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Hauffs Werke

Zweiter Teil

Mitteilungen aus den Memoiren des Satan

Herausgegeben von Max Drescher

Berlin Leipzig Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Song &CO


Einleitung des Herausgebers.

Obwohl die "Mitteilungen aus den Memoiren des Satan" zunächst anonym erschienen, sind sie doch dasjenige Werk geworden, dem ihr Verfasser in erster Linie seinen Schriftstellerruhm verdankte. Möglicherweise hat sich Hauff mit dieser Art der Veröffentlichung den großen englischen Unbekannten zum Muster genommen , dem er ja auch in anderer Beziehung vielfach folgte; jedenfalls aber war gerade das Dunkel, das die Person des Herausgebers anfangs umgab, eine Veranlassung mehr, das Interesse der Kritiker und Leser auf seine "Memoiren" zu lenken, und aus den Rezensionen jener Zeit ist klar ersichtlich, welche Rolle die Frage nach dem Verfasser damals spielte. So schreibt das Literaturblatt Nr. 100 des Morgenblattes vom 2. September 1825 — wenige Wochen vorher, im August desselben Jahres, wurden die " Memoiren" veröffentlicht — "Der Stil ist zu loben. Die leichte, geschwätzige Prosa, meist frivol wie von Clauren, oft sarkastisch wie von Hoffmann, sollte fast eine norddeutsche Feder voraussetzen lassen, wenn nicht so mancher polemische Zug wahrscheinlich machte, daß sie in Schwaben gewachsen" , und in der Kritik des Wegweisers Nr. 81 — Beilage zur Abendzeitung vom 8. Oktober 1825 — heißt es: " Es ist uns nicht möglich gewesen, zu ergründen, wer hinter der angenommenen Larve stecken möge, aber jedenfalls wird sein Werk nicht ungelesen bleiben, und tritt er zuerst auf die Bahn der Literatur, so können wir derselben zu einem wackeren Mitkämpfer Glück wünschen." Wenige Wochen später, am 25. November 1825, bekennt sich Hauff als den Verfasser der "Memoiren" in einem an den Herausgeber der Abendzeitung, Th. Hell (Winkler), gerichteten Briefe, worin er diesem für die wohlwollende Beurteilung dankt in den Worten: . ,Vielleicht zählt auch Ihr schönes schriftstellerisches Leben eine Stunde, wo Sie schüchtern und befangen auf das Urteil lauschten, das die Gefeierten der Nation über



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die ersten Kinder Ihrer Muse fällen würden. Trat Ihnen damals auch Einer, dem der Lorbeer die Stirne umkränzte, so freundlich entgegen, um Sie zum Fortschreiten auf der betretenen Bahn aufzumuntern, o ! so möge diese schöne Erinnerung Ihnen die Stunde lohnen, die Sie mir durch Ihr gütiges Schreiben bereiteten." Uns ist Hauffs Briefwechsel mit Hell noch insofern besonders interessant, als wir daraus etwas Näheres über die Vorarbeiten zu den "Mitteilungen" erfahren, wenn es heißt: "Ich habe, ehe ich es wagte, jene Memoiren in die Welt gehen zu lassen, lange vorgearbeitet und Stoffe gesammelt, die nicht ohne Interesse sein möchten. Ich habe sie in Form von Novellen und Erzählungen teils schon niedergeschrieben, teils so angelegt, daß sie in kurzem der Vollendung nahe sind." Aus diesen Worten geht zur Genüge hervor, daß sich die "Memoiren" in der Art ihrer Entstehung wesentlich von den meisten übrigen Werken ihres Verfassers unterscheiden, die — wie der "Mann im Mond" oder "Lichtenstein" in fast einem Gusse innerhalb weniger Wochen zusammengeschrieben wurden. Für die "Memoiren" sind —wenigstens für den I. Teil — Aufzeichnungen früherer Jahre die ursprüngliche Grundlage gewesen, gelegentliche Niederschriften vielleicht schon aus den Blaubeurer Tagen [vgl Biographie], sicher aber aus der Tübinger Zeit über Vorkommnisse innerhalb des Universitäts- und Studentenlebens, die — zunächst des Zusammenhangs entbehrend —lose aneinandergereiht, noch keinem bestimmten einheitlichen Plane dienten. Zusammengefaßt und teilweise wohl auch erweitert wurden diese Skizzen erst unmittelbar vor der Veröffentlichung, und zwar stand Hauff dabei zweifellos unter dem Eindrucke der Schriften E. Th. A. Hoffmanns, an dessen . ,Elixiere des Teufels" nicht nur der Titel seines Werkes, "Mitteilungen aus den Memoiren des Satan" , sondern nach Stimmung und Stil namentlich der von ihm selbst als "Einleitung" bezeichnete Anfang (Kap. 1-4) erinnert. Der scheinbare Zweck dieser Eingangskapitel, die Erklärung des Umstandes, wie der Herausgeber zu dem Manuskripte der ",Mitteilungen" kam, wird deutlich vonn der Absicht des Verfassers überwogen, durch eine möglichst drastische, gruselig-grausige Erzählung — ganz in Hoffmannscher Manier — das Interesse des Lesers von der ersten Seite an zu fesseln. Außer dieser "Einleitung" muß auch das "Einleitende Bemerkungen" überschriebene 5. Kapitel zeitlich hinter den übrigen Text gestellt werden; man könnte es mit gutem Rechte ein Postskriptum nennen, und es ist gerade dieser kleine Abschnitt durchaus bemerkenswert und für das ganze Werk sowohl , als für die Produktionsweise Hauffs und seine eigenartige



