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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DER FRAU UND IHREN FÜNF LIEBHABERN

Einst war eine Frau von den Töchtern der Kaufleute einem Manne vermählt, der viel auf Reisen war. Wie nun einmal ihr Gatte in ferne Länder gereist war und lange ausblieb, da konnte sie es nicht mehr ertragen, und so wandte sie ihre Liebe einem schönen Jüngling zu, einem von den Söhnen der Kaufleute; und beide waren einander in heißer Liebe zugetan. Eines Tages aber geriet der Jüngling in einen Streit mit einem Manne; und der verklagte ihn bei dem Präfekten jener Stadt, so daß der ihn ins Gefängnis warf. Das ward seiner Freundin, der Kaufmannsfrau. berichtet, und sie ward wie von Sinnen. Doch alsbald erhob sie sich, legte ihre prächtigsten Gewänder an und ging zum Hause des Präfekten, grüßte ihn und überreichte ihm eine Bittschrift des Inhalts: ,Der, den du gefangen gesetzt und in den Kerker geworfen hast, ist mein Bruder Soundso, der mit Demunddem in Streit geraten ist. Die Leute, die gegen ihn gezeugt haben, haben falsches Zeugnis abgelegt. So liegt er denn zu Unrecht in deinem Kerker; ich aber habe außer ihm niemanden, der für mich eintreten oder für meinen Unterhalt sorgen könnte. Deshalb erbitte ich von unserem Herrn die Gnade,



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daß er ihn aus dem Gefängnis befreie!' Nachdem der Präfekt das Blatt gelesen hatte, blickte er die Frau an und gewann sie lieb. Dann sprach er zu ihr: ,Geh ins Haus, ich will ihn vor mich kommen lassen; dann will ich nach dir senden, auf daß du ihn mit dir nehmest!' ,O Herr,' erwiderte die Frau, ,ich habe keinen Schutz außer Allah dem Erhabenen. Ich bin eine fremde Frau, und ich darf nicht in das Haus eines anderen Mannes eintreten.' Doch der Präfekt sagte: ,Ich lasse ihn nur dann los, wenn du ins Haus kommst und mir zu Willen bist.' ,Wenn das wirklich geschehen muß,' antwortete sie darauf, ,so komm zu mir in mein Haus; da kannst du auch den ganzen Tag in aller Ruhe sitzen und dich hinlegen.' Als er fragte: ,Und wo ist dein Haus?' erwiderte sie: ,An demunddem Platze.' Darauf verließ sie den Präfekten, dessen Herz nun der Liebe voll war. Von dort aber begab sie sich zum Kadi der Stadt und rief ihn an: ,O unser Herr und Kadi!' ,Ja?' erwiderte der Kadi: und sie fuhr fort: , Hilf mir in meiner Sache! Dein Lohn stehe bei Allah dem Erhabenen!' Der Kadi fragte: ,Wer hat dir denn unrecht getan?' Da gab sie zur Antwort: ,Hoher Herr. ich habe einen Bruder und sonst niemanden als ihn, und um seinetwillen komme ich zu dir. Der Präfekt hat ihn ins Gefängnis geworfen, da falsche Zeugen wider ihn ausgesagt haben, er sei ein Missetäter. Und nun bitte ich dich, lege für mich ein gutes Wort um seinetwillen bei dem Präfekten ein!' Als der Kadi sie anblickte, gewann er sie lieb und sprach zu ihr: ,Geh ins Haus zu den Mägden; ruh dich eine Weile bei uns aus, während ich zum Präfekten schicke, daß er deinen Bruder freilasse. Wüßte ich, welche Geldstrafe ihm auferlegt wird, so würde ich sie selbst bezahlen, damit ich meinen Willen an dir haben kann; denn du gefällst mir mit deiner lieblichen Rede.' Sie entgegnete ihm: ,Wenn du, o Herr, so handelst,



