Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DER VERZAUBERTEN QUELLE

Einst hatte einer von den Königen der alten Zeit nur einen einzigen Sohn; kein anderes Kind war ihm beschieden. Und als jener Prinz herangewachsen war, wählte sein Vater als Gemahlin für ihn die Tochter eines anderen Königs. Die war eine schöne und liebliche Maid; und sie hatte auch einen Vetter, der um sie bei ihrem Vater gefreit hatte; sie aber hatte sich nicht mit ihm vermählen wollen. Als dieser Vetter nun erfuhr, daß sie einem anderen vermählt werden sollte, packte ihn die Eifersucht, und er beschloß, den Wesir des Königs, dessen Sohn der Gemahl der Prinzessin werden sollte, durch Geschenke zu bestechen. So sandte er ihm denn große Geschenke und überwies ihm viel Geld; und er bat ihn, er möge entweder



1000-und-1_Vol-04-282 Flip arpa

durch eine List. die ihn verderben sollte, den Tod des Prinzen veranlassen, oder ihn überreden, daß er von der Vermählung mit der Prinzessin ablasse. Und er fügte hinzu: ,O Wesir, die Eifersucht um meine Base ist es, die mich hierzu getrieben hat.' Als die Geschenke bei dem Wesir eintrafen, nahm er sie an und ließ durch einen Boten antworten: ,Hab Zuversicht und quäl dich nicht! Ich will alles tun, was du wünschest.' Bald darauf ließ der Vater der Prinzessin den Sohn des Königs in seine Hauptstadt entbieten, auf daß er zu seiner Tochter eingehen könne. Und wie diese Botschaft bei dem Prinzen eintraf, gab sein Vater ihm Urlaub zur Reise und schickte jenen Wesir, der die Geschenke angenommen, als seinen Begleiter mit ihm. Ferner entsandte er mit den beiden tausend Reiter, dazu Geschenke, Sänften, Baldachine und Zelte. Nun brach der Wesir mit dem Prinzen auf, das Herz voller Ränke, und sann in seinem Innern auf Böses wider ihn. Als sie dann in die Wüste kamen, dachte der Wesir daran, daß sich dort im Gebirge eine Quelle fließenden Wassers befand, ez-Zahra geheißen, und daß jeder Mann, der aus ihr trank, zum Weibe wurde. Wie er sich also daran erinnerte, ließ er das Heer in der Nähe der Quelle lagern. Dann bestieg er wieder sein Roß und sprach zu dem Prinzen: ,Willst du mit mir kommen und dir hier in der Nähe eine fließende Quelle ansehen?' Da saß auch der Prinz wieder auf und ritt mit dem Wesir seines Vaters dorthin; es war aber niemand anders bei ihnen, und der Sohn des Königs ahnte nicht, welches Unheil im Verborgenen auf ihn lauerte. Sie zogen nun beide dahin ohne Aufenthalt, bis sie bei jener Quelle ankamen. Dort stieg der Prinz von seinem Rosse ab, wusch sich die Hände und trank von ihrem Wasser. Im selben Augenblick ward er ein Weib. Als er dessen gewahr wurde, schrie er auf und weinte, bis er fast die Besinnung verlor. Da



