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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DER FRAU, DIE IHREN MANN BETRÜGEN WOLLTE

Einst lebte eine Frau, die besaß Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Vollkommenheit, und es gab keine, die ihr glich. Ein junger Verführer aber erblickte sie und war von ihr entzückt, und heftige Leidenschaft zu ihr erfüllte ihn. Jene Frau war jedoch keusch und züchtig, und sie wollte nichts von ihm wissen. Eines Tages begab es sich, daß ihr Mann in ein anderes Land reisen mußte; und von nun ab sandte der Jüngling zu ihr jeden Tag viele Botschaften, aber sie gab ihm keine Antwort. Da suchte er eine alte Hexe auf, die in seiner Nähe wohnte, begrüßte sie und setzte sich zu ihr, um ihr seine Liebesqual zu klagen; er tat ihr kund, daß er von Liebe zu der Frau erfüllt



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sei und daß er wünsche, ihre Gunst zu gewinnen. Die Alte sprach zu ihm: ,Dafür bürge ich dir; quäle dich nicht darum! Ich werde dir zu deinem Ziele verhelfen, so Allah der Erhabene will!' Als der Jüngling diese Worte aus ihrem Munde vernahm, gab er ihr einen Dinar; dann ging er seiner Wege. Am nächsten Tage trat die Alte zu der Frau ein und erneuerte die frühere Bekanntschaft mit ihr. Danach kam die Alte jeden Tag wieder zu ihr und aß mit ihr zu Mittag und zu Abend und nahm auch Essen von ihr mit für ihre Kinder. Aber sie begann auch mit ihr zu scherzen und Kurzweil mit ihr zu treiben, bis sie die Frau so weit gebracht hatte, daß sie die Gesellschaft der Alten nicht mehr eine einzige Stunde lang entbehren konnte. Die Alte pflegte, wenn sie von der Frau fortging, immer ein Stück Teigkuchen mitzunehmen, auf das sie Fett und Pfeffer tat, und das einer Hündin zu geben; nachdem sie das eine Weile getan hatte, begann die Hündin ihr zu folgen wegen ihrer fürsorglichen Güte. Eines Tages aber nahm die Alte sehr viel Pfeffer und Fett und gab es der Hündin zu essen. Wie die es gefressen hatte, begannen ihre Augen zu tränen, weil der Pfeffer so scharf war; und nun folgte sie der Alten mit Tränen in den Augen. Darüber verwunderte die Frau sich gar sehr; und sie sprach zu der Alten: ,Mütterchen, warum weint diese Hündin da?' Die Alte gab ihr zur Antwort: ,Liebe Tochter, mit der hat es eine sonderbare Bewandtnis. Früher war sie ein Mädchen; und sie war meine vertraute Freundin. Sie besaß Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Vollkommenheit; und ein junger Mann in dem Stadtviertel war ihr zugetan, und seine Liebesleidenschaft verzehrte ihn so, daß er sich krank auf sein Kissen legen mußte. Er sandte ihr viele Botschaften und bat sie um Güte und Mitleid; aber sie weigerte sich. Da gab ich ihr guten Rat, indem ich sprach: ,Liebe Tochter, gewähr