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dann dürfen wir die anderen nicht tadeln.' Doch der Kadi sprach: ,Wenn du nicht in mein Haus kommen willst, so geh deiner 'Wege!' Da sagte sie: ,Ist das dein Wille, o Herr, so wird es bei mir in meinem Hause heimlicher und besser geschehen als in deinem; denn hier sind die Sklavinnen und die Eunuchen, und Leute gehen ein und aus. Ich bin eine Frau, die von solchen Dingen nichts weiß; aber die Not zwingt.' ,Und wo ist dein Hause' fragte der Kadi; und sie erwiderte: ,An demunddem Platze.' Nachdem sie mit ihm den gleichen Tag verabredet hatte wie mit dem Präfekten, ging sie von seinem Hause zu dem des Wesirs. Dem trug sie ihre Sache vor, klagte ihm die Not ihres Bruders, und wie der Präfekt ihn ins Gefängnis geworfen habe. Aber auch der Wesir wollte sie verführen und sprach zu ihr: ,Sei mir zu Willen, so will ich dir deinen Bruder befreien!' ,Wenn das dein Wille ist.' erwiderte sie ihm, ,so möge es in meinem Hause geschehen; dort ist es sicherer für mich und für dich. Es ist auch nicht fern, und du weißt, daß wir Frauen uns gern sauber halten und schmücken.' ,Wo ist denn dein Hause' fragte der Wesir; und sie antwortete: ,An demunddem Platze.' Nachdem sie mit ihm den gleichen Tag verabredet hatte, begab sie sich von dem Wesir zum König jener Stadt, trug ihm ihre Sache vor und bat ihn, ihren Bruder zu befreien. Der König fragte: ,Wer hält ihn gefangene' ,Der Präfekt', antwortete sie. Aber während der König auf ihre Rede hörte, trafen die Pfeile der Liebe sein Herz und er befahl ihr, mit ihm ins Schloß zu gehen; inzwischen wolle er zum Präfekten schicken und ihren Bruder befreien. Sie sagte darauf: ,O König, dies ist ein leichtes für dich, sei es mit meinem Willen oder wider meinen Willen. Wenn der König das von mir begehrt, so ist es ein Glück für mich. Wenn er aber in mein Haus kommt, so wird er mich dadurch



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ehren, daß er seine edlen Schritte hineinlenkt, wie der Dichter sagt:

Ihr Freunde, habt ihr wohl gesehen und gehört,
Daß Der zu mir kam, dessen Tugenden mir wert?'

Nun sprach der König zu ihr: ,Wir wollen dir in nichts widersprechen!' Die Frau aber verabredete mit ihm den gleichen Tag wie mit den anderen und tat ihm kund, wo sich ihr Haus befand. — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 594. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Frau, nachdem sie in den Wunsch des Königs eingewilligt hatte, ihm kundtat, wo sich ihr Haus befand, und mit ihm den gleichen Tag verabredete wie mit dem Präfekten. dem Kadi und dem Wesir. Dann ging sie von ihm fort und begab sich zu einem Zimmermann und sprach zu ihm: ,Ich wünsche, daß du mir einen Schrank mit vier Fächern machst, die übereinanderliegen, jedes Fach mit einer eigenen Tür zum Verschließen. Sag mir, wie hoch dein Preis ist, und ich will ihn dir geben.' Er gab ihr zur Antwort: ,Vier Dinare. Aber wenn du mir deine Gunst gewähren wolltest, du keusche Herrin, so wäre das mein höchster Wunsch, und ich würde nichts von dir verlangen.' ,Wenn du es nicht anders willst,' erwiderte sie, ,so mache mir einen Schrank mit fünf Kammern und Schlössern davor.' ,Herzlich gern', sagte er; und sie machte mit ihm aus, daß er ihr den Schrank an ebenjenem Tage bringen sollte. Da sagte der Zimmermann: ,Meine Gebieterin, setze dich, du kannst das, was du wünschest, sogleich mitnehmen; dann will ich in Muße zu dir kommen.' Sie setzte sich also zu ihm, bis er ihr den Schrank mit fünf Fächern gemacht hatte. Darauf ging sie nach Hause



