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Kapitel 

Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



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Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}

2.

Und war denn nicht die schöne Galene der Brüder Boisserée und Bertram , wo sie sich zuerst fanden und erkannten ? Diese gastfreien Männer hatten dem jungen Manne erlaubt, ihre Bilder so oft zu besuchen, als er immer wollte; und er tat dies, wenn er nur immer in der Mittagsstunde, wo die Galerie geöffnet wurde, kommen konnte. Es mochte regnen oder schneien, das Wetter mochte zu den herrlichsten Ausflügen in die Gegend locken, er kam; er sah oft recht krank aus und kam dennoch. Man würde aber unbilligerweise den Kunstsinn des Herrn von Fröben zu hoch anschlagen, wenn man etwa glaubte, er habe die herrlichen Bilder der alten Niederländer studiert oder nachgezeichnet. Nein, er kam leise in die Türe, grüßte schweigend und ging in ein entferntes Zimmer vor ein Bild, das er lange betrachtete, und ebenso still verließ er wieder die Galerie. Die Eigentümer dachten zu zart, als daß sie ihn über seine wunderliche Vorliebe für da:, Bild befragt hätten; aber auch ihnen mußte es natürlich aufgefallen sein; denn oft, wenn er herausging, konnte er nur schlecht die Tränen verbergen, die ihm im Auge quollen.

Großen historischen oder bedeutenden Kunstwert hatte da:: Bildchen nicht. Es stellte eine Dame in halb spanischer, halb altdeutscher Tracht vor. Ein freundliches, blühendes Gesicht mit klaren, liebevollen Augen, mit feinem, zierlichern Mund und zartem, rundem Kimi trat sehr lebendig aus dem Hintergrund hervor. Die schöne Stirne umzog reiches Haar und ein kleiner Hut, mit weißen, buschigen Federn geschmückt, der etwas schalkhaft zur Seite saß. Das Gewand, das nur den schönen, zierlichen Hals frei ließ, war mit schweren goldenen Setten umhängt und zeugte ebensosehr von der Sittsamkeit als dem hohen Stand der Dame.

"Am Ende ist er wohl in das Bild verliebt," dachte man, "wie Kalaf in das der Prinzessin Turandot, obschon mit ungleich geringerer Hoffnung; denn das Bild ist wohl dreihundert Jahre alt und das Original nicht mehr unter den Lebenden."

Nach einiger Zeit schien aber Fröben nicht mehr der einzige Anbeter des Bildes zu sein. Der Prinz von P. hatte eines Tages mit seinem Gefolge die Galene besucht. Don Pedro, der Haushofmeister, hatte die umherschreitende Schar der Zuschauer verlassen und besah



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sich die Gemälde, einsam von Zimmer zu Zimmer wandelnd; doch wie vom Blitz gerührt, mit einem Ausruf des Erstaunens, war er vor dem Bild jener Dame stehen geblieben. Als der Prinz die Galerie verließ, suchte man den Haushofmeister lange vergebens. Endlich fand man ihn, mit überschlagenen Armen, die feurigen Augen halb zugedrückt, den Mund eingepreßt, in tiefer Betrachtung vor dem Bilde.

Man erinnerte ihn, daß der Prinz bereits die Treppe hinabsteige ; doch der alte Mann schien in diesem Augenblicke nur für eines Sinn zu haben. Er fragte, wie dies Bild hierhergekommen sei. Man sagte ihm, daß es Von einem berühmten Meister vor mehreren hundert Jahren gefertiget und durch Zufall in die Hände der jetzigen Eigentümer gekommen sei.

"O Gott, nein!" antwortete er, "das Bild ist neu, nicht hundert Jahre alt; woher, sagen Sie, woher? O, ich beschwöre Sie, wo kann ich sie finden?"

Der Mann war alt und sah zu ehrwürdig aus, als da ;j man diesen Ausbruch des Gefühls hätte lächerlich finden können; doch als er dieselbe Behauptung wieder hörte, daß das Bild alt und wahrscheinlich von Lukas Cranach selbst gemalt sei, da schüttelte er bedenklich den Kopf.

"Meine Herren," sprach er und legte beteuernd die Hand aufs Herz, "meine Herren, Don Pedro di San Montanjo Ligez hält Sie für ehrenwerte Leute. Sie sind nicht Gemäldeverkäufer und wollen mir dies Bild nicht als alt verkaufen; ich darf durch Ihre Güte diese Bilder sehen, und Sie genießen die Achtung dieser Provinz. Aber es müßte mich alles täuschen, oder —ich kenne die Dame, die jenes Bild vorstellt."

Mit diesen Worten schritt er, ehrerbietig grüßend, aus dem Zimmer.

"Wahrhaftig!" sagte einer der Eigentümer der Galerie, " wenn wir nicht so genau wüßten, von wem dieses Bild gemalt ist, und wann und wie es in unseren Besitz kam, und welche lange Reihe von Jahren es vorher in C. hing, man wäre versucht, an dieser Dame irre zu werden. Scheint nicht selbst den jungen Fröben irgend eine Erinnerung beinahe täglich vor dieses Bild zu treibens Und dieser alte Don, blitzte nicht ein jugendliches Feuer aus seinen Augen, als er gestand, daß er die Donna kenne, die hier gemalt ist Sonderbar, wie oft die Einbildung ganz vernünftigen Menschen mitspielt; und mich müßte alles täuschen, wenn der Spanier zum letztenmal hier gewesen wär."


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