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persönliche Veranlagung bezeichnend. Ernstgemeintes ist darin mit satirischen Brocken durchsetzt, Selbstkritik wechselt ab mit Glossen über die strenge Beurteilung literarischer Erzeugnisse durch die sogenannten" Rezensenten und mit Entschuldigungen des Mangels an innerem Zusammenhange, " am systematischen, ruhigen Fortschreiten der Rede" . Mut diesem letzteren Hinweise hat der Dichter seine "Memoiren" in der Tat treffend gekennzeichnet; es sind, wie er selbst sagt, "längere und kürzere Bruchstücke aus seinem Walten und Treiben auf der Erde" , die seine Stellung zu der Zeit, der er angehörte, und seine Reflexionen darüber veranschaulichen sollen. Mag die Literatur späterer Jahrzehnte ähnliche Themen weitblickender und mit größerer Geistesschärfe behandelt haben, gewisse Abschnitte der Hauffschen Satanmemoiren, vor allem die Reminiszenzen aus der Studentenzeit, werden ihre Wirkung auch in der Zukunft ungeschwächt erhalten. Das liegt im wesentlichsten darin begründet, daß ihr Verfasser mitten in den von ihm geschilderten und teilweise satirisch beurteilten Kreisen gestanden hat, daß er damit also zum großen Teil wirklich Selbsterlebtes bietet, vor allem aber auch an seinem jugendfrischen Humor, der in oft köstlicher Weise neben der Deutschtümelei der damaligen akademischen Jugend ihre Trinksitten und burschikosen Gebräuche zu karikieren, auch Einrichtungen des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens unter die Lupe der Kritik zu nehmen versteht. Nicht ganz so glücklich war Hauff mit den "Unterhaltungen des Satan und des ewigen Juden in Berlin" , dem Inhalte des 2. Hauptabschnittes, noch weniger — wie er selbst zugestanden hat — mit dem "Satans Besuch bei Herrn von Goethe" , während " der Festtag im Fegefeuer" wieder mehr anspricht, zumal er in den Berichten des Baron Garnmacher eine Menge biographischen Materials enthält, das indessen immer nur cum grano aula zu verwerten ist. Daß es nicht leicht war, so völlig verschiedenartige Stoffe aneinanderzureihen, leuchtet wohl ein, um so mehr, als in den 2. größeren Abschnitt der erste Tait einer Novelle " Der Fluch" eingelegt werden sollte. Daher die große Zahl von Einleitungen, die neben den mancherlei Exkursen und "Anmerkungen des Herausgebers" die übersicht über das Ganze erst recht erschweren und bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich erschweren sollen. Scherz und Ernst, Satire und wirkliche Kritik, Erlebtes und Erdichtetes, Wahres und Übertriebenes, alles ist durcheinander gewürfelt; doch läßt die Entstehungsweise der "Memoiren" und die Eigenart ihres jugendlichen Verfassers dieses bunte Allerlei gar wohl erklärlich erscheinen.

