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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM PRINZEN BAHRAM UND DER PRINZESSIN ED-DATMA

Es war einmal, o König, eine Prinzessin, die zu ihrer Zeit nicht ihresgleichen hatte an Schönheit und Lieblichkeit, an des Wuchses Ebenmäßigkeit, an Anmut und Versonnenheit und an verführerischem Reize zu der Männer Herzeleid. Sie pflegte auch zusagen: ,Mir ist keine gleich zu meiner Zeit!' Die Söhne der Könige freiten um sie, doch sie wollte keinen von ihnen annehmen. Ihr Name aber war ed-Datma. Sie sagte: ,Mich soll keiner zum Weibe haben, es sei denn, er überwinde mich mit Schwert und Lanze auf offenem Feld im Waffentanze. Wenn einer mich besiegt, so will ich mich freudigen Herzens mit ihm vermählen; besiege ich ihn aber, so will ich ihm sein Roß, seine Waffen und seine Rüstung abnehmen und ihm auf die Stirn schreiben: Dies ist ed-Datmas Freigelassener!' Die Söhne der Könige kamen zu ihr von nah und fern; aber sie besiegte sie und beschämte sie, nahm ihre Waffen und brannte ihnen mit Feuer das Zeichen ein. Nun hörte von ihr auch der Sohn eines Königs der Perser, des Namens Bahrâm. Der zog zu ihr aus weiter Ferne, indem er viel Geld, Rosse und Mannen und königliche Schätze mitnahm, bis er ihr Land erreichte. Und wie er dort ankam, schickte er ihrem Vater ein kostbares Geschenk. Der König ritt ihm entgegen und empfing ihn mit



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den höchsten Ehren. Dann ließ der Prinz dem König durch seine Wesire die Botschaft überbringen, daß er um seine Tochter freie. Doch der König ließ ihm sagen: ,Mein Sohn, was meine Tochter ed-Datma betrifft, so habe ich keine Macht über sie; denn sie hat sich selbst einen Eid geschworen, sie wolle sich nur dem Manne vermählen, der sie auf offenem Plan überwinde.' Der Prinz erwiderte: ,Ich bin nur mit diesem Ziele von meiner Stadt hierher gereist!' Darauf ließ der König antworten: ,Morgen sollst du dich mit ihr messen.' Am nächsten Tage schickte der König zu ihr und entbot sie zum Wettkampfe. Als sie die Botschaft vernahm, rüstete sie sich zum Streit, legte ihren Harnisch an und ritt auf den Plan; auch der Prinz zog hinaus, ihr entgegen, zum Kampfe entschlossen. Und wie das Volk davon hörte, strömten die Menschen von allen Seiten herbei, um jenen Tag mitzuerleben. Da sprengte ed-Datma heran, gepanzert, gegürtet und mit herabgelassenem Visier. Und der Prinz trat ihr entgegen, prächtig anzuschauen, in wehrhaftem Waffenschmuck und vollendeter Rüstung. Sie drangen aufeinander ein und tummelten sich lange im heißen Kampfe. Da erkannte die Prinzessin in ihm einen kühneren und geübteren Ritter, als sie bisher je gesehen hatte, und sie fürchtete, er würde ihr vor allem Volke eine schmähliche Niederlage bereiten; und als sie sicher wußte, daß er ihr überlegen war, beschloß sie, ihn zu überlisten. Und alsbald führte sie ihren Plan aus und hob das Visier von ihrem Antlitz, und siehe, das leuchtete heller als der volle Mond. Wie der Prinz das sah, ward er verwirrt, seine Kraft erlahmte, und sein Mut verließ ihn. Und kaum hatte die Prinzessin das an ihm bemerkt, so stürzte sie sich auf ihn und hob ihn aus dem Sattel, so daß er in ihrer Hand gleich einem Sperling in den Fängen des Adlers war; er aber war so von ihrer Gestalt geblendet,



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daß er nicht wußte, wie ihm geschah. Darauf nahm sie ihm Roß und Waffen und Rüstung ab, brannte ihm das Feuerzeichen ein und hieß ihn seiner Wege gehen. Als er aber aus seiner Betäubung erwachte, blieb er tagelang olme Essen, ohne Trinken, ohne Schlaf; so sehr war er erregt, und so tief war sein Herz von der Liebe zu der Prinzessin ergriffen. Dann entsandte er einen seiner Sklaven zu seinem Vater mit einem Briefe. in dem er ihm schrieb, er könne nicht eher heimkehren, als bis er seinen Wunsch erreicht habe oder gestorben sei, ohne die Prinzessin zu gewinnen. Als dies Schreiben seinen Vater erreichte, war er in Sorge um ihn, und er wollte ihm Truppen und Krieger senden; doch die Wesire rieten ihm davon ab und ermahnten ihn zur Geduld.