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ihm doch, um was er bittet! Hab Mitleid mit ihm! Sei gut zu ihm!' Doch sie nahm meinen Rat nicht an. Als darauf dem Jüngling die Geduld versagte, klagte er seine Not einigen seiner Freunde; und die wandten einen Zauber gegen sie an und verwandelten sie aus einem Menschen in eine Hündin. Als sie aber sah, was mit ihr geschehen war, und ihre Not und ihre Verwandlung überdachte, und als sie unter allen menschlichen Geschöpfen niemanden fand, der Mitleid mit ihr gehabt hätte, außer mich allein, da kam sie zu mir in meine Wohnung und begann mich zu umschmeicheln; und sie küßte mir die Hände und die Füße und weinte und winselte. Nun erkannte ich sie und sprach zu ihr: ,Ich habe dir oft genug geraten; aber mein Rat hat nichts bei dir gefruchtet.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 585. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte der Frau die Geschichte von der Hündin erzählte und ihr lauter Lug und Trug über das Tier berichtete, damit sie in die bösen Pläne einwillige; so sprach die Alte: ,Als diese verzauberte Hündin zu mir kam und weinte, sagte ich zu ihr: ,Wie oft habe ich dir geraten; aber mein Rat hat nichts bei dir gefruchtet.' Und doch, liebe Tochter, wie ich sie in diesem Elend sah, hatte ich Mitleid mit ihr und behielt sie bei mir so, wie sie ist. Aber immer, wenn sie an ihren früheren Zustand denkt, so beweint sie ihr Los.' Als die Frau die Worte der Alten vernommen hatte, kam große Furcht über sie; und sie sprach: ,Mütterchen, bei Allah, du hast mich durch diese Geschichte erschreckt!' , Wovor erschrickst du denn?' fragte die Alte; und die Frau erwiderte: ,Da ist ein schöner Jüngling, der in Liebe an mir hängt und mir schon viele Botschaften gesandt hat; ich



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habe ihn aber immer abgewiesen. Jetzt fürchte ich, daß es mir ergehen könnte wie dieser Hündin.' Doch die Alte fuhr fort: ,Liebe Tochter, sei auf deiner Hut und widersprich nicht; denn ich bin in großer Sorge um dich! Wenn du nicht weißt, wo der Jüngling wohnt, so berichte mir, wie er aussieht, und ich will ihn zu dir bringen. Laß niemandes Herz Groll wider dich hegen!' Da beschrieb die Frau ihn der Alten; aber diese tat, als ob sie nichts von ihm wisse, und stellte sich, als ob sie ihn nicht kenne. Dann sagte sie: ,Wenn ich fortgehe, will ich mich nach ihm erkundigen.' Als sie aber fortgegangen war, begab sie sich sogleich zu dem Jüngling und sprach zu ihm: ,Sei gutes Muts! Ich habe mit dem Verstande der Frau gespielt; halte dich morgen um die Mittagszeit bereit und warte auf mich an der Straßenecke, dann will ich kommen und dich zu ihr ins Haus führen, und du kannst dich den Tag über und die ganze Nacht mit ihr vergnügen.' Der Jüngling war hoch erfreut, gab ihr zwei Dinare und fügte hinzu: ,Wenn ich mein Ziel erreicht habe, gebe ich dir zehn Dinare.' Darauf kehrte die Alte zu der Frau zurück und sprach zu ihr: ,Ich habe ilm kennen gelernt und mit ihm darüber gesprochen. Aber ich erkannte, daß er sehr zornig auf dich war und beschlossen hatte, dir einen Schaden anzutun. Doch ich habe ihn durch gute Worte überredet, daß er morgen, wenn zum Mittagsgebet gerufen wird, zu dir kommt.' Die Frau freute sich sehr und sprach zu der Alten: ,Mütterchen, wenn er mir wieder gut ist und zur Mittagszeit zu mit kommt, so will ich dir zehn Dinare geben.' Die Alte erwiderte darauf: ,Du weißt, er kann nur durch mich zu dir kommen.' Am nächsten Morgen sagte sie zu ihr: ,Bereite das Mittagsmahl, schmücke dich und lege deine schönsten Kleider an. Ich will zu ihm gehen und ihn dir bringen.' Da schmückte die Frau sich und rüstete das Mahl, während die Alte ausging,