Der ll. Teil folgte dem ersten bereits im Herbste des Jahres



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1826, fand aber schon damals — so sehnsüchtig man ihn erwartet hatte —nicht die gleiche enthusiastische Aufnahme, und auch heute ist er nicht in demselben Maße im Volke bekannt und genannt als der erste. Offenbar tragen stoffliche Verhältnisse die Schuld daran. Schon die Einleitung kann infolge ihrer zu stark persönlich gefärbten Tendenz —enthält sie doch in gedrängter Wiedergabe alles, was Hauff inzwischen Unangenehmes erfahren hatte, weil er den

Mann im Mond" unter dem Namen Claurens herausgab — nicht das gleiche allseitige Interesse erregen. Auch der "Besuch in Frankfurt" erscheint für die Allgemeinheit nicht in derselben Weise geeignet, so unmittelbar er erlebt, so witzig er erzählt, so vorzüglich das Milien, worin sich die schachernden und feilschenden Juden bewegen, getroffen ist. Bis zu einem gewissen Grade gilt das auch von der Fortsetzung des Festtags im Fegefeuer, so ergötzlich und gelungen einzelne Szenen, es sei nur an das Theater mit den darin gebotenen überraschungen erinnert, genannt zu werden verdienen; Exkurse, wie der über die Rezensenten, werden ihrer Länge wegen sicher oft vom lesenden Publikum überschlagen. Dazu kommt der Mangel an innerem Zusammenhange , der dadurch noch fühlbarer wird als im I. Teile, daß er nicht wie dort durch besondere Einleitungen verdeckt ist. Die Fortsetzung der Novelle "Der Fluch" folgt z. B. dem "Theater im Fegefeuer" ohne jede Verbindung. und um diese nur einigermaßen herzustellen, braucht der Verfasser beinahe sechs Seiten, muß Namen wiederholen und ganze Szenen rekapitulieren, weil sonst kein Leser imstande gewesen wäre, den früher grundlos abgerissenen Faden sofort wieder anzuknüpfen. Sprachlich steht der ll. Teil nicht hinter dem I. zurück, und das ist wohl hauptsächlich der Grund, weshalb er trotz der erwähnten stofflichen und kompositionellen Mängel dennoch auch in Zukunft seinen Platz neben jenem behalten wird. Das führt uns zu einigen Bemerkungen über Sprache und Stil.

Es verdient besonders hervorgehoben zu werden, welch bedeutenden Wandel Hauff in dieser Beziehung seit Herausgabe des 1. Märchenalmanaches durchgemacht hat, wie der einfache, schlichte Ton der Erzählung jetzt durch eine ganz andere, flüssigere, mehr feuilletonistische — der Rezensent des Morgenblattes vom 2. September 1825 sagte mit einem schwäbischen Ausdrucke "geschwätzigere" —Art zu schreiben ersetzt worden ist, die im Einklange mit humoristischen und satirischen Elementen ihre Wirkung nicht verfehlen kann. Auffällig erscheint z. B. die große Anzahl von Attributen, die zwar im Sprachgebrauche sonst nicht vorkommen, die aber an der betreffenden Stelle recht bezeichnend sind, wie , .die



