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Hauffs Werke

Fünfter Teil Novellen

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Sang & Co.



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Seite

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . , , , , , , {7}

Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {21}

Vertrauliches Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich . . {23}

Die Bettlerin vom Pont des Arts. . . . . . . . . . {28}

Othello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {116}

Jud Süß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . {154}

Die Sängerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . {213}

Die letzten Ritter hon Marienburg . . . . . . . . . {254}

Das Bild des Kaisers . , , . . . . . . . . . . . {306}


Einleitung des Herausgebers.

So schnell und teilweise flüchtig Hauff arbeitete, wenn er Mit der Konzeption eines Werkes selbst beschäftigt war, so bezeichnend ist doch sein Streben, sich theoretisch mit der Eigenart der einzelnen Dichtungsgattungen vertraut zu machen und diese seine Auffassung womöglich einer seiner Schöpfungen auf dem betreffenden Gebiete einzuverleiben. So findet sich in der Rahmenerzählung des "Märchen-Almanach auf das Jahr 1827" seine Ansicht über das Wesen der Märchen, beziehungsweise der den Märchen ähnlichen Geschichten, in den "Allgemeinen Bemerkungen" über Scott (vgl. H. Hofmann, S. 229 ff.) hat er sich ausführlich über den Roman, in " den letzten Rittern von Marienburg " speziell über den historischen Roman ausgesprochen, und auch über die Novelle äußert er sich bei nicht weniger als drei verschiedenen Gelegenheiten. Zunächst spricht er sich in einer Rezension der Taschenbücher auf 1828 in Nr. 92 und 94 des Literaturblattes für 1827 gegen die zu starke Produktion auf dem Gebiete der Novelle, insonderheit der sogenannten historischen, aus und wendet sich gleichzeitig gegen die allmählich zu eintönig gewordene Art Tiecks, dessen Autorität als Schriftsteller er — wie wir später sehen werden — sonst durchaus anerkennt. Der für uns in Betracht kommende Passus jener Rezension lautet: "Denn so jämmerlich ist es mit dem größten Teil der 860 Almanachsarbeiter und -arbeiterinnen beschaffen, daß jeder, der von einer unwahrscheinlichen Hexengeschichte einmal geträumt hat, jeder, der es versteht, eine Chronik mit Auslassung ungehöriger Stellen abzuschreiben und etwa seine beiden schönen Nachbarskinder hineinzufügen, sich nicht nur für einen Van der Velde oder Scott hält, sondern auch seine "historische Novelle" . d. h. sein Chronikstücklein in einem der 30 oder



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40 Almanache abdrucken läßt, die es geben soll. Damit aber keiner dieser Schwachen allzuempfindlich sich getroffen fühlte, wenn wir jetzt anfingen, z. B. dieser T. oder dieser B., so gehen wir lieber zu einem Almanach über. den solches gerade nichts angeht. Ohnedies gebührt Ludwig Tieck schon der Ehre wegen die erste Stelle. Also.

Taschenbuch für 1828, herausgegeben von L. Tieck. Berlin, Räumer.

Nach seiner genialen und doch so bequemen Weise führt uns Tieck in der ersten Novelle — doch wir schau so eben im Meßkatalog, daß dieses Taschenbuch unter den zukünftigen Schriften aufgeführt, also noch nicht fertig ist; es wäre daher höchst indiskret von uns, Tiecks Novellen, ehe sie noch gedruckt sind, rezensieren zu wollen."

Eine zweite ausführlichere Auseinandersetzung enthält die Einleitung Hauffs zur Gesamtausgabe seiner eignen Novellen, das vertrauliche Schreiben an Herrn W. A. Spöttlich, das der Überschrift sowohl als dem Tone nach an Scotts Manier erinnert (vgl. das Schreiben des Dr. Driasduft an Clutterbeck usw.). Hier spricht sich Hauff im wesentlichen über die Quellen aus, die den berühmten Dichtern " aus dem unerschöpflichen Schatz der Phantasie" fließen, während den "geringeren Sterblichen" , zu denen er sich natürlich auch rechnet, "nichts übrigbleibt, als nach einer Novelle zu spionieren." Kaffeehäuser, Restaurationen, italienische Keller, Weinstuben sind Stätten. die er zu solchem Zwecke empfiehlt, als wahre Fundgrube aber bezeichnet er Frauen, die das fünfundsechzigste hinter sich haben" , da man von ihnen "allerlei kuriose Sachen" , auch " wie es in diesem oder jenem Haus zugeht" , "galante Abenteuer von jenem ältlichen, gesetzten Herrn, der nicht immer so gewesen" , und anderes Interessante hören könnte. und er behauptet, daß er mehrere seiner Novellen . ,teils in Berlin. teils in Hannover, Kassel, Karlsruhe, selbst in Dresden eben von solchen alten Frauen. den Chroniken ihrer Umgebung, gehört und oft wörtlich wiedererzählt" habe. Wenn er dann weiterhin sagt, daß " in einer solchen miserablen Zeit," in der die "wundervolle Märchenwelt" kein empfängliches Publikum mehr findet, die lyrische Poesie nur noch von wenigen geheiligten Lippen tönen zu wollen scheint, und uns vom Drama — sagt man — nur die Dramaturgen übriggeblieben sind, die Novelle " ein ganz bequemes Ding" sei, so merkt man aus diesen Proben deutlich genug, worauf es ihm in diesem Schreiben ankommt. Er will einmal die Berechtigung der Novelle darlegen, zum andern aber seinen Werken das Gepräge



