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Hauffs Werke


Erster Teil Gedichte — Märchenalmanache

Herausgegeben und mit einem Lebensbild versehen von

Max Drescher



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Varlin Leipzig — Wien — Stuttgart Deutsches Verlagshaus Bang & Co.



000.r04 Flip arpa


Spamersche Buchdrukerei in Leipzig


Schneeweißchen und Rosenrot.

(Im Original S. 269-278).



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Noch waren die jungen Männer im Gespräch über diese Märchen und über den Alten, den Derwisch Mustapha. Säe fühlten sich nicht wenig geehrt, daß ein so alter und berühmter Mann sie seiner Aufmerksamkeit gewürdigt und sogar öfters mit ihnen gesprochen und gestritten hatte. Da kam plötzlich der Aufseher der Sklaven zu ihnen und lud sie ein, ihm zum Scheik zu folgen, der sie Sprechen wolle. Den Jünglingen pochte das Herz. Noch nie harten sie mit einem so vornehmen Mann gesprochen, nicht einmal allein, viel weniger in so großer Gesellschaft. Doch sie faßten sich, um nicht als Toren zu erscheinen, und folgten dem Aufseher der Sklaven zum Scheik. Ali Banu saß auf einem



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reichen Polster und nahm Sorbet zu sich. Zu seiner Rechten saß der Alte, sein dürftiges Kleid ruhte auf herrlichen Polstern, seine ärmlichen Sandalen hatte er auf einen reichen Teppich von persischer Arbeit gestellt; aber sein schöner Kopf, sein Auge voll Würde und Weisheit zeigte an, daß er würdig sei, neben einem Mann wie der Scheit zu sitzen.

Der Scheit war sehr ernst. und der Alte schien ihm Trost und Mut zuzusprechen. Die Jünglinge glaubten auch in ihrem Ruf vor das Angesicht des Scheit eine List des Alten zu entdecken, der wahrscheinlich den trauernden Vater durch ein Gespräch mit ihnen zerstreuen wollte.

"Willkommen, ihr jungen Männer," sprach der Scheit, "willkommen in dem Hause Ali Banus! Mein alter Freund hier hat sich meinen Dank verdient, daß er euch hier einführte; doch zürne ich ihm ein wenig, daß er mich nicht früher mit euch bekannt machte. Wer von euch ist denn der junge Schreiber?"

"Ich, o Herr! und zu Euren Diensten!" sprach der junge Schreiber, indem er die Arme über der Brust kreuzte und sich tief verbeugte.

"Ihr hört also gerne Geschichten und leset gerne Bücher mit schönen Versen und Denksprüchen?"

Der junge Mensch erschrak und errötete; denn ihm fiel bei, wie er damals den Scheik bei dem Alten getadelt und gesagt hatte, an seiner Stelle würde er sich erzählen oder aus Büchern vorlesen lassen. Er war dem schwatzhaften Alten, der dem Scheit gewiß alles verraten hatte, in diesem Augenblicke recht gram, warf ihm einen bösen Blick zu und sprach dann: "O Herr! Allerdings kenne ich für meinen Teil keine angenehmere Beschäftigung, als mit dergleichen den Tag zuzubringen. Es bildet den Geist und vertreibt die Zeit. Aber jeder nach seiner Weise! Ich tadle darum gewiß keinen. der nicht —"

"Schon gut, schon gut," unterbrach ihn der Scheik lachend und winkte den zweiten herbei. "Wer bist denn du?" fragte er ihn.

*Herr, ich bin meines Amtes der Gehilfe eines Arztes und habe selbst schon einige Kranke geheilt.

*Richtig," erwiderte der Scheik, "und Ihr seid es auch, der das Wohlleben liebet ; Ihr möchtet gerne mit guten Freunden hie und da tafeln und guter Dinge sein? Nicht wahr, ich habe es erraten?"

Der junge Mann war beschämt; er fühlte, daß er verraten war und daß der Alte auch von ihm gebeichtet haben mußte. Er faßte sich aber ein Herz und antwortete: "O ja, Herr, ich rechne



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es unter des Lebens Glückseligkeiten, hie und da mit guten Freunden fröhlich sein zu können. Mein Beutel reicht nun zwar nicht weiter hin, als meine Freunde mit Wassermelonen oder dergleichen wohlfeilen Sachen zu bewirten; doch sind wir auch dabei fröhlich, und es läßt sich denken, daß wir es noch um ein gutes Teil mehr wären, wenn ich mehr Geld hätte."

Dem Scheik gefiel diese beherzte Antwort, und er konnte sich nicht enthalten, darüber zu lachen. "Welcher ist denn der junge Kaufmann?" fragte er weiter.

Der junge Kaufmann verbeugte sich mit freiem Anstand vor dem Scheik; denn er war ein Mensch von guter Erziehung; der Scheit aber sprach: "Und Ihr? Ihr habt Freude an Musik und Tanz? Ihr höret es gerne, wenn gute Künstler etwas spielen und singen und sehet gerne Tänzer künstliche Tänze ausführen?"