Inzwischen aber sann der Prinz auf eine List, um sein Ziel zu erreichen. Er verkleidete sich in die Gestalt eines hinfälligen Greises und begab sich zu dem Garten der Prinzessin, in dem sie die meisten ihrer Tage zu lustwandeln pflegte. Dort suchte er den Gärtner auf und sprach zu ihm: ,Ich bin ein Fremdling aus fernem Lande, und seit meiner Jugend bis auf den heutigen Tag habe ich so gut das Land bestellen und die Pflanzen und Blumen pflegen können, daß niemand mir darin gleichkommt.' Wie der Gärtner das hörte, war er aufs höchste erfreut, führte ihn in den Garten und empfahl ihn seinen Leuten. Darauf begann der Prinz seinen Dienst, pflegte die Bäume und verbesserte ihre Früchte. Während er nun damit beschäftigt war, kamen eines Tages Sklaven in den Garten und führten Maultiere mit sich, die mit Teppichen und Gefäßen beladen waren. Er fragte sie, was das bedeute, und sie antworteten ihm: ,Die Tochter des Königs will sich in diesem Garten ergehen.' Da eilte er fort und holte die Schmucksachen und die Gewänder, die er aus seiner Heimat mitgebracht hatte. Er brachte sie



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in den Garten, setzte sich dort nieder und breitete einiges von jenen Kostbarkeiten vor sich aus, indem er fortwährend zitterte und so tat, als ob das von Altersschwäche herrühre. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 598. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der persische Prinz, nachdem er sich, als hochbetagter Greis verkleidet, in den Garten gesetzt hatte, die Schmucksachen und Gewänder vor sich ausbreitete und so tat, als ob er vor hoher Altersschwäche zittere. Nach einer Weile kamen die Dienerinnen und die Eunuchen mit der Prinzessin in ihrer Mitte, wie der Mond unter den Sternen. Als die nun weiterschritten und im Garten umherwandelten, die Früchte pflückten und sich ergingen, da sahen sie plötzlich unter einem der Bäume einen Mann sitzen; sie liefen auf ihn zu - es war zwar der Prinz -, doch wie sie ihn anschauten, war es ein hochbetagter Greis, der an Händen und Füßen zitterte, und vor ihm lagen Kostbarkeiten und königliche Kleinodien. Als sie das sahen, wunderten sie sich darüber und fragten ihn, was er mit diesem Schmucke tun wolle. Er antwortete ihnen: ,Für diese Schmucksachen will ich eine von euch zur Frau nehmen.' Da lachten sie ihn aus und fragten weiter: ,Wenn du dich vermählt hast, was willst du dann mit ihr machen?' Er sagte: ,Dann will ich ihr einen einzigen Kuß geben und mich wieder von ihr scheiden.' Nun hub die Prinzessin an: ,Ich vermähle dich mit dieser Sklavin.' Da erhob er sich und ging, auf einen Stab gestützt, zitternd und stolpernd auf sie zu, küßte sie und gab ihr all jene Kostbarkeiten und Gewänder; die Sklavin war froh, und alle lachten ihn aus. Dann gingen sie ihrer Wege. Am nächsten Tage kamen sie wieder in den Garten, gingen auf die Stelle zu und fanden ihn