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der Glaubwürdigkeit geben, indem er selbst Namen nennt. denen er die eine oder andere Fabel verdanke. Ja, er zieht sogar eine Parallele zum historischen Roman und nimmt für seine Novellen eine gewisse geschichtliche Wahrheit in Anspruch, die ihm freilich von manchen Leuten als nicht dichterisch verdacht werde. Er weiß sich indessen darüber zu trösten und fragt gegen den Schluß seiner Darlegungen — schon im Eingange hatte er sich in Gegensatz zu den besten und berühmtesten Novellendichtern einen " geringen Burschen" genannt —: " Aber ist denn hier von echter Poesie, von echten Dichtern die Rede? Man lege doch nicht an die Erzählungen einiger alten Damen diesen erhabenen Maßstab!" So sehr diese Einleitung von Humor, Scherz, Ernst und Satire in der schon aus den "Memoiren" bekannten, Hauff eignen Weise durchseht ist, so vorsichtig man daher jeden Satz prüfen muss, so geht doch eins entschieden daraus hervor: Hauff weiß, daß er mit den meisten seiner Werke auf wirklichen realen Verhältnissen fußt, sei es nun, daß er wahre Ereignisse seiner Zeit oder ihm überlieferte sagenhafte Stoffe ausbaute und ausschmückte, sei es, daß er Personen seiner Umgebung in eine Situation seiner Phantasie einsetzte und poetische Gestalt gewinnen ließ. Es ist in der Tat interessant zu beobachten, wie scheinbar völlig belanglose Ergebnisse unseres Dichters und seines Bekanntenkreises in seinen Werken wiederkehren, wie er sie bisweilen idealisiert, nicht selten aber auch mit der Physiognomie des Alltagslebens realistisch wiedergibt. So wissen wir z. B., daß sein Freund Riecke im Winter 1825/26 als Graf von Gleichen einen Maskenball in Ellwangen besuchte. In zwei Hauffschen Novellen, im "Jud Süß" , wo die betreffenden Szenen sicherlich zu den allergelungensten gehören, und in der Sängerin" wird ein Maskenball eingeflochten, und dem Namen eines Grafen von Gleichen begegnen wir nicht nur in dem (et. Skizzen) Entwurfe "Das Fischerstechen" , sondern auch in dem ausgeführten unbetitelten Singspiele. Der Russenschuster der "Freien Stunden am Fenster" ist (cf. Hans Hofmann, S. 60) " der wegen seiner Unterschleife im russischen Kriege in Stuttgart berüchtigte Bäckermeister Rupfer, gegen den Riecke am 27. März 1827 eine Verhandlung hat." Auch der Kommerzienrat Bolnau, der Buchhändler Kaper, der Magister Bunker mögen auf Stuttgarter Persönlichkeiten zurückzuführen sein. Vor allem hat unser Dichter seinem Großvater, dem Landschaftskonsulenten Johann Wolfgang Hauff, in der Gestalt des alten Lanbeck im "Jud Süß" ein ehrenvolles Denkmal gesetzt. Den Sommer des Jahres 1825 verbrachte er mit seinen Zöglingen



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auf dem der Familie von Hügel gehörigen Schlosse Guttenberg. Die dort empfangenen Natureindrücke verdichten sich später zu den Landschaftsgemälden im "Bild des Kaisers" .

Bei weitem sachlicher und ernster als das Schreiben an Herrn Spöttlich. das man mit gutem Rechte auch als ein Schreiben des Herrn Spöttlich, als eine einzige große captatio benevolentiae betrachten könnte. ist ein dritter Exkurs, den Hauff wenige Wochen vor seinem Tode schrieb und der am 6. und 7. Dezember 1827 von A. B. (wahrscheinlich A. Böttiger) in einem . .Wilhelm Müller und Wilhelm Hauff" betitelten Aufsatze im Literaturblatte veröffentlicht wurde. Das auf unser Thema bezügliche Stück des Artikels ist das folgende: "Die Richtung, die Hauptbeschäftigung der Almanache besteht jetzt in einer sonderbaren Erzählungsweise, die sie Novelle nennen, und doch wollte ich wetten, von allen jenen, die in dieser Form sich versuchen, sind nur wenige, die über die innere Natur dieser Erzählungsart und über die Gesetze ihrer Form nachzudenken sich die Mühe nehmen. In unserer Jugend, wo wir so gerne Erzählungen von Huber, Lafontaine und anderen lasen, bestand die Hauptaufgabe und der mächtigste Reiz der Erzählung in einer guterfundenen, interessanten Geschichte: die inneren Verhältnisse mußten gut geordnet, der Faden gleichmäßig und zart gesponnen sein, und es kam darauf an, die Verirrungen oder die Höhen des menschlichen Herzens nachzuweisen, weniger wie es sich in Empfindungen und Worten, als wie es sich in überraschenden und anziehenden Verhältnissen zeigt und ausspricht. Jene Art von Erzählungen hatte noch das Angenehme, Bequeme, ich möchte sagen Kindliche des Vortrags an sich. Es wurde in der Erzählung selten gesprochen, desto mehr gedacht und gehandelt. Daher konntest du auch mit ein wenig Aufmerksamkeit und Gedächtnis eine solche Erzählung in jeder Gesellschaft in derselben Ordnung wieder vortragen, wie du sie gelesen hattest; denn sie war schon ursprünglich so geordnet und eingerichtet, wie etwa ein Reisender eine Geschichte, die sich da oder dort zugetragen, erzählen würde. Eine der trefflichsten Dichtungen dieser Art ist das Fräulein von Scudéri von Hoffmann. und die Teilnahme, womit man dergleichen Erzählungen noch immer liest, beweist mir, daß der jetzt herrschende Geschmack vorübergehend sein werde. — Hast du Tiecks Novellen gelesen?"