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gelehrte Nähe" , "ein demütiger Bückling" , "interessante Mondscheinblässe" , " ein rasiertes Kaninchen" , "melancholischer Frosch" usw. Recht wirkungsvoll sind ferner eine Reihe komischer Bilder. So schreibt er nach dem Verhöre des vermeintlichen Demagogen durch die "höchstpreusliche" Untersuchungskommission: "Sie (die Mitglieder jener Kommission) saßen da, wie von Gott verlassen, und wünschten sich in Abrahams Schoß, das heißt in den ruhigen Hafen ihres weiten Lehnskuhls." Im 7. Kapitel sagt er gelegentlich des Besuchs der Kollegien: " Er (der Professor der Philosophie) machte sich groß, weil er aus seinen Schlüssen sich eine himmelhohe Jakobsleiter gezimmert und solche mit mystischem Firnis angepinselt hatte." Die päpstlichen Soldaten am Portale der Sixtinischen Kapelle nennt er "alte, ausgediente, schneiderhafte Gestalten, die hier Wache hielten mit so meisterlicher Grandezza als nur die Cherubim an der Himmelstüre" , die katholische Kirche ist ihm " eine Brandversicherungsanstalt gegen die Hölle, eine Seelen-Assekuranz gegen den Tod" . das Turnen " eine Erfindung des Teufels und der Demagogen, eine vaterlandsverräterische Ausbildung der körperlichen Kräfte" , die Turnplätze "sind eigentlich die Tierparks und Salzlecken des demagogischen Wildes" . Rebekka, das gebildete Judenfräulein. wird als "Gazelle des Morgenlandes" , an andrer Stelle als "Taube von Juda" bezeichnet . Wohl gelungen ist auch die Verwendung von Ausdrücken des studentischen Komments. Hauff läßt die jungen Herren bisweilen in ihrer eignen, nicht immer salonfähigen Sprache miteinander verkehren, erklärt dann das scheinbar Unverständliche und teilt dabei manch bittre Pille aus. Ebensogut beherrscht er den Jargon der Männer " von unsere Lait" , wenn auch zugegeben werden muß, daß er in der Ausdrucksweise der Rebekka etwas zu stark übertrieben hat.

Die Quellenfrage liegt für die "Memoiren" verhältnismäßig einfach. Die meisten der behandelten Stoffe enthalten —wie schon in anderem Zusammenhange erwähnt wurde — Selbsterlebnisse, und zwar sind es in den Kapiteln 1—4 namentlich Erinnerungen an eine Rheinreise, die Hauff in Gesellschaft einiger Freunde im Sommer des Jahres 1822 unternahm. "Im behaglichen Gasthofe zu den drei Reichskronen," sagt Hans Hofmann in seiner Hauff-Biographie (S. 46), "ging unserem Dichter das Eingangskapitel der Memoiren auf, zwar wohl noch nicht in allen Einzelheiten, aber doch in den ersten Anregungen und Stimmungen und jedenfalls der Szenerie und Umgebung nach." " Das war damals," schreibt Moritz Pfaff, einer der Reisegefährten, in Rückerinnerung an den genußreichen Aufenthalt im behaglichen



