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Kapitel 

Hauffs Werke

Dritter Teil

Der Mann im Mond

Herausgegeben von

Max Drescher

Berlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Bong & Co.



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Spamersche Buchdrukerei in Leipzig


Noch einmal zieht er vor des Liebchens Haus.

Als Ida am Morgen, der zu dem Duell festgesetzt war, kaum aufgestanden, eben sich mit der Toilette beschäftigte, hörte sie Pferdegetrappel gegenüber am Mond ; sie trat ans Fenster und schob den Vorhang ein wenig zurück. Es standen drei Pferde vor dem Wirtshaus, wovon sie das eine bestimmt für das von Martiniz erkannte. "Wo er nur hinreiten mag an diesem kalten Tag. ob er —" der Gedanke an eine plötzliche Abreise ohne Abschied durchblitzte sie, daß ihr die hellen Perlen in den zarten Wimpern hingen. Doch sie hatte ja darüber einen Trost, der sie zugleich tief betrübte' die Gräfin war ja noch hier, sie wußte nichts von seiner Abreise; er konnte also doch nicht so schnell reisen. Endlich glaubte sie Emils Stimme aus dem Torweg herauf zu hören: "Adieu, Madame, adieu !" Es galt offenbar der Mondwirtin; o wie gerne wäre sie in diesem Augenblicke die Ehehälfte des Mondwirts gewesen, um ihn zu sehen und das freundliche Adieu von seinen Lippen zu hören!

Der alte Brktzwisl, die gute, treue Seele, sprang hervor, ergriff den Zügel von Martiniz' Pferd und stellte ihn zum Auf



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sitzen zurecht; jetzt kam Mart — nein, ein Offizier in fremder glänzender Uniform. Jetzt kam auch der alte Herr von Ladenstein, der sie gestern so trefflich unterhalten hatte; wo blieb aber nur Emil? Der alte Herr, heute mit vielen Orden behängt, schwingt sich auf sein Pferd; jetzt auch der Offizier. Eine schöne, geschmackvolle Uniform," dachte Ida; wenn sie nicht irrte, eine polnische oder russische, vielleicht ein Bekannter von Martiniz; aber die Gestalt kam ihr so bekannt vor ; wie? sollte etwa Em — doch nein, er war ja nicht Soldat und trug auch keinen Orden, und diesem glänzte der Wladimir in Diamanten auf der Brust — wenn er — eine kleine Neugierde ist ja verzeihlich — wenn er doch nur den hohen Ulanen-Kalpak ein wenig hintersetzte, daß sie sein Gesicht sehen könnte.

Jetzt war alles in Richtigkeit, der alte Herr schaute am Haus herauf und stieß den Offizier an; er richtete das Haupt auf, er sah herauf — es war Emil von Martiniz.

Wie schön, wie götterschön war dieser Mann! Wie herrlich kleidete ihn die Uniform! Wie hingegossen saß er auf seinem stolzen Roß; die dunkeln Locken stahlen sich unter dem Sturmband des Tschapkas hervor und beschatteten die blendend weiße Stirne ; das dunkle Auge voll hohen Ausdrucks hatte heut eine Bedeutung, die sie beinahe noch nie an ihm gesehen; stolz und frei, als wollte es in einem Blick eine Welt ermessen, schweifte es her und hin; er klopfte den zierlichen, schlankgebogenen Hals des schönen Tieres, das er ritt, er sah so kampflustig, so mutig aus, als halte er an der Seite seiner Ulanen und es werde in schmetternden Tönen Marsch, Marsch! geblasen; sie konnte nicht mehr anders, sie dachte nicht mehr an ihr Negligé — sie öffnete das Fenster und sah heraus. Man konnte nichts Schöneres sehen als das Mädchen, wie es hier im Fenster stand. Die Äuglein sahen so klar und freundlich aus dem Köpfchen, die Bäckchen von der kalten Morgenluft gerötet, das Mäulchen so süß und kußlich, um das feine, liebe Gesichtchen ein zartes, reinliches Nachthäubchen, der Hals frei und dann ein Spenzerchen, so weiß wie frischgefallener Schnee, über Nacken und Brust herab. Tausend Löckchen und Stränge, die, vom mutwilligen Morpheus entfesselt, unter dem Häubchen sich durchgestohlen hatten — das ganze Wunderkind sah aus wie ein süßer Morgentraum —

Noch einmal sah der Graf nach diesem Engelsbild herauf, das in der Glorie der jungfräulichen Unschuld, mit der Wehmut gekränkter und doch verzeihender Liebe zu ihm herabsah — noch einmal, vielleicht das letzte Mal hienieden, warf er einen seiner



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Feuerblicke zu ihr hinauf, und eine Träne blitzte in seinem Auge; jetzt aber stieß er seinem Pferde beide Sporen in den Leib, daß es wuterfüllt kerzengerade aufstand; unwillkürlich bog sich seine Hand nach dem Mund. er warf ihr einen herzlichen Kuß zu: Adieu mon coeur !" rief er, und dahin flogen die Reiter in einem Augenblicke war nichts mehr von ihnen zu sehen.

"Was war das ? Wem galt das?" fragte sich Ida, als sie sich ein wenig von ihrem Staunen erholt hatte. Er sah so zärtlich herauf — er warf einen Kuß herauf — wem flog er zu? Ihr oder der Grä — konnte diese nicht auch im Fenster gestanden sein? Konnte er nicht ihr den Kuß zugeworfen — Sie mußte Gewißheit haben; sie schickte schnell hinab, zu fragen, ob die Gräfin schon aufgestanden sei. — Exzellenz lagen noch schuhtief in den Federn und schliefen. "Also mir, mir, —" lächelte das stillselige Mädchen vor sich hin, schaute hinaus und zehnmal wieder hinaus nach dem Fleckchen Erde, wo er gehalten, wo er ihr seinen Gruß, seinen Kuß zugewinkt hatte. Aber wie, konnte er nicht nach der Gräfin Fenster gewinkt haben? Konnte er nicht ihr seinen Kuß geschickt haben, nur um sie, die er doch gesehen haben mußte, zu kränken? Doch nein; ihr hatte ja sein Blick gegolten, sie hatte tief in seine dunkeln Liebessterne hineingeschaut, nach ihrem Fenster hatte er gegrüßt, sie, sie war die Glückliche; wie weit er sich auch verirrt hatte, sie fühlte, daß sein besserer Sinn ihn dennoch zu seiner Ida zog.

Jetzt versank sie in angenehme Träume; sie wiederholte sich, wie engelhübsch er ausgesehen habe! Sie nahm sich vor, wenn sie wieder recht gut miteinander wären, ihn recht auszuschmälen, daß er sich nie vor ihr in der Kleidung hatte sehen lassen, die ihm so wunderschön stand. So träumte sie, das liebliche bräutliche Mädchen: sie ahnte nicht, welchen gefährlichen Gang der Geliebte ging und daß die Parze so schnell den Faden ihres Glückes zerreißen könne, daß dann das Herz, an dem sie so gerne ruhte, für immer ausgeschlagen haben würde, daß die kühnen, liebesprühenden .Augen schnell sich zu jenem eisernen Schlummer schließen könnten, aus welchem auch die süßeste Stimme, das zärtlichste Klagen der Liebe nicht aufweckt.


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