Einige, z. B. die Gemälde, musikalische Leiden und Freuden, Dichterleben."

Gut; könntest du sie etwa wieder erzählen, in derselben Ordnung, wie der Verfasser sie zuerst erzählte?"



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Unmöglich; zwar steht das Bild, das sie in mir zurückgelassen, hell und klar vor meiner Seele; die einzelnen Figuren, die er so scharf und bestimmt zu zeichnen wußte, leben in mir als Bekannte, die Sätze, welche durchgesprochen wurden, stehen fest in meinem Gedächtnis, und sogar von der eigentümlichen Melodie der Gespräche ist etwas in meinem Ohr geblieben, aber —dennoch wäre ich nicht imstand, einem Dritten eine Tiecksche Novelle wieder zu erzählen mit seiner Farbenpracht, sondern nur den schmalen Rahmen, der es einfaßt, könnte ich beschreiben." "Und wohl aus demselben Grunde, weil du kein Schauspiel erzählen kannst. Jene Novellen haben das einfache Gebiet der Erzählung verlassen und sich dem Drama genähert. oder um es anders zu sagen, im Gespräch entwickeln sich jetzt die Charaktere von selbst, deren Entwicklungsgang uns sonst nur angedeutet oder beschrieben, erzählt wurde. Diese Manier, in welcher sich jener Meister, der sie für sich erschaffen, mit großer Umsicht und Sicherheit bewegt, haben nun alle unsere Almanachs mehr oder minder angenommen; ; sie ist Mode geworden. Du kannst dir aber kaum denken, wie linkisch sie sich dabei benehmen. Der kleine Raum solcher Büchlein. die oft vier bis fünf Novellen enthalten sollen, gestattet jedem einzelnen nur enge Grenzen. Nun soll die Bequeme Sprachweise des größern Romans in diesen Novellen mit kurzer scharfer Zeichnung der Charaktere verbunden werden ; auf achtzig Seiten soll nicht nur viel geschehen, sondern auch vieles wörtlich verhandelt werden, man will nicht von dem Autor sich erzählen lassen, Hans und Kunz haben dies oder jenes getan, sondern Hans soll es Kunzen aussprechen, was er gedacht, und Kunz soll diesen Ausspruch anfechten, fortsenden und also seinen Charakter zeigen. Bei diesem allen soll die Novelle noch die innere Einheit der Teile, die Rundung und den gleichmäßigen, sichern Gang der früheren Erzählung haben."

"Und dies verstehen alle jene zweihundert Novellisten?"

"Ach, das gerade ist ja der Jammer, daß sie sich nicht darauf verstehen, jene Forderungen zu befriedigen, und dennoch Novellen schreiben!"

An allen angeführten Schwierigkeiten, worunter selbst die Besseren erliegen, haben unsere Novellenschreiber nicht genug. Seit Sir Walter auf dem Dudelsack historische Romane vorspielte, zwitschern auch die Deutschen diese Melodie. und die Mode will. daß auch die Novellen historisch-romantisch sein sollen. So muß nun in den engen Raum einer solchen Novelle auch ein Stück der Welthistorie oder der Chronik gespielt werden, und die redenden Figuren, die den armen Novellisten ohnedies Mühe genug



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machen, müssen auch noch historische Leute sein und in dem gehörigen Kostüme auftreten.

"Welch jämmerliches Treiben!" rief ich. "Warum ahmen denn alle jene Herren und Frauen nur fremde Formen nach, statt ihren Ruhm in Natürlichkeit, in Neuheit der Erfindung, in Originalität des Entwurfs und der Zeichnung zu suchen?"