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Quartier, "der erste Gasthof der Stadt; er imponierte uns Neulingen gewaltig, und wir haben's uns sehr wohl dort sein lassen. Hauff hat später in den uns besonders anmutenden Speisesaal des Hotels die Einleitung zu seinen Memoiren verlegt, die er mir als Andenken an die frohesten Stunden seines Lebens geweiht hat." In den Kapiteln 5 —12 klingen vor allem Tübinger Verhältnisse an, und es ist wohl möglich, daß für einzelne der dort eingeführten Personen Originale aus den Studenten- beziehungsweise Professorenkreisen gewählt wurden. So erzählt z. B. Karl von Hase in seinen "Ideale und Irrtümer" (Leipzig, Breitkopf Hartel, 1891), S 121/122: "Bei den Professoren war die für sitzende Leute bequeme Sitte, einen Besuchenden nicht niedersitzen zu lassen, sondern mit ihm durch seine Zimmer auf und ab zu wandern. Als ich dem ersten Professor der Theologie, Prälat von Bengel, meine Aufwartung machte und im Verlaufe des mühsam sich fortwindenden Gesprächs ihn ersuchte, für einige Bücher, die ich von der Bibliothek entleihen wollte, die gesetzliche Bürgschaft zu unterzeichnen, ging er zweimal mit mir schweigend durch die beiden geöffneten Zimmer, und ich war schon nahe daran, auch schweigend hinwegzugehen." Damit vergleiche inan, was der Satan im 7. Kapitel über seinen Besuch bei dem "ersten" Theologen berichtet . Auch der Untersuchung gegen "Herrn von Barbe" wegen demagogischer Umtriebe können tatsächliche Vorkommnisse zugrunde liegen, da sowohl der eben erwähnte Hase als auch Karl Knaus, die beide in freundschaftlichem Verhältnisse zu unserem Dichter standen, 1824 bezw. 1825 eine Zeitlang auf dem Asperg gefangen saßen. Zu dem Z. Hauptabschnitte des I. Teiles hat gleichfalls ein dem Freundes- und Verwandtenkreise Hauffs Angehöriger Anregung gegeben, nämlich Carl Grüneisen, der 1824 mit Wilibald Alexis bei Goethe war. "Mein Besuch in Frankfurt " ist während der Pfingsttage des Jahres 1826 in Frankfurt selbst konzipiert, und die Vermutung Hofmanns (siehe S. 91) liegt allerdings nahe, "daß er dort im ,Weißen Schwan' auf Nr. 45 gewohnt und nicht nur die Börsenhalle besucht, sondern auch am dritten Feiertag den vielberühmten Wäldchestag mitgemacht und am vierten den Garten des ,Goldenen Löwen' in Bornheim besucht habe." Unter den literarischen Vorbildern für die "Memoiren" muß an erster Stelle E. Th. A. Hoffmann erwähnt werden, der bezüglich der Stimmung und des übermütig barocken Stils zweifellos von Einfluß gewesen ist, ohne daß es möglich wäre, etwa direkte Entlehnungen zu konstatieren. Eine gewisse Ähnlichkeit verrät der Eingang des 11. Kapitels "Wen der Teufel im Tiergarten traf" mit Hoffmanns "Ritter Gluck'



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(Phantasiestücke in Callots Manier, 1. Teil), wie folgende Gegenüberstellung zeigt. Hoffmann.

Der Spätherbst in Berlin hat gewöhnlich noch einige schöne Tage. . . . Dann sicht man eine lange Reihe, buntgemischt — Elegants, Bürger mit der Hausfrau, Juden, Referendare, Freudenmädchen, Professoren, Putzmacherinnen, Tänzer, Offiziere usw. durch dir Linden nach dem Tiergarten ziehen. Hauff.

Ich saß, es mögen bald drei Jahre sein, an einem schönen Sommerabend im Tiergarten zu Berlin . . . . sonst ging es . . . oder mit Jubel und Lachen die Linden entlang nach dem Tiergarten hinaus. . . . Ich konnte mich nicht enthalten, einen Gang durch die buntgemischte Gesellschaft zu machen. Die glänzenden Militärs von allen Chargen mit ihren ebenso verschieden chargierten Schönen, die zierlichen Elegants und Elegantinnen, die Mütter, die ihre geputzten Töchter zu Markte brachten, die wohlgenährten Räte, mit einem guten Griff der Kassengelder in der Tasche, und Grafen, Barone, Bürger, Studenten und Handwerksburschen , anständige und unanständige Gesellschaft. —

Jeder objektive Beurteiler wird indessen zugeben, daß die hier tatsächlich vorhandenen übereinstimmungen durchaus belanglos und Hauff sicherlich gegen seinen Willen —vielleicht infolge einer allzu guten Reproduktionsfähigkeit — untergelaufen sind. Wenn er sich dessen bewußt gewesen wäre, daß er den Hoffmannschen Text in unzulässiger Weise benutzte, würde er sich gehütet haben, den Herrn "Kammergerichtsrat" auf der folgenden Seite in eigner Person auftreten zu lassen.