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um den Jüngling zu erwarten; aber der kam nicht. Und auch als sie auf der Suche nach ihm umherging, fand sie keine Spur von ihm. Da sagte sie sich: ,Was ist zu tun? Soll das schöne Mahl, das sie gerüstet hat, verloren sein? Und auch das Geld, das sie mir versprochen hat? Nein, ich will diesen schlauen Plan nicht zuschanden werden lassen! Ich will einen anderen für sie suchen und den zu ihr führen!' So suchte sie denn auf der Straße umher und sah plötzlich einen schönen und anmutigen jungen Mann daherschreiten, dem man es im Gesichte ansah, daß er von einer Reise kam. Auf den trat sie zu. grüßte ihn und sprach: ,Hast du Verlangen nach Speise und Trank und einem vorbereiteten schönen Weibe?' ,Wo ist das zu haben?' fragte der Mann; und die Alte fuhr fort: ,Bei mir zu Hause!' Da ging er mit ihr; sie aber wußte nicht, daß er der Gatte jener Frau war. Wie sie dann bei seinem Hause ankam und an die Tür klopfte, machte die Frau ihr auf, ging jedoch sofort eilends zurück, um sich fertig zu kleiden und mit Duftwerk zu beräuchern. Die Alte führte nun den Mann in den Saal, hoch erfreut über ihre gelungene List. Doch als die Frau zu ihm hereintrat und in ihm ihren Gatten erkannte, wie er neben der Alten saß, hatte sie sofort List und Trug bereit und faßte im selben Augenblick ihren Plan. Sie zog den Schuh von ihrem Fuß und schrie ihren Gatten an: ,Ist das die Treue zwischen uns? Wie kannst du mich betrügen und so an mir handeln? Wisse, als ich hörte, daß du zurückgekehrt bist, da habe ich dich durch diese Alte auf die Probe gestellt; sie hat dich in die Falle gelockt, vor der ich dich gewarnt habe. Jetzt weiß ich sicher, wie es mit dir steht; ja, du hast unseren Treubund gebrochen. Früher hielt ich dich für rein und keusch; aber jetzt sehe ich dich mit meinen eigenen Augen in Gesellschaft dieser alten Hexe. und ich weiß, daß du mit liederlichen Frauen verkehrst!'



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Und sie schlug ihn mit dem Schuh auf den Kopf, während er seine Unschuld beteuerte und ihr schwor, er hätte sie sein Leben lang noch nie betrogen und noch nie etwas von dem getan, dessen sie ihn verdächtigte. Er schwor ihr alle Eide bei Allah dem Erhabenen, aber sie schlug immer weiter auf ihn ein und weinte und schrie. Dabei rief sie: ,Kommt herbei, ihr Muslime!' und als er ihr die Hand auf den Mund legte, biß sie ihn. Dann demütigte er sich vor ihr und küßte ihre Hände und Füße: aber sie hatte keine Gnade mit ihm und hörte nicht auf, ihn zu schlagen. Schließlich gab sie der Alten einen Wink, sie solle ihr die Hand von ihm zurückhalten; da kam die Alte herbei und küßte ihr Hände und Füße, bis sie die beiden zum Sitzen gebracht hatte. Und wie sie nun dasaßen, küßte der Mann die Hand der Alten und sprach zu ihr: ,Allah der Erhabene lohne es dir mit Gutem, daß du mich von ihr befreit hast!' Und selbst die Alte staunte über die List und Verschlagenheit der Frau.

Dies, o König - so schloß der vierte Wesir -ist nur eins der vielen Beispiele von der List und Tücke und Falschheit der Weiber.' Und als der König die Geschichte vernommen hatte, ließ er sich dadurch belehren und widerrief den Befehl, seinen Sohn hinzurichten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 586. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König, als der vierte Wesir seine Geschichte erzählt hatte, den Befehl, seinen Sohn hinzurichten, widerrief. Am fünften Tage aber kam die Odaliske wieder zu ihm, mit einem Becher Gift in der Hand: dabei fichte sie um Hilfe, schlug sich Wangen und Gesicht und sprach: ,O König, entweder verschaffst du mir Recht und



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Gerechtigkeit wider deinen Sohn, oder ich trinke diesen Becher Gift und sterbe, so daß die Schuld an meinem Tode dir anhängen wird bis zum Jüngsten Tage! Deine Wesire da werfen mir List und Tücke vor; aber in der ganzen Welt ist keiner so tückisch wie sie. Hast du nicht die Geschichte von dem Goldschmied und der Sängerin gehört?' ,Wie erging es denn den beiden, o Mädchen?' fragte der König; und die Odaliske fuhr fort: ,Mir ist berichtet worden, o glücklicher König,


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