In mehrfacher Beziehung sind diese Betrachtungen Hauffs aufschlussreich. Sie zeigen deutlich, worin für ihn die wesentlichen Momente im Begriffe der Novelle liegen, sie lehren aber auch, wie er den Wandel, den diese Form im Laufe der Jahre erfahren hatte, sachgemäß erkennt und beurteilt. Beachtenswert scheint auch seine Stellung 3u Tieck, zu dem er übrigens mit aufrichtiger Hochachtung emporblickt; hat er ihn ja ein halbes Jahr früher um Rat gefragt, ob es rätlich sei, mit dem geplanten Romane über die Kämpfe in Tirol im Jahre 1809 anzufangen. "Ich fühle," schreibt er am 30. März 1827 an Tieck, " in mir ein Bedürfnis nach Trost und Ermunterung zu diesem Werk, und lieber lasse ich das Bild in seinen ersten Umrissen, als daß ich es ohne Ihre Zustimmung beginne. Diese Bitte um ein paar Zeilen guten Rats könnte sonderbar und lästig erscheinen, wenn es nicht von alten Zeiten her Sitte gewesen wäre, daß die Jünger ihre Meister um Rat fragten. Auf das Urteil öffentlicher Kritik, wie sie gewöhnlich heutzutage betrieben wird. darf ich um so weniger hören, da sie mir zuweilen ohne Grund schmeichelte, mich zu verwunden suchte, ohne mir meine Blößen anzudeuten. Ich wünsche, Sie möchten versichert sein, daß mich zu diesem Brief, welchen ich zu schreiben einige Tage zauderte, nur ein offenes redliches Herz und jene Bewunderung, jenes ehrfurchtsvolle Zutrauen bereden konnten, womit ich bin . . ." Wenn sich Hauff trotz alledem in dem vorher zitierten Artikel über die Tieckschen Novellen zwar nicht gerade abfällig, aber doch skeptisch ausspricht und er dessen Manier als dem Drama zu stark angenähert auffaßt , so bringt er eben damit seine ehrliche, subjektive Meinung zum Ausdrucke, die auszusprechen sein gutes Recht war, um so mehr, als mit der erweiterten Kenntnis Tieckscher Werke eine veränderte Beurteilung —der allgemeinen Verehrung unbeschadet — recht wohl möglich wurde. Der letzte Abschnitt der Hauffschen Ausführungen, in dem er von der Verwendung geschichtlicher Elemente in der Novelle redet, muss wieder mit großer Vorsicht behandelt werden. Fast könnte es darnach scheinen, als ob er, der selbst einen "Lichtenstein" verfaßte, der sich mit der Absicht trug, die Freiheitskämpfe der Tiroler dichterisch zu verherrlichen ein Gegner des historischen Prinzips in der Erzählung sei, was



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natürlich völlig in Widerspruch zu der Ansicht steht, die er in "den letzten Rittern von Marienburg" äußerte.

Außer dem in die "Memoiren" verflochtenen "Fluch" hat Hauff in Summa sechs Novellen verfaßt, die er zunächst in verschiedenen Zeitschriften und Almanachen veröffentlichte. Als erste erschien in den Nummern 66 —76 der "Abendzeitung" von 1826 sein "Othello" , dessen Entstehung aber noch dem Jahre 1825 angehört. Möglicherweise liegen die ersten Anregungen dazu, die auf Stuttgarter Eindrücken beruhen, noch etwas weiter zurück, wie der Brief zu erkennen gibt, den Hauff Weihnachten 1825 bei übersendung des genannten Werkes an Theodor Hell, den Herausgeber der Abendzeitung, richtet, und worin es heißt: "Ich bin, wie aus anderen Arbeiten zu ersehen, nichts weniger als Fatalist, was man aus dieser Erzählung vielleicht folgern kann; ich habe das Faktum (dem einige wirkliche Fälle zugrunde liegen) zweifelhaft hingestellt und dem Leser überlassen, was er davon denken mag ; habe den Stoff aber doch nicht unbearbeitet liegen lassen wollen, da ich in der Tat einiges Interesse daran gehabt." Weshalb sich hier der Dichter ausdrücklich dagegen verwahrt, von den Schicksalsdramen seiner Zeit beeinflußt zu sein, wofür der Othello" doch zweifellos spricht, ist nicht recht einzusehen. Deutliche Anklänge zeigen sich (cf. H. Hofmann S. 69) an Hoffmanns "Don Juan" , namentlich am Eingange und am Schlusse. Beide Werke setzen — natürlich unter ganz verschiedenen Verhältnissen — mit einer Don Juan-Aufführung ein, und Hoffmanns letzter Satz "Signora ist heute morgens punkt zwei Uhr gestorben" zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit Hauffs Schlußworten: "Sie starb —acht Tage nach Othello." Immerhin hat hier — glaube ich — mehr der Zufall als die Absicht gewaltet.

Im "Morgenblatt" für 1826, Nr. 276 —305 ist die zweite hierhergehörige Arbeit Hauffs "Die Bettlerin vom Pont des Arts" abgedruckt. Als Veranlassung dazu kommt vielleicht jenes innerhalb der Novelle selbst verwertete Bild aus der Gemäldegalerie der Brüder Boisserée in Frage, dessen Kopie des Dichters Heim später schmückte; möglicherweise hat auch die verschleierte Engländerin das ihre dazu beigetragen, deren er von Paris aus in seinem Berichte über das Auftreten der Demoiselle Sonntag an der dortigen italienischen Oper (et. H. Hofmann, S. 243) mit folgenden Worten gedenkt: "Die schöne Engländerin, eine Dame, die sich alle Abende verschleiert auf den Boulevards sehen ließ, hatte Hunderte herbeigelockt; man hatte die Grazie ihrer Bewegung , die Majestät ihres Ganges, das wunderschöne Seiden



