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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM MANNE, DER NIE MEHR IM LEBEN LACHTE

Es war einmal ein Mann, der zu den Hausbesitzern und wohlhabenden Leuten gehörte; der hatte viel Geld, Eunuchen, Sklaven und Ländereien. Als er zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen einging, hinterließ er einen jungen Sohn. Doch wie der Sohn herangewachsen war, ergab er sich dem Prassen und Zechen, dem Klange der Musik und der Gesänge. Auch begann er Geschenke und Gaben zu verteilen; und er vertat die Güter, die ihm sein Vater hinterlassen hatte, bis daß alles Geld dahingeschwunden war. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 588. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling, als all das Geld, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, dahingeschwunden war und ihm nichts mehr übrigblieb, nunmehr begann, die Sklaven und die Sklavinnen und die Ländereien zu verkaufen. So verschwendete er alles, was er von seinem Vater ererbt hatte, Geld und alle andere Habe, bis er zum Bettler ward und mit den Arbeitern sein Brot verdienen mußte. Ein Jahr lang lebte er so dahin; dann aber, als er eines Tages an einer Mauer saß und auf jemanden wartete, der ihm Arbeit geben würde, trat plötzlich ein Mann von vornehmem Aussehen und schön gekleidet an ihn heran und grüßte ihn. Da fragte der Jüngling ihn: ,Lieber Oheim, kennst du mich vielleicht von früher her?' ,Nein,' erwiderte jener, ,ich kenne dich gar nicht, mein Sohn; aber ich erblicke die Spuren besserer Zeiten an dir, obgleich du jetzt so elend aussiehst.' ,Lieber Oheim,' sagte der Jüngling darauf, ,Schicksal und Verhängnis nehmen ihren



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Lauf. Doch sag, du Oheim mit dem freundlichen Antlitz, hast du nicht eine Arbeit, für die du mich in Dienst nehmen kannst?' Jener gab ihm zur Antwort: ,Mein Sohn, ich will deine Dienste für eine leichte Sache in Anspruch nehmen.' ,Was ist das, lieber Oheim?' fragte der Jüngling; und der Fremde erwiderte: ,Außer mir sind noch zehn Scheiche im gleichen Hause; und wir haben niemanden, der uns bedient. Du kannst bei uns Nahrung und Kleidung genug erhalten, wenn du den Dienst bei uns versehen willst. Auch soll dir bei uns Geld und Gut zuteil werden; vielleicht wird Allah dann durch uns dir deinen Wohlstand wiedergeben.' ,Ich höre und gehorche!' sagte der Jüngling; und der Alte fuhr fort: ,Ich muß dir aber eine Bedingung auferlegen.' Als der Jüngling dann fragte: ,Und was ist deine Bedingung, mein Oheim?' antwortete er: ,Mein Sohn, die ist, daß du in allem, was du bei uns siehst, unser Geheimnis hütest, und wenn du uns weinen siehst, nicht nach dem Grunde unserer Tränen fragst.' ,Gut, mein Oheim!' sagte der Jüngling; und nun forderte der Alte ihn auf: ,Mein Sohn, so laß uns denn gehen mit dem Segen Allahs des Erhabenen!' Dann folgte der Jüngling dem Scheich; und der brachte ilm zu einem Bade, führte ihn hinein und ließ seinen Leib von dem Schmutze reinigen, der darauf war. Ferner entsandte der Alte einen Mann, und der kam mit einem schönen Linnengewand zurück. Nachdem er ihm das angelegt hatte, ging der Scheich mit ihm in seine Wohnung zu seinen Gefährten. Als der Jüngling dort eintrat, sah er, daß es ein hoher, festgefügter und geräumiger Bau war; dort waren Gemächer, die einander gegenüber lagen, und Hallen, deren jede einen Springbrunnen hatte, über dem die Vöglein zwitscherten, und auf allen Seiten schauten Fenster in einen schönen Garten, der sich innerhalb des Baues befand. Der Alte führte ihn in eines