Einen Anklang an eine Szene der Serapionsbrüder (III. Berlin, Georg Reimer, 1872, S. 97) — die plötzliche Unterbrechung einer Vorlesung durch eine der zuhörenden Personen könnte man in den einleitenden Sätzen des 15. Kapitels . .Das Intermezzo" erblicken; doch sind die Nebenumstände bei Hauff völlig anderer Natur. Die wirkliche übernahme eines Motives



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— die von dem ewigen Juden im 13. Kapitel erzählte Anekdote von der vermeintlichen Ermordung der "hartnäckigen" Elise und "Pauline Dupuis" aus dem "Vademecum für lustige Leute" (Berlin, Mylius) — hat Behaghel im Archiv für Literaturgeschichte, 12. Bd., S. 480/81 festgestellt. Im Vademecum, Bd. VI., S. 223 heißt es unter der Überschrift: "Mißverstand" : "Scudéri und seine Schwester kehrten auf der Reise in einem Wirtshause ein, und beide sollten in einem Zimmer schlafen. Mademoiselle Scudéri war damals eben mit dem Trauerspiel Cyrus beschäftigt, und ihr Bruder fiel beim Schlafengehen auf die Frage, was sie zuletzt mit dem Manald anfangen wollte, der eine Hauptrolle in diesem Stücke hat. Nach langem Streiten wurden sie einig, daß er sollte ermordet werden. Dies hörten einige Kaufleute, die in der Nebenstube schliefen, und hielten es für ihre Schuldigkeit, die Obrigkeit davon zu benachrichtigen, daß in dem Wirtshause ein Paar Personen logierten, die mit dem Morde einer vornehmen Person, vielleicht gar eines Prinzen, umgingen. Man zog hiernach beide in Verhaft, und sie hatten viele Mühe, sich zu rechtfertigen."

Auch der Umstand, daß Hauff die "Memoiren" als ein ihm von andrer Seite übergebenes Manuskript veröffentlicht, wird in der Regel auf das Konto des Hoffmannschen Einflusses geschrieben, da ja die "Elixiere des Teufels" gleichfalls den nachgelassenen Papieren des Bruders Medardus, eines Kapuziners, entstammen; jedoch kann man hierin mit noch größerer Wahrscheinlichkeit eine Einwirkung Walter Scotts erblicken. Bekanntlich ließ dieser fast alle seine Romane anonym erscheinen und versuchte im Vorworte zu einer Anzahl derselben in seinen Lesern den Glauben zu erwecken, als handle es sich im folgenden um alte, ihm übergebene Papiere, z. B. "ächte Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhunderte" . (Man vergleiche Clutterbucks Brief an Waverley in dem Roman "Das Kloster".) In der Einleitung zu Peveril, dem vorberichtlichen Schreiben des hochwürdigen Doktors Driasdust von York, sagt er: . ,Kaum fand ich, daß das Manuskript — welches ihm mit der Aufschrift " Peveril of Paus" von unbekannter Seite zugegangen war - aus einer Erzählung bestand, deren 3 Bände jeder ungefähr 330 Seiten füllte, als mir auch sofort klar wurde, von wem wohl die Gabe kommen dürfte." Während Hoffmann erzählt , daß er nur mit Mühe des Priors Bedenken überwunden habe, ihm die Papiere des Bruders Medardus zu übergeben, wird dem Herausgeber der "Memoiren" das Manuskript mit der Bitte eingehändigt, es zu dechiffrieren und zu veröffentlichen.



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Momente, die entschieden mehr an Scotts Einführung erinnern, zumal dieser seinen Einleitungen — wie wir das bei Hauff wiederfinden — einen viel breiteren Raum gewährt, als es bei Hoffmann der Fall ist.