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zeug ihres schottischen Kleides, den reichen geschmackvollen Faltenwurf ihres Schleiers bewundert, gepriesen, durchgesprochen, es kamen sogar viele Damen nur dieser Erscheinung wegen auf die Boulevards, und die Stuhl-Vermieter machten große Geschäfte in Sous. Aber auch diese blendende Erscheinung ging vorüber. und nachdem man einige Abende sich damit unterhalten hatte, zu fragen: "Weiß noch niemand, wer sie ist? Wo wohnt sie? Hat sie Equipage?" usw. —fehlte es wieder an einem interessanten Stoffe, und nur hin und wieder tauchte noch der Name des Stutzers auf, der in der Ekstase auf der Stelle den Stuhl gekauft hatte, auf welchem einmal die verschleierte Dame sich niedergelassen." Recht beachtenswert ist endlich die übereinstimmung des Hauptmotives der "Bettlerin" mit Georg Neinbecks Schwärmerin" (vgl. Euphorion IV, 319 ff. "Reinbeck als Vorbild von Wilhelm Hauff," von Ernst Müller, Tübingen). In der Erzählung Reinbecks handelt es sich gleichfalls um ein junges Mädchen, das, auf die Mildtätigkeit fremder Menschen angewiesen, hilflos ihrem Schicksale überlassen ist. Zwei Tage schon hat sie nichts gegessen, da geht sie nachts auf die Straße, um ihren Unterhalt zu gewinnen. Sie begegnet einem jungen Deutschen. Er kommt von einem seiner Freunde, bei dem ihn ein unterhaltendes Gespräch bei einem Glas Punsch bis gegen zwölf Uhr gefesselt hielt. Ganz ähnlich erzählt Fröben in der "Bettlerin" . daß er eines Abends, " es mochte nach elf Uhr sein," auf dem Rückwege von der Wohnung eines Freundes begriffen war, " wo wir oft noch bis tief in der Nacht vom Vaterlande, von Frankreich, von dem, was wir gesehen, von allem möglichen plauderten." Bernhard, so heißt bei Reinbeck der edelmütige junge Mann, berichtet nun Weiter: "Stille vor sich her ging ein Mädchen von hoher, edler Gestalt. Ihr ganzer Anstand trug ebensosehr das Gepräge der Sittsamkeit, als er bei den übrigen Nymphen der Themse das entgegengesetzte Gepräge trug, ihr Anzug war fest und bescheiden. Ihre Erscheinung zog mich unwillkürlich an ; ich ging langsamer und wartete, daß sie mich anreden sollte. Vergebens! Ein schüchterner Blick war alles, was mir zuteil wurde . . . Da redete ich sie an und fragte, ob ich sie nach Hause bringen sollte. Sie schrak zusammen, als sie meine Stimme hörte, und doch schien sie meine Anrede erwartet zu haben; denn sie lispelte mir zu: ,Wenn Sie die Güte haben wollen.' . . . Ich bot ihr den Arm. Sie lehnte sich so leise darauf, als schiene er ihr eben keine der zuversichtlichsten Stützen, und ich fühlte, wie ihr Arm zitterte. ,Ist Ihnen nicht wohl?' fragte ich besorgt. ,Es ist etwas kühl'. war ihre ganze Antwort. und kaum, daß ich noch die Anzeige



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ihrer Wohnung herausbringen konnte." Es kann wohl kein Zweifel darüber sein, daß Hauff diese Erzählung Reinbecks gekannt hat; doch verliert sein eignes Werk dadurch keineswegs an Wert. Im Gegenteil, es ist vielmehr wieder ein Beispiel dafür, wie er ein in den Grundzügen vorgezeichnetes Motiv in durchaus origineller Weise umzubilden und für seine Zwecke auszubauen, zu vertiefen und zu ergänzen verstand; gehört ja gerade "Die Bettlerin vom Pont des Arts" zu den Novellen, die infolge der äußerst spannenden Fabel — die Vorlage kann sich damit nicht im entferntesten messen — und wegen der kräftigen Realistik auch heute noch gern gelesen werden.