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der Gemächer, das mit buntem Marmor ausgelegt war, während die Decke mit Malereien in Lasur und glänzendem Golde verziert war; auf dem Boden aber lagen seidene Teppiche. Dort sah er zehn Scheiche einander gegenüber sitzen; die waren in Trauergewänder gehüllt und weinten und klagten. In seiner Verwunderung wollte er den Scheich darüber befragen, aber er dachte an die Bedingung und hielt seine Zunge im Zaume. Darauf übergab der Alte ihm eine Truhe mit dreißigtausend Dinaren und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, verwende das, was in dieser Truhe ist, für uns und für dich selbst ganz nach Belieben als getreuer Sachwalter; hüte aber, was ich dir anvertraue!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Jüngling und begann nun für sie das Geld zu verwenden. Das dauerte eine Reihe von Tagen und Nächten, bis einer von ihnen starb. Da nahmen die Gefährten den Toten. wuschen ihn. hüllten ihn ins Leichentuch und begruben ihn in einem Garten hinter dem Hause. Und dann raffte der Tod immerfort einen nach dem anderen von ihnen dahin, bis nur noch jener Scheich übrigblieb, der den Jüngling in Dienst genommen hatte. Nun blieben die beiden allein in dem Hause, der Junge und der Alte, und es war kein dritter bei ihnen. So verbrachten sie manches Jahr miteinander; doch da erkrankte der Scheich, und als der Jüngling die Hoffnung auf sein Leben aufgab, trat er zu ihm und trauerte mit ihm. Dann sprach er zu ihm: ,Lieber Oheim, ich habe euch zwölf Jahre lang gedient und habe in meinem Dienste bei euch nicht eine einzige Stunde die Pflicht versäumt; ich bin euch stets ein treuer und eifriger und gehorsamer Diener gewesen.' ,Ja, mein Sohn,' erwiderte der Alte, ,du hast uns treu gedient, bis alle diese Scheiche zu Allah, dem Allgewaltigen und Glorreichen, eingegangen sind; und nun muß auch ich sterben.' ,Mein guter Herr,' sagte darauf der Jüngling, ,du



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bist in Todesgefahr, und jetzt bitte ich dich, tu mir kund, weshalb ihr weintet und immerdar klagtet und trauertet und seufztet.' Doch der Alte erwiderte: ,Mein Sohn, das geht dich nichts an; drum quäle mich nicht mit dem, was ich nicht tun kann! Ich habe Allah den Erhabenen gebeten, Er möge niemanden mit dem Leid heimsuchen, das mir widerfahren ist. Wenn du vor dem behütet sein willst, was uns betroffen hat. so hüte dich, jene Tür dort zu öffnen!' Und dabei wies er mit der Hand auf sie und warnte ihn vor ihr. Dann schloß er mit den Worten: ,Wenn du aber willst, daß dir die Not widerfahre, die uns betroffen hat, so öffne sie! Dann wirst du auch wissen, warum du uns also handeln sahst, denn du wirst bereuen, wenn die Reue nichts mehr fruchtet.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 589 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Scheich, der nach den zehn anderen übriggeblieben war, zu dem Jüngling sprach: ,Hüte dich, jene Tür zu öffnen; denn sonst wirst du es bereuen, wenn die Reue nichts mehr fruchtet.' Danach übermannte die Krankheit den Alten, und er starb. Der Jüngling wusch ihn mit eigener Hand, hüllte ihn in das Totenlaken und begrub ihn bei seinen Gefährten. Nun blieb er an jener Stätte und war im Besitze alles dessen, was sich dort fand. Doch er ward unruhig und dachte darüber nach, was es mit dem Alten auf sich gehabt haben möchte. Und wie er eines Tages ob der Worte des letzten Scheichs nachgrübelte und ob seiner Mahnung, jene Tür nicht zu öffnen, da kam es ihm in den Sinn, sie einmal anzuschauen. Er ging also nach jener Seite des Hauses, auf die der Alte gewiesen hatte, und suchte nach, bis er eine kleine Tür fand, die von Spinngeweben bedeckt war; an der