Zumeist übersehen wird endlich die Tatsache, daß die "Memoiren" bereits Claurensche Elemente aufweisen. Wenn beispielsweise der Professor im 3. Kapitel spricht: "Ach, wenn Sie wüßten, bester Doktor, was mir der Oberkellner sagte, aber mit der größten Diskretion, daß man ihn vorgestern nachts aus ihrem Zimmer . . ." , oder wenn er kurz zuvor ausruft: "Sie glauben nicht, welcher Reiz in dem ewig heitern Auge, in diesen Grübchen auf den blühenden Wangen, in dem Schmelz ihrer Zähne, in diesen frischen, zum Kuß geöffneten Lippen, in diesen weichen Armen, in diesen runden, vollen Formen der schwellenden —" , wenn sich später gelegentlich des ästhetischen Tees die jungen Damen über den Schnitt der Gardebeinkleider unterhalten, so sind das entschieden Motive der Claurenschen Muse. Lassen schon diese Beispiele klar erkennen, daß sich Hauff hier bereits bewußt der später von ihm so verpönten Art bedient, so handelt es sich bei Stellen wie " Es ist etwas Schönes um ein Mädchen, das in sanfter, stiller Liebe ist, es ist etwas Heiliges . . ." "Ich kenne das, so was Heiliges, so was Weinendes, Madonnenartiges, Grazienhaftes, Süßes, Bitterschmerzliches, kurz, so was Klagendes, Anziehendes" erst recht um Übertreibung und Persiflage. In das Bereich Claurenscher Manier gehören wohl auch die bisweilen ziemlich gewagten Späße, die sich der Satan mit dem . Schnatterer erlaubt. Eine noch derbere Stelle, die ursprünglich als Anmerkung zu dem Satze gedacht war (1. Abschnitt des 18. Kapitels): "Wird eine Prinzessin oder gar ein Stammhalter geboren, so verkündet schrecklicher Kanonendonner diese Nachricht" , lautete im Manuskript. "Ja, es kam sogar in einem kleinen souveränen Reich in Deutschland vor, daß man unter dem Schießen schnell noch einige 30 Pfund Schießpulver in einem Kaufladen des Residenzstädtchens holen mußte, weil man sich nur auf die 32 Schüsse einer regelmäßigen Prinzessin gefaßt gemacht hatte. Der Kaufmann wog das Pulver für den eiligen Konstabler, so schnell er konnte, aber, o Unglück! Die übrigen ,Artilleristen bedienten die beiden Reichskanonen mit solcher Schnelligkeit, daß der Pulver Herbeiholende eine halbe Stunde nach dem 32. Schuß ankam. Was war natürlicher , als daß man überall dachte, es sei eine Prinzessin; als aber der 33. kam und bis auf 101 weiter machte, sagten die Leute in der Residenz, man habe der Prinzessin ein Schwänzchen



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angehängt, nämlich beim Schießen, und dann sei ein Prinz draus geworden. So geschehen in dem kleinen Reich, Hechingen war es übrigens nicht." Hauff hat diesen Passus vor der Drucklegung mehrfach durchstrichen, das erscheint uns recht bezeichnend für seinen Geschmack, und nur deshalb wurde jene damals mit vollem Rechte unterdrückte Anmerkung hier aufgenommen. Wenn auch Hauff dem Dichter der "Mimili" bis zu einem gewissen Grade folgt, ihn an anderen Stellen sogar zu überbieten und dadurch lächerlich zu machen sucht, so überschreitet er doch eine bestimmte Grenze des Anstandes nicht, eine Tatsache, die in anderem Zusammenhange ihre Bedeutung gewinnen wird.

Das im Schiller-Museum zu Marbach liegende Manuskript zu den "Memoiren des Satan" ist unter allen denjenigen Handschriften des Dichters, die dort deponiert sind, das am wenigsten vollständige. Es fehlt außer der Einleitung und dem Schlusse des I. Teiles der ganze II., sowie eine Reihe einzelner Seiten, über deren Verbleib nichts Bestimmtes zu erfahren war. Die vorhandenen Stücke weisen viele Korrekturen auf, oft sind ganze Partien durchgestrichen, mehrfach einzelne Wörter durch stark aufgetragene Tinte völlig unleserlich gemacht. Interessant schien mir die Verbesserung der ursprünglich "höchstpreuslichen" Zentraluntersuchungskommission in eine "höchstpreisliche" .