1000-und-1_Vol-04-283 Flip arpa

trat der Wesir an ihn heran und heuchelte Mitgefühl mit seinem Leid und fragte ihn: ,Was ist dir widerfahren?' Der Prinz erzählte es ihm: und als der Wesir seine Worte vernommen hatte, heuchelte er von neuem Teilnahme und weinte über das Unglück des Prinzen. Dann sprach er zu ihm: ,Allah der Erhabene sei deine Zuflucht in dieser Not! Wie konnte dir solches Leid widerfahrene Wie konnte solch großes Unheil über dich kommen? Wir ritten doch zu einer Freudenfeier für dich. auf daß du zu der Prinzessin eingehen solltest! Jetzt weiß ich nicht, ob wir uns zu ihr begeben sollen oder nicht. Doch du hast zu entscheiden. Was befiehlst du mir zu tun?' Der Jüngling erwiderte ihm: ,Kehr du zu meinem Vater zurück und berichte ihm, was mir geschehen ist. Ich will mich nicht von dieser Stätte rühren, bis daß dies Unheil von mir weicht oder bis ich in meinem Gram sterbe.' Dann schrieb er einen Brief an seinen Vater, in dem er ihm berichtete, was geschehen war. Der Wesir nahm den Brief und kehrte in die Stadt des Königs zurück. Die Truppen ließ er jedoch bei dem Prinzen, keiner von den Mannen begleitete ihn; und er frohlockte in seinem Herzen über das, was er dem Sohne des Königs angetan hatte. Als er dann zum König kam, berichtete er ihm von dem Unglück seines Sohnes und übergab ihm den Brief. Der König ward von tiefer Trauer um seinen Sohn erfüllt und schickte alsbald zu den Weisen und den Meistern der geheimen Künste, daß sie ihm das Unheil, das über seinen Sohn gekommen war, erklären sollten; aber keiner vermochte ihm eine Antwort zu geben. Inzwischen schickte der Wesir an den Vetter der Prinzessin. um ihm die frohe Botschaft von dem Schicksal des Prinzen zu übermitteln; und als sein Schreiben diesen erreichte, freute der sich gewaltig und begehrte alsbald, sich mit der Tochter seines Oheims zu vermählen. Auch sandte er reiche



1000-und-1_Vol-04-284 Flip arpa

Geschenke und große Schätze an den Wesir und sprach ihm den herzlichsten Dank aus.

Der Prinz aber blieb bei jener Quelle drei Tage und drei Nächte lang, ohne zu essen und zu trinken, und vertraute in seiner Not nur auf Allah, den Hochgepriesenen und Erhabenen, der niemanden im Stiche läßt, wenn er auf Ihn baut. In der vierten Nacht aber erschien plötzlich ein Ritter mit einer Krone auf dem Haupte, der aussah, als ob er ein Königssohn wäre. Und er sprach zu dem Prinzen: ,Wer hat dich hierhergebracht, Jünglinge' Da erzählte ihm der Prinz, was ihm widerfahren war, wie er auf der Reise zu seiner Verlobten gewesen sei, um Hochzeit mit ihr zu feiern, wie der Wesir ihn zu der Quelle geführt habe, wie er dann von ihrem Wasser asser getrunken habe und wie darauf jenes Unheil über ihn gekommen sei; doch während er redete, brachen ihm die Tränen hervor, und er mußte weinen. Als der Ritter seine Erzählung vernommen hatte, empfand er Mitleid mit dem Unglücklichen, und er sprach zu ihm: ,Wisse, der Wesir deines Vaters ist es, der dich in diese Not gebracht hat; denn diese Quelle kennt von den Menschenkindern nur jener einzige Mann.' Dann hieß der Ritter ihn aufsitzen, und der Prinz bestieg sein Roß. Nun sagte der Ritter: ,Komm mit mir zu meiner Stätte; du bist heute nacht mein Gast!' Aber der Prinz bat ihn: ,Sage mir, wer du bist, ehe ich mit dir gehe !'Jener antwortete: ,Ich bin der Sohn des Königs der Geister, wie du der Sohn eines Menschenkönigs bist. Hab Zuversicht und quäl dich nicht; deinem Harm und Gram ein Ende zu machen ist mir ein leichtes!' So brach denn der Prinz in der Morgenfrühe mit ihm auf, indem er seine Truppen und all seine Leute zurückließ. Ohne Aufenthalt ritten die beiden dahin bis Mitternacht; da fragte der Geisterprinz: ,Weißt du, welchen Weg wir in dieser Zeit zurückgelegt