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befanden sich vier Schlösser aus Stahl. Wie er sie sah, erinnerte er sich an die Warnung des Alten und kehrte wieder um. Doch seine Seele suchte ihn zu verlocken, daß er die Tür öffne; sieben Tage lang widerstand er ihr, aber am achten Tage überwältigte ihn seine Neugier, und er sprach: ,Es geht nicht anders, ich muß diese Tür öffnen und sehen, was mir dann geschieht. Was Allah der Erhabene beschlossen und vorherbestimmt hat, das kann durch nichts abgewendet werden, und nichts geschieht in der Welt ohne Seinen Willen.' Also machte er sich auf, zerbrach die Schlösser und öffnete die Tür. Nachdem er das getan hatte, sah er einen engen Gang vor sich; in dem ging er weiter und weiter, drei Stunden lang. Da endlich trat er ins Freie hinaus, am Ufer eines großen Wassers. Voll Staunen schritt er am Strand entlang, indem er nach rechts und nach links schaute. Plötzlich aber schoß ein großer Adler aus der Luft auf ihn herab und trug ihn in seinen Fängen empor; zwischen Himmel und Erde schwebte er mit ihm dahin, bis er zu einer Insel mitten im Meere kam. Dort ließ der Adler ihn fallen und flog davon. Der Jüngling aber war ganz ratlos und wußte nicht, wohin er sich wenden sollte. Und während er in seiner Not so dasaß, sah er eines Tages auf hoher See das Segel eines Schiffes gleichwie einen Stern am Himmel aufleuchten. Auf dies Schiff setzte er seine Hoffnung, als ob er dadurch gerettet werden könnte. Immerfort starrte er es an, bis es in seine Nähe kam. Da sah er, daß es ein Boot aus Elfenbein und Ebenholz war, mit Rudern aus Sandelholz und Aloenholz; und alles war mit glänzendem Golde überzogen. In ihm saßen zehn Mädchen, Jungfrauen, wie Monde anzuschauen. Als die ihn erblickten, kamen sie aus dem Boote zu ihm heraus, küßten ihm die Hände und sprachen zu ihm: ,Du bist der König, der Bräutigam!' Dann trat eine Maid auf ihn zu, schön wie



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der strahlende Sonnenball im blauen Weltenall; die trug ein seidenes Tuch, darin ein königliches Gewand lag und eine goldene Krone, mit allerlei Edelsteinen besetzt. Sie trat an ihn heran, legte ihm das Gewand über und setzte ihm die Krone aufs Haupt; dann trugen die Mädchen ihn auf ihren Händen in das Boot, und er sah, daß es mit vielen seidenen Teppichen von mancherlei Farben ausgelegt war. Alsbald breiteten sie die Segel und fuhren dahin über das wogende Meer. ,Und wie ich mit ihnen dahinfuhr -so erzählte der jüngling später-, glaubte ich, es sei ein Traum, und ich wußte nicht, wohin sie mit mir zogen. Dann kamen wir nahe ans Land, und da sah ich, daß der ganze Strand von Truppen erfüllt war, ja, es waren so viele, daß nur Allah, der Hochgepriesene und Erhabene, ihre Zahl ermessen konnte; und alle waren in Panzer gekleidet. Dann brachte man mir fünf Rosse von edler Abkunft mit goldenen Sätteln, die mit vielerlei Perlen und kostbaren Steinen besetzt waren. Ich wählte mir eines davon aus und saß auf, während die anderen vier mir folgten. Und wie ich dahinritt, wurden über meinem Haupte die Banner und Standarten entfaltet, die Trommeln wirbelten, und die Zimbeln wurden geschlagen; und die Truppen reihten sich zur Rechten und zur Linken auf. Ich aber fragte mich immer wieder, ob ich schlafe oder wache. So zog ich dahin; doch ich konnte die ganze Pracht, die mich umgab, nicht für wirklich halten, sondern dachte, es wären Irrgänge von Träumen. Schließlich kamen wir zu einer grünen Matte mit Schlössern und Gärten, in denen Bäume sprossen und Bächlein flossen, und über der Blüten Prangen die Vöglein ihr Lied zum Lobe Allahs, des Einzigen, Allgewaltigen, sangen. Da brach plötzlich zwischen den Schlössern und den Gärten ein Heer hervor, dem niederbrausenden Sturzbach gleich, bis es die ganze Matte überflutet hatte. Als das Heer in