Der junge Kaufmann antwortete: "Ich sehe wohl, o Herr, daß jener alte Mann, um Euch zu belustigen, unsere Torheiten insgesamt verraten hat. Wenn es ihm gelang, Euch dadurch aufzuheitern, so habe ich gerne zu Eurem Scherz gedient. Was aber Musik und Tanz betrifft, so gestehe ich, es gibt nicht leicht etwas, was mein Herz also vergnügt. Doch glaubet nicht, daß ich deswegen Euch tadle, o Herr, wenn Ihr nicht ebenfalls —'

"Genug, nicht weiter!" rief der Scheik, lächelnd mit der Hand abwehrend. "Jeder nach seiner Weise, wollet Ihr sagen; aber dort steht ja noch einer; das ist wohl der, welcher so gerne reisen möchten Wer seid denn Ihr, junger Herr?"

"Ich bin ein Maler, o Herr," antwortete der junge Mann; ich male Landschaften teils an die Wände der Säle, teils auf Leinwand. Fremde Länder zu sehen, ist allerdings mein Wunsch; denn man sieht dort allerlei schöne Gegenden, die man wieder anbringen kann; und was man sieht und abzeichnet, ist doch in der Regel immer schöner, als was man nur so selbst erfindet."

Der Scheit betrachtete jetzt die schönen jungen Leute, und sein Blick wurde ernst und düster. "Ich hatte einst auch einen lieben Sohn," sagte er, "und er müßte nun auch so herangewachsen sein wie ihr. solltet ihr seine Genossen und Begleiter sein, und jeder eurer Wünsche würde von selbst befriedigt werden. Mit jenem würde et lesen, mit diesem Musik hören, mit dem undern würde er gute Freunde einladen und fröhlich und guter Dinge sein, und mit dem Maler ließe ich ihn ausziehen in schöne Gegenden und wäre dann gewiß, daß er immer wieder zu mir zurückkehrte. So hat es aber Allah nicht gewollt, und ich fügt mich in seinen Willen ohne Murren. Doch es steht in meiner Macht, eure Wünsche dennoch zu erfüllen, und ihr sollt freudigen



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Herzens von Ali Banu gehen. Ihr, mein gelehrter Freund," fuhr er fort, indem er sich zu dem Schreiber wandte, "wohnt von jetzt an in meinem Hause und seid über meine Bücher gesetzt. Ihr könnet noch dazu anschaffen, was ihr wollet und für gut haltet, und Euer einziges Geschäft sei, mir, wenn Ihr etwas recht Schönes gelesen habt, zu erzählen. Ihr, der Ihr eine gute Tafel unter Freunden liebet, Ihr sollet der Aufseher über meine Vergnügungen sein. Ich selbst zwar lebe einsam und ohn: Freude; aber es ist meine Pflicht, und mein Amt bringt mit sich, hie und da viele Gäste einzuladen. Dort sollet Ihr an meiner Stelle alles besorgen und könnet von Euren Freunden dazu einladen, wen Ihr nur wollet; versteht sich, auf etwas Besseres als Wassermelonen. Den jungen Kaufmann da darf ich freilich seinem Geschäft nicht entziehen, das ihm Geld und Ehre bringt; aber alle Abende stehen Euch, mein junger Freund, Tänzer, Sänger und Musikanten zu Dienste, so viel Ihr wollet; lasset Euch aufspielen und tanzen nach Herzenslust! Und Ihr," sprach er zu dem Maler, "Ihr sollet fremde Länder sehen und das Auge durch Erfahrung schärfen. Mein Schatzmeister wird Euch zu der ersten Reise, die Ihr morgen antreten könnet, tausend Goldstücke reichen nebst zwei Pferden und einem Sklaven. Reiset, wohin Euch das Herz treibt. und wenn Ihr etwas Schönes sehet, so malet es für mich!"

Die jungen Leute waren außer sich vor Erstaunen, sprachlos vor Freude und Dank. Sie wollten den Boden vor den Füßen des gütigen Mannes küssen; aber er ließ es nicht zu. "Wenn ihr einem zu danken habt," sprach er, "so ist es diesem weisen Mann hier, der mir von euch erzählte. Auch mir hat er dadurch Vergnügen gemacht, vier so muntere junge Leute eurer Art kennen zu lernen."

Der Derwisch Mustapha aber wehrte den Dank oer Jünglinge ab. "Sehet," sprach er, "wie man nie voreilig urteilen muß; habe ich euch zuviel von diesem edlen Manne gesagt?"

"Lasset uns nun noch den letzten meiner Sklaven, die heute frei sind, erzählen hören," unterbrach ihn "III Banu, und die Jünglinge begaben sich an ihre Plätze.

Jener junge Sklave, der die Aufmerksamkeit aller durch seinen Wuchs, durch seine Schönheit und seinen mutigen Blick in so hohem Grade auf sich gezogen hatte, steirer jetzt auf, verbeugte sich vor dem Scheit und fing mit wohltönender Stimme also zu sprechen an;


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