konnte der Kaufmann das Sandelholz nach Ermessen verkaufen, erhielt den wirklichen Preis dafür und reiste von jener Stadt in seine Heimat zurück.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 605. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann, nachdem er sein Sandelholz verkauft und dafür den richtigen Preis erhalten hatte, von jener Stadt in seine Heimat zurückkehrte. —,Was aber -fuhr der Prinz fort -das Kind von drei Jahren angeht, so vernimm.


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