Die Aufnahme, welche den "Memoiren" bei ihrem Erscheinen zuteil wurde, war im allgemeinen eine recht günstige. Außer dem am Anfange dieser Einleitung bereits erwähnten Morgenblatt" vom 2. Sept. 1825 und dem "Wegweiser" vom 8. Oktober 1825 brachte das "Litterarische Konversationsblatt" vom 20. Dezember 1825 eine wenn auch ziemlich ausführliche, so doch keineswegs besonders anerkennende und schmeichelhafte Besprechung. Es heißt z. B. darin: "Der ersten dieser Mitteilungen haben wir keinen sonderlichen Geschmack abgewinnen können. Ein rechtschaffener Teufel, sollten wir meinen, der Theologie, Jura und alles studiert, müßte in seinen Kollegienheften ganz andere Dinge mit sich nach Hause nehmen, als verbrauchte Studentenwitze oder theologische Kurditäten." Trotz alledem wurde diese Rezension im Verein mit der des "Morgenblattes" " aber doch die Veranlassung zu folgendem sehr hämischen Artikel des "Bemerker" 10 zum "Gesellschafter" Nr. 46, 1826 (vgl. Hofmann, S. 168/169): "Wie wird jetzt in Deutschland ein literarischer Name nicht erworben, sondern fabriziert?

Gerade wie vor zehn bis zwölf Jahren. Man schreibt



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nämlich (was im Gebiet der Wissenschaft nicht wohl angeht) frischweg ein Buch. Der Titel muß auffallend sein; kann man keinen neuen erfinden, so wärmt man einen dergleichen alten auf; mit dem Inhalte mache man es ebenso; wenn er barock ist, kann man ihn für genialisch ausgeben; je zusammengewürfelter, um so romantischer ist er; je konfuser, um so tiefsinniger; je hanswurstartiger, um so humoristischer. Die Form muß, durch den Inhalt bedingt, dessen Spiegelbild sein, d. h. nichts und alles, nämlich der Autor muß alle Form verachten und aller Formen sich willkürlich bedienen: je ungehobelter, je großartiger. Nebenher zeigt man auch, daß man seine Studien als Klopffechter gemacht habe, greift pikanterweise, mit Stecknadeln, die Herren der vaterländischen Literatur an; und fertig ist das Meisterstück des nagelneuen Genies. Nun aber kommt erst die Hauptsache! Nun ist man Mitarbeiter mehrerer Zeitschriften (je mehr, je besser), und da schickt man denn nach allen Seiten Ankündigungen, Kritiken, Rekommandationen des eigenen Werks und lobt und preiset und erhebt es ohne alle Verschämtheit. Treten nun zwei solcher Schriftner in Kompagnie und lobhudeln sich gegenseitig, so geht die Sache noch leichter vonstatten, und in Zeit von sechs Wochen können zwei unbekannte Männlein zu einer, wenn auch nur gewissen Namhaftigkeit gelangen. Was in dieser Art nun vor zehn oder zwölf Jahren geschehen ist, darüber ist man jetzt im klaren, und daher bedarf es nicht gerügt zu werden. Wie man es aber heute so fort treibt, davon sei hier zu Nutz und Frommen ein Beispiel angeführt. Man lese im "Leipziger Litter. Konversationsblatt" Nr. 292, 1825, wie dort der " Satan" gelobhudelt wird, und zwar vom "Popanz" , und wie dagegen der Satan" im . ,Litteraturblatt des Morgenblatts" , Nr. 100, den Popanz" lobhudelt. Wahrlich, eine ästhetische Szene, die, lebte er noch, Hogarth benutzt haben würde. Was wäre da noch hinzuzufügen, wo die Tatsache sich so klar ausspricht, als erstlich: ein ernstgemeintes Schade! daß in zwei so ausgezeichneten Zeitschriften, als die genannten, sich dergleichen einschleichen konnte; und zweitens, daß dem neuen Redakteur des Cottaschen Litteratur-Blatts" eine gewisse Tugend geboten haben sollte, das Popanzlob, sanft errötend, dem Einsender zurückzuschicken. Bis man nicht dazu gezwungen wird, sei fürs erste nichts Näheres über dieses kleine Faktum gesagt."

Natürlich konnte Hauff diesen ehrenrührigen Angriff nicht unerwidert lassen, und . ,Bemerker" Nr. 15 vom 6. April 1826 veröffentlichte folgende Entgegnung.


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