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dort sitzen wie zuvor; doch vor ihm lagen noch mehr Juwelen und Gewänder als am Tage vorher. Da setzten sie sich zu ihm und fragten: ,Alterchen, was tust du mit diesem Schmuck?' ,Dafür nehme ich eine von euch zur Frau wie gestern', erwiderte er. Die Prinzessin sagte wiederum: ,Ich vermähle dich mit dieser Sklavin da!' Und der Alte ging auf sie zu, küßte sie und gab ihr jene Schmucksachen und Gewänder; dann gingen sie wieder heim. Als die Prinzessin sah, daß er den Sklavinnen solche Schmuckstücke und Gewänder gab, sagte sie sich: ,Ich habe mehr Anrecht darauf; und mir kann die Sache nichts schaden.' Deshalb schlich sie am Tage darauf allein aus ihrem Schlosse, als Sklavin verkleidet, und ging auf versteckten Pfaden weiter, bis sie zu dem Alten kam. Als sie vor ihm stand, sprach sie zu ihm: ,Alterchen, ich bin die Tochter des Königs. Willst du dich mit mir vermählen?' ,Herzlich gern', erwiderte er, holte die wertvollsten und kostbarsten Juwelen und Gewänder und reichte sie ihr hin. Dann erhob er sich, um sie zu küssen, während sie nichts ahnte und unbesorgt war. Sobald er aber vor ihr stand, packte er sie mit festem Griff, warf sie auf die Erde und nahm ihr das Mädchentum. Dann rief er: ,Kennst du mich nicht?' ,Wer bist du?' fragte sie; und er gab ihr zur Antwort: ,Ich bin Bahrâm, der Sohn des Königs von Persien! Ich habe meine Gestalt gewandelt, ich, der ich mein Volk und mein Land verlassen habe um deinetwillen.' Da erhob sie sich schweigend vom Boden, ohne ihm eine Antwort zu geben; kein Wort sprach sie zu ihm, da ihr das widerfahren war. Doch bei sich selber sprach sie: ,Wenn ich ihn töte, so nützt mir sein Tod nichts.' Und weiter dachte sie nach und sagte sich: ,Mir kann in meiner Not nichts helfen, als daß ich mit ihm in sein Land fliehe.' Darauf suchte sie all ihr Hab und Gut, all ihre Schätze zusammen, sandte zu ihm und tat ihm



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ihre Absicht kund, auf daß er sich auch rüste und seine Habe sammle; und sie vereinbarten eine Nacht zur Flucht. Dann bestiegen sie die edlen Rosse und eilten im Schutze der Nacht dahin. Als es Morgen ward, hatten sie schon eine weite Strecke hinter sich; und sie ritten immer weiter dahin, bis sie ins Land Persien kamen und sich der Hauptstadt seines Vaters näherten. Sobald sein Vater die Botschaft vernahm, zog er ihm mit seinen Truppen und Kriegern entgegen und war aufs höchste erfreut. Nach einigen Tagen sandte er dem Vater der Prinzessin ed-Datma ein kostbares Geschenk und einen Brief, in dem er ihm mitteilte, daß seine Tochter bei ihm sei, und ihn um ihre Aussteuer bat. Wie die Geschenke bei ihrem Vater ankamen, nahm er sie entgegen und erwies den Boten, die sie brachten, die höchsten Ehren; und er selbst ward von großer Freude erfüllt. Dann rüstete er die Hochzeitsmahle, ließ den Kadi und die Zeugen kommen und den Ehevertrag zwischen seiner Tochter und dem Prinzen niederschreiben. Die Boten, die ihm den Brief des Prinzen von Persien überbracht hatten, kleidete er in Ehrengewänder, und seiner Tochter sandte er die Aussteuer. Und der Prinz von Persien lebte mit ihr zusammen, bis der Tod sie trennte.

Betrachte nun, o König - so schloß die Odaliske -, wie arglistig die Männer gegen die Frauen sind. Ich aber will mein Recht nicht aufgeben, bis ich sterbe.' Da befahl der König noch einmal, seinen Sohn zu töten; doch der siebente Wesir trat ein, und als er vor dem König stand, küßte er den Boden und hub darauf an: ,O König, gewähre mir eine Frist, in der ich zu dir meine Worte des guten Rates spreche: Wer da Geduld übt und wartet still, der erreicht seine Hoffnung und gewinnt, was er will. Wer sich aber übereilt, der muß bereuen. Ich habe erkannt, was diese Odaliske listig ersonnen hat, um den König



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zu veranlassen, daß er schreckliche Verbrechen begehe. Dein Knecht aber, der von deiner Güte und Huld überhäuft ist, bietet dir guten Rat. Ich keime, o König, die Listen der Frauen besser als irgendein anderer. Mir ist darüber auch berichtet worden die Geschichte von der alten Frau und dem Sohne des Kaufmannes.' ,Und wie ist die, Wesir?' fragte der König; da erzählte der siebente Wesir: ,Mir ist berichtet worden, o König,


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