1000-und-1_Vol-04-285 Flip arpa

haben?' ,Nein, ich weiß es nicht', erwiderte der Jüngling; und jener fuhr fort: ,Wir haben die gleiche Strecke zurückgelegt, die ein rüstiger Reisender in einem Jahre durchmißt.' Erschrocken fragte darauf der Prinz: ,Wie soll ich es denn beginnen, um zu den Meinen zurück zu kehren?' Der Geisterprinz gab ihm zur Antwort: ,Das ist nicht deine Sache; dafür laß mich nur sorgen! Wenn du von deinem Leiden geheilt bist, so sollst du zu den Deinen schneller als im Augenblicke zurückkehren; auch das ist ein leichtes für mich.' Wie der Jüngling diese Worte aus dem Munde des Dämonen vernahm, war er vor Freude wie von Sinnen, und er glaubte fast, all das wären nur Irrgänge von Träumen; doch er rief: ,Preis sei dem Allmächtigen, der den Elenden wieder glücklich machen kann!' Und er war hocherfreut.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 583. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Geisterprinz zu dem Sohne des Menschenkönigs sagte: ,Wenn du von deinem Leiden geheilt bist, so sollst du zu den Deinen schneller als im Augenblicke zurückkehren!' Des freute sich der Prinz, und sie ritten immer weiter, bis es Morgen ward. Da kamen sie zu einem Lande von blühender, glühender Pracht; dort ragten Bäume hoch empor, Vöglein sangen in jubelndem Chor; dort war von Gärten ein Blütenmeer, und Schlösser erhoben sich stolz und hehr. Der Geisterprinz stieg nun von seinem Rosse und hieß den Jüngling das gleiche tun. Dann nahm er ihn bei der Hand und führte ihn in eines jener Schlösser; in ihm erblickte der Prinz einen König hoch und behr, einen Herrscher von großer Ehr, und er blieb bei ihm den Tag über, bei Speise und Trank, bis die Nacht hereinbrach. Da bestieg der Geisterprinz



1000-und-1_Vol-04-286 Flip arpa

sein Roß, und der Sohn des Menschenkönigs saß mit ihm auf, und sie zogen unter dem Dunkel der Nacht dahin in eiligem Ritt, bis es Morgen ward. Da kamen sie in ein düsteres, ödes Gelände, voll schwarzer Felsen und Steine; das sah aus, als ob es ein Teil der Hölle wäre. Der Sohn des Menschenkönigs fragte: ,Wie heißt dies Land?' Und sein Begleiter antwortete ihm: ,Es heißt das Schwarze Land und gehört einem Geisterkönig des Namens Dhu el-Dschanahain, dem kein König zu widerstehen vermag; auch darf niemand ohne seine Erlaubnis dies Land betreten; drum warte hier, wo du bist, während ich ihn um die Erlaubnis bitte.' Der Jüngling wartete, und der Geisterprinz entschwand seinen Blicken. Nach einer Weile kehrte er zu ihm zurück, und dann ritten die beiden ohne Aufenthalt weiter, bis sie zu einer Quelle kamen, deren Wasser aus den schwarzen Bergen hervorsprudelte. Nun hieß der Geisterprinz den Jüngling absteigen; und der sprang von seinem Rosse herunter. Dann fuhr jener fort: ,Trink von diesem Quell!' Als der Prinz das getan hatte, ward er im selben Augenblicke wieder zum Manne, wie er es früher gewesen war, durch die Macht Allahs des Erhabenen. Darüber freute sich der Prinz gar sehr, ja, seine Freude kannte keine Grenzen mehr. Dann fragte er: ,Bruder, wie heißt diese Quelle?' Und jener antwortete: ,Die Frauenquelle; denn jede Frau, die aus ihr trinkt, muß zum Manne werden. Nun preise Allah den Erhabenen und danke Ihm, daß du geheilt bist, und besteig wieder dein Roß!' Da warf der Prinz sich nieder im Dankgebet vor Allah dem Erhabenen. Dann saßen die beiden auf und ritten eiligst weiter, den ganzen Tag hindurch, bis sie zu dem Lande jenes Dämonen heimkamen; dort verbrachte der Jüngling die Nacht bei ihm in aller Lebensfreude. Und den ganzen nächsten Tag aßen und tranken sie, bis es wiederum Nacht ward. Da fragte