Nicht auf derselben Höhe steht "Die Sängerin" . Sie wurde im "Frauentaschenbuch" für 1827 veröffentlicht, aber schon 1826 konzipiert, und der Umstand, daß sie motivlich wie stilistisch stärker als alle übrigen Novellen Claurenschen Einfluß zeigt, macht es sogar wahrscheinlich, daß — wenn nicht die wirkliche Ausführung, so doch mindestens der erste Entwurf — in die Zeit vor der Reise nach Paris, also vor den ersten Mai, zu setzen ist. Ob, wie H. Hofmann vermutet, die Abfassung dieser Erzählung mit dem Schicksale der gefeierten Friederike Primavesi in Zusammenhang steht, ist nicht endgültig festzustellen. Sicherlich aber hat "Die Sängerin" vielfache Berührungspunkte mit Claurens "Christpüppchen" . (cf. Günther Koch " Claurens Einfluß auf Hauff.") Bei Clauren wird Doralice, in Deutschland später Lidschen genannt , von ihrem eigenen Oheim aus purer Habgier an den als Wollüstling bekannten Lord Harald verkauft. Auch bei ihm entflieht das Opfer, es wird aber nicht erzählt, ob, beziehentlich in welcher Weise sich der um seine Beute betrogene Oheim zu rächen versucht. Hauff führt erst durch die Fortbildung der Claurenschen Episode, dadurch, daß den Missetäter der Arm der Gerechtigkeit noch ereilt, das Motiv zu einem einigermaßen befriedigenden Abschlusse, wenn uns auch gewisse Allgemeinheiten wie "Er mußte sich gestehen, daß er selten einen so schönen Kopf, ein so liebliches Gesicht gesehen hatte; ihre Züge waren nichts weniger als regelmäßig, und dennoch übten sie durch ihre Verbindung und Harmonie einen Zauber aus, für welchen er lange keinen Grund wußte; doch dem psychologischen Blicke des Medizinalrates blieb dieser Grund nicht verborgen; es war jene Reinheit der Seele, jener Adel der Natur. was diese jungfräulichen Züge mit einem überraschenden Glanz von Schönheit übergoß" oder Sätze wie "Ihre Töne klangen schmelzend und süß wie die Klänge der Flöte" nicht recht behagen wollen. "Die Sängerin" ist eins der wenigen Werke Hauffs, von denen sich in



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seinem Nachlasse ein Entwurf vorfand. H. Hofmann veröffentlicht ihn S. 257/58 mit folgendem Wortlaute

Josephine wird von teutschen Aeltern in einer kleinen Stadt des Elsaß erzogen, ihr Vater ist Musiklehrer. Ein ihr fürchterl. Mann kommt alle Jahre, ihr Vater ist ihm Geld schuldig. D(ie) Schulden wachsen. Er macht Handel mit Mädchen und verk(au)ft s(ein)e Tochter. Man sagt ihr, man wolle sie in ein Institut bringen. Ankunft in Paris. s(ie) bekommt 1 Zettel worinn si (e) gewarnt wird sie seye in schlechten Händen. Flucht mit einem deutschen Gesandten. Sie wird Sängerinn, Verhältniß zu dem jungen —. Der Vater wird es nie zugeben. Der böse kommt, siehet sie, sucht sie auf und sucht sie zu tödten. Die Polizei legt sich darein. sie behauptet ihn an der Maske zu erkennen. D hie) Redoute. Sch —lpried wählt s(ich) e(in) sch(önes?) Kostüm; er wiro gefangen. Sacktuch mit eigener Parfümerie. Der Arzt wird zu einem Kranken geholt. Der Wirth sagt er sey schon längst tot. D (er) Kranke verlangt ein Sacktuch. Ahnl. Stoff und Parfüm. Er wird befragt, gesteht. Der alte und junge Schulpried kommen dazu; er stirbt und hinterläßt bedeutendes Vermögen. heurathsanzeige im hamb(urgischen) Correspondenten."

An tatsächlich geschichtliche Vorgänge innerhalb Stuttgarts, beziehungsweise Württembergs, schließt sich "Jud Süß" an, der in den Nummern 152 —182 des Morgenblattes für 1827 erschien. Schon frühzeitig interessierte sich Hauff bekanntlich für die politischen Verhältnisse seines Vaterlandes, und da er während der Blaubeurer Zeit nicht viel von den Ereignissen in der Hauptstadt erfuhr. mußte ihm sein Freund Riecke nicht selten ausführlich Bericht erstatten. So lesen wir z. B. unterm 14. Juni 1820: "Von den Landständen, sagst Du, hätte ich Dir schreiben sollen, allein das konnte ich bis jetzt nicht; denn seit der Vakanz erhaschte ich nur einmal ein Billett und außer, was Du, wie ich, in der Zeitung liesest, erfuhr ich weiter nichts. In den letzten acht Tagen aber war mir das Glück günstiger, indem ich so glücklich war, nicht weniger als 4 Sitzungen in dieser Zeit anzuwohnen und zwar sehr wichtigen über die Steuerverwilligung. Ich habe Darin mehrere Bemerkungen gemacht, die ich dir mitteilen will. Was mir vorzüglich auffiel, ist das Benehmen des Präsidenten. Anstatt daß dieser, wie z. B. in Frankreich, sich einzig und allein auf die Leitung der Debatten beschränkt, ohne selbst daran teilzunehmen, spricht er sagt so viel, als alle anderen Stände miteinander; seine Klingel, die er dazu hat, um, wenn mehrere durcheinander sprechen, Stille zu gebieten und zu entscheiden, wein das Wort als dem zuerst Sprechenden gebühre, braucht er



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(zuweilen, wenn selbst nur einer spricht) bloß dazu, sich selbst das Wort zu verschaffen; gegen den größten Teil der Abgeordneten (einige ausgenommen) beträgt er sich auffallend barsch und übermütig; Gegenstände, wobei er befürchtet, sie möchten heftigen Widerspruch finden, verschiebt er aufs Ende, weil er dann hofft, die bereits ermüdeten und auch hungrigen Stände werden sie in der Schnelligkeit bewilligen; und leider täuscht er sich selten in dieser Hoffnung. Hätte dieser Mann vollends einen starken Anhang in der Kammer, dann stände es schlimm. allein nicht selten fällt er gänzlich durch. . . ." —Jedenfalls hat Hauff über die Person des Finanzministers Süss-Oppenheimer schon in den Knaben- oder Jünglingsjahren von den Angehörigen seiner Familie mancherlei sprechen und erzählen hören, grenzte doch der Garten des ehemaligen Ministers an das Grundstück in der Keilstraße an, das des Dichters Großvater, der Landschaftskonsulent Johann Wolfgang Hauff, einst bewohnte. In technischer Hinsicht gehört "Jud Süß" nicht zu den besten Arbeiten Hauffs. Die Verbindung des historischen und phantasiemässigen Materials gelang ihm hier nicht so mühelos als im ",Lichtenstein" , wie z. B. der Beginn des 15. Abschnittes: " Es würde unsere Leser ermüden , wollten wir sie von dem Prozeß des Juden Süß noch länger unterhalten," deutlich zeigt. Außerdem kommen die beiden Hauptpersonen, die geschichtliche wie die erdichtete, in nur zu wenig Szenen zu wirklicher Geltung, und das Verhältnis des jungen Lanbeck zur liebenswürdigen. bemitleidenswerten Lea ist fast nur skizziert.

Glücklicher in der Verwendung geschichtlichen Stoffes ist die Novelle, die im Frauentaschenbuch für 1828 erschien und den Titel "Die letzten Ritter von Marienburg" trägt. In ihr sind eigentlich zwei Romane miteinander verflochten. Die wirklich geschichtlichen Elemente werden nun angedeutet, doch so geschickt und spannend, daß man an einzelnen Steilen bedauert, keine ausführlichere Darstellung zu hören. Für Hauff waren sie indessen nur Nebenzweck; sie dienten lediglich dazu, eine kritische Beleuchtung der literarischen und gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit zu ermöglichen. Bis zu einem gewissen Grade ist sie ihm gelungen, und Figuren wie der alte Magister Bunker und der Buchhändler Kaper tragen ebenso wie die Episode im Entenzapfen offenbar das Gepräge voller Lebenswahrheit. Für des Dichters Art bezeichnend ist der Gegensatz, der zwischen der Selbstrezension seines Werkes im "Morgenblatt" und den innerhalb der Novelle selbst ausgesprochenen Ansichten über den historischen Roman zu bestehen scheint, der sich aber löst, wenn man



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bedenkt, in welcher Absicht jene Rezension abgefaßt wurde. Sie lautet

"Die letzten Ritter von Marienburg," Novelle von W. Hauff. Auch wieder eine Novelle, doch gottlob keine historische, wie wir beim ersten Anblick geargwohnt hatten. Lieber wäre es uns gewesen, wenn Herr Hauff seinen Stoff, wie es im ersten Kapitel geschieht, durchaus zu einer Satire der historischen Romane, nicht aber zu einer ziemlich unnötigen Belobung derselben benützt hätte. Auch ist es nicht sehr bescheiden, daß der Herr Verfasser den Roman, die letzten Ritter von Marienburg, so oft als trefflich und unvergleichlich schildert, da er doch selbst es ist, der die Skizze davon entworfen hat.

"Die letzten Partien der Novelle sind abgerissener und eilender als die ersten und verfehlen dadurch den Charakter der besonnenen Ruhe und Rundung, den die Novelle haben soll. Herr Hauff scheint sich zwar diesmal in Hinsicht auf Sprache und Anordnung mehr Mühe gegeben zu haben. als im vorjährigen Frauentaschenbuch; aber auch hier sind die Figuren nur skizziert, flüchtig angedeutet und gelangen somit nicht zu echterm, farbigerem Leben. Das Motiv, aus welchem Fräulein Elise den Dichter Palvi aufgibt, ist. wenn ein natürliches, doch jedenfalls kein poetisches."

In gewissem Sinne historisch ist auch die letzte der Hauffschen Novellen, "Das Bild des Kaisers" , im "Taschenbuch für Damen" 1828 veröffentlicht. Hier läßt der Dichter nicht geschichtliche Gestalten selbst auftreten und handeln, sondern es liegt ihm daran, verschiedene Meinungen über die Person Napoleons zum Ausdruck zu bringen, deren Vertreter zu einander in Beziehung zu setzen und schließlich zu versöhnen. General Willi, der begeisterte Verehrer des großen Kaisers, darf wohl mit Recht als das Porträt des Kriegsratspräsidenten von Hügel aufgefaßt werden, der jedenfalls viel von Napoleon zu erzählen wußte. da er längere Zeit in dessen Umgebung gelebt hatte, und im Hügelschen Hause hat sich unserem Dichter jedenfalls das gesamte Milieu zum . "Bilde des Kaisers" aufgetan. Ausführlich wird in dieser Novelle in der Person Rantows und des jungen Willi eines weiteren Gegensatzes gedacht. den wir bereits in den ",Memoiren" berührt finden, des Unterschiedes zwischen nord- und süddeutscher Art. Es hat den Anschein. als ob Hauff, von berechtigtem Lokalpatriotismus geleitet, dem jugendlichen, gegen die Schwaben offenbar voreingenommenen Rantow die Vorzüge seiner süddeutschen Landsleute zu stark zu Gemüte führte; man darf indessen nicht ungerecht sein und muß bedenken, daß er andrerseits auch mit herben Urteilen



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über sein eignes engeres Vaterland nicht zurückhält, wenn er z. B. innerhalb der "Letzten Ritter von Marienburg" (S. 284, 28ff.) Palvi sprechen läßt: "In meinen Augen bist du entschuldigt, guter Magister, durch deine Erziehung und die Art deines Vaterlandes. Wer hat sich dort deiner Zeit um einen Geist, wie der deine war, gekümmert? Was hat man für einen Mann getan, der nicht in die vier Kardinaltugenden, in die vier Himmelsgegenden der Brotwissenschaft, in die vier Fakultäten paßte? Haben sie ja sogar Schiller zwingen wollen, Pflaster zu streichen, und Wieland floh in das Land der Abderiten, weil es dort keinen Saum für ihn gab als den Posten eines Stadtschreibers, den er freilich so schlecht als möglich ausgefüllt haben möchte." Ganz zweifellos beherrscht unseren Dichter ein stark nationaler Zug, und daß er dir Gebrechen seiner Zeit in nationalpolitischer Beziehung klar erkannte, dafür zeugen seine Worte im "Bild des Kaisers" : O Deutschland, Deutschland, da sieht man, wie dein Elend aus deiner eigenen Zersplitterung hervorgeht! Sie wollen nicht mehr Griechen, sondern Platäer, Korinther, Athener, Thebaner und gar — Spartaner heißen!"

Im Sommer 1827 bereitete Hauff eine Gesamtausgabe der bis dahin einzeln erschienenen Novellen vor, verfaßte auch schon die Einleitung dazu, da: bekannte Schreiben an Herrn Spöttlich ; doch war es ihm nicht beschieden, das Werk zu vollenden. Erst nach seinem Tode erschienen "Novellen von Wilhelm Hauff. 3 Teile. Stuttgart bei Gebrüder Franckh. 18 28," und zwar enthielt der 1. Teil: die Einleitung, "Die Bettlerin vom Pont des lit:" und "Othello" , der 2. Teil "Jud Süss" und . ,Die Sängerin" , der 3. Teil: "Die letzten Ritter oon Marienburg" und . ,Das Bild des Kaisers" .

Überblicken wir zum Schlusse Hauffs gesamte novellistische Tätigkeit, so läßt sich außer der schon früher erwähnten stark realistischen Tendenz eine weite Tatsache feststellen: Alle seine Arbeiten bewegen sich innerhalb einer bestimmten, ziemlich eng begrenzten Bahn. Mancherlei Motive treten mehrfach auf. So steht in zweien seiner Novellen ein Bild im Mittelpunkte, auch der Traum, dessen Ende der Wirklichkeit entspricht (cf. Lichtenstein, Einleitung des Herausgebers) kehrt wieder. Infolge einer Verwechslung erhält im Othello" der Major, im "Bild des Kaisers" Rantow einen Brief zugesteckt, der für eine andere beteiligte Person bestimmt war, in den letzten Rittern von Marienburg" wird Palvis Unglück dadurch herbeigeführt, daß ihn Elisens Dienstmädchen mit dem Dr. Zündler verwechselt. In fast allen Werken finden sich Exkurse über literarische, politische oder gesellschaftliche Fragen, viele



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verraten eine ausgesprochene Vorliebe für das Soldatische. In ähnlicher Weise sind bezüglich des Charakters der eingeführten Personen sich mehrfach wiederholende Eigentümlichkeiten bemerkbar, welche die einzelnen Figuren zu Typen stempeln. So kann der Regisseur im "Othello" recht wohl neben den altmodischen Magister Bunker gestellt werden, Fröben neben Rempen und den jungen Lanbeck, dessen Vater neben General Willi und den alten Tierberg. Noch einförmiger gestaltet sich die Darstellung weiblicher Charaktere. In fast jeder Novelle kommt nur eine einzige Vertreterin des weiblichen Geschlechts zur Geltung, die übrigen sind — wie im "Othello" oder "Jud Süß" — lediglich Staffage und ohne irgend welche innere Bedeutung; aber selbst diese eine Gestalt ist nicht Saftig genug herausgearbeitet, ein Fehler, den schon Maria im "Lichtenstein" zeigte, und der psychologisch in der Jugend des Dichters und dem damit Hand in Hand gehenden Mangel an Erfahrung, an Menschenkenntnis begründet ist. Trotzdem zeigen seine Novellen einen Zug, den sie mit seiner übrigen Produktion gemeinsam haben und der ihre Bedeutung auch für die Zukunft erhalten wird : das frische, Lebendige, Ansprechende im Tone, den raschen, entschlossenen Fortschritt. Außerdem macht sich — wenn auch keins seiner Werke die höchste Höhe erreichte doch immerhin innerhalb der sechs Novellen ein für die kurze Zeit der Entwicklung anerkennenswerter Fortschritt bemerkbar, und die Vermutung liegt in der Tat nahe, daß uns Hauff. sobald er nur erst größere Reife erlangte und in ein ruhigeres Fahrwasser geriet, noch köstlichere Proben seines Könnens und Strebens beschert hätte.


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