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meine Nähe kam, hielt es an; dann ritt ein König aus ihm hervor, ganz allein, nur einige seiner Vertrauten schritten ihm zu Fuß vorauf. Als der König sich dem Jüngling näherte - so berichtet der Erzähler -, stieg er von seinem Rosse ab; und wie der den König absitzen sah, sprang auch er von seinem Pferde herunter. Dann begrüßten die beiden einander aufs herzlichste. Nachdem sie wieder aufgesessen waren, sprach der König zu dem Jüngling: ,Komm mit uns; denn du bist mein Gast!' So ritten denn beide zusammen weiter und plauderten miteinander, die Truppen in Reihen vorauf, bis sie bei dem Schlosse des Königs anlangten. Dort saßen sie ab und zogen alle ein. — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 590. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König, nachdem er den Jüngling empfangen hatte, mit ihm im Prunkzuge dahinritt bis zum Schlosse: dort traten sie Hand in Hand ein. Dann ließ der König ihn auf einem goldenen Throne sitzen, während er sich selbst neben ihm niedersetzte. Wie er aber den Schleier von seinem Antlitz nahm, siehe, da war jener König eine Maid, gleichwie der strahlende Sonnenball im blauen Weltenall, in Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Vollkommenheit, Stolz und Versonnenheit. Das war für den Jüngling ein Anblick von wundersamer Herrlichkeit und höchster Glückseligkeit, und er war von ihrer Schönheit und Anmut ganz berückt. Sie aber hub an: ,Wisse, o König, ich bin die Königin dieses Landes, und all die Truppen, die du gesehen hast, sämtliche Reiter und Mannen, die du erblickt hast, sind lauter Frauen; kein Mann ist unter ihnen. In unserem Lande ist es die Aufgabe der Männer, zu pflügen und zu säen, zu ernten. das Land zu bebauen und die Städte zu errichten und



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alle Künste und Handwerke der Menschen auszuüben; die Frauen aber regieren und bekleiden die hohen Staatsämter und bilden die Wehrmacht.' Gar seltsam klangen diese Worte in dem Ohre des Jünglings. Und während sie noch plauderten, trat der Wesir zu ihnen ein; das war eine Alte in schneeweißem Haar, eine Ehrfurcht gebietende Gestalt voll Würde und Hoheit. Zu ihr sprach die Königin: ,Rufe uns den Kadi und die Zeugen!' Nachdem die Alte gegangen war, wandte die Königin sich wieder dem Jüngling zu und plauderte freundlich mit ihm, um seine Schüchternheit durch ihre lieblichen Worte zu bannen; und zuletzt hub sie an und fragte ihn: ,Bist du es zufrieden, daß ich deine Gemahlin werde?' Da erhob er sich und wollte niederfallen, um den Boden vor ihr zu küssen; aber sie verwehrte es ihm. Dann sprach er zu ihr: ,Hohe Herrin, ich bin der geringste unter den Knechten, die dir dienen!' Sie fragte nun: ,Siehst du nicht all die Diener und Krieger, die vor deinen Augen stehen, und die Schätze und Reichtümer und Kostbarkeiten?' ,Jawohl', erwiderte er; und sie fuhr fort: ,All das ist dein; dir steht es zu Gebote, und du kannst davon schenken und spenden, wie es dich gut dünkt.' Doch dann zeigte sie ihm eine verborgene Tür und sagte: ,Alles steht dir zu Gebote, nur diese Tür nicht: die darfst du nicht öffnen. So du es aber doch tust, wirst du es bereuen, wenn die Reue nichts mehr fruchtet.' Kaum hatte sie ihre Worte beendet, da kamen die Wesirin und mit ihr der Kadi und die Zeugen. Sie traten ein, lauter alte Frauen, denen die Haare auf die Schultern wallten, voll Würde und Hoheit. Und als sie vor der Königin standen, befahl sie ihnen, den Ehebund zu schließen: so vermählten sie den Jüngling mit der Königin. Und nun rüstete sie die Hochzeitsmahle und versammelte alle Krieger um sich. Nachdem sie gegessen und getrunken hatten, ging jener Jüngling