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und ließ den Schrank im Wohngemach aufstellen. Alsdann nahm sie vier Gewänder, trug sie zum Färber und ließ jedes Gewand mit einer besonderen Farbe färben. Und schließlich machte sie sich daran, Speisen und Getränke, Blumen und Früchte und Duftwerk zu bereiten. Und als der verabredete Tag kam, kleidete sie sich in ihre prächtigsten Gewänder, schmückte sich und besprengte sich mit Wohlgerüchen. Dann breitete sie im Wohngemache vielerlei prächtige Teppiche aus, setzte sich nieder und wartete, wer da kommen würde. Zuerst vor allen anderen trat der Kadi ein, und sobald sie ihn erblickte, stand sie auf, küßte den Boden vor ihm, nahm ihn bei der Hand und bat ihn, sich auf das Lager zu setzen. Dann legte sie sich zu ihm und begann mit ihm zu scherzen. Als er aber verlangte, daß sie ihm zu Willen sei, sprach sie zu ihm: ,Hoher Herr, lege deine Kleider und deinen Turban ab und zieh dies gelbe Hausgewand an und binde dieses Kopftuch dir ums Haupt, während ich Speise und Trank auftrage; hernach sollst du deinen Willen haben.' Und sie nahm ihm sein Gewand und seinen Turban ab, und er legte das Hauskleid und das Kopftuch an; aber da pochte es an die Tür. Der Kadi fragte: ,Wer klopft dort an die Tür?' Und sie antwortete ihm: ,Das ist mein Gatte!' ,Was ist zu tun? Wohin soll ich gehen?' fuhr er fort; und sie erwiderte: ,Fürchte dich nicht; ich will dich in diesem Schrank verbergen!' ,Tu, was dir gut dünkt!', sagte der Kadi; und nun nahm sie ihn bei der Hand, verbarg ihn in dem untersten Fach und verschloß es. Dann ging sie zur Haustür, machte auf und erblickte den Präfekten. Sowie sie ihn sah, küßte sie den Boden vor ihm, nahm ihn bei der Hand und bat ihn, sich auf das Lager zu setzen, indem sie sprach: ,Hoher Herr, dies Haus ist dein Haus, und diese Stätte ist deine Stätte; ich bin deine Magd und gleich einer deiner Dienerinnen. Bleib



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du heute den ganzen Tag bei mir; lege die Kleider ab, die du trägst, und zieh dies rote Gewand an, es ist ein Schlafgewand!' Mit diesen Worten band sie ihm auch noch einen zerfetzten Lappen um den Kopf; und nachdem sie ihm seine Kleider abgenommen hatte, setzte sie sich zu ihm aufs Lager, und die beiden tändelten miteinander. Als er aber seine Hand nach ihr ausstreckte, sprach sie zu ihm: ,Hoher Herr, dieser Tag ist dein Tag, und niemand soll ihn mit dir teilen; aber zuerst schreib mir in deiner Güte und Huld einen Befehl, daß mein Bruder aus der Haft entlassen werden soll, damit mein Herz sich beruhige.' ,Ich höre und gehorche, das will ich sehr gern tun', erwiderte er und schrieb sofort einen Brief an seinen Verwalter des Inhalts: ,Sowie diese Urkunde dich erreicht, laß Denundden frei, ohne zu säumen und ohne zu träumen; dem Überbringer aber erwidere kein Wort!' Dann versiegelte er das Schreiben, und sie nahm es von ihm in Empfang. Darauf begann sie wieder mit ihm auf dem Lager zu tändeln; aber siehe da, wiederum pochte es an die Tür.' ,Wer ist das?' fragte er; und sie erwiderte: ,Mein Gatte!' Und als er weiter fragte: ,Was ist zu tun?' sagte sie: ,Verbirg dich in diesem Schrank; ich will den Mann fortschicken und dann wieder zu dir kommen!' Darauf nahm sie ihn bei der Hand und verbarg ihn in dem zweiten Fach und verschloß es. Der Kadi aber hörte alles, was die beiden sprachen. Dann ging sie zur Haustür, machte auf, und siehe, der Wesir war da. Als sie ihn erblickte, küßte sie den Boden vor ihm, hieß ihn willkommen und bezeugte ihre Ehrfurcht vor ihm. ,Hoher Herr,' hub sie an, ,es ist eine Ehre für uns, daß du unser Haus betrittst, du, unser Gebieter. Allah beraube uns nie deines Angesichtes!' Dann bat sie ihn, sich auf das Lager zu setzen, und sprach zu ihm: ,Lege deine Kleider und deinen Turban ab und zieh dies leichte Gewand an.' Er



