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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM SCHURKEN UND DER KEUSCHEN FRAU

Ein Mann liebte einst eine Frau, die von großer Schönheit und Anmut war; und sie hatte einen Gatten, der sie liebte und an dem sie in treuer Liebe hing. Jene Frau war tugendhaft und keusch; und deshalb fand der Liebhaber keinen Zutritt zu ihr.



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Als ihm nun die Geduld ausging, ersann er eine List. Der Gatte jener Frau hatte nämlich einen Jüngling, den er in seinem Hause aufgezogen hatte und dem er sein ganzes Vertrauen schenkte. An den wandte sich der Liebhaber und wußte sich durch immer neue Gaben und Geschenke so bei ihm einzuschmeicheln, daß der Jüngling ihm in allem willfahrte, was er von ihm verlangte. Eines Tages nun sprach er zu ihm: ,Du da, willst du mich nicht einmal in euer Haus führen, wenn deine Herrin ausgegangen ist?' ,Gern', erwiderte der Jüngling; und als seine Herrin ins Bad und sein Herr in den Laden gegangen war, begab er sich zu seinem Freunde und nahm ihn bei der Hand und führte ihn in das Haus hinein. Dort zeigte er ihm alles, was in dem Hause war. Der Liebhaber jedoch war entschlossen, der Frau einen listigen Streich zu spielen; darum hatte er das Weiße eines Eis in einem Gefäße mitgenommen, und nun trat er an das Lager des Mannes heran und goß es dort auf das Bett, ohne daß der Jüngling es sah. Dann verließ er das Haus und ging seiner Wege. Nach einer Weile kam der Mann heim und ging zu seinem Lager, um dort auszuruhen. Aber er fand auf ihm etwas Feuchtes, und als er es in seine Hand nahm und anschaute, dachte er in seinem Sinne, es sei Mannessame. Da blickte er mit einem Auge des Zornes auf den Jüngling und fragte ihn: ,Wo ist deine Herrin?' Jener antwortete: ,Sie ist ins Bad gegangen und wird gleich wiederkommen.' Nun ward der Kaufmann in seinem Verdachte bestärkt, und er glaubte sicher, daß es Mannessame sei. Und er befahl dem Jüngling: ,Geh auf der Stelle hin und hole deine Herrin!' Als darauf die Frau vor ihren Gatten trat, erhob er sich wider sie und schlug sie heftig. Dann band er ihr die Arme auf den Rücken und wollte ihr die Kehle durchschneiden. Aber sie schrie nach ihren Nachbarn, und als die herbeieilten, sprach sie zu ihnen: ,Dieser



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Mann will mich töten; aber ich bin mir keiner Schuld bewußt!' Da drangen die Nachbarn auf ihn ein und sprachen zu ihm: ,Du hast dazu kein Recht! Entweder kannst du dich von ihr scheiden, oder du mußt sie im guten behalten; denn wir kennen ihre Keuschheit. Seit langem ist sie unsere Nachbarin, und wir haben noch nie etwas Schlechtes von ihr erfahren.' Er aber rief: ,Ich habe auf meinem Bette etwas wie Mannessamen gesehen; und ich weiß nicht, woher das kommt.' Da hub einer von den Umstehenden an und sprach: ,Laß mich es sehen!' Als er es gesehen hatte, fuhr er fort: ,Bring mir Feuer und eine Pfanne!' Und wie er beides erhalten hatte, nahm er das Eiweiß, briet es über dem Feuer, aß dann davon und gab allen, die zugegen waren, davon zu kosten; und alle überzeugten sich davon, daß es Eiweiß war. Da erkannte der Kaufmann, daß er seiner Frau unrecht getan hatte und daß sie frei von aller Schuld war. Die Nachbarn aber traten zu ihm und stifteten Frieden zwischen ihm und seiner Frau. nachdem er bereits die Scheidungsformel ausgesprochen hatte. So wurde die List jenes Schurken und der tückische Plan, den er wider sie ersonnen hatte, ohne daß sie es ahnte, zuschanden. — So wisse denn, o König, solches ist die Tücke der Männer!'

Da befahl der König, seinen Sohn hinzurichten. Aber nun trat der zweite Wesir vor, küßte den Boden vor ihm und sprach zu ihm: ,O König, übereile dich nicht, deinen Sohn zu Tode zu bringen! Er ward seiner Mutter geschenkt, nachdem schon alle Hoffnung aufgegeben war; und wir hoffen, daß er dereinst ein Kleinod in deinem Reiche und ein Hüter deines Gutes wird. Hab Geduld mit ihm, o König! Vielleicht hat er etwas zu sagen, was seine Unschuld beweist. Wenn du ihn übereilt hinrichten lässest, so wirst du bereuen, wie der Kaufmann bereute.' Der König fragte: ,Wie war denn das? Was ist das für eine Geschichte,



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Wesir?' Und nun hub der zweite Wesir an: ,Mir ward berichtet, o König,


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