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zu seiner Gemahlin ein und fand in ihr eine unberührte Jungfrau. Er nahm ihr das Mädchentum und lebte mit ihr sieben Jahre lang, herrlich und in Freuden, in lauter Fröhlichkeit und Seligkeit. Aber dann dachte er eines Tages daran, die Tür zu öffnen, und sagte sich: ,Wenn da drinnen nicht herrliche Schätze wären, noch schöner als alles, was ich gesehen habe, so hätte sie mir die Tür nicht verboten!' Da machte er sie auf: und drinnen war der Vogel, der ihn einst von der Küste des Meeres emporgetragen und auf der Insel niedergesetzt hatte! Als jener Vogel ihn sah, rief er: ,Kein Willkommen dem Angesicht, dem es nie mehr gut ergehen soll!' Wie der Jüngling den Vogel erblickte und seine Worte vernahm, wollte er entfliehen. Der Vogel aber folgte ihm und ergriff ihn und flog mit ihm eine Stunde lang zwischen Himmel und Erde dahin. Dann setzte er ihn an ebenderselben Stelle nieder, von der er ihn früher entführt hatte, verließ ihn und kehrte an seine Stätte zurück. Als der Jüngling wieder zur Besinnung kam, dachte er an das, was er erlebt hatte, an das Glück, die Macht und die Herrlichkeit, an die Truppen, die vor ihm herritten, und wie er hatte befehlen und verbieten können; und er begann zu weinen und zu klagen. Zwei Monate blieb er an der Meeresküste, wo der Vogel ihn niedergesetzt hatte, und wünschte immer, zu seiner Gemahlin zurückzukehren. Eines Nachts aber, als er schlaflos, trauernd und grübelnd dasaß, hörte er eine Stimme, die da rief, ohne daß er den Sprecher sah: ,Wie groß war das Glück! Doch nie, nie kehrt das Vergangene zu dir zurück! Nun magst du noch mehr klagen in all deinen Tagen!' Als der Jüngling das hörte, gab er die Hoffnung auf, seine Königin je wiederzusehen und das Glück, das er genossen hatte, wiederzugewinnen. So kehrte er denn in das Haus zurück, in dem die Scheiche gewesen waren; jetzt wußte er, daß



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es ihnen ergangen sein mußte wie ihm und daß dies der Grund ihres Weinens und Trauerns gewesen war, und er verstand sie hinfort. Trauer und Kummer ergriffen ihn, als er wieder in ihr Gemach trat; und von nun ab weinte und klagte er immerdar, ohne Speise und olme Trank, ohne Wohlgerüche und ohne Lachen, bis daß er starb. Da begrub man ihn zur Seite der Scheiche.

Erkenne also, o König - so schloß der fünfte Wesir -, daß die Übereilung nicht löblich ist und nur die Reue zur Folge hat. Diesen guten Rat gebe ich dir.' Als der König diese Geschichte vernommen hatte, ließ er sich durch sie warnen und belehren, und er widerrief den Befehl, seinen Sohn hinzurichten. — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 591 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König, als er die Geschichte des fünften Wesirs gehört hatte, den Befehl, seinen Sohn hinzurichten, widerrief. Als aber der sechste Tag kam, trat die Odaliske zum König ein, in der Hand ein gezücktes Messer, und sprach: ,Höre, mein Gebieter, willst du noch nicht meine Klage gelten lassen und dein Recht und deine Ehre gegen die verteidigen, die mir Unrecht antun? Sie sind es, deine Wesire, die da behaupten, die Frauen seien voll Listen und Tücke und Trug, und dadurch bezwecken sie, daß ich mein Recht verliere und daß der König es unterlasse, an mir Gerechtigkeit zu üben. Aber ich will hier vor dir beweisen, daß die Männer listiger sind als die Frauen, und zwar durch die Geschichte des Prinzen, der mit der Frau eines Kaufmanns allein war.' ,Was trug sich denn mit den beiden zu?' fragte der König; und die Odaliske erzählte: ,Mir ist berichtet worden, o glücklicher König,


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