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legte ab, was er trug, und sie bekleidete ihn mit einem blauen Hauskleide und einer roten Mütze. Dabei sagte sie: ,Hoher Herr, diese Ministerkleider da laß für ihre Zeit! Aber für die jetzige Stunde passen die Gewänder zum Zechen, zum Fröhlichsein und zum Schlafen.' Und wie der Wesir in dieser Tracht dasaß, begann sie mit ihm auf dem Lager zu scherzen; auch er tändelte mit ihr und wollte nun seinen Willen an ihr haben. Doch sie wehrte ihm und sprach: ,Mein Gebieter, das wird uns nicht entgehen!' Während sie so plauderten, pochte es von neuem an die Tür. ,Wer ist das?' fragte er; und sie erwiderte: ,Mein Gatte!' Weiter fragte er: ,Was soll nun geschehen?' ,Steh auf und tritt in diesen Schrank,' antwortete sie, ,ich will meinen Gatten fortschicken und dann wieder zu dir kommen; fürchte dich nicht!' Mit diesen Worten verbarg sie ihn in dem dritten Fach und verschloß es. Als sie dann hinging und die Haustür öffnete, siehe, da trat der König ein. Kaum hatte sie ihn erblickt, so küßte sie den Boden vor ihm, nahm ihn bei der Hand, führte ihn zum Ehrenplatze des Gemaches und bat ihn, sich auf das Lager zu setzen. Darauf sagte sie: ,Du tust uns hohe Ehre an, o König; wenn wir dir auch die ganze Welt mit allem, was darinnen ist, darbrachten, es wäre nicht so viel wert wie einer deiner Schritte zu uns.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 595. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Frau zum König, als er in ihr Haus trat, sagte: ,Wenn wir dir auch die ganze Welt mit allem, was darinnen ist, schenken würden, es wäre nicht so viel wert wie einer deiner Schritte zu uns.' Nachdem er sich auf das Lager niedergelassen hatte, sprach sie zu ihm: ,Gewähre mir die Erlaubnis, ein einziges Wort zu sagen!' ,Sag, was du



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willst!' antwortete er ihr: und sie fuhr fort: ,Mach es dir behaglich, mein Gebieter! Lege deine Kleider und deinen Turban ab!' Seine Kleider, die er damals trug, waren aber tausend Dinare wert; und nachdem er sie ausgezogen hatte, kleidete sie ihn in einen alten Rock. der nur zehn Dirhems wert war, nicht mehr. Darauf begann sie mit ihm zu plaudern und zu tändeln. Und all das geschah, während die Gesellschaft in dem Schranke hörte, was vorging; doch keiner wagte, ein Wort zu sagen. Als der König ihr nun seine Hand um den Hals legte und sein Verlangen nach ihr stillen wollte, sprach sie zu ihm: ,Das wird uns nicht entgehen. Ich 'hatte doch vorher versprochen, dich hier zu bewirten; und ich hab auch etwas bei mir, das dich erfreuen wird.' Während sie so miteinander plauderten, klopfte plötzlich jemand an die Tür. ,Wer ist das?' fragte der König; und sie erwiderte ihm: ,Mein Gatte!' Er aber rief: ,Schick ihn in Güte von uns fort; sonst geh ich hinaus und jage ihn mit Gewalt davon!' ,So möge es nicht sein, hoher Herr,' erwiderte sie; ,gedulde dich nur, bis ich ihn durch meine Klugheit fortgebracht habe!' Als er dann fragte: ,Was soll ich derweilen tun?' nahm sie ihn bei der Hand und verbarg ihn in dem vierten Fach und verschloß es. Dann ging sie zur Haustür und machte auf; diesmal war es der Zimmermann. Nachdem er eingetreten war und sie begrüßt hatte, sprach sie zu ihm: ,Was sind das für Schränke, die du da für mich machst!' ,Was ist es damit, meine Gebieterin?' fragte er; und sie fuhr fort: ,Dies Fach da ist zu eng!' ,Meine Gebieterin, es ist weit genug!' ,Geh selbst hinein und sieh nach; es ist nicht weit genug für dich!' ,Es ist weit genug für vier!' Mit diesen Worten stieg der Zimmermann hinein; und als er drinnen war, schloß sie hinter ihm zu. Dann machte sie sich auf, nahm den Brief des Präfekten und brachte ihn zum Verwalter. Der nahm ihn, las ihn und



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führte ihn, an die Lippen; und alsbald entließ er ihr jenen Mann, ihren Geliebten, aus dem Gefängnis. Sie erzählte ihm, was sie getan hatte; und er fragte sie: ,Was sollen wir jetzt beginnen?' Darauf gab sie ihm zur Antwort: ,Wir wollen uns aus dieser Stadt in eine andere Stadt begeben; denn nach solchen Taten ist unseres Bleibens hier nicht länger.' Nun packten die beiden alles zusammen, was sie besaßen, luden es auf Kamele und zogen zur selbigen Stunde in eine andere Stadt.

Die fünf Männer aber blieben drei Tage lang, ohne etwas zu essen, in den Fächern des Schrankes. Da kam sie die Not an, weil sie auch drei Tage lang kein Wasser gelassen hatten. Und nun ließ der Zimmermann sein Wasser auf den Sultan laufen, und der Sultan auf den Wesir. der Wesir auf den Präfekten und der Präfekt schließlich auf den Kadi. Da schrie der Kadi auf und rief: ,Was ist das für eine Schmutzerei! Haben wir nicht an unserer Not genug, daß ihr uns auch noch mit eurem Wasser naß macht?' Da erhob der Präfekt seine Stimme und rief: ,Allah mehre deinen Lohn, o Kadi!' Wie der ihn hörte, erkannte er, daß es der Präfekt war; und nun rief auch dieser mit lauter Stimme: ,Was bedeutet diese Schmutzerei!' Da hub der Wesir an und rief: ,Allah mehre deinen Lohn, o Präfekt!' Wie der Präfekt das hörte, erkannte er, daß der Wesir über ihm war. Dann rief der Wesir mit lauter Stimme nach oben: ,Was bedeutet diese Schmutzerei?"Als der König die Worte des Wesirs hörte, erkannte er ihn; doch er schwieg und verriet sich nicht. Dann rief der Wesir wieder: ,Gott verfluche dies Weib für das, was es uns angetan hat! Sie hat wahrhaftig alle Großen des Reiches hier versammelt, mit Ausnahme des



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Königs!' Wie der König das hörte, rief er den anderen zu: ,Schweigt doch! Ich hin ja der erste, der in das Netz dieser gemeinen Dirne gefallen ist!' Der Zimmermann aber, der diese Worte vernahm, rief nun: ,Und ich, was habe ich getan? Ich habe ihr einen Schrank für vier Golddinare gemacht; und als ich kam, um meinen Lohn zu holen, hat sie mich übertölpelt und in dies Fach eingesperrt und zugeschlossen!' Schließlich begannen sie miteinander zu plaudern und den König durch ihre Unterhaltung zu trösten, um seinen Kummer zu verscheuchen. Da kamen aber auch die Nachbarn jenes Hauses, und als sie es leer sahen, sprachen sie zueinander: ,Gestern war doch noch unsere Nachbarin. die Frau des Soundso, darinnen! Und jetzt hören wir an dieser Stätte keinen Laut und sehen keine Seele! Brechet die Türen auf und schaut, wie es dort aussieht! Sonst kommt es dem Präfekten oder gar dem König zu Ohren; und dann wirft man uns ins Gefängnis, und wir würden bereuen, es nicht schon längst getan zu haben!' Und nun erbrachen sie die Türen und drangen ein; da fanden sid nur einen hölzernen Schrank, und in dem hörten sie Männer vor Hunger und Durst wimmern. Sie raunten einander zu: ,Steckt wohl ein Geist in diesem Schranke?' Und einer von ihnen riet: ,Wir wollen Brennholz darum häufen und den Schrank im Feuer verbrennen lassen!' Aber der Kadi schrie ihnen zu: ,Tut es nicht!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 596. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kadi, als die Nachbarn Brennholz holen und den Schrank verbrennen lassen wollten, ihnen zuschrie: ,Tut das nicht!' Aber die Nachbarn sprachen zueinander: ,Die Geister verstellen sich und reden



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mit menschlicher Rede!' Wie der Kadi das hörte, sprach er einige Verse aus dem erhabenen Koran, und dann rief er die Nachbarn: ,Tretet an den Schrank heran, in dem wir sind!' Und als sie dicht davorstanden, fuhr er fort: ,Ich bin derundder, und ihr seid derundder und derundder: wir sind hier eine ganze Gesellschaft!' Da fragten die Nachbarn den Kadi: ,Wer hat dich denn hierhergebracht?' Und er erzählte ihnen die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende. Darauf holten sie einen Zimmermann; und der machte dem Kadi sein Verlies auf, und ebenso auch dem Präfekten und dem Wesir und dem König und dem Zimmermann; und alle waren in den Gewändern, die sie angelegt hatten. Wie sie aber hinausgestiegen waren, blickten sie einander an, und ein jeder von ihnen mußte über den anderen lachen. Die Frau hatte alle die Kleider der Männer mitgenommen, und nun mußte ein jeder von ihnen zu den Seinen schicken, um neue Kleider holen zu lassen. In die verhüllten sie sich vor den Blicken der Leute. und dann schlichen sie davon.

Bedenke, o Herr und König - so fuhr der sechste Wesir fort -, diesen Streich, den ein solches Weib jenen Leuten spielte! Und ferner ist mir berichtet worden


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