1000-und-1_Vol-04-287 Flip arpa

der Geisterprinz seinen Gefährten: ,Willst du noch in dieser Nacht zu den Deinen zurückkehren?' ,Ja,' erwiderte jener, ,das möchte ich; danach sehne ich mich.' Alsbald rief der Geisterprinz einen der Sklaven seines Vaters, Râdschiz geheißen, und sprach zu ihm: ,Nimm diesen Jüngling fort von hier und trag ihn auf deiner Schulter, und laß den Morgen nicht über ihm dämmern, bevor er bei seinem Schwäher und seiner Gemahlin ist!' Der Sklave erwiderte: ,Ich höre und gehorche; herzlich gern!' Dann entschwand er ihren Blicken und kehrte nach einer Weile in der Gestalt eines Dämons zurück. Als der Jüngling ihn sah, war er vor Schreck wie von Sinnen; aber der Geisterprinz sprach zu ihm: ,Dir geschieht kein Leid! Besteige dein Roß und spring mit ihm auf die Schulter des Dämons!' ,Nein,' rief der Jüngling, ,ich will allein hinaufspringen und das Roß hier bei dir lassen.' Dann stieg er von seinem Pferde herunter und sprang auf die Schulter des Dämons. Der Geisterprinz sagte nun: ,Schließe deine Augen!' Und als der jüngling das getan hatte, flog der Geist mit ihm dahin zwischen Himmel und Erde, immer weiter, während der Prinz die Besinnung verlor. Kaum war das letzte Drittel der Nacht angebrochen, da befand er sich schon über dem Schlosse des Vaters der Prinzessin. Und als dann der Geist auf das Dach hinabgeflogen war, sprach er zu dem Prinzen: ,Steig ab!' Der tat es; dann fuhr der Dämon fort: ,Öffne deine Augen; dies ist das Schloß deines Schwähers und seiner Tochter!' Darauf verließ er ihn und flog davon. Als es aber heller Tag ward und der Jüngling sich von seinem Schrecken erholt hatte, stieg er von dem Dache ins Schloß hinunter. Kaum erblickte ihn sein Schwäher, so eilte er ihm entgegen, voll Staunen, daß er ihn vom Dache kommen sah. Und er sprach zu ihm: ,Bisher haben wir die Menschen immer durch die Tore eintreten sehen, du



1000-und-1_Vol-04-288 Flip arpa

aber kommst vom Himmel herunter!' ,Was Allah, der Hochgepriesene und Erhabene, will, das geschieht', antwortete der Prinz. Noch immer staunte der König darüber; aber er freute sich auch über die glückliche Ankunft des Prinzen. Und als die Sonne hoch am Himmel stand, befahl er seinem Wesir, prächtige Hochzeitsmähler zu rüsten. Der Minister tat, wie ihm befohlen war, und das Hochzeitsfest ward gefeiert. Darauf ging der Prinz zu seiner Gemahlin ein; und nachdem er zwei Monate dort verweilt hatte, zog er mit ihr zu der Stadt seines Vaters. Der Vetter der Prinzessin aber starb vor Eifersucht und Neid, weil jener Prinz sich mit ihr vermählt hatte. So half Allah, der Hochgepriesene und Erhabene, dem Prinzen gegen seinen Widersacher und gegen den Wesir seines Vaters. Der Jüngling kam nun mit seiner Gemahlin zu seinem Vater, wohlbehalten und in vollkommener Freude; und sein Vater zog ihm mit seinen Truppen und seinen Wesiren entgegen.

Auch ich hoffe - so schloß die Odaliske - zu Allah dem Erhabenen, daß er dir gegen deine Wesire helfen wird, o König; und ich bitte dich, schaffe mir mein Recht wider deinen Sohn!' Als der König diese Worte aus ihrem Munde vernahm, gab er Befehl, seinen Sohn hinzurichten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 584. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Odaliske, nachdem sie dem König die Geschichte erzählt hatte, mit den Worten schloß: ,Ich bitte dich, schaffe mir mein Recht wider deinen Sohn!' Da gab der König Befehl, seinen Sohn hinzurichten.

Das geschah am vierten Tage. Und nun trat der vierte Wesir zum König, küßte den Boden vor ihm und sprach: ,Allah festige und stärke den König! O König, sei bedachtsam in dem,



1000-und-1_Vol-04-289 Flip arpa

was du beschließest; denn der Verständige tut kein Werk, ohne den Ausgang zu erwägen. Das Sprichwort sagt: ,Wer den Ausgang der Dinge nicht bedenkt, dem wird vom Schicksal kein Glück geschenkt.' Und wer ohne Überlegung ein Werk tut, dem widerfährt, was dem Badhalter mit seiner Frau widerfuhr.' ,Wie erging es denn dem Badhalter mit seiner Frau?' fragte der König; und der vierte Wesir erzählte: ,Mir ist berichtet worden, o König,


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt